Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Aufklärungs- und Hinweispflicht. Berufungsbegründung mit Hinweis auf deshalb unterbliebenes Vorbringen in erster Instanz. Änderung des Streitgegenstands. Klageänderung
Leitsatz (amtlich)
a) Macht eine Partei in der Berufungsbegründung die Verletzung der Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 139 ZPO a. F. durch das erstinstanzliche Gericht geltend, ist es nicht erforderlich, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfahrensrüge anführt, welchen Vortrag sie in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat. Vielmehr reicht es aus, dass nach dem Inhalt der Berufungsbegründung ohne Zweifel ersichtlich ist, was auf Grund des gerichtlichen Hinweises vorgetragen worden wäre.
b) Zur Hinweispflicht nach § 139 ZPO a. F., wenn dies eine Änderung des Streitgegenstands zur Folge hat.
Normenkette
ZPO § 139 a.F., § 263; CMR § 31 Abs. 1 S. 1 lit. b
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 14.12.2000 aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des LG Wuppertal v. 11.1.2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das LG zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Transportversicherer. Sie nimmt die Beklagten aus abgetretenem und übergegangenem Recht wegen Beschädigung von Transportgut in Anspruch.
Ein Fahrer der in Nordirland ansässigen Beklagten zu 2 übernahm am 22.3.1995 in Wuppertal von der V. GmbH & Co. KG - nachfolgend als "V. " bezeichnet - eine Maschinenanlage, um sie zur R. M. T. , B. Industrial Estate, B. Co. Donegal/Irland - nachstehend R. genannt - zu transportieren. Am folgenden Tag rutschte während des Transports die Maschinenanlage in der Nähe von Dumfries/Schottland von dem Lkw.
Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen ihr als führender Versicherungsgesellschaft und zwei weiteren Versicherern sowie V. habe seit August 1992 ein Versicherungsvertrag bestanden. V. habe die Beklagte zu 1, eine in der Republik Irland ansässige Gesellschaft, mit dem Transport der Anlage zu fixen Kosten an R. beauftragt. Die Beklagte zu 1 habe den Transportauftrag an die Beklagte zu 2 weitergegeben. Deren Lkw-Fahrer habe die Beschädigung der Maschinenanlage u. a. durch unzureichende Sicherung der Ladung schuldhaft verursacht. Die Klägerin hat behauptet, sie habe an V. einen Betrag von 450.000 DM als Schadensausgleich gezahlt.
Die Klägerin hat in erster Instanz von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung des Gegenwerts von 166.600 Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds in Deutscher Mark nebst Zinsen beansprucht.
Die Beklagten haben die internationale und die örtliche Zuständigkeit des LG Wuppertal gerügt und sind der Klage auch im Übrigen entgegengetreten.
Das LG hat seine Zuständigkeit verneint und die Klage abgewiesen. Für eine Zuständigkeit nach der CMR fehle es an der schlüssigen Darlegung, dass V. , von der die Klägerin ihre Ansprüche ableite, Vertragspartnerin des Beförderungsvertrages geworden sei. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung sei nicht gegeben, weil der Unfallort in Schottland liege.
Die Klägerin, die Berufung eingelegt hat, hat ausgeführt, Versicherungsnehmerin seien V. und die dieser Gesellschaft angeschlossenen Firmen in Europa, zu denen R. gehöre. Diese habe der Beklagten zu 1 den Beförderungsauftrag erteilt. R. habe ihren Anspruch gegen die Beklagten ebenfalls an die Klägerin abgetreten. Als Führungsversicherer sei sie berechtigt, die Regressansprüche in Höhe des gegenüber V. regulierten Schadens im eigenen Namen geltend zu machen. Entgegen § 139 ZPO habe das LG sie nicht auf eine mangelnde Substanziierung ihres Vortrags hingewiesen.
In der Berufungsinstanz hat die Klägerin in erster Linie die Zahlung von 450.000 DM von den Beklagten als Gesamtschuldnern verlangt. Hilfsweise hat sie Zahlung von 225.000 DM an sich und jeweils 112.500 DM an die A. Versicherungs AG, M. straße , H. und an die P. versicherungsanstalt , P. platz , D. und äußerst hilfsweise Zahlung von 450.000 DM an V. und R. jeweils zzgl. Zinsen begehrt.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiter. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel der Klägerin als unzulässig verworfen (§ 519b Abs. 1 ZPO a. F.). Hierzu hat es ausgeführt:
Die Klägerin habe die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage gestellt, sondern ausschließlich einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Sie stütze ihr Klagebegehren in zweiter Instanz auf übergegangene Ansprüche der R. , während sie in erster Instanz Ansprüche von V. verfolgt habe.
