Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 22. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 20. März 2000 aufgehoben.
Beschwerdewert: 24.624 DM.
Gründe
I.
Gegen das ihr am 1. September 1999 zugestellte Urteil des Landgerichts, durch das sie zur Zahlung von 24.624,45 DM nebst Zinsen verurteilt wurde, legte die Beklagte am 1. Oktober 1999 Berufung ein.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1999, im Original bei Gericht eingegangen am 5. November 1999, beantragte sie, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern, und begründete die Berufung am 1. Dezember 1999.
Die Beklagte macht geltend, den aus einer Seite bestehenden Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung rechtzeitig am 29. Oktober 1999 per Fax an das Gericht übermittelt zu haben, und beruft sich insoweit auf ein Sendeprotokoll des Faxgerätes ihres Prozeßbevollmächtigten, demzufolge an diesem Tag um 16.50 Uhr eine Seite bei einer Übermittlungsdauer von 38 Sekunden an den Faxanschluß der Briefannahmestelle des Kammergerichts versandt wurde; die Spalte „Ergebnis” des Sendeprotokolls weist den Vermerk „OK” aus.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist ein entsprechendes Fax vom dortigen Faxgerät weder gespeichert noch ganz oder teilweise ausgedruckt worden. Das Journal dieses Faxgerätes weist für 16.49 Uhr – mit einer Dauer von 23 Sekunden – eine Verbindung mit dem Faxgerät des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten aus, der die laufende Dateinummer 223 zugeordnet ist. Die Anzahl der Seiten ist darin mit „1” angegeben. In der Rubrik „Komm.” ist anstelle des üblichen OK-Vermerks die Zahl „495” ausgewiesen, was nach der Bedienungsanleitung dieses Geräts bedeutet, daß die Telefonverbindung unterbrochen wurde. In der Rubrik „Diagnose” ist der Code 0050270577000 angegeben. Bei kurz zuvor übermittelten Schriftätzen von einer Seite Umfang sind Übermittlungsdauern zwischen 27 und 47 Sekunden verzeichnet.
Mit Verfügung vom 29. Dezember 1999, die dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 10. Januar 2000 zuging, wies das Kammergericht auf die fehlgeschlagene Übermittlung vom 29. Oktober 1999 hin. Am 14. Januar 2000 beantragte die Beklagte daraufhin vorsorglich, ihr Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren; dieser Schriftsatz enthält zugleich eine eidesstattliche Versicherung ihres Prozeßbevollmächtigten, die dieser unterschrieben hat. Der nachstehende Wiedereinsetzungsantrag ist an der dafür vorgesehenen Stelle am Ende des Schriftsatzes nicht unterzeichnet.
Das Kammergericht verwarf die Berufung mangels rechtzeitiger Begründung durch Beschluß als unzulässig und wies den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung zurück, die zweiwöchige Antragsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO sei nicht gewahrt. Spätestens seit dem 1. Dezember 1999 sei die Unkenntnis von der Versäumung der Frist nicht mehr unverschuldet gewesen, weil der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten an diesem Tage anläßlich der Fertigung der Berufungsbegründung habe erkennen können und müssen, daß die Frist auf seinen Antrag vom 29. Oktober 1999 hin bislang nicht verlängert worden war. Angesichts dieses ungewöhnlichen Umstandes habe er auch dann, wenn das ihm vorliegende Sendeprotokoll keine Unregelmäßigkeiten erkennen ließ, auf den rechtzeitigen Eingang seines Fristverlängerungsantrages nicht mehr vertrauen dürfen, sondern sich durch Nachfrage bei Gericht vergewissern müssen. Bei entsprechender Nachfrage hätte er innerhalb einer Woche erfahren, daß sein Fax nicht eingegangen sei.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte geltend macht, ihr Antrag auf Fristverlängerung sei rechtzeitig eingegangen, und hilfsweise ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiterverfolgt.
II.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß es einer Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag nicht bedurfte und die Berufung sogleich als unzulässig zu verwerfen war, wenn dieser Antrag erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung bei Gericht eingegangen war.
Hiervon durfte das Berufungsgericht indes nicht ausgehen, wie die sofortige Beschwerde zu Recht rügt.
Zwar ist ein fristwahrender Schriftsatz, der per Fax übermittelt wird, grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem er vom Empfangsgerät des Gerichts ausgedruckt wird. Wenn jedoch Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die abgesandten Signale im Empfangsgerät des Gerichts vollständig eingegangen sind und ihr Ausdruck nur infolge eines Fehlers oder fehlerhafter Handhabung des Empfangsgerätes nicht zu einem Ausdruck geführt haben, ist der Zugang zu fingieren (vgl. BVerfG NJW 1996, 2857; BGHZ 105, 40, 44 ff.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Inhalt des übermittelten Schriftsatzes – wie hier anhand des am 5. November 1999 bei Gericht eingegangenen Originals – anderweit einwandfrei zu ermitteln ist (vgl. BGH, Beschluß vom 19. April 1994 – VI ZB 3/94 – NJW 1994, 1881 f.).
