Leitsatz (amtlich)
a) Befasst sich ein vom erstinstanzlichen Gericht eingeholtes Gutachten eines Sachverständigen nicht mit allen entscheidungserheblichen Punkten, hat das Berufungsgericht von Amts wegen auf eine Vervollständigung des Gutachtens hinzuwirken.
b) Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich aus einer fehlerhaften Rechtsanwendung ergeben.
c) Einem erstmals in zweiter Instanz gestellten Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen gem. §§ 402, 397 ZPO hat das Berufungsgericht stattzugeben, wenn er entscheidungserhebliche Gesichtspunkte betrifft, die das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage übersehen hat.
Normenkette
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 531 Abs. 1 Nr. 1 (2002)
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 7.7.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall v. 31.10.1991 geltend, bei dem der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw auf den von der Klägerin gesteuerten Pkw aufgefahren ist. Die volle Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Klägerin erlitt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Die Beklagte zu 2) zahlte deshalb vorprozessual ein Schmerzensgeld von 2.800 DM.
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten auch für die von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden einzustehen haben, soweit diese über den 31.12.1991 hinaus andauerten.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Beschwerden seien insgesamt unfallbedingt. Sie hat ein angemessenes Schmerzensgeld, Ersatz ihres materiellen Schadens i.H.v. 46.826,09 DM sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten hinsichtlich aller weiteren Schäden aus dem Unfall gefordert.
Das LG hat der Klägerin über den vorprozessual bezahlten Betrag hinaus ein weiteres Schmerzensgeld von 613,55 EUR nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin unter Beibehaltung der Anträge im Übrigen über die gezahlten und erstinstanzlich zuerkannten Beträge hinaus ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 16.000 DM begehrt. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus der Berufungsinstanz weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Klägerin durch den Unfall verletzt wurde und ihre Beschwerden bis Dezember 1991 unfallbedingt waren. Sie habe jedoch nicht bewiesen, dass der Unfall auch Ursache ihrer Beschwerden nach Dezember 1991 sei. Das LG habe zwar nicht berücksichtigt, dass diese Frage nach § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen sei. Auch nach diesem Beweismaß lasse sich aber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Unfall ursächlich für die Beschwerden gewesen sei, nicht feststellen. Als Ursache der Beschwerden komme auch eine degenerative Veränderung der Wirbelsäule in Betracht. Die unspezifischen Beschwerden der Klägerin könnten im Zusammenhang mit einer Halswirbelsäulenverletzung auftreten, ließen jedoch nicht hinreichend sicher auf eine solche Verletzung schließen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Unfall ursächlich für die Beschwerden gewesen sei, ergebe sich aus dem Gutachten nicht. Die erstmals mit der Berufungsbegründung beantragte Ladung des Sachverständigen sei nicht geboten gewesen. Das Gutachten sei widerspruchsfrei, nachvollziehbar und überzeugend. Das LG habe daher zu einer Ladung des Sachverständigen von Amts wegen keinen Anlass gehabt. Unterlasse eine Partei es, in erster Instanz die Anhörung des Sachverständigen zu beantragen, könne sie das wegen § 531 Abs. 2 ZPO nicht in der Berufung nachholen.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Allerdings beanstandet die Revision ohne Erfolg, das Berufungsurteil genüge nicht den Anforderungen an die Sachverhaltsdarstellung im Berufungsurteil nach neuem Recht (§ 26 Nr. 5 EGZPO; § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
a) Hiernach bedarf es keines förmlichen Tatbestandes. An dessen Stelle muss das Berufungsurteil jedoch auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug nehmen und eine Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen enthalten. Ohne solche ausreichenden tatbestandlichen Darstellungen fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach den §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. Gleiches gilt für tatbestandliche Darstellungen, die derart widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind, dass sie die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung nicht mehr zweifelsfrei erkennen lassen (vgl. BGH v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97 [99] = BGHReport 2003, 1298 = MDR 2004, 44; Urt. v. 7.11.2003 - V ZR 141/03, MDR 2004, 391 = BGHReport 2004, 285 = WM 2004, 894 [895]; v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]). In diesen Fällen ist das Berufungsurteil grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben (vgl. BGH, Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, BGHReport 2004, 759 = NJW 2004, 1389 [1390]; Urt. v. 22.12.2003 - VIII ZR 122/03, MDR 2004, 464 = BGHReport 2004, 474 [475]; vgl. zum früheren Recht BGHZ 73, 248). Von einer Aufhebung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben. Diese Grundsätze gelten auch für ein Berufungsurteil, das - wie im Streitfall - die Revision nicht zulässt, aber der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegt (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = VersR 2004, 259 [260]).
b) Das angefochtene Urteil genügt diesen Anforderungen. Es enthält zwar keine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil. Eine solche war aber entbehrlich, weil die tatsächlichen Feststellungen erster Instanz neben den Änderungen und Ergänzungen im Berufungsurteil ausreichend wiedergegeben werden. Eine ausdrückliche Bezugnahme ist nicht zwingend erforderlich. § 540 ZPO soll die Berufungsgerichte von Schreibarbeit entlasten und erlaubt dazu eine Bezugnahme ohne eine eigene Darstellung zu verbieten (vgl. Begründung der Beschlüsse des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 124; wie hier Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 540 Rz. 1; a.A. Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 540 Rz. 6). Die Möglichkeit revisionsrechtlicher Überprüfung wird im Streitfall nicht beeinträchtigt.
