Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Hinterlegung.
Normenkette
BGB § 372 S. 2
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Urteil vom 22.08.2001) |
LG Neuruppin (Urteil vom 03.02.2000) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Versäumnisteilurteil v. 28.3.2001 und das Urt. v. 22.8.2001 des 3. Zivilsenats des Brandenburgischen OLG aufgehoben, soweit das Urteil des LG Neuruppin v. 3.2.2000 abgeändert wurde.
Die auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache gerichtete Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten sämtlicher Rechtszüge.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht Miete für ein gewerbliches Mietobjekt geltend.
Die frühere Grundstückseigentümerin O-GmbH vermietete mit schriftlichem Vertrag v. 21.5.1991 an die Beklagte ein Gewerbeobjekt zu einem monatlichen Mietzins von zuletzt 19.270,08 DM. Mit notariellem Vertrag v. 11.11.1996 kaufte die Klägerin das Objekt. § 2 des Kaufvertrages lautet:
"Die Übergabe des Grundstücks erfolgt mit Wirkung zum 1.12.1996.
Hat der Verkäufer das Grundstück bis zum 1.12.1996 trotz Kaufpreiszahlung nicht übergeben, steht dem Käufer ein Rücktrittsrecht zu.
Bis zur Übergabe des Grundstücks trägt der Verkäufer alle Lasten und erhält alle Einnahmen. Ab Übergabe gehen alle Einnahmen und wiederkehrenden Lasten sowie grundsätzlich Nutzungen, Lasten, Abgaben und Gefahr auf den Käufer über."
Mit Schreiben v. 22.11.1996 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die fällige Miete auf ihr Konto zu zahlen, da mit dem Kauf auch die Nutzungsrechte übergegangen seien. In weiteren Schreiben v. 19. und 30.12.1996 übermittelte sie der Beklagten den notariellen Kaufvertrag.
Mit Beschluß v. 31.12.1996 eröffnete das AG Neuruppin das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der O-GmbH. Die Gesamtvollstreckungsverwalterin verlangte mit Schreiben v. 3. und 30.1.1997 von der Beklagten Zahlung der fälligen Miete an sich. Sie machte geltend, dass eine Abtretung nicht erfolgt sei, der Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen § 283c StGB (Gläubigerbegünstigung) nichtig und anfechtbar sei, und drohte der Beklagten für den Fall, dass sie die Miete an die Klägerin zahle, mit Geltendmachung im Wege der Klage. Auf Anraten ihres Rechtsanwaltes hinterlegte die Beklagte die Miete für die Monate April 1997 bis Februar 1999, insgesamt 348.346,52 DM, unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin rückständige Mieten i. H. v. 354.827,92 DM geltend gemacht. Das LG hat ihr nur 18,05 DM zugesprochen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 348.346,52 DM zzgl. Zinsen verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat angenommenen Revision. Nach Einlegung und Begründung der Revision ist die hinterlegte Summe an die Klägerin ausbezahlt worden. Die Klägerin erklärt deshalb den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Beklagte stimmt der Erledigungserklärung nicht zu.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Abweisung der Klage, soweit das LG ihr nicht stattgegeben hat.
1. Das OLG hat ausgeführt, die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich zwar nicht aus § 571 BGB, da sie bislang noch nicht als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen sei. Ihr seien die geltend gemachten Forderungen aber abgetreten worden. § 2 des Grundstückskaufvertrages enthalte eine dingliche Abtretungserklärung. Mit der Übergabe des Grundstücks zum 1.11.(richtig: Dezember) 1996 hätten "alle Einnahmen und wiederkehrenden Lasten sowie grundsätzlich Nutzungen, Lasten, Abgaben und Gefahr auf den Käufer" übergehen sollen. Damit komme zum Ausdruck, dass die Parteien sich über den Übergang aller aus dem Grundstück folgenden Rechte einig gewesen seien. Das Nutzungsentgelt für die Überlassung des Grundstücks stelle sich als Einnahme bzw. Nutzung dar, die nach § 2 des Kaufvertrages uneingeschränkt der Klägerin habe zustehen sollen. Der Kaufvertrag sei wirksam. Ein Verstoß gegen § 283 StGB (Bankrott) sei nicht hinreichend dargetan. Vor allem bleibe offen, ob der gesetzliche Vertreter der Veräußerin vorsätzlich gehandelt habe. § 138 Abs. 1 BGB finde nur Anwendung, wenn außerhalb des Anfechtungstatbestandes liegende sittenwidrige Umstände hinzuträten. Das sei hier nicht der Fall. Die bloße Anfechtbarkeit nach § 10 GesO führe nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, sondern begründe nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr des weggegebenen Vermögensgegenstandes.
