Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtteilsentziehung
Leitsatz (amtlich)
Einer schon zu Lebzeiten des Erblassers gegen ihn erhobenen Klage des Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung, dass die in einer letztwilligen Verfügung des Erblassers unter Bezug auf bestimmte Vorfälle angeordnete Entziehung des Pflichtteils unwirksam sei, fehlt das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung nicht (Weiterführung von BGH v. 6.12.1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306 [309] = MDR 1990, 420).
Leitsatz (redaktionell)
Einer schon zu Lebzeiten des Erblassers gegen ihn erhobenen Klage des Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung, dass die in einer letztwilligen Verfügung des Erblassers unter Bezug auf bestimmte Vorfälle angeordnete Entziehung des Pflichtteils unwirksam sei, fehlt das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung nicht.
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 2333 ff.; ZPO § 256; BGB § 2337
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 16.04.2003) |
LG Traunstein |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG München v. 16.4.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, Sohn des Beklagten, begehrt die Feststellung, dass sein Vater nicht berechtigt sei, wegen der in dessen notariellen Testamenten im Einzelnen, nach Ansicht des Klägers aber unzutreffend dargestellten Sachverhalte dem Kläger den Pflichtteil zu entziehen. Beide Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger zu Lebzeiten des Beklagten ein rechtlich geschütztes Interesse an der beantragten Feststellung fehle.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach Ansicht der Vorinstanzen kann die Frage, ob Grund zur Entziehung des Pflichtteils besteht, zwar vom (zukünftigen) Erblasser, grundsätzlich aber nicht auch vom Pflichtteilsberechtigten zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das Berufungsgericht meint, der Pflichtteilsberechtigte habe vor dem Erbfall keine Möglichkeit, über sein Pflichtteilsrecht irgend welche rechtlich erheblichen Verfügungen zu treffen. Er habe auch keinen Einfluss darauf, ob beim Erbfall überhaupt eine Erbmasse vorhanden sei und ein Pflichtteilsanspruch durchgesetzt werden könne. Die Ungeduld naher Angehöriger im Hinblick auf Feststellungen, die für sie erst nach dem Erbfall fühlbare rechtliche Folgen haben könnten, reiche nicht aus.
Der vorliegende Fall weise auch keine Besonderheiten auf, die ein Feststellungsinteresse ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Dass die Parteien zerstritten seien, sei in Fällen dieser Art nichts Besonderes. Auch wenn der Kläger den Erblasser überlebe und möglicherweise wegen Grundstücksübertragungen des Beklagten Auskunfts- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine Schwester geltend machen müsse, genüge dies weder für sich genommen noch unter Berücksichtigung von Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs. Denn für das Bestehen eines Pflichtteilsentziehungsgrundes sei nicht der Kläger als Pflichtteilsberechtigter beweispflichtig, sondern gem. § 2336 Abs. 3 BGB derjenige, der die Entziehung geltend mache.
2. Dem folgt der Senat nicht.
a) In der Rechtsprechung des BGH anerkannt ist zunächst, dass das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge, des Ehegatten und der Eltern eines Erblassers (als Quelle, aus der mit dem Erbfall ein Pflichtteilsanspruch entstehen kann,) ein Rechtsverhältnis ist, das schon zu Lebzeiten des Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und gerichtlich festgestellt werden kann. Aus diesem Rechtsverhältnis erwächst unter den in §§ 2333 ff. BGB angeführten Voraussetzungen die Befugnis des Erblassers, den Pflichtteil zu entziehen. Dieses in § 2337 S. 1 BGB ausdrücklich als Recht zur Entziehung des Pflichtteils bezeichnete Recht ist ein gegenwärtiges und nicht etwa ein vom Tod des Erblassers abhängiges zukünftiges Recht. Mit der Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO) kann nicht nur die Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses im Ganzen, sondern auch die Feststellung Einzelner, aus dem umfassenden Rechtsverhältnis hervorgehender Berechtigungen verlangt werden wie des Rechts, den Pflichtteil zu entziehen. Nichts anderes gilt für eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts, wie sie hier vorliegt (vgl. BGH BGHZ 28, 177 [178]; Urt. v. 1.3.1974 - IV ZR 58/72, NJW 1974, 1085 unter 1; v. 6.12.1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306 [308 f.] = MDR 1990, 420; Urt. v. 20.1.1993 - IV ZR 139/91, NJW-RR 1993, 391 unter 4).
