Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Beschwerde. Zulassung. Einzelrichter. Spruchkörper. Besetzung. Streitgenosse. Prozessrechtsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
a) Die Zulassung der (Rechts-)Beschwerde nach § 17a Abs. 4 S. 4 und 5 GVG an den BGH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage ist dem Spruchkörper in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung vorbehalten; eine Zulassung durch den Einzelrichter unterliegt wegen fehlerhafter Besetzung der Aufhebung von Amts wegen (Fortführung von BGH v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200 = MDR 2003, 588 = BGHReport 2003, 627).
b) Nimmt ein Kläger mehrere Beklagte als einfache Streitgenossen auf Schadensersatz in Anspruch und erklärt das LG den beschrittenen Rechtsweg unter Verweisung des Rechtsstreits an das ArbG für unzulässig, so kann ein Beklagter mit der von ihm allein eingelegten Beschwerde nicht erreichen, dass die angefochtene Entscheidung auch in Bezug auf die anderen Streitgenossen rechtlich überprüft wird.
Normenkette
GVG § 17a Abs. 4; ZPO §§ 60, 568 S. 2 Nr. 2; GVG § 17a Abs. 4 Sätze 4-5
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 09.05.2005; Aktenzeichen 1 W 23/05) |
LG Ravensburg |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2) wird der Beschluss des 1. Zivilsenats (Einzelrichterin) des OLG Stuttgart v. 9.5.2005 - 1 W 23/05 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichterin) zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren und für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR festgesetzt.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Kläger, ein Leiharbeitnehmer der Firma P., verlangt wegen eines Arbeitsunfalls v. 14.7.2003 von den Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung seiner materiellen Schadensersatzansprüche. Der Beklagte zu 1), der ein Maler- und Lackiergeschäft betreibt, hatte ihn auf einer Baustelle auf dem Gelände der Beklagten zu 2) eingesetzt. Der Kläger hatte auf einem Hallendach der Betriebsgebäude der Beklagten zu 2) eine zu lackierende Fläche mit einem Dampfstrahlgerät zu bearbeiten. Nach seinem Vortrag stolperte er dort über eine Plastiklichtkuppel, die seinem Gewicht nicht standhielt, so dass er ca. 5m tief in die darunter liegende Halle auf einen Betonboden stürzte und sich erhebliche Verletzungen zuzog. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagten hätten es schuldhaft unterlassen, geeignete Maßnahmen des Arbeitsschutzes für ihn zu treffen. Nachdem sich der Kläger vorsorglich mit einer Verweisung des Rechtsstreits an das ArbG einverstanden erklärt und auch der Beklagte zu 1) eine solche Verweisung beantragt hatte, erklärte das LG durch Beschluss des Einzelrichters v. 5.4.2005 den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das ArbG U. . Soweit der Kläger den Beklagten zu 1) in Anspruch nehme, sei der Rechtsweg zum ArbG nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG begründet, weil der Beklagte zu 1) im Rahmen der von ihm wahrzunehmenden Fürsorgepflicht als Arbeitgeber anzusehen sei. Wegen des unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dieser Klage sei für die Inanspruchnahme der Beklagten zu 2) der Rechtsweg zu den ArbG nach § 2 Abs. 3 ArbGG eröffnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) wies das OLG durch Beschluss der Einzelrichterin zurück, die die Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 4 S. 4 GVG zuließ.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (Einzelrichterin).
