Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 03.06.2021; Aktenzeichen 65 S 172/20) |
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Entscheidung vom 11.06.2020; Aktenzeichen 3 C 15/20) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.
Gründe
I.
Rz. 1
1. Die Kläger sind seit 2017 Mieter einer von dem Rechtsvorgänger der Beklagten gemieteten Wohnung in Berlin. Der Mietvertrag enthält keine Angaben dazu, dass es sich um preisgebundenen Wohnraum handele. Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 12. April 2019, dem als Anlage eine Wirtschaftlichkeitsberechnung beigefügt war, gegenüber den Klägern eine auf § 10 WoBindG gestützte - und damit aus ihrer Sicht nicht zustimmungspflichtige - Erhöhung der Nettomiete um monatlich 90 € auf 690 €.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat der auf Feststellung der Unwirksamkeit der vorgenannten Mieterhöhung gerichteten Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Rz. 3
2. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 4
Die Berufung sei zulässig. Sie genüge entgegen der Auffassung der Kläger auch den Anforderungen aus § 520 Abs. 3 ZPO. Die Beklagte habe ihre vom Amtsgericht abweichende Rechtsauffassung im Einzelnen begründet und im Übrigen auch konkrete Anhaltspunkte benannt, die geeignet wären, Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil zu begründen, wenn ihrer Rechtsauffassung gefolgt würde.
Rz. 5
Die Berufung sei jedoch unbegründet, da die Kläger einen Anspruch auf Feststellung hätten, dass die Mieterhöhungserklärung der Beklagten vom 12. April 2019 die geschuldete Miete nicht erhöht habe. Die Einordnung einer Wohnung als preisgebundener oder preisfreier Wohnraum stehe nicht im Belieben des Vermieters, sondern richte sich nach den gesetzlichen Bestimmungen. Dem Mietvertrag müsse sich aber zumindest andeutungsweise entnehmen lassen, dass die Wohnung öffentlich gefördert oder preisgebunden sei, da es sich bei den Regelungen über die Kostenmiete um eine Ausnahme handele, die im Mietvertrag ausdrücklich vereinbart werden müsse. Die Beklagte sei kraft Gesetzes an die Begrenzung der Miethöhe auf die Kostenmiete gebunden. Gleichzeitig unterliege sie aber aufgrund fehlenden Hinweises im Mietvertrag auf eine öffentliche Förderung beziehungsweise Preisbindung der Wohnung auch den Regelungen der §§ 558 ff. BGB und könne sich demzufolge gegenüber den Klägern nicht auf das einseitige Mieterhöhungsrecht nach § 10 Abs. 1, 2 WoBindG berufen. Vielmehr müsse sie das Verfahren gemäß §§ 558 ff. BGB einhalten. Die (einseitige) Mieterhöhungserklärung vom 12. April 2019 genüge diesen Anforderungen nicht.
Rz. 6
3. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
II.
Rz. 7
1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
Rz. 8
a) Das Berufungsgericht hat die Revision ohne nähere Begründung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen. Weder die vom Berufungsgericht möglicherweise für klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage, ob der Vermieter von preisgebundenem Wohnraum auch dann zur einseitigen Mieterhöhung gemäß § 10 Abs. 1, 2 WoBindG berechtigt ist, wenn er im Mietvertrag nicht darauf hinweist, dass die Wohnung einer Preisbindung unterliegt, noch sonstige Rechtsfragen bezüglich der Berechtigung der Beklagten zur (einseitigen) Mieterhöhung geben der Rechtssache hier eine grundsätzliche Bedeutung. Denn sämtliche Rechtsfragen sind nicht entscheidungserheblich, da es bereits an der Zulässigkeit der Berufung der Beklagten fehlt.