Die Beklagte sei nicht nach § 378 BGB von ihrer Leistungspflicht frei geworden. § 372 S. 2 BGB setze voraus, dass der Schuldner infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen könne. Von Ungewissheit sei auszugehen, wenn objektiv verständliche Zweifel über die Person des Gläubigers vorlägen und dem Schuldner deshalb nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden könne, die Zweifel auf eigene Gefahr zu lösen. Der Schuldner müsse die Sach- und Rechtslage mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt prüfen. Die Sorgfaltsanforderungen richteten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Eine Pflicht, Rechtsrat einzuholen, bestehe auch bei schwierigen Rechtsfragen grundsätzlich nicht. Objektive Zweifel an der Person des Gläubigers habe die Beklagte nicht zu hegen brauchen, weil sie bei Zahlung der Miete an die Klägerin wegen § 409 Abs. 1 S. 2 BGB von ihrer Zahlungspflicht in jedem Fall frei geworden wäre. Selbst wenn der Grundstückskaufvertrag und die darin enthaltene Abtretungserklärung nicht wirksam abgeschlossen oder nichtig gewesen wären, hätte die Beklagte auf den Schein einer Berechtigung der Klägerin vertrauen dürfen, weil ihr die Klägerin den notariellen Kaufvertrag zur Kenntnis gebracht und sie unter Hinweis auf die Abtretungsregelung aufgefordert habe, den Mietzins künftig an sie zu zahlen. Aus dem Kaufvertrag habe die Beklagte die Abtretung objektiv entnehmen und daher trotz angenommener oder tatsächlicher Unwirksamkeit des Kaufvertrages schuldbefreiend leisten können.
2. Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 27.2.1992 - I ZR 35/90, MDR 1992, 707 = NJW 1992, 2235 [2236]) hat die Feststellung der Erledigung der Hauptsache eines Rechtsstreits nicht nur den Eintritt eines erledigenden Ereignisses zur Voraussetzung, sondern auch, dass die Klage im Zeitpunkt dieses Eintritts zulässig und begründet war. Eine von Anfang an unbegründete Klage ist trotz Erledigungserklärung abzuweisen (Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rz. 33 m. w. N.). Die Klage war hier von Anfang an unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin die Mietzinsansprüche gegen die Beklagte erworben hat, da die Beklagte jedenfalls durch die Hinterlegung gem. § 378 BGB von einer etwa vorhandenen Verbindlichkeit gegenüber der Klägerin frei geworden ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts waren bei der Hinterlegung die Voraussetzungen des § 372 S. 2 BGB erfüllt.
a) Nach § 372 S. 2 BGB ist der Schuldner u. a. dann zur Hinterlegung berechtigt, wenn er infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeiten nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Das ist dann der Fall, wenn eine mit verkehrsüblicher Sorgfalt vorgenommene Prüfung zu begründeten Zweifeln über die Person des Gläubigers führt, deren Behebung auf eigene Gefahr dem Schuldner nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von einem Schuldner, dem die Erkenntnismöglichkeit eines Gerichts nicht zur Verfügung steht, billigerweise nur begrenzte Anstrengungen zur Ermittlung des Sachverhalts und zu seiner Subsumtion unter das auf vielen Gebieten immer unübersichtlicher werdende geschriebene und ungeschriebene Recht verlangt werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn die Ungewissheit über die Person des Gläubigers überwiegend auf unklare Abtretungsvorgänge zurückzuführen ist, die außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegen und allein von den davon Beteiligten zu verantworten sind (BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]).
b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Die Beklagte befand sich in einer schwierigen Lage, weil sowohl die Klägerin als Zessionarin als auch die Gesamtvollstreckungsverwalterin der Zedentin als Inhaber der Mietzinsforderungen auftraten und der Zahlung an die jeweils andere Seite entschieden widersprachen. Zwar erfüllt dieser Umstand für sich allein nicht die Voraussetzungen des § 372 S. 2 BGB, weil das Auftreten mehrerer Forderungsprätendenten den Schuldner grundsätzlich nicht von seiner Prüfungspflicht befreit (BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]). Im vorliegenden Fall kamen aber noch weitere Umstände hinzu, auf Grund deren die Beklagte keine Gewissheit über die Person ihres Gläubigers zu gewinnen vermochte.
