Entscheidungsstichwort (Thema)
internationale Zuständigkeit bei Geltendmachung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Rückgewähranspruchs. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
Leitsatz (amtlich)
a) Der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO kann im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) geltend gemacht werden.
b) Der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO setzt nicht voraus, dass vor der Zahlung oder Leistung die Zwangsvollstreckung angedroht worden war.
Normenkette
ZPO §§ 32, 717 Abs. 2-3
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 14.09.2010; Aktenzeichen 7 U 54/09) |
LG Hamburg (Urteil vom 03.04.2009; Aktenzeichen 324 O 783/08) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Hamburg vom 14.9.2010 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 24, vom 3.4.2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Beklagte, der seinen Wohnsitz in Monaco hat, nahm die Klägerin, deren Sitz in Hamburg ist, im Jahr 2003 auf Zahlung einer Lizenzgebühr von 60.000 EUR und vorgerichtlicher Mahnkosten von 1.253,69 EUR, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch. Die Klägerin wurde in zwei Instanzen zur Zahlung der Lizenzgebühr verurteilt. Nach Abschluss der Berufungsinstanz ließ die Klägerin den Beklagten fragen, ob sofort gezahlt oder der Ausgang des Revisionsverfahrens abgewartet werden solle. Der Beklagte ließ antworten, dass er umgehend Zahlung zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten wünsche. Daraufhin zahlte die Klägerin. Mit Urteil vom 5.6.2008 (I ZR 96/07, GRUR 2008, 1124) hob der BGH das Berufungsurteil auf, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war, und wies die Klage ab. Der Beklagte weigerte sich, die Lizenzgebühr zurückzuzahlen, weil er Verfassungsbeschwerde gegen das genannte Urteil einlegen wollte.
Rz. 2
Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin zunächst Rückzahlung der Lizenzgebühr sowie vorgerichtlicher Mahnkosten nebst Zinsen verlangt und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 61.253,69 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.1.2004 zu zahlen. Das LG hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 60.000 EUR nebst Zinsen seit dem 14.10.2008 verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und zur Zurückweisung der Berufung des Beklagten.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat seine internationale Zuständigkeit verneint. Die Voraussetzungen des § 32 ZPO seien nicht erfüllt, weil der geltend gemachte Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO nicht deliktischer, sondern bereicherungsrechtlicher Natur sei. Überdies habe die Klägerin nicht unter dem Druck einer drohenden Zwangsvollstreckung, sondern aus eigener Veranlassung gezahlt.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig. Die - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende (BGH, Beschl. v. 14.6.1965 - GSZ 1/65, BGHZ 44, 46; Urt. v. 28.11.2002 - III ZR 102/02, BGHZ 153, 82, 84 ff.; v. 28.6.2007 - I ZR 49/04, BGHZ 173, 57 Rz. 21 ff.; v. 2.3.2010 - VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rz. 7; v. 29.6.2010 - VI ZR 122/09, ZIP 2010, 1752 Rz. 10; v. 1.3.2011 - XI ZR 48/10, WM 2011, 745 Rz. 9, z.V. in BGHZ bestimmt) - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus § 32 ZPO.
Rz. 6
1. Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) bestimmt sich die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedsstaates der Europäischen Union nach dessen eigenen Gesetzen, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in Monaco hat. Das Fürstentum Monaco ist nicht Mitglied der Europäischen Union.
Rz. 7
2. Die Vorschriften der (deutschen) Zivilprozessordnung über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) regeln mittelbar auch die Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte (BGH, Urt. v. 2.3.2010 - VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rz. 7). Soweit nach diesen Vorschriften ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist, ist es im Verhältnis zu den ausländischen Gerichten auch international zuständig (BGH, Beschl. v. 14.6.1965 - GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 f.; Urt. v. 28.2.1996 - XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105, 107; v. 21.11.1996 - IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116, 117; v. 17.12.1998 - IX ZR 196/97, WM 1999, 226, 227; v. 2.3.2010 - VI ZR 23/09, a.a.O.).
Rz. 8
3. Der mit der Klage verfolgte Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist ein solcher aus unerlaubter Handlung i.S.v. § 32 ZPO.