b) Für die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage ist nach § 256 Abs. 1 ZPO weiterhin ein rechtliches Interesse des Klägers an alsbaldiger Feststellung erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.1989 - IVa ZR 208/87, MDR 1990, 421 = NJW-RR 1990, 130 f.). Für die positive Feststellungsklage eines Testators gegen einen Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung eines Rechts zur Entziehung des Pflichtteils hat der Senat ein solches Feststellungsinteresse bejaht, weil die Klärung der Grenzen der Testierfreiheit im Allgemeinen keinen größeren Aufschub vertrage (BGH, Urt. v. 1.3.1974 - IV ZR 58/72, NJW 1974, 1085 unter 1; v. 6.12.1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306 [309] = MDR 1990, 420). Für die Klage eines Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts hat der Senat das Bestehen eines Interesses an alsbaldiger Feststellung dagegen grundsätzlich offen gelassen, weil dem Interesse ungeduldiger Angehöriger an der Feststellung einer Rechtsstellung, die erst nach dem Erbfall für sie fühlbare rechtliche Folgen habe, nicht das gleiche Gewicht zukomme wie dem Interesse des Erblassers an der Klärung der Grenzen seiner Testierfreiheit. Wenn aber in demselben Verfahren das Bestehen eines von dem vorverstorbenen Elternteil entzogenen Pflichtteilsrechts zu klären sei, rechtfertige der Gesichtspunkt der Prozessökonomie auch die ggü. dem am Verfahren beteiligten überlebenden Elternteil und zukünftigen Erblasser beantragte Feststellung, dass derselbe tatsächliche Vorgang kein Recht zur Pflichtteilsentziehung begründet habe (BGH v. 6.12.1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306 [309 f.] = MDR 1990, 420; kritisch dazu Leipold, JZ 1990, 700).
c) Das Fortbestehen eines Pflichtteilsrechts trotz einer Entziehung des Erblassers ist für den Pflichtteilsberechtigten jedoch nicht nur für die Zeit nach dem Erbfall von Bedeutung: Der Pflichtteilsberechtigte kann schon vor dem Erbfall einen Vertrag mit anderen gesetzlichen Erben über seinen Pflichtteil abschließen (§ 311b Abs. 5 BGB). Er kann ferner durch Vertrag mit dem Erblasser, der meist zu Gegenleistungen bereit ist, auf sein Pflichtteilsrecht verzichten (§ 2346 Abs. 2 BGB). Dies gilt, obwohl vor Eintritt des Erbfalles nicht ausgeschlossen werden kann, dass etwa wegen Überschuldung des Nachlasses kein Pflichtteilsanspruch entsteht. Auch wenn die Feststellungsklage im Einzelfall nicht der Vorbereitung einer derartigen Verfügung über das Pflichtteilsrecht dient, besteht ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung, dass dieses Recht nicht durch letztwillige Verfügung des Erblassers wirksam entzogen sei. Erst nach einer solchen Feststellung hat der Pflichtteilsberechtigte wieder konkrete Chancen, seine schon vor dem Erbfall bestehenden Verfügungsmöglichkeiten zu nutzen. Für das Interesse des Pflichtteilsberechtigten kann hier nichts anderes gelten als sonst bei einer gegenwärtigen Gefahr oder Ungewissheit für die Rechtsposition eines Klägers, etwa durch deren Verletzung oder auch nur deren ernstliches Bestreiten (BGH, Urt. v. 7.2.1986 - V ZR 201/84, MDR 1986, 743 = NJW 1986, 2507 unter II 1; Urt. v. 10.10.1991 - IX ZR 38/91, MDR 1992, 297 = NJW 1992, 436 unter 1; Urt. v. 22.3.1995 - XII ZR 20/94, MDR 1995, 716 = NJW 1995, 2032 unter 3a). Darauf weist die Revision mit Recht hin. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte das Entziehungsrecht bereits in seinen notariellen Testamenten ausgeübt. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage kann das Feststellungsinteresse des Pflichtteilsberechtigten nicht zweifelhaft sein.
