Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des Rechtsinstituts der bewußten Risikoübernahme oder des Handelns auf eigene Gefahr bei der Haftungsverteilung. Nur ausnahmsweise vollständiger Haftungsausschluß unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung des Geschädigten. Wertung der Erklärung einer Partei bei ihrer persönlichen Anhörung als Geständnis
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung bei der Beteiligung an einem gemeinsamen gefährlichen Tun ("Rempeltanz").
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; ZPO §§ 141, 254, 288
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 12.01.2005; Aktenzeichen 9 U 101/04) |
LG Bückeburg (Entscheidung vom 13.05.2004; Aktenzeichen 2 O 196/03) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Celle vom 12.1.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und die Beklagten gerieten beim Tanzen anlässlich der Geburtstagsfeier des Beklagten zu 1) zu Fall. Alle drei stürzten, dabei fielen die Beklagten über bzw. auf den Kläger. Dieser zog sich erhebliche Beinverletzungen zu.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagten hätten den sog. "Tanz op de Deel" ausgeführt, bei dem sie sich mit ihren Armen nebeneinander eingehakt und sich so in einer recht wilden Art hüpfend und springend vor- und rückwärts bewegt hätten. Er, der Kläger, sei ihnen in dem - bis auf ein Sofa, die Musikanlage und einen Bistro-Tisch leergeräumten - Tanzraum in den Bereich zwischen dem Sofa und der Musikanlage ausgewichen und habe dort für sich alleine getanzt. Die Beklagten hätten sich auf ihn zu bewegt. Plötzlich habe er einen Schlag von der Seite an seine linke Schulter bekommen. Dadurch sei er ins Taumeln geraten und gestürzt. Unmittelbar darauf sei der Beklagte zu 1) auf seinen ausgestreckten rechten Oberschenkel und der Beklagte zu 2) auf seinen rechten Unterschenkel gestürzt.
Die Beklagten haben behauptet, sie hätten gemeinsam mit dem Kläger eine Art "Rempeltanz" vollzogen. Sie hätten sich mit dem Kläger wechselseitig an den Schultern geschubst und versucht, sich die Beine wegzutreten. Der Kläger sei gestürzt und habe den Beklagten zu 1) mit sich gerissen, beide hätten den Beklagten zu 2) mitgezogen. Der Kläger sei unten zu liegen gekommen, der Beklagte zu 1) sei auf dessen Oberkörper gestürzt, und der Beklagte zu 2) sei auf das Knie des Klägers gefallen, weil dieser sich mit seinem Fuß verhakt gehabt habe. Der Kläger sei erheblich alkoholisiert gewesen und habe seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren können.
Das LG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im Umfang seiner Beschwer weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint eine Haftung der Beklagten. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er die Verletzungen durch den von ihm behaupteten Geschehensablauf erlitten habe. An der Richtigkeit der Feststellungen des LG bestünden erhebliche Zweifel; sie könnten deshalb keinen Bestand haben. Das LG habe das Ergebnis der gem. § 141 ZPO durchgeführten Parteianhörungen verfahrensfehlerhaft wie Parteivernehmungen gewürdigt. Die Voraussetzungen dafür lägen nicht vor, da keine Partei ggü. der anderen einen Beweisvorsprung habe. Die in zweiter Instanz vernommene Zeugin H., die Ehefrau des Klägers, habe dessen Vortrag nämlich nicht bestätigt. Auf der Grundlage dieses Beweisergebnisses seien beide Hergangsvarianten gleichermaßen plausibel und wahrscheinlich. Lasse sich aber nicht feststellen, dass die Beklagten den Kläger fahrlässig verletzt hätten, sei für deren Haftung kein Raum. Denn wenn ihre Behauptung richtig sei, wonach der Kläger sich an dem wilden "Rempeltanz" beteiligt habe und die Parteien versucht hätten, sich wechselseitig zu Fall zu bringen, hätte sich - zufällig - ein Risiko verwirklicht, dem alle Teilnehmer in gleichem Maße ausgesetzt gewesen seien. Bei dieser Sachlage verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das allen Teilnehmern drohende Risiko realisiert habe, ggü. den anderen Teilnehmern Ersatzansprüche geltend mache.