Leitsatz (amtlich)
Das Berufungsgericht ist zur erneuten Vernehmung eines Zeugen verpflichtet, wenn es dessen Glaubwürdigkeit anders beurteilen oder dessen Aussage anders verstehen will als die Vorinstanz. Unterlässt es dies, verletzt es das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei (im Anschluss an BGH v. 21.3.2012 - XII ZR 18/11 NJW-RR 2012, 704; v. 21.10.2020 - XII ZR 114/19 NJW-RR 2020, 1519).
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 398 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 544 Abs. 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 17.2.2020 zugelassen, soweit darin zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.
Auf die Revision des Beklagten wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und im Umfang der zugelassenen Revision aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 49.175 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien lebten von 2007 bis 2017 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Der Beklagte erwarb im Jahr 2011 zum Preis von 47.000 EUR ein Hausgrundstück zu Alleineigentum, das die Parteien nach Renovierung mit einem Kostenaufwand von rund 120.000 EUR gemeinsam bewohnten. Die Einkünfte der Klägerin aus einer Witwenrente, einer Erwerbsminderungsrente sowie einer privaten Pflegezusatzversicherung wurden unmittelbar auf das Konto des Beklagten überwiesen und beliefen sich im Zeitraum vom 1.1.2015 bis zur Trennung der Parteien am 28.6.2017 insgesamt auf rund 77.675 EUR. Der Beklagte überwies auf das Konto der Klägerin monatlich 300 EUR mit dem Verwendungszweck "Haushalt". Darüber hinaus wurde Pflegegeld i.H.v. monatlich 545 EUR unmittelbar auf das Konto der Klägerin ausbezahlt. Der Beklagte hatte eigene Renteneinkünfte i.H.v. rund 2.024 EUR monatlich und leistete für die Finanzierung des Anwesens eine monatliche Annuität i.H.v. 988 EUR.
Rz. 2
Die Klägerin hat den Beklagten im Berufungsverfahren noch auf Zahlung von 49.174,80 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen und diesen Betrag errechnet, indem sie von ihren im Zeitraum 1.1.2015 bis 28.6.2017 auf dem Konto des Beklagten eingegangenen Einkünften die monatlichen Überweisungen "Haushalt" i.H.v. 300 EUR und eine monatliche Miete i.H.v. 650 EUR abgezogen hat. Das LG hat die Klage nach Vernehmung der Tochter der Klägerin abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG der Klage ohne erneute Beweisaufnahme bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
II.
Rz. 3
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gem. § 544 Abs. 9 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Zulassung der Revision und zur Aufhebung des angegriffenen Urteils sowie insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 5
Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB. Aufgrund der gesamten Umstände, insb. der Gestaltung und des Ablaufs der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien, habe der gemeinschaftsbezogenen Zuwendung der Klägerin die übereinstimmende Vorstellung einer lebenslangen gemeinschaftlichen Nutzung des Hauses durch die Parteien zugrunde gelegen. Dem Vorbringen der Klägerin, sie habe in der Erwartung des Fortbestands der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und mit Rücksicht auf die bis zu ihrem Lebensende mögliche Mitnutzung der Immobilie die Zahlungen auf das Beklagtenkonto zur Finanzierung des Anwesens im Innenverhältnis geleistet, sei der Beklagte nicht entgegengetreten. Dieser habe lediglich eine Übereinkunft der Parteien in Bezug auf den gemeinsamen Erwerb der Immobilie bestritten, ihren Willen zur Nutzung als gemeinsame Wohnung und Alterssitz zur Sicherung der gemeinsamen Altersversorgung aber bestätigt. Dass sich die Klägerin mit der Anweisung der Zahlung auf das Konto des Beklagten nach Vorstellung beider Parteien an der Hausfinanzierung habe beteiligen wollen, belege auch die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin. Damit habe der Beklagte das lebenslange Wohnrecht als Zweck der Leistungen der Klägerin erkannt und diese entgegengenommen, ohne zu widersprechen. Der Beklagte sei auch dem Vorbringen der Klägerin, dass mit den Geldeingängen auf seinem Konto die auf dem Haus lastenden Annuitäten bedient werden sollten, nicht substantiiert entgegengetreten. Vielmehr lasse sich seinem eigenen Vortrag die Vereinbarung entnehmen, zur Sicherstellung dieser Zahlungsverpflichtungen alle finanziellen Eingänge auf sein Konto leiten zu lassen. In diese Richtung deute zudem die Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugin.
Rz. 6
2. Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungserheblicher Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG zugrunde liegt, weil es die Aussage der vom LG vernommenen Zeugin abweichend gewürdigt hat, ohne sie erneut zu vernehmen.
Rz. 7
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist allerdings eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Das gilt insb. für die erneute Vernehmung von Zeugen, die grundsätzlich gem. § 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Das Berufungsgericht ist deshalb verpflichtet, einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es seine Glaubwürdigkeit anders als die Vorinstanz beurteilt (vgl. BGH, Urt. v. 30.10.2002 - XII ZR 273/99 - juris Rz. 15) oder die protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Unterlässt es dies, so verletzt es das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei (vgl. BGH v. 21.3.2012 - XII ZR 18/11 NJW-RR 2012, 704 Rz. 6 m.w.N.; v. 21.10.2020 - XII ZR 114/19 NJW-RR 2020, 1519 Rz. 6). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d.h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit (d.h. die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen (BGH, Urt. v. 30.10.2002 - XII ZR 273/99 - juris Rz. 15; BGH v. 21.3.2012 - XII ZR 18/11 NJW-RR 2012, 704 Rz. 7 m.w.N.; v. 21.10.2020 - XII ZR 114/19 NJW-RR 2020, 1519 Rz. 6; BVerfG NJW 2017, 3218 Rz. 57 m.w.N.).