Rz. 9
a) Die Vorschrift des § 32 ZPO gilt für unerlaubte Handlungen i.S.d. §§ 823 ff. BGB (unerlaubte Handlungen im engeren Sinne), für rechtswidrige Eingriffe in eine fremde Rechtssphäre (BGH, Urt. v. 20.3.1956 - I ZR 162/55, NJW 1956, 911; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 32 Rz. 18; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., § 32 Rz. 4) und für Ansprüche aus (verschuldensunabhängiger) Gefährdungshaftung (BGH, Urt. v. 8.1.1981 - III ZR 157/79, BGHZ 80, 1, 3; RGZ 60, 300, 302 f.; Stein/Jonas/Roth, a.a.O.; Wieczorek/Schütze/Hausmann, a.a.O.; Patzina in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 32 Rz. 7; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 32 Rz. 7; Prütting/Gehrlein/Wern, ZPO, 3. Aufl., § 32 Rz. 6; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 32 Rz. 9; Hk-ZPO/Bendtsen, ZPO, 4. Aufl. Rz. 6; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 32 Rz. 2). Der Anwendungsbereich des § 32 ZPO ist schon dem Wortlaut nach nicht auf Schadensersatzansprüche begrenzt. Er steht daher für verschiedenste andere Ansprüche offen, die ganz unterschiedliche Rechtsfolgen haben (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 20.3.1956 - I ZR 162/55, NJW 1956, 911, 912; Wieczorek/Schütze/Hausmann, a.a.O., § 32 Rz. 5, 25; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 32 Rz. 14; Musielak/Heinrich, ZPO, 8. Aufl., § 32 Rz. 14; Prütting/Gehrlein/Wern, a.a.O., § 32 Rz. 3, 12).
Rz. 10
b) Nach einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur unterfällt der (verschuldensunabhängige) Rückgewähranspruch aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ebenfalls § 32 ZPO (Münzberg in Stein/Jonas, a.a.O., § 717 Rz. 46; Wieczorek/Schütze/Heß, a.a.O., § 717 Rz. 33; Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 717 Rz. 22; Zöller/Herget, a.a.O., § 717 Rz. 13; Musielak/Lackmann, a.a.O., § 717 Rz. 14; Prütting/Gehrlein/Kroppenberg, a.a.O., § 717 Rz. 17; Hartmann, a.a.O., § 717 Rz. 13; Hk-ZPO/Kindl, a.a.O., § 717 Rz. 10; Becker-Eberhardt in Rosenberg/Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 15 Rz. 23; Schuschke in Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., Rz. 21; Giers in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 717 Rz. 14). Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Kläger zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung eines Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Die Regelung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Hat der Beklagte aufgrund gerichtlicher Anordnung einen Eingriff in seinen Handlungs- und Vermögensbereich dulden müssen, der sich nach weiterer Überprüfung als unbegründet herausstellt, entspricht es gebotener Risikoverteilung, dass den Schaden aus solcher erlaubter, aber gefahrbeladener Ausübung derjenige trägt, der seine Interessen auf Kosten des anderen verfolgt. Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung, weil die Rechtsfolge an ein ausdrücklich von dem Gesetz erlaubtes Verhalten anknüpft (Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 717 Rz. 7). Ob der Kläger mit einem endgültigen Bestand seines Titels gerechnet hat und rechnen konnte oder nicht, ist unerheblich (BGH, Urt. v. 26.5.1970 - VI ZR 199/68, BGHZ 54, 76, 80 f.; v. 4.12.1973 - VI ZR 213/71, BGHZ 62, 7, 9; v. 25.10.1977 - VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373, 378; v. 5.10.1982 - VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110, 113; v. 23.5.1985 - IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10, 14 f.; v. 3.7.1997 - IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199, 205; v. 26.10.2006 - IX ZR 147/04, BGHZ 169, 308, 314; v. 20.11.2008 - IX ZR 139/07, WM 2009, 273 Rz. 6).
Rz. 11
c) Für § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO kann nichts anderes gelten.
Rz. 12
aa) Nach § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des aufgrund eines aufgehobenen oder abgeänderten Berufungsurteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen. Bei diesem Anspruch handelt sich nicht um einen Anspruch aus unerlaubter Handlung i.S.d. §§ 823 ff. BGB oder aus der widerrechtlichen Verletzung eines fremden Rechts. Der Kläger, der von einem gem. § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärten Berufungsurteil Gebrauch macht, handelt in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung, auch dann, wenn dieses Urteil im weiteren Verfahren keinen Bestand hat.
