Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Beschwerdegericht. Aussetzung der Vollziehung. Rechtsbeschwerde. Räumungsurteil
Leitsatz (redaktionell)
Die Vollziehung eines erstinstanzlichen Räumungsurteils kann durch das Rechtsbeschwerdegericht im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt werden, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer durch die Vollziehung größere Nachteile drohen als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint und die Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sind.
Normenkette
ZPO § 570 Abs. 3, § 575 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Meiningen (Entscheidung vom 28.08.2008; Aktenzeichen 4 S 148/08) |
AG Eisenach (Entscheidung vom 21.05.2008; Aktenzeichen 54 C 61/08) |
Gründe
I. Das Amtsgericht hat die Beklagte (als Gesamtschuldnerin) durch das im Tenor genannte Urteil zur Räumung des von ihr und ihrem Ehemann gemieteten Reihenhausgrundstücks verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht durch Beschluss vom 28. August 2008 als unzulässig verworfen. Hiergegen hat die Beklagte mit am 23. September 2008 eingegangenem Schriftsatz ihrer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten Rechtsbeschwerde - verbunden mit einer vorläufigen Rechtsbeschwerdebegründung - eingelegt und zugleich beantragt, die Vollziehung des erstinstanzlichen Urteils einstweilen bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde auszusetzen sowie bis zur Entscheidung über diesen Antrag die Vollziehung vorläufig auszusetzen.
II. Das Rechtsbeschwerdegericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 570 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 575 Abs. 5 ZPO auch die Vollziehung einer Entscheidung der ersten Instanz aussetzen, wenn durch die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint und die Rechtsmittel des Rechtsbeschwerdeführers nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. März 2005 - VIII ZA 5/05, WuM 2005, 262 und vom 6. August 2003 - VIII ZB 77/03, WuM 2003, 509; BGH, Beschluss vom 21. März 2002 - IX ZB 48/02, NJW 2002, 1658).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
1. Die Beklagte trägt schon nicht vor, weshalb ihr durch den Vollzug des Räumungsurteils größere Nachteile als dem Kläger durch die beantragte Aussetzung drohen, sondern macht insoweit nur geltend, dass es sich um das Wohnhaus, das sie mit ihrem Ehemann bewohne, handele.
2. Im Übrigen hat die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg.
a) Die Erfolgsaussicht ist nach dem Stand der derzeit vorgetragenen - vorläufigen - Rechtsbeschwerdebegründung zu prüfen. Lassen sich danach überwiegende Gründe für eine Aussetzung der Vollziehung nicht feststellen, ist der Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung des erstinstanzlichen Urteils zurückzuweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2002, aaO., unter II 2 a).
b) Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht nach § 522 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZPO als unzulässig verworfen.
Die Berufungsbegründung der Beklagten gegen das ihr am 24. Mai 2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Eisenach ist erst nach Ablauf der zweimonatigen Frist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO am (Montag, den) 25. August 2008 und damit verspätet eingegangen. Eine wirksame Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ZPO ist nicht erfolgt.
Grundsätzlich ist der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich anzubringen und unterliegt nach einhelliger Meinung dem Anwaltszwang gemäß § 78 Abs. 1 ZPO (BGHZ 93, 300, 303 m.w.N.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 78 Rdnr. 15; Musielak/Weth, ZPO, 6. Aufl., § 78 Rdnr. 19). Beides ist hier nicht dargetan. Zum einen hat nach dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten, sondern dessen Rechtsanwaltsfachangestellter G. den Verlängerungsantrag gestellt. Zum anderen ist der Verlängerungsantrag von diesem nicht schriftlich, sondern telefonisch gestellt worden.
Zwar hängt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Wirksamkeit einer einmal vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts oder dessen Vertreter verfügten Fristverlängerung nicht davon ab, dass zuvor ein wirksamer Antrag gestellt worden ist (BGHZ, aaO., 304; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997 - VIII ZB 32/97, NJW 1998, 1155). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass eine von einem verfassungsmäßig bestellten Gericht oder seinem Vorsitzenden im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassene Entscheidung nicht deswegen als nichtig angesehen werden kann, weil prozessrechtliche Voraussetzungen für den Antrag nicht gegeben sind, da mit einer solchen Verfügung grundsätzlich ein schutzwürdiges Vertrauen beim Antragsteller begründet wird (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - VII ZB 21/98, NJW-RR 1999, 286, unter 1). Aber auch diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil (nach der von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters G.) das "Landgericht Meiningen" lediglich erklärt habe, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist weitergeleitet werde und, wenn die Kanzlei keine Nachricht erhalte, diese Frist stillschweigend verlängert sei. Danach fehlt es bereits am Vortrag einer von einem zuständigen Richter erlassenen Fristverlängerung. Ein schutzwürdiges Vertrauen in eine trotz unwirksamen Antrags gewährte Fristverlängerung konnte so nicht gebildet werden.
Aus den vorgenannten Gründen war der Beklagten auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO zu gewähren, weil nicht dargetan ist, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne das Verschulden der Beklagten, die sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), erfolgt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2962187 |
WuM 2008, 678 |
Info M 2008, 495 |