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 17a Abs. 4 S. 4 bis 6 GVG statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil die Einzelrichterin entgegen § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat. Die angefochtene Einzelrichterentscheidung unterliegt jedoch der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) ergangen ist. Die Einzelrichterin durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihr bejahten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gem. § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO dem mit drei Richtern besetzten Senat übertragen müssen. Mit ihrer Entscheidung hat sie die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Diesen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters hat der Senat, wie der BGH bereits wiederholt entschieden hat (BGH v. 13.3.2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200 [202 f.] = MDR 2003, 588 = BGHReport 2003, 627; Beschl. v. 11.9.2003 - XII ZB 188/02, BGHReport 2003, 1363 = MDR 2004, 109 = NJW 2003, 3712; Beschl. v. 18.9.2003 - V ZB 53/02, BGHReport 2004, 56 = MDR 2004, 43 = NJW 2004, 223), von Amts wegen zu beachten. Für eine Beschwerde nach § 17a Abs. 4 S. 4 GVG, die nach der Rechtsprechung des BGH als Rechtsbeschwerde zu behandeln ist (BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 27/02, BGHZ 152, 213 [214 f.] = MDR 2003, 285 = BGHReport 2003, 202; Beschl. v. 12.11.2002 - XI ZB 5/02, MDR 2003, 228 = BGHReport 2003, 201 = NJW 2003, 433 [434]; v. 26.11.2002 - VI ZB 41/02, MDR 2003, 407 = BGHReport 2003, 351 = GesR 2003, 79 = NJW 2003, 1192 f.; Beschl. v. 10.7.2003 - III ZB 91/02, BGHZ 155, 365 [368 f.] = MDR 2003, 1307 = BGHReport 2003, 1095 m. Anm. Burgermeister; BAG v. 26.9.2002 - 5 AZB 15/02, MDR 2003, 110 = BAGReport 2003, 93 = NJW 2002, 3725; v. 19.12.2002 - 5 AZB 54/02, BAGReport 2003, 93 = NJW 2003, 1069), kann nichts Anderes gelten.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Die Rechtsbeschwerde, die wie das Rubrum des angefochtenen Beschlusses neben dem Kläger auch den Beklagten zu 1) als Beschwerdegegner bezeichnet, geht offenbar davon aus, dass die Entscheidung des LG auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) in vollem Umfang abgeändert werden kann, also auch in der Prozessrechtsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1). Dem entspricht auch die Hauptzielrichtung ihres Beschwerdeangriffs, mit dem sie geltend macht, zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1) bestehe kein Arbeitsverhältnis. Der Leiharbeitnehmer sei ein Arbeitnehmer des Verleihers. Das ergebe sich auch aus § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG, der ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nur für den Fall fingiere, dass der Vertrag zwischen dem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam sei.
Diese Frage ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden, weil nur die Beklagte zu 2) und nicht auch der Beklagte zu 1) gegen den Verweisungsbeschluss des LG Beschwerde eingelegt hat. Auch wenn die Rechtsbeschwerde Recht hätte (für eine arbeitsgerichtliche Zuständigkeit in Fällen, in denen der Entleiher wegen einer Verletzung von Fürsorgepflichten in Anspruch genommen wird, Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 2 Rz. 52; Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 2004, § 2 Rz. 78; Hauck/Helml, ArbGG, 2. Aufl. 2003, § 2 Rz. 20; wohl auch Krasshöfer in Düwell/Lipke, ArbGG, 2. Aufl. 2005, § 2 Rz. 29), würde dies einen Eingriff in das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1) bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht rechtfertigen. Die als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen Beklagten zu 1) und 2) sind einfache Streitgenossen i.S.d. § 60 ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt (§ 46 Abs. 2 ArbGG). Die Streitgenossen stehen, soweit nicht aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder der Zivilprozessordnung sich ein anderes ergibt, dem Gegner dergestalt als Einzelne gegenüber, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen. Die Sache liegt auch nicht so, dass das streitige Rechtsverhältnis - etwa in Bezug auf die Rechtswegbestimmung - allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden könnte (vgl. § 62 ZPO). Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil die mögliche Zuständigkeit der ArbG für die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage auf § 2 Abs. 3 ArbGG beruht und damit auf einer Bestimmung, die es schon nach ihrem Wortlaut ermöglicht, eine an sich in die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehörende Sache unter den in § 2 Abs. 3 ArbGG genannten Voraussetzungen vor die ArbG zu bringen (Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 2004, § 2 Rz. 178 f.). Auch materiellrechtlich sind die miteinander verbundenen Klagen auf unterschiedliche rechtliche Gesichtspunkte gestützt, die jeweils ihrer eigenen Beurteilung unterliegen. Eine Änderung der landgerichtlichen Entscheidung in Bezug auf das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1) bestehende Prozessrechtsverhältnis kommt damit nicht mehr in Betracht. Die Frage, ob der Entleiher unter den hier gegebenen Umständen als Arbeitgeber anzusehen und eine Zuständigkeit der ArbG nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG gegeben ist, ist daher nicht entscheidungserheblich.
IV.
Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an die Einzelrichterin, die den angefochtenen Beschluss erlassen hat.
Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren bestimmt der BGH in ständiger Rechtsprechung nach einem Bruchteil des Hauptsachewertes, wobei Schwankungen in einer Größenordnung von etwa 1/3 bis 1/5 denkbar sind (BGH, Beschl. v. 19.12.1996 - III ZB 105/96, NJW 1998, 909 [910]; Beschl. v. 30.1.1997 - III ZB 110/96, NJW 1997, 1636 [1637]; Beschl. v. 30.9.1999 - V ZB 24/99, MDR 1999, 1521 = NJW 1999, 3785 [3786]). Da der Kläger ein Schmerzensgeld von etwa 25.000 EUR für angemessen hält und die Größenordnung seines materiellen Schadens nicht näher angegeben hat, setzt der Senat den Wert des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf 8.000 EUR fest.
Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch.
Fundstellen
Haufe-Index 1454301 |
BB 2006, 16 |