Leitsatz (amtlich)
Nimmt der Anfechtungskläger, der ein rechtskräftiges, vorbehaltloses Anfechtungsurteil erwirkt hat, nach Empfang des ausgeurteilten Betrages die Zahlungsklage gegen den ursprünglichen Schuldner zurück, ist eine Klage auf Rückzahlung des Geleisteten wegen ungerechtfertigter Bereicherung zulässig.
Normenkette
AnfG a.F. § 2; ZPO §§ 767, 322 Abs. 1; BGB § 812 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Kiel |
Schleswig-Holsteinisches OLG |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 2. Juli 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte erwirkte gegen den Architekten Sch. am 15. September 1991 einen Vollstreckungsbescheid über eine Schadensersatzforderung in Höhe von 33.108,08 DM nebst Zinsen. Gestützt auf diesen Titel, erlangte sie gegen die jetzigen Kläger ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 20. Mai 1994 auf Zahlung des gleichen Betrages. Nach dem Inhalt dieses Urteils schuldeten die Kläger den Betrag gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 7 AnfG a.F., weil sie Grundvermögen von Sch. erworben und weiterveräußert hatten. Die Kläger zahlten daraufhin 37.750 DM an die Beklagte.
Im Jahr 1995 legte Sch. gegen den Vollstreckungsbescheid vom 15. September 1991 Einspruch ein. Nachdem das Oberlandesgericht auf eine Beschwerde hin den Einspruch für rechtzeitig befunden hatte, weil der Vollstreckungsbescheid nicht wirksam zugestellt worden sei, nahm die Beklagte ihre Klage gegen Sch. – unter Hinweis auf die von den jetzigen Klägern geleistete Zahlung – im Jahre 1996 zurück.
Nunmehr verlangen die Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des Betrages von 37.750 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat durch Zwischenurteil die Klage für zulässig erklärt, das Oberlandesgericht die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Im angefochtenen Zwischenurteil habe das Landgericht die Einrede der rechtskräftigen Entscheidung im Sinne des § 322 ZPO und allenfalls seine Zuständigkeit – zutreffend – beschieden. Insbesondere stehe die Rechtskraft des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 20. Mai 1994, das einen Vorbehalt im Sinne von § 10 AnfG a.F. nicht enthalten habe, der jetzigen Rückforderungsklage nicht entgegen. Zwar sei § 826 BGB nicht verwirklicht. Jedoch könne das nach rechtskräftiger Verurteilung zur Abwehr der Zwangsvollstreckung Geleistete gemäß Bereicherungsgrundsätzen zurückgefordert werden. Wenn die den Bereicherungsanspruch begründenden Tatsachen nach dem für die Rechtskraft maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entstanden seien, werde die Rechtskraft des Leistungsurteils nicht berührt. Die Kläger seien 1994 zur Zahlung nur verurteilt worden, weil die Beklagte damals über einen Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner Sch. verfügt habe. Das Oberlandesgericht sei irrig von der Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids ausgegangen. Das Bekanntsein eines erst vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels hätte zur Aufnahme des Vorbehalts gemäß § 10 AnfG a.F. in das Urteil geführt. Dann hätten die Kläger nach der späteren Rücknahme der Klage der Beklagten gegen Sch. eine geleistete Zahlung gemäß § 812 BGB zurückfordern können. Dieser Anspruch werde durch das Unterbleiben des Vorbehalts nicht ausgeschlossen. Denn eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs sei weggefallen. Dafür sei es unerheblich, ob dies durch gerichtliche Wiederaufnahmeentscheidung oder durch Klagerücknahme seitens des Gläubigers geschehe.
II.
Demgegenüber rügt die Revision: Die Klage, mit der das kontradiktorische Gegenteil der rechtskräftigen früheren Anfechtungsentscheidung begehrt werde, sei gemäß § 322 ZPO unzulässig. Sogar wenn man unterstelle, daß der von der Beklagten erwirkte Vollstreckungsbescheid dem Schuldner Sch. nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, handele es sich um eine Einwendung gegen den rechtskräftig festgestellten Rückgewähranspruch gemäß § 7 AnfG a.F., die schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß hätte geltend gemacht werden können. Die Parteien hätten auch bereits im Anfechtungsprozeß über die ordnungsgemäße Zustellung des Vollstreckungsbescheids und die damit verbundene Problematik der Rechtskraft dieses Titels gestritten. Zudem könne die Rechtskraft eines Urteils, bei dem sich der titulierte Anspruch auf ein anderes rechtskräftiges Urteil stütze, nur gemäß § 580 Nr. 6 ZPO durchbrochen werden, weil sonst die strengen Voraussetzungen dieser Sondervorschrift unterlaufen würden. Die §§ 579 f ZPO ließen Gründe für eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage abschließend zu. Solche Gründe seien hier nicht vorhanden. Eine Gleichsetzung mit anderen Gründen sei ausgeschlossen. Ferner seien weder der vermeintlich zulässige Einspruch des Schuldners noch das Prozeßverhalten der Beklagten Gründe für die von den Klägern geltend gemachte Unrichtigkeit des Anfechtungsurteils. Endlich hätten die Kläger den „Anfechtungsgrund”, nämlich das Fehlen eines Vorbehalts nach § 10 AnfG a.F., im Wege eines im Vorprozeß gestellten Antrags auf Urteilsergänzung (§ 321 ZPO) vergeblich – weil verspätet – geltend gemacht. Dieses Fristversäumnis könne nicht durch eine neue Klage ausgeglichen werden.
