Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderverbindung der Wohnungseigentümer. Treue- und Rücksichtsnahmepflicht. Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
a) Zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft besteht eine schuldrechtliche Sonderverbindung, aus der Treue- und Rücksichtnahmepflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB entspringen können.
b) Ein geschädigter Miteigentümer ist verpflichtet, nicht den schädigenden Miteigentümer auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn der geltend gemachte Schaden Bestandteil des versicherten Interesses ist, der Gebäudeversicherer nicht Regress nehmen könnte und nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Schädigers durch den Geschädigten rechtfertigen.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2; WEG §§ 10, 46 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des OLG München vom 2.2.2006 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die für das Anwesen einen Gebäudeversicherungsvertrag bei der D. AG (im Folgenden Gebäudeversicherer) abgeschlossen hat. Am 13.4.2002 lief aus der Waschmaschine der haftpflichtversicherten Beklagten Wasser aus und drang in die Wohnung der Klägerin ein. Trocknungsmaßnahmen wurden erst am 17.5.2002 ergriffen. Der Gebäudeversicherer glich die Kosten für die Trocknungsgeräte aus und genehmigte den Kostenvoranschlag für Malerarbeiten. Die Klägerin behauptet, die Trocknungsmaßnahmen hätten den eingetretenen Schaden nicht vollständig beseitigt. Infolge der Durchfeuchtungen sei es zu Schimmelbefall gekommen, der ein Verbleiben in der Wohnung unzumutbar gemacht habe. Gegenstand der Klage sind Kosten der Wohnungssanierung sowie Aufwendungen, die die Klägerin für die vorgerichtliche Schadensfeststellung und für ihre anderweitige Unterkunft aufgebracht hat.
[2] Das LG hat die auf Zahlung von 61.186,87 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
[3] Das Berufungsgericht ist der Auffassung, aus der Verbundenheit der Parteien als Wohnungseigentümer und der damit einhergehenden Treuepflicht folge, dass sich die Klägerin allein an den gemeinsamen Gebäudeversicherer halten könne. Da dieser eintrittspflichtig und ein Regress gegen die Beklagte wegen des Vorliegens nur leichter Fahrlässigkeit ausgeschlossen sei, bestehe kein vernünftiges Interesse daran, den schädigenden Wohnungseigentümer in Anspruch zu nehmen, der ebenso wie der geschädigte Wohnungseigentümer über das Hausgeld und der damit verbunden Zahlung der Versicherungsprämie zur Deckung des Schadens beigetragen habe. Der Umstand, dass die Beklagte haftpflichtversichert sei, könne kein besonderes Interesse der Klägerin an einer Inanspruchnahme der Beklagten begründen.
II.
[4] Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
[5] 1. Die Frage, ob der Streit der Parteien gem. §§ 46 Abs. 1, 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hätte ausgetragen werden müssen, ist im Revisionsrechtszug entsprechend § 17a Abs. 5 GVG (dazu BGH, Urt. v. 30.6.1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 162 f. = MDR 1996, 139) nicht mehr zu prüfen. Das LG hat die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit konkludent durch seine Sachentscheidung bejaht. Da eine Vorabentscheidung entsprechend § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG mangels Zuständigkeitsrüge nicht geboten war, entfaltet diese Entscheidung Bindungswirkung (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.1992 - V ZR 230/91, BGHZ 120, 204, 206 f. = MDR 1993, 140; Urt. v. 19.11.1993 - V ZR 269/92, MDR 1994, 199 = NJW 1994, 387, und zum Ganzen Staudinger/Wenzel [2005], WEG, § 46 Rz. 4, 6 u. 19).
[6] 2. In der Sache ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es der Klägerin im Hinblick auf die bestehende Gebäudeversicherung nach § 242 BGB verwehrt ist, die Beklagte in Anspruch zu nehmen.
[7] a) Der BGH hat bereits entschieden, dass ein geschädigter Vermieter verpflichtet ist, nicht den schädigenden Mieter auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn ein Versicherungsfall vorliegt, ein Regress des Gebäudeversicherers gegen den Mieter ausgeschlossen ist und der Vermieter nicht ausnahmsweise ein besonderes Interesse an einem Schadensausgleich durch den Mieter hat. Verletzt der Vermieter diese Pflicht, steht dem Mieter ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) zu, den er dem Anspruch des Geschädigten nach § 242 BGB entgegen halten kann (BGH, Urt. v. 3.11.2004 - VIII ZR 28/04, BGHReport 2005, 352 m. Anm. Jendrek = MDR 2005, 386 (LS) = NZM 2005, 100, 101; Armbrüster, NVersZ 2001, 193, 196; Prölss, ZMR 2001, 157, 159). Für das Verhältnis der Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft untereinander kann nichts anderes gelten.
