Leitsatz (amtlich)
Zum Nachweis des fristgerechten Eingangs der Berufungsbegründung entgegen dem gerichtlichen Eingangsstempel.
Normenkette
ZPO § 329 Abs. 2, § 418
Verfahrensgang
LG Weiden i.d.OPf. (Beschluss vom 29.11.2016; Aktenzeichen 21 S 43/16) |
AG Weiden i.d. OPf. (Urteil vom 22.08.2016; Aktenzeichen 3 C 369/16) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Weiden i. d. Opf. vom 29.11.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 788 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin verlangt nach Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Beklagten von diesem den hälftigen Ausgleich restlicher Miet- und Stromkosten für die ehemals gemeinsam angemietete Wohnung i.H.v. 787,50 EUR. Das AG hat der Klage stattgegeben.
Rz. 2
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23.8.2016 zugestellte Endurteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist auf seinen Antrag vom 21.10.2016 bis einschließlich Freitag, 4.11.2016, verlängert worden. Die Berufungsbegründungsschrift vom 4.11.2016 trägt den Eingangsstempel "7.11.2016" der Gemeinsamen Einlaufstelle von LG, Staatsanwaltschaft und AG.
Rz. 3
Auf den Hinweis des LG, dass die Berufungsbegründungsschrift nicht fristgerecht eingereicht worden und die Berufung daher unzulässig sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten geltend gemacht, seine langjährige und stets außerordentlich zuverlässige Kanzleiangestellte W. habe den Schriftsatz am 4.11.2016 gegen 12.30 Uhr in den "Nachtbriefkasten" eingeworfen. Zur Glaubhaftmachung hat er sich auf eine beigefügte eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten gestützt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Rz. 4
Das LG hat die Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist verworfen. Der Nachweis des fristgerechten Eingangs obliege dem Berufungskläger. Die Ermittlungen durch Nachfrage bei der Wachtmeisterei hätten ergeben, dass ein fristgerechter Eingang mit versehentlich verspätetem Abstempeln nahezu ausgeschlossen werden könne. Bei dieser Sachlage müsse trotz der eidesstattlichen Versicherung Verfristung angenommen werden. Für eine Wiedereinsetzung sei kein Raum, weil nicht eine entschuldbar verspätete, sondern eine fristgerechte Einreichung behauptet werde.
Rz. 5
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 8
1. Der angefochtene Beschluss enthält allerdings noch ausreichende Ausführungen, um mit den vom Gesetz vorgesehenen Gründen versehen zu sein. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen. Die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anträge in einem die Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwerfenden Beschluss ist jedoch nicht ausnahmslos erforderlich. Ein solcher Beschluss kann sich etwa bei Verwerfung der Berufung wegen nicht gewahrter Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder Begründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) auf die entscheidungserheblichen Umstände beschränken. Die Entscheidung des Berufungsgerichts muss aber auch in diesen Fällen jedenfalls die die Verwerfung tragenden Feststellungen enthalten, weil andernfalls dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Entscheidung nicht möglich ist (BGH, Beschl. v. 13.1.2016 - XII ZB 605/14, FamRZ 2016, 625 Rz. 6 m.w.N.). Diesem Erfordernis wird die vorliegende Verwerfungsentscheidung noch gerecht, indem sie auf den zuvor erteilten Hinweis Bezug nimmt, aus dem sich das Ende der Berufungsbegründungsfrist und das Datum des Eingangsstempels ergeben.
Rz. 9
2. Die Rechtsbeschwerde rügt aber zu Recht, dass das LG den Anspruch des Beklagten gem. Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat, indem es ohne Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO auf der Grundlage der vorliegenden Beweismittel entschieden hat.
Rz. 10
Zwar erbringt der Eingangsstempel auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz als öffentliche Urkunde gem. § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür, dass der Schriftsatz an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch gem. § 418 Abs. 2 ZPO durch einen im Wege des Freibeweises zu erbringenden Gegenbeweis entkräftet werden. Danach können auch eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel ausreichen, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln. Da der Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, reicht sie zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht aus. Dann muss auf die Vernehmung der Beweispersonen, etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals, als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (BGH v. 11.11.2009 - XII ZB 174/08, FamRZ 2010, 122 Rz. 6 ff. m.w.N.; v. 21.2.2007 - XII ZB 37/06 - juris Rz. 8 m.w.N.; BGH Beschl. v. 8.10.2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 11
Sofern die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten dem LG danach nicht die erforderliche Gewissheit vom rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung vermitteln konnte, hätte es ggf. die Kanzleiangestellte als Zeugin vernehmen müssen. Zwar hat sich der Beklagte in der Annahme, die vorgelegte eidesstattliche Versicherung sei ausreichend, nicht auf deren Vernehmung als Zeugin berufen. Das LG hätte ihn jedoch gem. § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweisen müssen, dass zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels die vorgelegten Mittel zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen, und ihm Gelegenheit geben müssen, Zeugenbeweis anzutreten. Das hat das LG gehörswidrig unterlassen (vgl. BGH v. 21.2.2007 - XII ZB 37/06 - juris Rz. 10 m.w.N.; v. 24.2.2010 - XII ZB 129/09, FamRZ 2010, 726 Rz. 10).