Rz. 9
b) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein von Bedeutung ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; vom 9. Juni 2020 - VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312 Rn. 9; vom 9. Februar 2021 - VIII ZR 316/19, juris Rn. 7; vom 9. November 2021 - VIII ZR 362/19, NJW-RR 2022, 336 Rn. 12; jeweils mwN). Eine Rechtsfrage kann danach einer Sache grundsätzliche Bedeutung nicht verleihen, wenn sie für die Rechtssache nicht entscheidungserheblich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 2003 - X ZR 82/02, BGHZ 153, 254, 256 mwN; vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 1/09, juris Rn. 1; vom 9. August 2022 - VIII ZR 298/20, NZM 2022, 871 Rn. 10).
Rz. 10
c) So liegt es im Streitfall. Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die Berufung der Beklagten bereits unzulässig, weshalb es das Rechtsmittel als unzulässig hätte verwerfen müssen (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Rz. 11
aa) Die Zulässigkeit der Berufung stellt als Prozessfortsetzungsbedingung eine Sachverhandlungs- und Sachurteilsvoraussetzung dar, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist, denn ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Revisionsgericht ist nur möglich, solange der Rechtsstreit noch nicht rechtskräftig beendet ist. Dies setzt neben der Zulässigkeit der Revision voraus, dass das erstinstanzliche Urteil durch eine zulässige Berufung angegriffen worden und die Rechtskraft dieses Urteils damit zunächst in der Schwebe gehalten ist. Bei seiner Prüfung ist das Revisionsgericht nicht an die Würdigung der Vorinstanz gebunden (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteile vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 103/15, BGHZ 212, 224 Rn. 16; vom 29. April 2020 - VIII ZR 31/18, NJW 2020, 2884 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteile vom 3. Juni 1987 - VIII ZR 154/86, BGHZ 101, 134, 136 [zum Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid]; vom 27. Februar 2018 - XI ZR 452/16, NJW 2018, 1689 Rn. 14; vom 19. November 2020 - I ZR 110/19, juris Rn. 12; vom 7. November 2022 - VIa ZR 737/21, juris Rn. 14; jeweils mwN).
Rz. 12
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird die - am letzten Tag der Frist eingegangene - Berufungsbegründung der Beklagten den Anforderungen aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nicht gerecht.
Rz. 13
(1) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Es reicht dabei nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 50/20, NJW-RR 2021, 935 Rn. 9; vom 15. März 2022 - VIII ZB 43/21, NZM 2022, 460 Rn. 11 f.; vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22, juris Rn. 19; jeweils mwN).
Rz. 14
Zudem muss die Begründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 29. Mai 2013 - VIII ZR 174/12, NJW 2013, 2584 Rn. 23; BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2020 - IX ZB 62/18, NJW 2020, 2119 Rn. 12; vom 5. August 2020 - VIII ZB 18/20, NJW-RR 2020, 1132 Rn. 16; vom 18. Oktober 2022 - XI ZB 5/22, juris Rn. 16; jeweils mwN).
Rz. 15
(2) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten vom 24. August 2020 nicht, da sie gegen die das amtsgerichtliche Urteil selbständig tragende Erwägung, wonach die Mieterhöhungserklärung der Beklagten selbst bei unterstelltem Vorliegen preisgebundenen Wohnraums nicht den formellen Anforderungen aus § 10 Abs. 1 Satz 2 WoBindG genüge, Einwände nicht vorgebracht hat.
Rz. 16
(a) Das Amtsgericht hat die - der Klage stattgebende - Feststellung, dass die Mieterhöhung der Beklagten unwirksam ist, auf zwei das Urteil jeweils selbständig tragende Erwägungen gestützt. Zum einen ist es davon ausgegangen, die Beklagte, welche ein einseitiges Mieterhöhungsrecht für sich in Anspruch nehme, habe nicht dargelegt, dass es sich bei der an die Kläger vermieteten Wohnung tatsächlich um preisgebundenen Wohnraum handele.
