Leitsatz (amtlich)
Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig und der Geschädigte kann vom Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen (Bestätigung des Senatsurteils BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375 = MDR 1992, 132).
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 21.11.2006; Aktenzeichen 9 S 108/06) |
AG Bochum (Entscheidung vom 24.05.2006; Aktenzeichen 70 C 308/05) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bochum vom 21.11.2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15.3.2005, bei dem der Beklagte zu 1) mit einem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug auf das bereits verkehrsbedingt zum Stillstand gekommene Kraftfahrzeug des Klägers aufgefahren ist. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig, sie streiten im Revisionsverfahren nur noch über die Höhe des dem Kläger durch den Unfall entstandenen Fahrzeugschadens.
[2] Der vom Kläger nach dem Unfall mit der Begutachtung des Kraftfahrzeugschadens beauftragte Sachverständige ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten i.H.v. 11.488,93 EUR brutto, einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges von 4.700 EUR brutto sowie einen Restwert von 500 EUR.
[3] Der Kläger ließ das Fahrzeug bei der Firma W. zum Preis von 6.109,80 EUR - also innerhalb der 130 %-Grenze des Wiederbeschaffungswertes von 6.110 EUR - reparieren. Die Beklagte zu 2) zahlte vorgerichtlich an den Kläger lediglich den Wiederbeschaffungswert von 4.700 EUR, allerdings ohne Abzug des Restwertes. Mit seiner Klage macht der Kläger die Differenz von 1.409,80 EUR zwischen den angefallenen Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungswert nebst Zinsen geltend. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das LG zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus, der Kläger könne bei den Reparaturkosten den sog. Integritätszuschlag von 30 % über dem Wiederbeschaffungswert nicht verlangen, weil die tatsächlich vorgenommene Reparatur nicht zu einer fachgerechten und vollständigen Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes geführt habe.
II.
[5] Diese Beurteilung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
[6] 1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lagen die voraussichtlichen Reparaturkosten nach der Schadensschätzung des vom Kläger beauftragten Sachverständigen ca. 245 % über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs. Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig. In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen (vgl. BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375 = MDR 1992, 132). Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (Senat, a.a.O.).
[7] 2. Es kann im Streitfall offen bleiben, ob der Geschädigte gleichwohl Ersatz von Reparaturkosten verlangen kann, wenn es ihm tatsächlich gelingt, entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für erforderlich gehaltene Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze durchzuführen, denn nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann Ersatz von Reparaturaufwand bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nur verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt worden sind, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. BGH BGHZ 162, 161; 154, 395). Dies ist jedoch dem Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht gelungen.
[8] a) Setzt der Geschädigte nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug nicht vollständig und fachgerecht in Stand, ist regelmäßig die Erstattung von Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt. Im Hinblick auf den Wert der Sache wäre eine solche Art der Wiederherstellung im Allgemeinen unvernünftig und kann dem Geschädigten nur ausnahmsweise im Hinblick darauf zugebilligt werden, dass der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeuges auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird (BGH BGHZ 162, 161, 168; v. 20.6.1972 - VI ZR 61/71, VersR 1972, 1024 f.; v. 5.3.1985 - VI ZR 204/83, MDR 1985, 748 = VersR 1985, 593, 594). Stellt der Geschädigte lediglich die Fahrbereitschaft, nicht aber den früheren Zustand des Fahrzeuges wieder her, so beweist er dadurch zwar ein Interesse an der Mobilität durch sein Fahrzeug, das jedoch in vergleichbarer Weise auch durch eine Ersatzbeschaffung befriedigt werden könnte. Der für die Zubilligung der "Integritätsspitze" von 30 % ausschlaggebende weitere Gesichtspunkt, dass der Geschädigte besonderen Wert auf das ihm vertraute Fahrzeug legt, verliert bei einer unvollständigen und nicht fachgerechten Reparatur eines total beschädigten Fahrzeuges in entscheidendem Maß an Bedeutung. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, ist deshalb mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und Bereicherungsverbot nur zu vereinbaren, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wieder herstellt. Nur zu diesem Zweck wird die "Opfergrenze" des Schädigers erhöht. Andernfalls wäre ein solcher erhöhter Schadensausgleich verfehlt. Er hätte eine ungerechtfertigte Aufblähung der Ersatzleistung zur Folge und führte zu einer vom Zweck des Schadensausgleichs nicht gebotenen Belastung des Schädigers. Deshalb kann Ersatz von Reparaturkosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges nur dann verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat.
[9] b) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Kraftfahrzeug des Klägers durch die bei der Firma W. vorgenommene Reparatur nicht vollständig in einen Zustand wie vor dem Unfall versetzt worden. Vielmehr sind in Teilbereichen nicht unerhebliche Beanstandungen und Reparaturdefizite verblieben, die einer vollständigen und insoweit fachgerechten Instandsetzung und insb. einer Wiederherstellung eines mit dem unbeschädigten Fahrzeug vergleichbaren Zustandes entgegenstehen. Der Sachverständige - so das Berufungsgericht - habe insb. am Rahmenlängsträger hinten rechts, im Bereich des Kühlers, wo überhaupt kein Austausch stattgefunden habe, am vorderen Querträger sowie im Heckbereich insgesamt Restmängel in Form von Stauchungen und verbliebenen Verformungen festgestellt, die zumindest einer vollständigen Instandsetzung entgegenstünden.
[10] c) Entgegen der Auffassung der Revision kommt es insoweit nicht darauf an, ob die verbliebenen Defizite den Geschädigten selbst überhaupt nicht stören und von diesem nicht beanstandet werden, denn im Rahmen der Vergleichsbetrachtung kommt es allein auf den erforderlichen, d.h. nach objektiven Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer nachzuprüfenden Reparaturaufwand an und nicht darauf, was der Geschädigte für erforderlich hält (vgl. BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375, 381 = MDR 1992, 132).
[11] 3. Der Kläger kann sich unter den Umständen des vorliegenden Falles auch nicht - wie die Revision meint - auf das sog. Prognoserisiko berufen. Zwar geht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein vom Geschädigten nicht verschuldetes Werkstatt- oder Prognoserisiko, wenn er den Weg der Schadensbehebung mit dem vermeintlich geringeren Aufwand wählt, zu Lasten des Schädigers (vgl. BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 370 = MDR 1992, 131). Dies gilt jedoch nicht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der vom Kläger mit der Schadensschätzung beauftragte Sachverständige zu Reparaturkosten von ca. 245 % über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges gelangt, die eine Reparatur wirtschaftlich unvernünftig machen. Lässt der Geschädigte unter diesen Umständen sein Fahrzeug gleichwohl auf einem "alternativen Reparaturweg" reparieren, und gelingt es ihm dabei nicht, das Fahrzeug zu Kosten innerhalb der 130 %-Grenze vollständig und fachgerecht in einen Zustand wie vor dem Unfall zurückzuversetzen, kann er sich jedenfalls nicht zur Begründung seiner Reparaturkostenforderung auf ein unverschuldetes Werkstatt- oder Prognoserisiko berufen.
III.
[12] Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
NJW 2007, 2917 |
BGHR 2007, 1017 |
EBE/BGH 2007, 276 |
JurBüro 2007, 669 |
MDR 2007, 1367 |
NZV 2007, 564 |
VersR 2007, 1244 |
ZfS 2007, 686 |
NJW-Spezial 2007, 401 |
VRA 2007, 175 |
VRR 2007, 322 |
VRR 2007, 423 |
r+s 2007, 433 |
ACE-VERKEHRSJURIST 2007, 21 |
DS 2007, 347 |