Rz. 13
bb) Auf der anderen Seite stellt der Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO aber auch keinen Bereicherungsanspruch dar, für den der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nicht eröffnet ist (so aber Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 9. Aufl., § 174 VI. 2. d, S. 908; im Ergebnis ebenso Becker-Eberhardt in Rosenberg/Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, a.a.O., § 15 Rz. 40; Münzberg in Stein/Jonas, a.a.O., § 717 Rz. 56; Hartmann, a.a.O., § 32 Rz. 15; wohl auch Piekenbrock JR 2005, 446, 448). Gemäß § 717 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich die Erstattungspflicht zwar nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Rechtsfolgenverweisung. Das folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch aus ihrem Regelungszusammenhang. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind in § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO abschließend geregelt. Der folgende Satz drei betrifft die Frage, wie weit die einmal entstandene Erstattungspflicht reicht (RGZ 139, 17, 21 f.; BAGE 11, 202, 206; 12, 158, 167; Becker-Eberhardt in Rosenberg/Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, a.a.O., § 15 Rz. 34; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 13. Aufl., Rz. 15.37). Das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) betrifft die Rückgewähr von Vorteilen, die dem Bereicherten nach dem Gesamturteil der Rechtsordnung nicht gebührt (Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band, 2. Halbband, 13. Aufl., § 67 I. 1.; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Teilband 2, 8. Aufl., § 47 S. 27, 34). Für den Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO spielt hingegen keine Rolle, ob der im später aufgehobenen Berufungsurteil titulierte Anspruch bestand oder nicht (RGZ 103, 352, 353). Er entsteht ebenso wie derjenige aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO allein infolge der Aufhebung oder Abänderung des bislang vorläufig vollstreckbaren Urteils der Vorinstanz. Aus welchem Grund das Rechtsmittel erfolgreich war, ist unerheblich (BGH, Urt. v. 28.10.1958 - VIII ZR 431/56, WM 1958, 1507; RGZ 64, 278, 281; RG JW 1926, 816, 817; BAGE 12, 158, 166 f.; Wieczorek/Schütze/Heß, a.a.O., § 717 Rz. 15; Zöller/Herget, a.a.O., § 717 Rz. 16; Musielak/Lackmann, a.a.O., § 717 Rz. 8). Beide Erstattungsansprüche werden auch dann ausgelöst, wenn das vorläufig vollstreckbare Urteil nur aus Verfahrensgründen aufgehoben wird. Auf das bessere materielle Recht kommt es nicht an.
Rz. 14
cc) Der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO lässt sich vielmehr ebenso wie derjenige aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf den Grundsatz zurückführen, dass der Gläubiger, der von einem noch nicht endgültig rechtsbeständigen Vollstreckungstitel Gebrauch macht, dies auf eigene Gefahr unternimmt und die Folgen zu tragen hat, falls der Titel letztlich keinen Bestand hat (BGH, Urt. v. 25.10.1977 - VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373, 378; v. 3.7.1997 - IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199, 205; BAGE 11, 202, 206; BAGE 12, 158, 167 f.). Es handelt sich um einen nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung begründeten, bereicherungsrechtlich ausgestalteten Erstattungsanspruch (Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 717 Rz. 28). Der Senat hat die Vorschrift des § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO insoweit, als die Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zu ersetzen ist, als Instrument innerprozessualer Waffengleichheit angesehen (BGH, Urt. v. 3.7.1997 - IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199, 207). Gleiches gilt für § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Erlaubt die Rechtsordnung der in zweiter Instanz obsiegenden Partei, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, bevor ihr Recht endgültig festgestellt ist, fordert das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG), die zunächst unterlegene Partei ihrerseits nicht auf eine endgültige Entscheidung über den Klageanspruch warten zu lassen, sondern im Falle einer teilweisen oder vollständigen Aufhebung der zweitinstanzlichen Verurteilung durch das Revisionsgericht die auf jenes Urteil erbrachte Leistung umgehend zurück fordern zu dürfen.