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Ohne Erfolg bleibt allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft verkannt, dass die Beklagten bei ihrer persönlichen Anhörung zugestanden hätten, den Kläger vorsätzlich rechtswidrig angegriffen und dabei erheblich körperlich verletzt zu haben. Es trifft zwar zu, dass beide Beklagte ggü. dem LG angegeben haben, sie hätten versucht, dem Kläger die Beine wegzutreten, wobei dieser gefallen sei. Diese Erklärungen stellen indessen kein wirksames Geständnis i.S.v. § 288 ZPO dar. Ob eine Parteierklärung im Rahmen einer Anhörung gem. § 141 ZPO ein Geständnis enthalten kann, ist streitig (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 288 Rz. 3c, m.w.N.; offen gelassen in BGH v. 14.3.1995 - VI ZR 122/94, BGHZ 129, 108 [112] = MDR 1995, 518). Für Parteierklärungen im Rahmen einer Parteivernehmung gem. § 445 ZPO hat der erkennende Senat die Annahme eines Geständnisses verneint (BGH v. 14.3.1995 - VI ZR 122/94, BGHZ 129, 108 [109 ff.] = MDR 1995, 518). Es spricht nichts dafür, einer Erklärung, die eine Partei bei ihrer persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO abgibt, verfahrensrechtlich eine weiterreichende Wirkung beizumessen. Im Übrigen liegt ein wirksames Geständnis im Streitfall auch deshalb nicht vor, weil dieses, sofern - wie hier - Anwaltszwang besteht, von der nicht postulationsfähigen Partei nicht erklärt werden kann (RG JW 1936, 1778 [1179]; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 288 Rz. 3c, m.w.N.; a.A.: Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 78 Rz. 40; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 16. Aufl., § 111 I 3 Rz. 8). Jedenfalls aber wäre eine derartige von einer Partei abgegebene Erklärung, soweit sie von den Erklärungen ihres Prozessbevollmächtigten abweicht, vom Gericht frei zu würdigen (BGH, Urt. v. 1.3.1957 - VIII ZR 286/56, LM ZPO § 141 Nr. 2).
2. Das Berufungsurteil kann jedoch aus anderen Gründen keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht verweist in den Gründen der angefochtenen Entscheidung zunächst auf die Feststellungen des LG und führt sodann aus, der vom Kläger behauptete Geschehensablauf sei nicht bewiesen. Aufgrund der in zweiter Instanz nachgeholten Tatsachenfeststellung lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagten den Kläger fahrlässig verletzt hätten. Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Sie beruht, wie die Revision mit Recht geltend macht, auf einer Verkennung der Beweislast. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagten eingeräumt haben, gemeinsam mit dem Kläger eine Art "Rempeltanz" ausgeführt zu haben, bei dem der Kläger zu Fall gekommen sei. Nach ihrem Vorbringen haben sie sich wechselseitig an den Schultern geschubst und versucht, sich die Beine wegzutreten. Ist der Kläger dabei gestürzt, war das gefährliche Verhalten der Beklagten dafür aber möglicherweise mitursächlich. In diesem Fall wäre der Tatbestand einer fahrlässig herbeigeführten Körperverletzung erfüllt, denn eine Haftung gem. § 823 BGB setzt nicht voraus, dass ein Verhalten des Schädigers die alleinige Ursache für die Schadenszufügung war. Eine Mitursächlichkeit, sei sie auch nur "Auslöser" neben erheblichen anderen Umständen, steht einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleich (BGH v. 26.1.1999 - VI ZR 374/97, MDR 1999, 546 = VersR 1999, 862; v. 27.6.2000 - VI ZR 201/99, MDR 2000, 1247 = VersR 2000, 1282 [1283]; v. 20.11.2001 - VI ZR 77/00, MDR 2002, 215 = BGHReport 2002, 194 = VersR 2002, 200 [201]; v. 19.4.2005 - VI ZR 175/04, BGHReport 2005, 1107 = MDR 2005, 1108 = VersR 2005, 945 [946]). Bei dieser Sachlage müssten die Beklagten ihrerseits den Nachweis für die Voraussetzungen erbringen, unter denen eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung an einem gemeinsamen gefährlichen Tun ausnahmsweise entfällt. Das bedeutet, dass sie die Behauptung des Klägers, er habe sich an dem gemeinsamen Tanz nicht beteiligt, zu widerlegen hätten.