Rz. 12
3. Weiter macht die Rechtsbeschwerde mit Erfolg geltend, dass das LG bei seiner Würdigung der erhobenen Beweise Vorbringen des Beklagten unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG übergangen hat.
Rz. 13
Der Beklagtenvertreter hat auf den am 24.11.2016 abgesandten Hinweis des LG mit beim LG am 30.11.2016 eingegangenem Schriftsatz vorgetragen, der Nachtbriefkasten funktioniere nicht ordnungsgemäß oder werde nicht ordnungsgemäß bedient. In der Vergangenheit sei es sowohl bei Post des Prozessbevollmächtigten als auch bei Post von drei anderen namentlich bezeichneten Rechtsanwaltskanzleien vorgekommen, dass rechtzeitig eingeworfene Schriftstücke einen verspäteten Eingangsstempel getragen hätten. Dem hätte das LG nachgehen und hierzu etwa eine dienstliche Stellungnahme der Wachtmeisterei einholen müssen, weil bereits früher aufgetretene Unrichtigkeiten Einfluss auf die vorzunehmende Beweiswürdigung entfalten können.
Rz. 14
Der die Berufung verwerfende Beschluss trägt zwar das Datum 29.11.2016. Anders als im Geltungsbereich des § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG, nach dem ein Beschluss mit dem Datum der Übergabe an die Geschäftsstelle oder der Bekanntgabe durch Verlesen der Beschlussformel erlassen ist, erfolgt der Erlass eines - wie hier - nicht zu verkündenden Beschlusses (§ 329 Abs. 2 ZPO) im Rahmen der Zivilprozessordnung erst mit der Hinausgabe aus dem inneren Gerichtsbetrieb und damit zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden (BGH, Beschl. v. 27.10.1999 - XII ZB 18/99, FamRZ 2000, 813, 815; BGHZ 164, 347 = NJW 2005, 3724, 3726; BGH Beschlüsse v. 12.7.2012 - IX ZB 270/11, FamRZ 2012, 1561 Rz. 8; v. 10.11.2011 - IX ZB 165/10, NJW-RR 2012, 179 Rz. 13 m.w.N.; Urt. v. 1.4.2004 - IX ZR 117/03, FamRZ 2004, 1368 m.w.N.). Dies kann vorliegend frühestens der 2.12.2016 gewesen sein, weil erst mit diesem Datum die Verfügung des Vorsitzenden ausgeführt worden ist, den Beschluss an die Prozessbevollmächtigten hinauszugeben. Bis zum Zeitpunkt des Erlasses eingegangene Schriftsätze sind vom Gericht aber zu berücksichtigen (BGH Beschl. v. 12.7.2012 - IX ZB 270/11, FamRZ 2012, 1561 Rz. 7; BVerfG NJW 1993, 51).
Rz. 15
4. Da der angefochtene Beschluss auf diesen Verfahrensfehlern beruhen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an das LG zurückzuverweisen.
Rz. 16
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, hat das LG über den (hilfsweise gestellten) Wiedereinsetzungsantrag entschieden, indem es ausgeführt hat, für eine Wiedereinsetzung sei kein Raum. Insoweit war der Beschluss ebenfalls aufzuheben, weil über den Wiedereinsetzungsantrag erst dann zu befinden ist, wenn die Frage, ob die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, geklärt ist (vgl. Senatsbeschluss v. 21.2.2007 - XII ZB 37/06 - juris Rz. 12). Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist dem hierzu gehaltenen Vorbringen des Beklagten indes nicht zu entnehmen, dass - sollte der Schriftsatz tatsächlich verspätet eingegangen sein - die Kanzleiangestellte die Begründungsschrift zwar nach Dienstschluss mitgenommen, dann aber vergessen oder versäumt habe, sie am 4.11.2016 in den Gerichtsbriefkasten einzuwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 10865420 |
FamRZ 2017, 1247 |
FuR 2017, 452 |
FA 2017, 210 |
AnwBl 2017, 893 |
JZ 2017, 449 |
MDR 2017, 839 |
FamRB 2017, 338 |
BRAK-Mitt. 2017, 169 |
FK 2017, 190 |