Rz. 15
dd) Die Gesetzgebungsgeschichte spricht ebenfalls für eine verfahrensrechtliche Gleichbehandlung der auf Erstattung geleisteter Zahlung gerichteten Ansprüche aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO und aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Nach § 655 Abs. 2 der Civilprozessordnung vom 30.1.1877 (RGBl. I 83, 201) war der Kläger nach Aufhebung oder Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem aufgrund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten verpflichtet. Diese Vorschrift entsprach dem heutigen § 717 Abs. 3 ZPO, galt aber unabhängig davon, ob die Aufhebung oder Abänderung des Urteils in zweiter oder dritter Instanz erfolgte. Sie sollte gewährleisten, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen worden war, seine zur Abwehr der Vollstreckung erbrachte Leistung alsbald zurück erhielt. Der jetzt in § 717 Abs. 2 ZPO geregelte verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch wurde im Jahre 1898 eingefügt (RGBl. I 369, 546). Er ersetzte zunächst den Erstattungsanspruch aus § 655 Abs. 2 CPO. Dieser wurde jedoch - beschränkt auf vorläufig vollstreckbare Urteile der OLG - bereits im Jahre 1910 wieder eingeführt (RGBl. I 767, 770). Dabei ging es mittelbar um eine Entlastung des RG. Um Revisionen zu vermeiden, die nur der Verfahrensverzögerung dienten, sollten die vor dem OLG erfolgreichen Kläger die Zwangsvollstreckung betreiben dürfen, ohne Schadensersatzansprüche der Beklagten befürchten zu müssen. Der Gesetzgeber beabsichtigte insoweit ausdrücklich eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustand (RT-Drucks. Nr. 309, S. 21 f, 12. Legislatur-Periode, II. Session 1909/1910). Wie der Senat zur Frage der Aufrechnung gegen den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO bereits ausgeführt hat (BGH, Urt. v. 3.7.1997 - IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 ff.), regeln § 717 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO jeweils einen prozessualen Erstattungsanspruch, der Zahlungen oder andere Leistungen aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils betrifft und sogleich nach Aufhebung dieses Urteils durchgesetzt werden kann. § 717 Abs. 2 ZPO gewährt zusätzlich einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch. Sämtliche Ansprüche finden ihren Grund in der Risikozuweisung an den Gläubiger, insoweit unabhängig von der materiellen Rechtslage. Liegt der Rechtsgrund auch des Rückerstattungsanspruchs aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO in der Verteilung des aus der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils folgenden Risikos, kann er ebenso wie die Risikohaftung gem. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO und jede andere gesetzliche Gefährdungshaftung im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geltend gemacht werden (Wieczorek/Schütze/Heß, a.a.O., § 717 Rz. 33 Fn. 155; Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 717 Rz. 31, 22; Musielak/Lackmann, a.a.O., § 717 Rz. 16, 14; Prütting/Gehrlein/Kroppenberg, a.a.O., § 717 Rz. 21, 17; Baur/Stürner, a.a.O., Rz. 15.45; Giers in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, a.a.O., § 717 Rz. 19, 14).
Rz. 16
4. Zur Begründung der Zuständigkeit genügt es, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich eine im Gerichtsbezirk - oder dann, wen es, wie hier, um die internationale Zuständigkeit geht, im Inland - begangene unerlaubte Handlung ergibt (BGH, Urt. v. 25.11.1993 - IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237, 240 f.; v. 2.3.2010 - VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rz. 8). Diese Voraussetzung ist hier ebenfalls erfüllt.
Rz. 17
a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO schlüssig dargelegt. Insbesondere hat sie die streitgegenständlichen Zahlungen aufgrund des später aufgehobenen Urteils des OLG vom 15.5.2007 erbracht. § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO setzt nicht voraus, dass der Gläubiger vor der Zahlung oder Leistung bereits das förmliche Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet und der Schuldner unter Vollstreckungsdruck geleistet hat (Schuschke in Schuschke/Walker, a.a.O., § 717 Rz. 21; vgl. auch BAG ZTR 2003, 567, 568).
Rz. 18
aa) Ihrem Wortlaut nach verlangt die Vorschrift des § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO keine Zahlung unter Vollstreckungsdruck. Die Zahlung oder Leistung muss lediglich "aufgrund" eines Berufungsurteils (§ 708 Nr. 10 ZPO) erfolgt sein. § 717 Abs. 3 Satz 1 ZPO erklärt die Vorschrift des Abs. 2, der eine (verschuldensunabhängige) Verpflichtung des Gläubigers zum Ersatz des durch die Vollstreckung des Urteils oder eine Zahlung zur Abwendung der Vollstreckung entstandenen Schadens normiert, für unanwendbar. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung lässt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte nicht ableiten, dass die Vorschriften des § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO und des § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO sich nur in den Rechtsfolgen, nicht aber in den Voraussetzungen unterscheiden. Wie gezeigt, gab es zunächst nur den Erstattungsanspruch aus § 655 Abs. 2 CPO, der dem heutigen § 717 Abs. 3 ZPO entsprach, also die Zahlung oder Leistung "aufgrund des Urtheils" genügen ließ, aber nicht auf Berufungsurteile beschränkt war. Die Vorschrift des (heutigen) § 717 Abs. 2 ZPO ist nachträglich eingefügt worden. Der Kommissionsbericht über die Novelle zur CPO (Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 8, S. 171 = Nachdruck 1983 S. 391 f.) lässt erkennen, dass nicht nur die unterschiedlichen Rechtsfolgen (Schadensersatz statt Rückerstattung), sondern auch die Anspruchsvoraussetzungen (Zahlung oder Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung statt Zahlung aufgrund des Urteils) erörtert wurden. Mit der - zunächst nur für Urteile der OLG geltenden - Vorschrift des § 717 Abs. 3 ZPO beabsichtigte der historische Gesetzgeber die Wiederherstellung des Rechtszustands vor Inkrafttreten des Schadensersatzanspruchs für Vollstreckungsfolgen nach § 717 Abs. 2 ZPO (damals § 655 Abs. 2 CPO; RT-Drucks. Nr. 309, S. 21 f, 12. Legislatur-Periode, II. Session 1909/10). Auch wenn hier die jeweils angeordnete Rechtsfolge der Norm (Erstattung oder Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens) im Vordergrund gestanden haben mag, folgt daraus nicht, dass der Erstattungsanspruch alten Rechts, der in Bezug auf Berufungsurteile der OLG wieder eingeführt werden sollte, ebenso wie der Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO von dem Beginn der Zwangsvollstreckung oder einer Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung abhängig gemacht werden sollte. § 655 Abs. 2 CPO ließ wie § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Zahlung aufgrund eines Urteils genügen.