d) Demgegenüber überzeugt das Argument nicht, der Erblasser müsse zu seinen Lebzeiten vor einer Auseinandersetzung über seinen Nachlass geschützt werden (so etwa Herzog in AnwK/BGB, § 2333 Rz. 27). Das mag wünschenswert und dem Pflichtteilsberechtigten etwa dann zu empfehlen sein, wenn zu hoffen ist, dass der Erblasser die Vorfälle, die er zum Anlass einer Pflichtteilsentziehung genommen hat, nach Ablauf einer gewissen Zeit gelassener beurteilen wird. Andererseits greift der Erblasser durch die Pflichtteilsentziehung in eine schon zu seinen Lebzeiten bestehende Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten ein. Dessen Abwehr muss der Erblasser hinnehmen. Er ist zur Verteidigung seines Standpunkts auf Grund seiner Sachkenntnis oft besser in der Lage als der Erbe nach Eintritt des Erbfalles.
Dass der Pflichtteilsberechtigte nicht die Beweislast für das Vorliegen von Entziehungsgründen trägt (§ 2336 Abs. 3 BGB), ändert grundsätzlich nichts an der Gefahr, dass ihm günstige Gegenbeweismittel durch Zeitablauf verloren gehen oder entwertet werden können. Soweit die persönliche Glaubwürdigkeit von Zeugen eine Rolle spielt oder eine Parteivernehmung in Betracht kommt, können später verwertbare Feststellungen selbst in einem Beweissicherungsverfahren nicht getroffen werden. Hier hat sich der Kläger für seine Gegendarstellung der Vorgänge, die der Pflichtteilsentziehung zu Grunde liegen, u. a. auf das Zeugnis seiner Lebensgefährtin und seiner Schwester sowie auf eine Vernehmung des Beklagten als Partei bezogen. Die infolge des Zeitablaufs bis zum Erbfall möglicherweise drohenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen ebenfalls das Interesse an alsbaldiger Feststellung (BGH, Urt. v. 9.3.1961 - VII ZR 145/60, NJW 1961, 1165 unter II 1b cc).
e) Danach ist das rechtliche Interesse auch des Pflichtteilsberechtigten an einer alsbaldigen negativen Feststellung noch zu Lebzeiten des Erblassers, dass ein Recht zur Pflichtteilsentziehung nicht bestehe, in aller Regel zu bejahen (so auch OLG Saarbrücken v. 10.7.1985 - 7 W 23/85, NJW 1986, 1182; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., § 37 III 1b S. 871 f.; Leipold in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 1922 Rz. 80; Frank in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 2333 Rz. 2a; Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2336 Rz. 1; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 256 Rz. 11; Schneider, ZEV 1996, 56 [57]; a. A. Staudinger/Olshausen, BGB [1998], vor § 2333 Rz. 19; Soergel/Dieckmann, BGB, 13. Aufl., vor § 2333 Rz. 4). Auch dem Kläger des vorliegenden Verfahrens kommt ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung zu.
Fundstellen
Haufe-Index 1150565 |
BGHZ 2005, 226 |
NJW 2004, 1874 |
BGHR 2004, 943 |
FamRZ 2004, 944 |
JurBüro 2004, 564 |
WM 2005, 384 |
ZAP 2004, 593 |
ZEV 2004, 243 |
ErbBstg 2004, 187 |
JA 2004, 701 |
JuS 2004, 724 |
Rpfleger 2004, 489 |
NJW-Spezial 2004, 62 |
NotBZ 2004, 236 |
ZErb 2004, 260 |
ZNotP 2004, 364 |
AuUR 2005, 52 |