Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründung. Frist. Eingangsstempel des Gerichts. Widerlegung des Eingangsstempels. Nachweis des Eingangs. Eidesstattliche Versicherung
Leitsatz (redaktionell)
Die Widerlegung der Richtigkeit eines gerichtlichen Eingangsstempels kann im Wiedereinsetzungsverfahren durch eidesstattliche Versicherung geführt werden.
Normenkette
ZPO § 418 Abs. 2, § 574 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Beschluss vom 10.04.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 10. April 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird, zurückverwiesen.
Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 4.472,01 EUR.
Tatbestand
I.
Die Klägerin hat Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 16. Oktober 2001 eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung lief nach Verlängerung am 31. Januar 2002 ab. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin begründete die Berufung mit Schriftsatz vom 28. Januar 2002, der nach dem Eingangsstempel des Landgerichts Halle am 5. Februar 2002 bei Gericht einging. Auf die Anfrage der Kammer, ob die Berufung wegen des verspäteten Eingangs der Berufungsbegründung zurückgenommen werde, hat der Prozeßbevollmächtigte vorgebracht, die Berufungsbegründung sei bereits am 30. Januar 2002 von seinem Mitarbeiter, dem Rechtsanwaltsfachangestellten R., im Gerichtsgebäude in dem Raum der Anwaltsfächer in ein für Gerichtspost bestimmtes Fach mit der Aufschrift „Landgericht” eingeworfen worden; danach habe der Mitarbeiter sich wieder zur Kanzlei begeben und hier den Schriftsatz im Postausgangsbuch ausgetragen. Zum Nachweis für diese Behauptung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin eine eidesstattliche Versicherung seines Mitarbeiters und die betreffende Seite aus dem Postausgangsbuch vorgelegt. Darüber hinaus hat er sich auf das Zeugnis seines Mitarbeiters sowie eines weiteren Angestellten berufen.
Das Landgericht hat die Berufung nach Einholung einer Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Halle als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO).
Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer offenkundigen Verletzung des Grundrechts der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG). Das Landgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen und ist so zu einer offensichtlich unzutreffenden Annahme gelangt, auf die es seine Entscheidung stützt. Ob in einem solchen Fall die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; so BGH, Beschluß vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02 zu der entsprechenden Regelung in § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) oder der Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gegeben ist (so BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029 zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
2. Das Rechtsmittel ist begründet. Im Ausgangspunkt richtig sind die Ausführungen des Landgerichts, daß der Klägerin nach § 418 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis dafür obliegt, daß ihre Berufungsbegründung nicht erst – wie durch den Eingangsstempel nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO) – am 5. Februar 2002, sondern bereits am 30. Januar 2002 bei dem Landgericht Halle eingegangen ist. Der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis erfordert die volle Überzeugung des Gerichts vom rechtzeitigen Eingang, wobei allerdings die Anforderungen wegen der Beweisnot des Berufungsführers hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge nicht überspannt werden dürfen (BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 – XII ZR 206/94, VersR 1995, 1467 unter II 2 m.Nachw.). Der Gegenbeweis kann, wie das Landgericht nicht verkennt, auch durch eidesstattliche Versicherungen geführt werden, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln (BGH, Urteil vom 17. April 1996 – XII ZB 42/96, NJW 1996, 2038 unter b). Im vorliegenden Fall ist der Gegenbeweis entgegen der Auffassung des Landgerichts durch die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwaltsfachangestellten R. und den vorgelegten Auszug aus dem in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin geführten Postausgangsbuch erbracht.
Das Landgericht geht zutreffend davon aus, daß das betreffende Fach im Landgerichtsgebäude zum Einwurf auch fristgebundener anwaltlicher Schriftsätze bestimmt war und daß in der eingeholten Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts nur allgemeine Abläufe über die Bearbeitung der auf diese Weise eingehenden Schriftsätze geschildert sind, eine konkrete Erinnerung von Justizbediensteten an die Bearbeitung des hier fraglichen Schriftsatzes sich daraus aber nicht ergibt. Gleichwohl meint das Landgericht, der eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters R., er habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 30. Januar 2002 persönlich in das Gerichtsfach geworfen und dies anschließend im Postausgangsbuch vermerkt, insbesondere deshalb nicht folgen zu können, weil dieser Darstellung der überreichte Auszug des Postausgangsbuchs entgegenstehe. In ihm sei der fragliche Schriftsatz nicht aufzufinden. Diese Annahme trifft nicht zu. In dem Postausgangsbuch ist unübersehbar unter dem 30. Januar 2002 zu dem die vorliegende Sache betreffenden Kanzleiaktenzeichen „…” eingetragen, daß an diesem Tag ein Schriftsatz in dieser Sache dem Landgericht Halle zugeleitet worden ist. Bei dieser Sachlage hat der Senat, der an die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung nicht gebunden ist (BGH, Urteil vom 31. Mai 1995, aaO unter II), keine Bedenken, der eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters R. zu glauben und durch sie in Verbindung mit dem vorgelegten Auszug aus dem Postausgangsbuch den Beweis für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung am 30. Januar 2002 als geführt anzusehen. Einer zusätzlichen Zeugenvernehmung des Mitarbeiters R. sowie des vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin benannten weiteren Mitarbeiters bedarf es danach nicht mehr.
Unterschriften
Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Frellesen
Fundstellen
Haufe-Index 891975 |
NJOZ 2003, 329 |