Die Berufung sei auch nicht deshalb zulässig, weil die Klägerin eine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO durch das LG gerügt habe. Die Klägerin habe in der Berufungsbegründung im Rahmen ihrer Verfahrensrüge nicht dargelegt, welchen Vortrag sie infolge eines unterbliebenen Hinweises des LG unterlassen habe. Es liege zudem außerhalb des Schutzzwecks des § 139 ZPO, dass eine Partei nicht nur ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänze, sondern neue Sachbehauptungen in den Rechtsstreit einführe, die im bisherigen Vorbringen keine Grundlage hätten.
II. Die nach § 547 ZPO a. F. statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
a) Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, dass die Berufung nur zulässig ist, wenn der Berufungskläger mit ihr die Beseitigung einer im angefochtenen Urteil liegenden Beschwer verfolgt. Unzulässig ist das Rechtsmittel daher, wenn es den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt und bei einer erstinstanzlichen Klageabweisung die Richtigkeit der Entscheidung nicht in Zweifel zieht, sondern nur im Wege der Klageänderung einen bisher nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die bloße Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein. Vielmehr setzt ein derartiges Prozessziel eine zulässige Berufung voraus (st. Rspr.: vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2000 - I ZR 179/98, MDR 2001, 1009 = BGHReport 2001, 485 = WRP 2001, 699, 700 - Impfstoffe, m. w. N.).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Änderung des Sachvortrags der Klägerin in der Berufungsinstanz gegenüber ihrem Vorbringen erster Instanz eine Klageänderung (§§ 263, 523 ZPO a. F.), weil sie mit der Berufung eine Änderung des Streitgegenstands vorgenommen hat. Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag bestimmt, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem er die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2000 - I ZR 146/98, MDR 2001, 949 = BGHReport 2001, 607 = CR 2001, 678 = GRUR 2001, 755 [756 f.] = WRP 2001, 804 - Telefonkarte; Urt. v. 3.4.2003 - I ZR 1/01, MDR 2003, 1126 = BGHReport 2003, 903 = GRUR 2003, 716 f. = WRP 2003, 896 - Reinigungsarbeiten). Der Vortrag, der Frachtvertrag, auf den die CMR anwendbar sei und aus dem die Klägerin aus abgetretenem und übergegangenem Recht Ansprüche herleitet, sei zwischen V. und der Beklagten zu 1 geschlossen, bezieht sich auf einen anderen Lebenssachverhalt als ein Vertragsschluss zwischen R. und der Beklagten zu 1. Soweit mit der Berufung die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils mit der Begründung in Frage gestellt wird, das LG sei gemäß Art. 31 Abs. 1 S. 1 lit. b CMR zuständig, beruht dieser Berufungsangriff ausschließlich auf einer Änderung des Streitgegenstandes. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Berufung hieraus nicht gefolgert.
c) Die Klägerin hat die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung u. a. mit der Rüge aus § 139 ZPO a. F. angegriffen. Das Berufungsgericht hat diese Rüge mit der Begründung nicht ausreichen lassen, die Klägerin habe nicht dargelegt, was sie auf einen Hinweis des LG i. S. v. § 139 ZPO a. F. vorgetragen hätte. Im Zusammenhang mit der Verfahrensrüge fehle es an entsprechendem Sachvortrag. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihren Sachvortrag auf einen gerichtlichen Hinweis erster Instanz in einem Umfang geändert hätte, wie dies in der Berufungsinstanz geschehen sei. Zudem liege die Änderung des Sachvortrags, die keine Ergänzung ungenügender Angaben, sondern eine Änderung des Klagegrundes darstelle, außerhalb des Schutzzwecks des § 139 ZPO a. F. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Das Berufungsgericht ist allerdings mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin neben der Verletzung der Aufklärungspflicht durch das erstinstanzliche Gericht in der Berufungsbegründung darlegen muss, welchen Vortrag sie in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.1987 - VIII ZR 374/86, GmbHR 1988, 139 = MDR 1988, 490 = NJW-RR 1988, 477 [478]).
bb) Die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Verfahrensrüge nach § 139 ZPO a. F. sind jedoch im Streitfall gegeben.
Die Revision macht mit Recht geltend, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Begründungspflicht der Verfahrensrüge nach § 139 ZPO a. F. überspannt. Das LG hatte den Vortrag der Klägerin zum Zustandekommen des Beförderungsvertrags unter Verletzung des § 139 Abs. 2 ZPO a. F. als unsubstanziiert angesehen. In der Berufungsbegründung hat die Klägerin ausgeführt, dass der Beförderungsvertrag, aus dem sie aus abgetretenem und übergegangenem Recht Ansprüche ableitet, nicht zwischen der Beklagten zu 1 und V. , sondern R. zu Stande gekommen ist. Damit hat die Klägerin nach dem insgesamt zu würdigenden Inhalt der Berufungsbegründung deutlich zu erkennen gegeben, dass sie im Falle eines Hinweises des LG ihren Vortrag, wie im Berufungsverfahren geschehen, substanziiert hätte. Einer ausdrücklichen Anführung dieses Sachverhalts im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verfahrensrüge innerhalb der Berufungsbegründung bedarf es entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht. Vielmehr reicht es aus, dass - wie im Streitfall - auf Grund einer Auslegung des Parteivorbringens ohne jeden Zweifel ersichtlich ist, was auf Grund eines gerichtlichen Hinweises vorgetragen worden wäre.