aa) Dazu gehört in erster Linie die Unklarheit und Auslegungsbedürftigkeit von § 2 Abs. 3 S. 2 des Kaufvertrages, wonach "Einnahmen" auf den "Käufer" übergehen. Zu Recht wendet die Revision ein, die Klausel lasse sich zwanglos - entsprechend § 446 BGB - auch dahin auslegen, dass im Innenverhältnis der Kaufvertragsparteien die Einnahmen der Käuferin zustehen sollten, es dagegen im Außenverhältnis bei der gesetzlichen Regelung des § 571 BGB a. F. verbleiben sollte, wonach der Erwerber erst mit Eigentumsübergang am Mietobjekt Inhaber der Mietzinsansprüche wird. Für die entsprechende Regelung in § 446 Abs. 1 S. 2 BGB besteht Einigkeit, dass sie nur im Innenverhältnis der Parteien regelt, wem nunmehr die Mietzinsen gebühren (Palandt/Putzo, BGB, 62. Aufl., § 446 Rz. 16; OLG Düsseldorf v. 16.6.1994 - 10 U 184/93, MDR 1994, 1009; Wolf/Eckert/ Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht und Leasingrechts, 8. Aufl., Rz. 1398; Heile in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., Kap. II, Rz. 865; Staudinger/Emmerich, BGB, 13. Bearb., § 571 Rz. 57). Darüber hinaus bleibt im vorliegenden Fall offen, wann die "Miete" auf den Erwerber übergehen sollte. Nach § 2 Abs. 1 des Kaufvertrages sollte dies zwar einerseits zum 1.12.1996 der Fall sein, weil die Übergabe zu diesem Datum vereinbart war. Andererseits sollte aber wohl eine tatsächliche Übergabe erfolgen, was sich aus Abs. 2 ergibt.
bb) Zu dieser - wenig präzisen - Regelung kommt hinzu, dass vor dem dinglichen Vollzug des Kaufvertrages über das Vermögen der Verkäuferin am 31.12.1996 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde. Die Gesamtvollstreckungsverwalterin forderte die Beklagte mit Schreiben v. 30.1.und 12.5.1997 zur Zahlung der fälligen Miete auf. Sie erklärte, dass die Vermieterin die Mietzinsforderung an die Käuferin nicht abgetreten habe, der Kaufvertrag im Übrigen wegen Verstoßes gegen § 283c StGB nichtig sei und eine schuldbefreiende Leistung nur an sie als Vollstreckungsverwalterin möglich sei. In dem genannten Schreiben v. 30.1.1997 teilte die Gesamtvollstreckungsverwalterin der Beklagten überdies mit, sie werde mit allen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln zu verhindern suchen, dass Mieteinnahmen an die Käuferin flössen.
Unter diesen Umständen lagen objektiv verständliche Zweifel über die Person des Gläubigers vor, auf Grund deren auch der Rechtsanwalt des Beklagten von einer Hinterlegungslage ausging. Zu weiteren eigenen Ermittlungen über die außerhalb seines eigenen Einfluss- und Kenntnisbereichs liegenden Abtretungsvorgänge war die Beklagte nicht verpflichtet. Danach kommt es auf die Frage, ob der Beklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, nicht mehr an.
cc) Mit seiner Annahme, die in § 372 S. 2 BGB geforderte Ungewissheit bestehe nicht, weil die Beklagte nach § 409 Abs. 1 S. 2 BGB mit befreiender Wirkung habe leisten können, weicht das OLG, worauf die Revision zu Recht hinweist, von der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]; Urt. v. 19.10.2000 - IX ZR 255/99, MDR 2001, 109 = BGHReport 2001, 61 = NJW 2001, 231 [232]) ab, ohne sich mit der Problematik näher auseinander zu setzen. Ob überhaupt ein Fall des § 409 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt und die Beklagte im Falle der Leistung an die Klägerin danach von ihrer Verbindlichkeit frei geworden wäre, kann offen bleiben. Jedenfalls brauchte sie ihre Zweifel an der Berechtigung der Klägerin wegen der etwaigen Abtretungsanzeige nicht zurückzustellen. § 409 BGB begründet ebenso wie andere Schuldnerschutzvorschriften (z. B. §§ 407, 808, 893 BGB) für den Schuldner nur ein Recht, aber keine Pflicht zur Leistung an den Scheinberechtigten und schließt daher eine Befugnis zur Hinterlegung nicht aus (BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]; Urt. v. 19.10.2000 - IX ZR 255/99, MDR 2001, 109 = BGHReport 2001, 61 = NJW 2001, 231 [232]). Würde dem Schuldner in diesen Fällen ein Hinterlegungsrecht versagt, entstünde für ihn ein mittelbarer Zwang zur Leistung an den Scheinberechtigten (Wenzel in MünchKomm, a.a.O., Rz. 12). Das ist aber nicht der Zweck der Schuldnerschutzvorschriften.
Fundstellen
Haufe-Index 1111941 |
DB 2004, 1935 |
BGHR 2004, 577 |
EBE/BGH 2004, 3 |
NJW-RR 2004, 656 |
NZM 2004, 301 |
WM 2004, 1976 |
ZfIR 2005, 35 |
MDR 2004, 501 |
JWO-MietR 2004, 65 |