III.
Die Rechtsmittel sind zulässig. Über die Zulässigkeit einer Klage kann durch Zwischenurteil gemäß § 303 ZPO entschieden werden. Dann ist es nach § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinsichtlich der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen. Berufung und Revision dagegen finden also statt, wenn sie gegen das auf die Klage zu erwartende Endurteil statthaft wären. Das ist hier der Fall.
IV.
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht für zulässig erachtet.
1. Die Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO verhindert, das durch ein rechtskräftiges Urteil Zugesprochene mit der Begründung zurückzufordern, der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden, in Wahrheit werde nichts geschuldet (BGHZ 83, 278, 280; 131, 82, 87 f; BGH, Urt. v. 28. Mai 1986 – IVa ZR 197/84, NJW 1986, 2645, 2646). Die Rechtskraft hindert aber nicht daran, sich auf Tatsachen zu berufen, die erst nach dem Schluß derjenigen mündlichen Verhandlung entstanden sind, in der diese Tatsachen spätestens hätten geltend gemacht werden müssen (vgl. BGHZ 37, 375, 377; Urt. v. 24. November 1951 – II ZR 51/51, LM § 133 [A] BGB Nr. 2 unter II 4; v. 11. März 1983 – V ZR 287/81, NJW 1984, 126, 127; Stein/Jonas/Leipold aaO § 322 Rdnr. 236). Dies verdeutlichen § 767 Abs. 2 ZPO für einen besonders häufigen Anwendungsfall nachträglicher Veränderungen und § 323 ZPO für Gestaltungen, in denen schon das erste Urteil auf der Vorausschau einer künftigen Entwicklung beruhte (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 6. März 1987 – V ZR 19/86, WM 1987, 1048, 1049).
Eine Klage, mit der vorgetragen wird, die für die frühere Entscheidung maßgebenden Tatsachen hätten sich nachträglich geändert, ist deshalb jedenfalls dann nicht unzulässig, wenn auf der Grundlage der für die neuerliche Sachprüfung vorgebrachten neuen Tatsachen eine Änderung der materiellen Voraussetzungen für das seinerzeit zugesprochene Recht eingetreten seinkann, d.h. wenn die neu vorgebrachten Tatsachenmöglicherweise eine abweichende Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen, Einwendungen oder Einreden rechtfertigen (Habscheid in Anm. ZZP 1960, 430, 431).
2. Eine solche Änderung der maßgebenden Tatsachen ist hier dargetan.
a) Die sachlichen Voraussetzungen für den ausgeurteilten Anfechtungsanspruch der Beklagten werden in § 3 Abs. 1 Nr. 2 AnfG, diejenigen für die Umwandlung in einen Wertersatzanspruch in § 7 Abs. 1 AnfG a.F. genannt. Insoweit hat sich allerdings nach dem Vorbringen der Kläger nichts geändert.
b) Indem die Kläger sich in erster Linie auf einen späteren Wegfall des Vollstreckungsbescheides gegen Sch. berufen, aus dem die Beklagte ihre Anfechtungsberechtigung gemäß § 2 AnfG herleitet, bringen sie einerseits vor, die frühere Anfechtungsklage gegen sie sei aus heutiger Sichtunzulässig gewesen. Denn § 2 AnfG bestimmt, wann ein Einzelanfechtungsanspruch gerichtlich verfolgbar ist (RGZ 145, 341, 342; Jaeger, Gläubigeranfechtung 2. Aufl. § 2 Rdnr. 1; Kilger/Huber, AnfG 8. Aufl. § 2 Anm. I 1; vgl. RGZ 155, 42, 45 ff). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Anfechtungsprozeß verfahrensrechtlicher Natur (RG JW 1898, 480 Nr. 17, vgl. auch BGHZ 90, 207, 209; offengelassen von Gaul, Festschrift Schwab 1990, S. 111, 137 f), indem sie dem Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsgegners dienen (Jaeger aaO § 2 Rdnr. 2). Fehlt eine der in § 2 AnfG genannten Rechtsschutzvoraussetzungen, so ist eine Anfechtungsklage unzulässig (OLG Köln ZIP 1983, 1316, 1317; OLG Stuttgart NJW 1987, 71 f; Jaeger aaO § 2 Rdnr. 5; Kilger/Huber aaO Anm. II 1; vgl. RGZ 160, 204, 209 f).