2. Die Revision beanstandet aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht gegen §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO verstoßen hat. Das LG hatte seiner Entscheidung wie schon seinem Beweisbeschluss § 286 ZPO statt § 287 ZPO und damit das falsche Beweismaß zu Grunde gelegt. Das vom LG eingeholte Gutachten enthält zu der entscheidungserheblichen Frage, ob der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den andauernden Beschwerden der Klägerin überwiegend wahrscheinlich ist, keine Angaben. Es war daher unvollständig. Das Berufungsgericht hat das erkannt, hat aber das Gutachten dennoch seiner Entscheidung zu Grunde gelegt (s.u. zu a)). Eine Ergänzung durch weitere Begutachtung oder durch eine Anhörung des Sachverständigen war bei fehlerfreier Rechtsanwendung bereits in erster Instanz erforderlich, ist aber unterblieben. Der Verstoß des LG gegen § 287 ZPO begründete Zweifel an der Richtigkeit seiner Feststellungen zur Kausalität gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die eine Vervollständigung des Gutachtens durch das Berufungsgericht von Amts wegen erforderten (§ 411 Abs. 3 ZPO; s.u. zu b)). Der entsprechende Antrag der Klägerin in der Berufungsbegründung war nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen (s.u. zu c)). Im Einzelnen:
a) Das Berufungsgericht geht im Ansatzpunkt ohne Rechtsfehler davon aus, dass die Frage, ob die nach Dezember 1991 noch vorhandenen Beschwerden der Klägerin auf dem Unfall oder dem unfallbedingten HWS-Schleudertrauma beruhten, unter Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO zu beantworten ist. Diese Frage nach dem Umfang des eingetretenen Schadens ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Der Tatrichter unterliegt insoweit nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, sondern ist nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 21.10.1986 - VI ZR 15/85, VersR 1987, 310; v. 20.11.2001 - VI ZR 77/00, MDR 2002, 215 = BGHReport 2002, 194 = VersR 2002, 200 [201]; v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487 = VersR 2003, 474 [476]; v. 4.11.2003 - VI ZR 28/03, MDR 2004, 509 = BGHReport 2004, 264 = VersR 2004, 118 [119]). Zwar kann er auch die haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen, wenn er von dem Ursachenzusammenhang überzeugt ist. An das zur Überzeugungsbildung erforderliche Beweismaß werden aber geringere Anforderungen gestellt. Es genügt je nach Lage des Einzelfalles eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH v. 16.10.2001 - VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63 [66] = BGHReport 2002, 126; v. 21.10.1986 - VI ZR 15/85, NJW-RR 1987, 339 = VersR 1987, 310; v. 22.9.1992 - VI ZR 293/91, MDR 1993, 175 = VersR 1993, 55 [56]; v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, MDR 2003, 566 = BGHReport 2003, 487).
Gleichwohl konnte das Berufungsgericht auf der Grundlage des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens die haftungsausfüllende Kausalität nicht ohne weitere Sachaufklärung verneinen. Das interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen befasst sich nicht mit der Frage, ob eine nach § 287 ZPO ausreichende (überwiegende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs besteht, sondern ausschließlich mit der naturwissenschaftlichen Nachweisbarkeit des Ursachenzusammenhangs. Die Sachverständigen waren, worauf die Revision zutreffend hinweist, im Beweisbeschluss des LG auch nur hierzu befragt worden. Die hierdurch bedingte Unvollständigkeit des Gutachtens kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen, weil sie auf der fehlerhaften Anwendung des Beweismaßes durch das LG beruht.
b) Unter diesen Umständen beanstandet die Revision mit Erfolg, dass das Berufungsgericht gegen § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO verstoßen hat, weil es keine Vervollständigung des Gutachtens veranlasst hat.
aa) Das interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen befasst sich - wie bereits erwähnt - nicht mit der für § 287 ZPO ausreichenden (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit, sondern mit der naturwissenschaftlichen Beweisbarkeit des Ursachenzusammenhangs.
bb) Das Berufungsgericht durfte die auf Grund dieses Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen. Zwar ist ein Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO grundsätzlich an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO).