Bei der nach Zurückverweisung vorzunehmenden neuen Beweiswürdigung wird ggf. auch das Ergebnis der in erster Instanz gem. § 141 ZPO durchgeführten Parteianhörungen beider Parteien zu berücksichtigen sein. Das Berufungsgericht führt zwar mit Recht aus, dass eine Vernehmung des Klägers als Partei nicht in Betracht komme, denn § 448 ZPO setzt voraus, dass Anhaltspunkte gegeben sind, die seine Behauptungen in gewissem Maße wahrscheinlich machen. Von diesem Erfordernis Abstriche zu machen, rechtfertigt die Beweisnot nicht (BGH v. 9.3.1990 - V ZR 244/88, BGHZ 110, 363 [366] = MDR 1990, 705; Urt. v. 24.4.1991 - IV ZR 172/90, MDR 1992, 137 = VersR 1991, 917 [918]). Das Berufungsgericht geht insoweit zutreffend davon aus, es genüge für die Anwendung von § 448 ZPO nicht, dass der Klagevortrag ebenso gut wahr wie unwahr sein könne. Indessen kann der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen aber auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (BGH, Urt. v. 28.11.1979 - IV ZR 34/78, VersR 1980, 229 f.; v. 24.4.1991 - IV ZR 172/90, MDR 1992, 137 = VersR 1991, 917 [918]; v. 25.3.1992 - IV ZR 54/91, VersR 1992, 867). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht bisher, soweit ersichtlich, nur das Ergebnis der in zweiter Instanz nachgeholten Beweisaufnahme gewürdigt. Den Ausführungen in den Urteilsgründen ist nämlich nicht zu entnehmen, ob und inwieweit es im Rahmen seiner tatrichterlichen Beurteilung auch die in erster Instanz erfolgten Parteierklärungen berücksichtigt hat. Dies hätte aber in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise dargelegt werden müssen (BGH, Urt. v. 24.4.1991 - IV ZR 172/90, MDR 1992, 137 = VersR 1991, 917 [918]) und wird bei einer neuen Entscheidung zu beachten sein.
3. Das Berufungsurteil begegnet auch in einem weiteren Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger könne - die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten unterstellt - aufgrund seiner Teilnahme an diesem gefährlichen Tun keinen Ersatz verlangen; zu seinen Lasten hätte sich dann nämlich - zufällig - ein Risiko verwirklicht, dem alle Teilnehmer des "Rempeltanzes" in gleichem Maße ausgesetzt gewesen seien. Es verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und sei deshalb unbillig, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das den Teilnehmern drohende Risiko realisiert habe, ggü. den anderen Teilnehmern Ersatzansprüche geltend mache. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Die Erwägungen des Berufungsgerichts können jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen einen vollständigen Haftungsausschluss zu Lasten des Klägers unter dem Gesichtspunkt der bewussten Risikoübernahme nicht rechtfertigen.
