Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren: Teilweise Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bei mehreren die Rechtsfehlerhaftigkeit der Berufungsentscheidung alternativ tragenden Gründen
Normenkette
ZPO § 321a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 543 Abs. 2 S. 1, § 544 Abs. 9; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 15. April 2021 wird auf Kosten des Beklagten zu 2 zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 zur Zahlung von 117.805,15 € verurteilt. Den Beklagten zu 2 hat es für verpflichtet gehalten, 839.127,71 € zu zahlen. Beide Beklagte haben Berufung eingelegt. Die Berufung des Beklagten zu 2 hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 hat es das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Für diesen Fall hatten die Kläger Hilfsanschlussberufung eingelegt mit dem Ziel, den Beklagten zu 2 (nachfolgend nur noch: der Beklagte) zur Zahlung weiterer 117.805,15 € zu verurteilen. Dem hat das Berufungsgericht entsprochen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Rz. 2
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat der Senat die Revision zugelassen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 117.805,15 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Die weitergehende Beschwerde hat er zurückgewiesen. Der Zulassungsentscheidung liegt ein Gehörsverstoß des Berufungsgerichts zugrunde. Das Berufungsgericht hat es gehörswidrig unterlassen, die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme zu wiederholen und eine Würdigung der Aussage der vom Beklagten benannten Zeugin vorzunehmen. Die Gehörsverletzung erstreckt sich auch auf die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 117.805,15 €, die auf die Hilfsanschlussberufung der Kläger erfolgt ist. Insoweit hat sich der Senat an einer Zulassung der Revision gehindert gesehen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Anhörungsrüge.
II.
Rz. 3
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Die teilweise Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde verletzt nicht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde im Umfang der auf die Hilfsanschlussberufung der Kläger erfolgten Verurteilung des Beklagten beruht darauf, dass der dem Berufungsgericht auch insoweit unterlaufene Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich ist.
Rz. 4
1. Die auf die Hilfsanschlussberufung erfolgte Verurteilung des Beklagten beruht auf zwei voneinander unabhängigen Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Außerdem hat es übersehen, dass die Hilfsanschlussberufung unzulässig war. Im Blick auf die fehlerhafte Beurteilung der Zulässigkeit der Hilfsanschlussberufung fehlt es an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Der Beklagte hat hierzu keinen Zulassungsgrund geltend gemacht. Hätte demnach das Berufungsgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt und nur die Zulässigkeit der Hilfsanschlussberufung fehlerhaft beurteilt, wäre die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ohne weiteres zurückzuweisen gewesen. Das ist Folge der § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu entnehmenden Entscheidung des Gesetzgebers, dass der Zugang zur Revisionsinstanz nur eröffnet ist, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, dessen Beseitigung auch im Interesse der Allgemeinheit liegt (BT-Drucks. 14/4722, S. 104; vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - V ZB 72/02, NJW 2004, 72, 73).
Rz. 5
2. Die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist, weil dem Berufungsgericht zusätzlich ein Gehörsverstoß unterlaufen ist, hat der Senat gegen den Beklagten entschieden. Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des durch den Beklagten im Verfahren der Anhörungsrüge gehaltenen Vortrags (Schriftsätze vom 28., 29. April und 31. Mai 2021) fest. Dem liegt zugrunde, dass die Hilfsanschlussberufung in dem Revisionsverfahren, das sich der von dem Beklagten begehrten Zulassung anschließen würde (oder nach Zurückverweisung der Sache nach § 544 Abs. 9 ZPO), zwingend als unzulässig zu verwerfen sein würde. Auf die zur Beseitigung des Gehörsverstoßes erforderliche Wiederholung der Beweisaufnahme käme es nicht (mehr) an. Die im Falle einer Wiederholung der Beweisaufnahme bestehende Möglichkeit einer erneuten Verurteilung des Beklagten zu 2 wäre nicht gegeben. Darin läge eine überschießende, durch Art. 103 Abs. 1 GG nicht gebotene Kompensation der Gehörsverletzung. Der Gehörsverstoß gebietet allein die Wiederholung der Beweisaufnahme und die umfassende Würdigung der erhobenen Beweise. Dazu könnte es nicht kommen, weil die Hilfsanschlussberufung als unzulässig zu verwerfen sein würde. Käme es zu der vom Beklagten begehrten Zulassung der Revision auch im Blick auf die infolge der Hilfsanschlussberufung erfolgte Verurteilung, würde letztlich allein der nicht zulassungsrelevante Rechtsfehler - die irrtümliche Annahme der Zulässigkeit des Anschlussrechtsmittels - beseitigt. Daraus folgt, dass der (zusätzliche) Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich ist.
Rz. 6
An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es nicht nur dann, wenn die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen richtig ist. Auch wenn eine Entscheidung alternativ auf mehreren Rechtsfehlern beruht, ist der Zugang zur Revision verschlossen, wenn sich darunter einer befindet, an dessen Bereinigung kein öffentliches Interesse im Sinne der Zulassungsgründe besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003, aaO). Das beruht auf der Erwägung, dass sich das Revisionsgericht nicht zu der zulassungsrelevanten Rechtsfrage verhalten muss, wenn die Entscheidung auch aus einem anderen Grund zu ändern wäre und es insoweit an einem Zulassungsgrund fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003, aaO). Darüber geht der Streitfall noch hinaus. Die zur Beseitigung der Gehörsverletzung erforderliche Wiederholung der Beweisaufnahme wäre nicht nur nicht erforderlich. Sie wäre gar nicht möglich, weil es an der Zulässigkeit der Hilfsanschlussberufung und damit an einer Voraussetzung für die Sachentscheidung fehlt. Das Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit gilt für den Gehörsverstoß gleichermaßen. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs wird dadurch geheilt, dass im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde das übergangene Vorbringen berücksichtigt und erwogen, aber nicht für entscheidungserheblich befunden wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205, 3206).
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