(1) Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 529 Rz. 20; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 529 Rz. 11 f.; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 9 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 529 Rz. 3; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft zum 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, 11, 15; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1900 f.]). Konkrete Anhaltspunkte können sich aus gerichtsbekannten Tatsachen, aus dem Vortrag der Parteien oder aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 529 Rz. 4; Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 529 Rz. 20 f., 26; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 9 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 529 Rz. 2; Begründung der Beschlüsse des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 123), aber auch aus Fehlern, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH, Urt. v. 8.6.2004 - VI ZR 199/03; Urt. v. 12.3.2004 - V ZR 257/03, BGHReport 2004, 833 = WM 2004, 845 [846]; v. 19.3.2004 - V ZR 104/03; Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/4722, 100; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 529 Rz. 12; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft zum 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, 11, 15; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1901]; Stackmann, NJW 2003, 169 [171]). Wurden Tatsachenfeststellungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen, kann auch die Unvollständigkeit des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. BGH v. 15.7.2003 - VI ZR 361/02, MDR 2003, 1414 = BGHReport 2004, 17 = NJW 2003, 3480 [3481]; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rz. 18; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rz. 9).
Hiernach begründeten im Streitfall konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit der Feststellungen:
Das angefochtene Urteil zeigt die Verkennung der Rechtslage durch das LG und die darauf beruhende Verkürzung der Beweiserhebung auf. Das Berufungsgericht führt dazu ohne Rechtsfehler aus, das LG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass § 287 ZPO geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung stelle. Die Unvollständigkeit der Begutachtung ergibt sich hieraus unmittelbar.
(2) Das hätte beim Berufungsgericht Zweifel an der Vollständigkeit und an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des LG zur Kausalität wecken müssen. Solche Zweifel sind bereits dann begründet, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden (vgl. Senatsurteile v. 15.7.2003 - VI ZR 361/02, MDR 2003, 1414 = BGHReport 2004, 17; v. 8.6.2004 - VI ZR 199/03; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rz. 3; Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 529 Rz. 29; vgl. Begründung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 124; geringere Anforderungen: Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 529 Rz. 21; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897 [1902 f.]; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft zum 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, 11, 16; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524; kritisch Greger, NJW 2003, 2882 [2883]). Die Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. Es genügt, wenn das Berufungsgericht auf Grund konkreter Anhaltspunkte in einer rational nachvollziehbaren Weise zu "vernünftigen" Zweifeln kommt, d.h., zu Bedenken, die so gewichtig sind, dass sie nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden können (vgl. Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 529 Rz. 29; Begründung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 124).
Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass das LG bei Anwendung des § 287 ZPO zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die zahlreich vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen wie auch das Gutachten halten nämlich zum Teil einen Ursachenzusammenhang mit dem Unfall für möglich oder wahrscheinlich.
(3) Eine ergänzende Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht war nach allem erforderlich. Eine erneute Prüfung und Entscheidung ist immer geboten, wenn - wie im Streitfall - die konkrete Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses besteht (so auch BGH, Urt. v. 12.3.2004 - V ZR 257/03, BGHReport 2004, 833 [847]; Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 529 Rz. 28; Begründung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/6036, 124). Die Verpflichtung zu ergänzenden Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO) ergibt sich hier aus dem Umstand, dass ein unvollständiges Gutachten keine Entscheidungsgrundlage sein kann (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2001 - VI ZR 408/99, MDR 2001, 750 = BGHReport 2001, 349 = VersR 2001, 783; v. 27.3.2001 - VI ZR 18/00, MDR 2001, 888 = BGHReport 2001, 456 = VersR 2001, 859 [860] jeweils m.w.N.). Ein Antrag der Klägerin war daher nicht erforderlich. Zudem lag hier ein solcher Antrag auf Anhörung des Sachverständigen vor.
c) Unter diesen Umständen rügt die Revision auch mit Erfolg, dass die beantragte Anhörung des Sachverständigen unterblieben ist. Die Zurückweisung dieses Antrags beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Die Verweigerung der Zulassung neuen Vortrags kann vom Revisionsgericht überprüft werden (vgl. BGH BGHZ 12, 49 [52]; Urt. v. 9.3.1981 - VIII ZR 38/80, MDR 1981, 752 = NJW 1981, 2255; Meyer/Seitz in Hannich/Meyer/Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 531 Rz. 26; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 530 Rz. 34; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 531 Rz. 23, 25; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 531 Rz. 37).
Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel u.a. dann zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
aa) Wie ausgeführt hat das Eingangsgericht den hier anzuwendenden Beweismaßstab verkannt. Das Berufungsgericht hat zwar erkannt, dass die haftungsausfüllende Kausalität nach § 287 ZPO zu beurteilen war. Es musste aber auch neue Angriffsmittel, die auf eine Abklärung nach dem bisher nicht berücksichtigten Beweismaßstab für die Kausalität abzielten, zulassen.
bb) Angriffs- und Verteidigungsmittel sind alle zur Begründung des Sachantrages oder zur Verteidigung dagegen vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen, Einwendungen und Einreden, sämtliches Bestreiten und alle Beweisanträge (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 530 Rz. 11; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 531 Rz. 22; Drossart, Bauprozessrecht 2004, 4, 6; Gehrlein, MDR 2003, 421 [428}). Hierzu zählt auch der Antrag einer Partei auf Anhörung eines Sachverständigen (§§ 402, 397 ZPO).
Der Antrag der Klägerin auf Anhörung des Sachverständigen wurde erstmals in zweiter Instanz gestellt, war mithin neu. In der Berufungsbegründung hatte die Klägerin zu der von ihr behaupteten überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität des Unfalls für die geltend gemachten Beschwerden die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Dies genügte den Anforderungen an einen Antrag gemäß den §§ 402, 397 ZPO. Eine Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, muss nicht die Fragen, die sie an den Sachverständigen richten will, im Voraus konkret formulieren. Ausreichend ist, wenn sie angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (vgl. BGH v. 29.10.2002 - VI ZR 353/01, MDR 2003, 168 = BGHReport 2003, 256 = VersR 2003, 926 [927] m.w.N.).
cc) Die objektiv fehlerhafte Rechtsansicht des LG hat den erstinstanzlichen Sachvortrag der Klägerin beeinflusst und ist (mit-)ursächlich dafür geworden, dass sich hier Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2004 - III ZR 147/03, MDR 2004, 678 = BGHReport 2004, 906; v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, Umdr. S. 9).
Die fehlerhafte Rechtsauffassung des LG zum Beweismaß (§ 286 ZPO statt § 287 ZPO) hat dazu beigetragen, dass der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen erst in der Berufungsinstanz gestellt wurde. Zudem macht die Revision mit Recht geltend, die Klägerin sei dem gleichen Rechtsirrtum unterlegen wie das LG; dieser habe sich in der eingeschränkten Begutachtung ausgewirkt und sei objektiv geeignet gewesen, die Klägerin im ersten Rechtszug von einem Antrag auf Anhörung zur Frage der überwiegenden Wahrscheinlichkeit abzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den Antrag aus anderen, von der rechtlichen Fehleinschätzung unabhängigen Gründen zurückgehalten hätte, liegen nicht vor.
3. Das Berufungsurteil stellt sich schließlich nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht in eigener Würdigung des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gekommen ist, auch nach den gem. § 287 ZPO geringeren Anforderungen an die Überzeugungsbildung habe die Klägerin im Ergebnis den ihr obliegenden Nachweis nicht geführt. Aus dem Gutachten des Sachverständigen ergebe sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht.
Diese Feststellung ist auf der Grundlage des Gutachtens rechtsfehlerhaft zu Stande gekommen. Das Gutachten enthält, wie ausgeführt, zur Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs keine Aussage. Zu Feststellungen hierzu hätte es daher eigener Sachkunde des Gerichts bedurft, die es im Urteil hätte darlegen müssen. Auch im Rahmen der freien Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO darf der Tatrichter nämlich, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er eine entsprechende Sachkunde ausweist (vgl. BGH v. 22.12.1987 - VI ZR 6/87, MDR 1988, 488 = VersR 1988, 466 [467]; v. 14.2.1995 - VI ZR 106/94, MDR 1995, 479 = VersR 1995, 681 [682]; Urt. v. 17.10.2001 - IV ZR 205/00, BGHReport 2002, 153 = VersR 2001, 1547 [1548]). Unter demselben Mangel leiden die weiteren Erwägungen des Berufungsgerichts, in denen es dem zeitlichen Ablauf des Auftretens der Beschwerden maßgebliche Bedeutung für die Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität beimisst. Die Revision beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe ohne sachverständige Beratung keine medizinischen Rückschlüsse aus dem Krankheitsverlauf ziehen dürfen.
Fundstellen
Haufe-Index 1193373 |
BGHZ 2005, 254 |
BB 2004, 2714 |
NJW 2004, 2828 |
BGHR 2004, 1375 |
FamRZ 2004, 1485 |
MDR 2004, 1313 |
MDR 2006, 554 |
NZV 2004, 508 |
VersR 2004, 1477 |
BrBp 2004, 436 |
GesR 2005, 18 |
NJW-Spezial 2005, 65 |
PA 2004, 184 |
SVR 2004, 454 |
VRA 2004, 165 |
r+s 2005, 219 |
DS 2004, 301 |
ProzRB 2004, 269 |