Es ist bereits fraglich, ob allein der Umstand, daß ein Faxausdruck des Verlängerungsantrages nicht zu den Akten gelangt ist, die von der sofortigen Beschwerde angegriffene Feststellung des Berufungsgerichts zu tragen vermag, ein Ausdruck dieses Schriftsatzes habe nicht stattgefunden. Zumindest aber die weitere Feststellung, wegen einer Unterbrechung der Telefonverbindung seien die übermittelten Daten im Empfangsgerät nicht gespeichert worden, findet in dem hierfür allein angeführten Empfangsjournal keine ausreichende Stütze.
Es mag dahinstehen, worauf es zurückzuführen ist, daß das Sendeprotokoll eine Verbindungsdauer von 38 Sekunden, das Empfangsjournal hingegen nur eine solche von 23 Sekunden ausweist. Jedenfalls läßt die Verbindungsdauer darauf schließen, daß in dieser Zeit Daten vom Sendegerät zum Empfangsgerät übermittelt wurden. Da ausweislich des Empfangsjournals andere Schriftsätze von einer Seite Umfang bei vergleichbarer Übermittlungsdauer vollständig eingegangen sind, kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Verlängerungsantrag vollständig, das heißt zumindest einschließlich der Unterschrift des Rechtsanwalts, eingegangen war, bevor die Telefonverbindung abbrach.
Der Umstand, daß der Übermittlung laut Empfangsjournal die laufende Dateinummer 223 zugewiesen wurde, deutet ferner darauf hin, daß das Empfangsgerät über einen internen Speicher verfügt und die übermittelten Daten darin einige Zeit lang abrufbar bereitstanden.
Zwar trägt im Grundsatz der Berufungskläger die Beweislast dafür, daß sein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1977 – VIII ZR 286/75 – VersR 1977, 721; Zöller/Gummer, ZPO 22. Aufl. § 518 Rdn. 20 m.w.N.). Gemäß § 519 b Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht jedoch von Amts wegen zu prüfen, ob die Frist eingehalten ist. Prüfung von Amts wegen in diesem Sinne bedeutet zwar nicht, daß uneingeschränkt der Untersuchungsgrundsatz gilt und der entscheidungserhebliche Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln ist. Das Berufungsgericht muß aber alle aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkte prüfen und würdigen, die für die Entscheidung der Frage von Bedeutung sein können, ob der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig eingegangen ist oder nicht (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2001 – XII ZR 51/99 –, unveröffentlicht; BGH, Beschlüsse vom 19. April 1994 aaO und vom 25. Oktober 1979 – III ZB 13/79 – VersR 1980, 90 f., jeweils m.N.).
Das Berufungsgericht hätte daher – erforderlichenfalls durch Nachfrage beim Hersteller des Empfangsgerätes – aufklären müssen, ob und in welchem Umfang bis zur Unterbrechung der Verbindung eingegangene Daten im Empfangsgerät gespeichert werden und gegebenenfalls noch abrufbar sind, ob das verwendete Empfangsgerät in einem solchen Fall die eingegangenen Daten ausdruckt oder nicht, und welche Bedeutung der im Journal ausgewiesene Diagnosecode hat.
2. Da das Berufungsgericht diesen entscheidungserheblichen Fragen nicht nachgegangen ist, kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da die aufzuklärenden Fragen tatsächlicher Art sind und am besten an Ort und Stelle geklärt werden können, ist es zweckmäßig, die weitere Sachaufklärung und Entscheidung dem Berufungsgericht zu übertragen und die Sache deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2001 aaO; BGH, Beschluß vom 25. Oktober 1979 aaO S. 91).
Für den Fall, daß sich die Frage des rechtzeitigen Eingangs des vollständigen Fristverlängerungsantrages nicht aufklären läßt, weist der Senat für die dann erneut zu prüfende Frage der Wiedereinsetzung vorsorglich auf Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts hin, die Sorgfaltspflicht des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten hätte es erfordert, bei Fertigung der Berufungsbegründung am 1. Dezember 1999 angesichts des noch nicht beschiedenen Verlängerungsantrages bei Gericht nachzufragen, ob dieser rechtzeitig eingegangen sei. Wird ein erstmaliger, mit ausreichender Begründung versehener Verlängerungsantrag mit einfacher Post so rechtzeitig abgesandt, daß mit seinem fristwahrenden Eingang bei Gericht zu rechnen ist, besteht regelmäßig – ebenso wie bei der Einlegung eines Rechtsmittels – keine Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts, sich nach dem rechtzeitigen Eingang zu erkundigen (vgl. BGH, Beschluß vom 2. Februar 1983 – VIII ZB 1/83 – NJW 1983, 1471). Dies gilt ebenso, wenn sich sein Vertrauen auf den rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Eingang des Schriftsatzes auf ein entsprechendes Fax-Sendeprotokoll mit OK-Vermerk stützt. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Schriftstück ungeachtet eines solchen Sendeprotokolls den Empfänger nicht erreicht hat, ist jedenfalls so gering, daß sich dem Rechtsanwalt diese Möglichkeit auch dann nicht aufdrängen muß, wenn er nach Ablauf eines Monats noch keine Nachricht darüber erhalten hat, ob seinem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde.
Unterschriften
Blumenröhr, Hahne, Sprick, Weber-Monecke, Wagenitz
Fundstellen
Haufe-Index 584948 |
VersR 2002, 1045 |