Rz. 17
Zum anderen hat es - selbst wenn vom Vorliegen preisgebundenen Wohnraums auszugehen wäre - die formellen Voraussetzungen des dann einzuhaltenden § 10 Abs. 1 Satz 2 WoBindG nicht als erfüllt angesehen. Hiernach ist die Mieterhöhungserklärung des Vermieters nur wirksam, wenn in ihr die Erhöhung berechnet und erläutert ist (vgl. hierzu Senatsurteil vom 6. April 2022 - VIII ZR 246/20, NZM 2022, 800 Rn. 13 ff.). Das Amtsgericht hat gemeint, die von der Beklagten vorgenommene Bezugnahme auf eine aus sich heraus nicht verständliche Wirtschaftlichkeitsberechnung und die Angabe, aus jener ergebe sich die höchstzulässige Miete, sei weder Berechnung noch Erläuterung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 WoBindG. Es fehlten Angaben zu einer Kostenmiete zur Zeit des Mietvertragsabschlusses und zu zwischenzeitlichen Mietsteigerungen. Der Umstand, dass die diesbezügliche Dokumentenlage bei der Beklagten und ihrer Verwalterin dürftig (geblieben) sei, könne nicht zulasten des über die angebliche Preisbindung bei Vertragsschluss nicht informierten Mieters gehen.
Rz. 18
(b) Diese eigenständigen Ausführungen des Amtsgerichts zur formellen Unwirksamkeit der Mieterhöhungserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WoBindG hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht angegriffen. Sie hat sich lediglich dagegen gewandt, das Amtsgericht habe das Vorliegen preisgebundenen Wohnraums nicht "nachvollziehen" können. Die Preisbindung der an die Kläger vermieteten Wohnung sei eine Eigenschaft des Mietobjekts, welche nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehe. Daher ändere auch eine fehlende Angabe im Mietvertrag nichts daran, dass es sich vorliegend um preisgebundenen Wohnraum handele.
Rz. 19
Demgegenüber hat die Beklagte Einwände gegen die vom Amtsgericht - preisgebundenen Wohnraum in diesem Zusammenhang unterstellend - angenommene formelle Unwirksamkeit einer Mieterhöhungserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WoBindG nicht vorgebracht. Auf die Frage einer - vom Amtsgericht verneinten - ordnungsgemäßen Berechnung und Erläuterung der Mieterhöhung, die den nach der vorgenannten Vorschrift gestellten Anforderungen genügt, geht die Beklagte nicht ein. Allein der pauschale Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen genügt - wie ausgeführt - nicht den nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO an eine wirksame Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen.
Rz. 20
2. Aus den vorstehenden Erwägungen hat die - ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Einzelrichterin zugelassene (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2020 - VIII ZR 355/18, NJW 2020, 1947 Rn. 12 mwN; vom 10. November 2022 - III ZR 13/22, NJW 2023, 922 Rn.14 mwN; Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2020 - VIII ZR 304/19, juris Rn. 8) - Revision auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 21
Da die Berufung der Beklagten unzulässig ist, kann deren Revision nicht zur sachlichen Nachprüfung des Berufungsurteils führen. Vielmehr wird die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen sein, dass die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil als unzulässig verworfen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 6; Beschlüsse vom 29. Juni 2005 - XII ZR 259/04, juris Rn. 4; vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 1/09, juris Rn. 2). Eine solche Entscheidung verstößt nicht gegen das Verschlechterungsverbot, weil dadurch die Wirkungen der Rechtskraft des angefochtenen Urteils nicht zum Nachteil des Revisionsführers verändert werden, da es im Ergebnis bei der Entscheidung des Erstgerichts bleibt (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 - IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 337 f.; vom 19. November 2020 - I ZR 110/19, juris Rn. 12; Beschluss vom 23. Januar 2014 - VII ZB 49/13, NJW 2014, 1306 Rn. 14).
III.
Rz. 22
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Dr. Bünger |
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Dr. Schmidt |
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Dr. Matussek |
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Dr. Reichelt |
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Dr. Böhm |
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Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme erledigt worden.
Fundstellen
Dokument-Index HI15862601 |