Rz. 8
b) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht die vom LG vernommene Zeugin erneut vernehmen müssen, weil es ihre Aussage anders als der Richter der Vorinstanz verstanden und ihre Glaubwürdigkeit anders beurteilt hat.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat "aufgrund der gesamten Umstände" die Überzeugung gewonnen, den Zuwendungen der Klägerin habe als Zweckabrede die übereinstimmende Vorstellung der lebenslangen gemeinsamen Nutzung des Hauses zugrunde gelegen. Es hat diese Würdigung ausdrücklich "auch" durch die Aussage der vom LG vernommenen Zeugin als belegt angesehen und anschließend eine Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Zeugenaussage vorgenommen. Dabei handelt es sich auch nicht lediglich um eine andere rechtliche Würdigung einer vom LG festgestellten Aussage, die weder einen Bezug zur Urteilsfähigkeit, dem Erinnerungsvermögen oder der Wahrheitsliebe der Zeugin noch zur Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit ihrer Aussage aufweist. Denn das LG hat die Aussage eingehend gewürdigt und ausdrücklich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin formuliert, indem es sie in den Entscheidungsgründen als "sehr unsicher" wirkend bezeichnet hat. Dies deckt sich mit der Niederschrift der Vernehmung, wonach die Zeugin selbst auf die seit ihrer Wahrnehmung vergangene Zeit und die Schwierigkeiten, die ihr die Aussage mache, hingewiesen hat. Dem entsprechend sah sich das LG ausdrücklich auch unter Einbeziehung der Aussage der Zeugin - anders als das Berufungsgericht - nicht in der Lage, eine Zweckvereinbarung der Parteien gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB festzustellen.
Rz. 10
Entgegen der von der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung hat das LG die Aussage der Zeugin auch nicht lediglich im Hinblick auf eine Zweckabrede im Sinne eines gemeinsamen Hauserwerbs "im Innenverhältnis" bewertet. Im Gegenteil ergibt sich aus der vom LG gewählten Formulierung, dass es gerade eine von der dinglichen Rechtslage losgelöste Betrachtung vorgenommen und auf den Beitrag der Klägerin zur Vermögensbildung des Beklagten abgestellt hat. Daher wäre das Berufungsgericht nur durch eine erneute Vernehmung der Zeugin in der Lage gewesen, sich ein eigenes Bild von deren Glaubwürdigkeit und der Ergiebigkeit ihrer Aussage im Hinblick auf eine Zweckvereinbarung zu machen, und hätte das Urteil nicht ohne erneute Anhörung auf die Aussage der Zeugin stützen dürfen (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1984 - IVa ZR 216/82 NJW-RR 1986, 284; v. 14.7.2009 - VIII ZR 3/09 NJW-RR 2009, 1291 Rz. 4 f. m.w.N.).
Rz. 11
c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich und das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, wenn es die Zeugin erneut vernommen hätte, eine Zweckvereinbarung i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB nicht festgestellt hätte und deshalb insgesamt zu einer abweichenden Beurteilung gelangt wäre.
Rz. 12
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 13
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich mit dem weiteren Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auseinanderzusetzen. Sofern das Berufungsgericht nach Beweisaufnahme erneut die von der Klägerin behauptete Zweckabrede bejaht, wonach mit einem Teil der auf das Konto des Beklagten geflossenen Einkünfte der Klägerin die Finanzierung von Erwerb und Renovierung des lebenslang von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu nutzenden Hausanwesens ermöglicht werden sollte, wird es sich näher damit zu befassen haben, was der Beklagte insoweit erlangt (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BGB) hat. Denn nur insoweit wäre er gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Ein Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung kann dabei nur bestehen, soweit die Leistungen der Klägerin beim Beklagten zu Vermögenswerten geführt haben, welche die Beendigung der Lebensgemeinschaft überdauern (vgl. BGH BGHZ 177, 133 = FamRZ 2008, 1822 Rz. 39; v. 6.7.2011 - XII ZR 190/08 FamRZ 2011, 1563 Rz. 30; v. 8.5.2013 - XII ZR 132/12 FamRZ 2013, 1295 Rz. 37). Die im streitgegenständlichen Zeitraum erfolgten Zuwendungen können mit Blick auf die von der Klägerin behauptete Zweckabrede allenfalls in dem Umfang zu einer Bereicherung des Beklagten geführt haben, als mit ihnen die Darlehen getilgt oder eine Wertsteigerung bewirkende Renovierungen bezahlt worden sind. Hierzu ist dem Vorbringen der vortragsbelasteten Klägerin bislang nichts zu entnehmen, so dass das Berufungsgericht ggf. Gelegenheit zu weiterem Vortrag einzuräumen haben wird.
Rz. 14
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Fundstellen