Jedoch ist der Schuldtitel des Gläubigers zugleich für die Beurteilung des Vorliegens der Anfechtungsvoraussetzungen nicht ohne Bedeutung (vgl. RGZ 145, 341, 342 f). Denn zum Rechtsgrund des Anfechtungsanspruchs gehört auch die – durch die anfechtbare Handlung beeinträchtigte – sachlich-rechtliche Gläubigerstellung der Beklagten gegenüber Sch. Der Anfechtungsanspruch ist ein Hilfs- und Nebenrecht der befriedigungsbedürftigen Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner. Sein Bestand hängt vom Bestehen dieser Forderung mit ab (OLG Königsberg KuT 1939, 27, 28). Das Anfechtungsrecht steht dem Gläubiger nur zu, wenn und soweit er eine Forderung gegen den Schuldner besitzt (RGZ 122, 84, 87; Kilger/Huber, aaO Einf. II 3; vgl. RGZ 39, 12, 13). Insoweit ist diese zugleich einematerielle Voraussetzung für den Bestand des Anfechtungsanspruchs.
§ 2 AnfG soll den Anfechtungsprozeß vom Streit über das Bestehen eines Anspruchs des Anfechtenden gegen den Schuldner möglichst freihalten (vgl. Gaul, aaO S. 123 f, 137). Einerseits soll nicht das Gericht im Anfechtungsprozeß selbständig prüfen müssen, ob ein solcher Hauptanspruch – hier: gemäß § 635 BGB – besteht; diese Vorfrage soll vielmehr zwischen den unmittelbar Berechtigten und Verpflichteten des Hauptanspruchs geklärt werden. Andererseits sollen auch Einwendungen und Einreden des Anfechtungsgegners dagegen grundsätzlich nicht den Anfechtungsprozeß belasten (BGHZ 55, 20, 28; 90, 207, 210; BGH, Urt. v. 5. Februar 1953 – IV ZR 173/52, LM § 2 AnfG Nr. 1; v. 26. April 1961 – VIII ZR 165/60, NJW 1961, 1463; v. 11. Dezember 1963 – VIII ZR 168/62, NJW 1964, 1277; v. 19. November 1998 – IX ZR 116/97, WM 1999, 33, 34; RGZ 7, 188, 189; 68, 138, 139 m.w.N.; 96, 335, 337 f; 155, 42, 45 f; Kilger/Huber aaO § 2 Anm. VI 2; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht 6. Aufl. Rdnr. 265; Gaul, aaO S. 130; Jauernig, Zwangsvollstreckungsrecht 21. Aufl., § 31 IV 3, S. 141; a.A. Jaeger aaO § 2 Rdnr. 34 ff; G. Paulus AcP 155, 277, 354 ff; Gerhardt, ZIP 1984, 397, 398). Wäre das anders, ließen sich Anfechtungsprozesse, zumal mit zunehmendem Zeitablauf und entsprechendem Verlust von Beweismitteln, nur unter erheblich vermehrten Erschwernissen sowie mit immer geringer werdenden Erfolgsaussichten führen. Endlich soll aus Gründen einer geordneten Rechtspflege eine Vervielfältigung von Rechtsstreitigkeiten über denselben Anspruch vermieden werden.
Daraus folgt umgekehrt, daß der gemäß § 2 AnfG vorzulegende Titel die Prüfung der materiellen Begründetheit für den Anfechtungsrechtsstreit im Verhältnis zu beiden Parteien formalisiert vorwegnimmt. Fällt er weg, hat das Gericht des Anfechtungsprozesses – mangels eigener Prüfungskompetenz – vom Nichtbestehen des Hauptanspruchs gegen den Schuldner selbst auszugehen. Der Anfechtungsanspruch gilt dann auch materiell-rechtlich als unbegründet.
Im vorliegenden Fall ist der Vollstreckungsbescheid vom 15. September 1991, der Grundlage für das Anfechtungsurteil war, mit der Rücknahme der Klage gegen den Schuldner gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden. Damit ist zugleich der Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB für die auf das Anfechtungsurteil geleistete Zahlung der Beklagten nachträglich weggefallen. Die Rechtskraft des Anfechtungsurteils vom 20. Mai 1994 schließt folglich die vorliegende Klage auf Rückforderung des Geleisteten nicht aus.
3. Andere Gründe, die der Zulässigkeit der vorliegenden Klage entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Das angefochtene Urteil ist somit richtig.
V.
Für das weitere Verfahren folgt aus den vorangegangenen Ausführungen, daß die Berechtigung des Rückforderungsanspruchs der Kläger nicht von der Streitfrage der Parteien abhängt, ob der Beklagten der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten Sch. nach materiellem Recht zusteht. Vielmehr gilt als Rechtsgrund für die Zahlung der Kläger insoweit – wie ausgeführt (oben IV 2 b) – der Bestand des Vollstreckungstitels der Beklagten gegen Sch. Solange die Beklagte nicht einen solchen Titel beibringt, ist auch für den Rückforderungsprozeß ohne weiteres vom Wegfall des Rechtsgrundes auszugehen.
Unterschriften
Paulusch, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Zugehör
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.03.2000 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556405 |
BB 2000, 1376 |
DB 2000, 1613 |
NJW 2000, 2022 |
NJW-RR 2001, 712 |
KTS 2000, 398 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 931 |
WuB 2000, 1027 |
WuB 2000, 1061 |
MDR 2000, 780 |
NZI 2000, 312 |
NZI 2001, 45 |
ZZP 2001, 211 |