Der Berücksichtigung der auf einer Verletzung des § 139 ZPO a. F. gestützten Verfahrensrüge steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht der Schutzzweck dieser Vorschrift entgegen. Das Gericht darf eine Partei nicht auf neue, in ihrem Sachvortrag noch nicht andeutungsweise enthaltene Klagegründe hinweisen. Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Die Klägerin hat in beiden Instanzen ihre Ansprüche auf die Regulierung des Schadens auf Grund des Unfalls v. 23.3.1995 in Schottland als Transportversicherer von V. gestützt. Gegenüber dem Sachvortrag erster Instanz hat sich nur der Umstand geändert, dass der Beförderungsvertrag nach Behauptung der Klägerin nicht zwischen der Beklagten zu 1 und V. sondern R. , einer mit V. verbundenen und in den Versicherungsvertrag mit der Klägerin einbezogenen Gesellschaft, zu Stande gekommen ist.
2. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Die Sache ist daher nicht an das Berufungsgericht, sondern an das LG zurückzuverweisen. Bei zutreffender Entscheidung hätte das Berufungsgericht die Sache an das LG gem. § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. verweisen müssen. Zwar hätte das Berufungsgericht nach § 540 ZPO a. F. ausnahmsweise von einer Zurückverweisung absehen und selbst entscheiden können. Dadurch wäre aber erstmals in der Berufungsinstanz eine Prüfung des Klageanspruchs in der Sache erfolgt, was im Streitfall nicht sachdienlich ist. Das Revisionsgericht hat in einem solchen Fall die an sich gebotene, jedoch bislang unterbliebene Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht an die erste Instanz nachzuholen (vgl. hierzu BGH BGHZ 16, 71 [82]; Urt. v. 12.1.1994 - XII ZR 167/92, MDR 1994, 613 = NJW-RR 1994, 379 [380]). Das LG Wuppertal ist für die Entscheidung nach Art. 31 Abs. 1 S. 1 lit. b CMR, Art. 1a des Gesetzes zur CMR v. 5.7.1989 (BGBl. II, 586) international und örtlich zuständig. Nach dem schlüssigen Vortrag der Klägerin, auf den es für die Beurteilung der Zuständigkeit vorliegend ankommt (vgl. BGH v. 25.11.1993 - IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 [240 f.] = MDR 1994, 1240), unterliegt die Beförderung nach Art. 1 CMR diesem Übereinkommen. Der Ort der Übernahme liegt in Deutschland und der vorgesehene Ort der Ablieferung der Maschinenanlage in der Republik Irland. Die Beförderung sollte mittels Kraftfahrzeugen erfolgen. Der Ort der Übernahme i. S. v. Art. 31 Abs. 1 Satz 1 lit. b CMR ist Wuppertal.
Die internationale und örtliche Zuständigkeit nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 lit. b CMR ist nicht nur für die Klage gegen die Beklagte zu 1 begründet, mit der R. den Beförderungsvertrag abgeschlossen haben soll, sondern auch für die Klage gegen die Beklagte zu 2. Die Zuständigkeitsbestimmung des Art. 31 Abs. 1 CMR gilt auch dann, wenn außervertragliche Ansprüche gegen einen Unterfrachtführer geltend gemacht werden, sofern die Streitigkeit aus einer der CMR unterliegenden Beförderung entstanden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 31.5.2001 - I ZR 85/00, MDR 2002, 283 = BGHReport 2001, 983 = NJW-RR 2002, 31 [32]).
III. Bei der Kostenentscheidung wird das LG zu berücksichtigen haben, dass die Klägerin nur auf Grund eines in der Berufungsinstanz erfolgten neuen Vorbringens obsiegt hat, das sie bereits in der ersten Instanz geltend zu machen im Stande war (§ 97 Abs. 2 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 1090803 |
BGHR 2004, 333 |
BauR 2004, 389 |
EBE/BGH 2004, 20 |
NJW-RR 2004, 495 |
MDR 2004, 408 |
IVH 2004, 84 |
KammerForum 2004, 70 |
ProzRB 2004, 149 |
TranspR 2004, 166 |