Rz. 19
bb) Die eingangs erläuterte Übereinstimmung des Rechtsgrundes der Haftung nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO einerseits und aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO andererseits zwingt nicht dazu, gleiche Anspruchsvoraussetzungen anzunehmen (so aber - durchweg ohne Begründung - Wieczorek/Schütze/Heß, a.a.O., § 717 Rz. 27; Münzberg in Stein/Jonas, a.a.O., § 717 Rz. 52; Krüger in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 717 Rz. 29; Zöller/Herget, a.a.O., § 717 Rz. 16; Musielak/Lackmann, a.a.O., § 717 Rz. 16; Prütting/Gehrlein/Kroppenberg, a.a.O., § 717 Rz. 20; Hk-ZPO/Kindl, a.a.O., § 717 Rz. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, a.a.O., § 717 Rz. 19). Näher liegt es, die weit reichenden Haftungsfolgen des § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch von strengeren Anspruchsvoraussetzungen abhängig zu machen. Der Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO umfasst alle Schäden, die dem Beklagten durch die vorzeitige Leistung entstanden sind und die im Einzelfall den Wert des Klagegegenstandes weit übersteigen können. Entsprechend den Grundsätzen der Gefährdungshaftung (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1976 - VI ZR 177/75, BGHZ 67, 129, 130) wird diese Ausweitung des Haftungsrisikos dem Kläger nur auferlegt, weil er die - rechtskonforme - Gefahr eines solchen Schadens durch seine Entscheidung geschaffen hatte, den Beklagten zur vorzeitigen Erfüllung des Klageanspruchs zu zwingen. Das von dem Erstattungsanspruch gem. § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO ausgehende Haftungsrisiko ist demgegenüber deutlich geringer. Der Gläubiger braucht hier nicht zu befürchten, für unvorhersehbare Folgen einstehen und Schadensersatz leisten zu müssen, der den Wert des Klagegegenstandes erheblich überschreitet.
Rz. 20
cc) Ob eine dem Titelgläubiger gegen oder ohne sein Wissen aufgedrängte Zahlung oder Leistung nach § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO zurückgefordert werden kann, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Der Beklagte hat auf die Frage der Klägerin, ob der Ausgang des Revisionsverfahrens abgewartet werden könne, erklärt, er wünsche die sofortige Zahlung der Urteilssumme. Dann kann er sich jetzt nicht darauf berufen, die Zahlung sei ihm aufgedrängt worden.
Rz. 21
b) Der Tatort einer unerlaubten Handlung i.S.v. § 32 ZPO liegt überall, wo auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist, bis hin zu dem Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden ist (BGH, Urt. v. 25.11.1993 - IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237, 245; v. 29.3.2011 - VI ZR 111/10, Rz. 7, zVb). Jedenfalls der Ort des Verletzungserfolgs liegt im Inland. Die Klägerin, die aufgrund des später aufgehobenen Urteils des OLG Hamburg vom 15.5.2007 eine Zahlung an den Beklagten geleistet hat, ist in Hamburg ansässig.
III.
Rz. 22
Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Der Sachverhalt, den die Klägerin zur Begründung des Anspruchs aus § 717 Abs. 3 ZPO vorgetragen hat, ist unstreitig. Die Klage ist damit nicht nur zulässig, sondern auch begründet.
IV.
Rz. 23
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und die Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage hat Erfolg.
Fundstellen
Haufe-Index 2707774 |
BGHZ 2012, 320 |
BB 2011, 1602 |