a) Zutreffend sieht das Berufungsgericht die Grundlage des Rechtsinstituts der bewussten Risikoübernahme oder des Handelns auf eigene Gefahr in dem Grundsatz von Treu und Glauben. Danach ist es anstößig, wenn der jeweilige Geschädigte versucht, denjenigen Schaden auf einen anderen abzuwälzen, den er bewusst in Kauf genommen hat, obschon er ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Schädiger befindet, sich dann aber mit Recht dagegen gewehrt haben würde, diesem Ersatz leisten zu müssen (BGH v. 1.4.2003 - VI ZR 321/02, BGHZ 154, 316 [323 ff.] = MDR 2003, 869 = BGHReport 2003, 803, m.w.N.). Es ist das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium"), das es nicht zulässt, dass der Geschädigte den beklagten Schädiger in einem solchen Fall in Anspruch nimmt. Allerdings handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmefälle, wie etwa die Teilnahme an Boxkämpfen oder anderen besonders gefährlichen Sportarten, in denen die Rechtsprechung das bewusste Sich-Begeben in eine Situation drohender Eigengefährdung als Grundlage für eine vollständige Haftungsfreistellung des Schädigers in Betracht gezogen hat. Nur bei derartiger Gefahrexponierung kann von einer bewussten Risikoübernahme und einer Einwilligung des Geschädigten in die als möglich vorgestellte Rechtsgutverletzung mit der Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses für den Schädiger ausgegangen werden (BGHZ 34, 355 [363 ff.]; BGHZ 39, 156 [161]; BGHZ 63, 140 [144]; BGH v. 21.2.1995 - VI ZR 19/94, MDR 1995, 802 = VersR 1995, 583 [584]; v. 20.12.2005 - VI ZR 225/04, z.V.b.). Bei sportlichen Kampfspielen findet die entschädigungslose Inkaufnahme von Verletzungen, wie der erkennende Senat stets betont hat, ihre innere Rechtfertigung darin, dass dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insb. durch das Verbot sog. "Fouls" auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler ausgerichtet sind (BGHZ 63, 140 [142 ff.]; BGH v. 5.11.1974 - VI ZR 125/73, VersR 1975, 155 [156]; v. 10.2.1976 - VI ZR 32/74, VersR 1976, 591; v. 21.2.1995 - VI ZR 19/94, MDR 1995, 802 = VersR 1995, 583 [584]). Dass dem "Rempeltanz" der Parteien derart feste und anerkannte Regeln zugrunde gelegen hätten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
b) Die tatrichterlichen Feststellungen vermögen die völlige Haftungsfreistellung der Beklagten auch nicht in Anwendung der Vorschrift des § 254 BGB zu rechtfertigen. Das Berufungsurteil enthält keine nachprüfbaren Ausführungen zur Gewichtung und Abwägung der jeweiligen Verursachungsanteile der Parteien bezüglich des konkreten Schadensereignisses. Unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung gem. § 254 BGB ist die vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten aber nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (BGH, Urt. v. 21.2.1995 - VI ZR 19/94, MDR 1995, 802 = VersR 1995, 583 [584]). Ob ein vollständiger Haftungsausschluss gerechtfertigt ist, kann jeweils nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH v. 19.11.1991 - VI ZR 69/91, MDR 1992, 852 = VersR 1992, 371 [372]). Der angefochtenen Entscheidung ist die erforderliche umfassende Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht begründet den vollständigen Haftungsausschluss allein damit, dass sich zu Lasten des Klägers ein Risiko verwirklicht habe, dem alle Teilnehmer des "Rempeltanzes" in gleichem Maße ausgesetzt gewesen seien. Dieser Umstand allein genügt jedoch gerade nicht für die Annahme einer gänzlichen Haftungsfreistellung des Schädigers (BGH, Urt. v. 21.2.1995 - VI ZR 19/94, MDR 1995, 802 = VersR 1995, 583 [584]).
Fundstellen
Haufe-Index 1494123 |
BGHR 2006, 708 |
NJW-RR 2006, 672 |
JurBüro 2006, 446 |
MDR 2006, 990 |
NZV 2006, 412 |
VersR 2006, 663 |