[8] aa) Der dagegen von der Revision erhobene Einwand, ebenso wie bei dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis fehle es zwischen Wohnungseigentümern an dem für einen Anspruch aus positiver Forderungsverletzung erforderlichen "Näheverhältnis", greift nicht durch. Anders als unter Grundstücksnachbarn besteht zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft eine schuldrechtliche Sonderverbindung. Haben die Wohnungseigentümer eine Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WEG getroffen, sind sie rechtsgeschäftlich (vgl. Staudinger/Kreuzer [2005], § 10 WEG Rz. 7) und im Übrigen durch das unter allen Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche Schuldverhältnis verbunden (BGH, Beschl. v. 22.4.1999 - V ZB 28/98, BGHZ 141, 224, 228 = MDR 1999, 924; Beschl. v. 22.4.1999 - V ZB 28/98, MDR 1999, 924 = NJW 1999, 2108, 2109; BGH, Urt. v. 17.4.2002 - IV ZR 226/00, BGHReport 2002, 877 = MDR 2002, 1012 = NZM 2002, 663, 664). Dass auch aus Letzterem Treue- und Rücksichtnahmepflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB folgen können, ist anerkannt (vgl. nur BGHZ a.a.O.; BayObLG, Beschl. v. 2.8.2001 - 2Z BR 144/00, NJW 2002, 71, 72; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 10 Rz. 27; Staudinger/Looschelders/Olzen [2005], § 242 BGB Rz. 906 m.w.N.). Folgerichtig hat ein Wohnungseigentümer im Rahmen dieser Sonderverbindung für das Verschulden von Hilfspersonen nach § 278 BGB einzustehen (BGH, Beschl. v. 22.4.1999 - V ZB 28/98, BGHZ 141, 224, 229 = MDR 1999, 924), während das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis für die Anwendung dieser Zurechnungsnorm keine ausreichende Grundlage bildet (Senat, Urt. v. 27.1.2006 - V ZR 26/05, BGHReport 2006, 637 = MDR 2006, 869 = VersR 2006, 985, 986 m.w.N.). Ob und inwieweit aus dem zwischen Wohnungseigentümern bestehenden Schuldverhältnis - über § 14 WEG hinaus - Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme herzuleiten sind, kann allerdings nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Interessenlage der Wohnungseigentümer bestimmt werden.
[9] bb) Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass Gebäudeversicherungen von Wohnungseigentümergemeinschaften in der berechtigten Erwartung abgeschlossen werden, dass ihren Mitgliedern die versicherten Risiken abgenommen und ihnen unerquickliche und ein gedeihliches Miteinander beeinträchtigende Auseinandersetzungen untereinander erspart bleiben, wenn der geltend gemachte Schaden Bestandteil des versicherten Interesses ist, der den Schaden ausgleichende Gebäudeversicherer nicht Regress nehmen kann gegen den Schädiger und nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Schädigers durch den Geschädigten rechtfertigen (vgl. auch BGH, Urt. v. 3.11.2004 - VIII ZR 28/04, BGHReport 2005, 352 m. Anm. Jendrek = MDR 2005, 386 (LS) = NZM 2005, 100, 101).
[10] (1) Das mit dem Abschluss der Gebäudeversicherung verfolgte Anliegen, den mitversicherten Wohnungseigentümer wegen eines der Gebäudeversicherung unterfallenden Interesses grundsätzlich nicht zu behelligen, kann nur erreicht werden, wenn sich der geschädigte Wohnungseigentümer an den Gebäudeversicherer hält. Nimmt er dagegen den Schädiger in Anspruch, wird dieser in seiner berechtigten Erwartung enttäuscht, als Gegenleistung für die auch von ihm anteilig über das Hausgeld gezahlte Versicherungsprämie im Schadensfall einen Nutzen von der Gebäudeversicherung zu haben. Stellt man in Rechnung, dass der Geschädigte im Regelfall kein vernünftiges Interesse daran hat, sich an den Schädiger zu halten, folgt aus dieser Interessenlage die Verpflichtung des geschädigten Wohnungseigentümers, sich bei Vorliegen eines Versicherungsfalls grundsätzlich nicht an andere Miteigentümer zu halten. Nimmt der Geschädigte gleichwohl den Schädiger in Anspruch, steht diesem ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) zur Seite, den er der Klageforderung nach § 242 BGB entgegen halten kann (vgl. BGH, Urt. v. 3.11.2004 - VIII ZR 28/04, BGHReport 2005, 352 m. Anm. Jendrek = MDR 2005, 386 (LS) = NZM 2005, 100, 101).
[11] (2) Entgegen der Auffassung der Revision ist es für die Annahme einer solchen Verpflichtung zur Rücksichtnahme unerheblich, auf welche Anspruchsgrundlage der Geschädigte seine Forderung stützt. Ausschlaggebend ist, dass durch eine Inanspruchnahme das Miteinander der Wohnungseigentümer ernsthaft beeinträchtigt wird. Daran ändert auch das Bestehen einer deckungspflichtigen Haftpflichtversicherung nichts. Da der schädigende Miteigentümer gehalten ist, seiner Obliegenheit zur Unterstützung des Haftpflichtversicherers nachzukommen (vgl. BGH, Urt. v. 13.9.2006 - IV ZR 273/05, BGHReport 2006, 1521, Rz. 16 f., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt), müssen die Miteigentümer auch in diesem Fall gegenteilige Positionen einnehmen. Das Bestreben der Miteigentümer, Konflikte unter den Wohnungseigentümern so weit wie möglich zu vermeiden, wird damit bei einer Inanspruchnahme des schädigenden Miteigentümers unabhängig von dem Bestehen einer Haftpflichtversicherung konterkariert.
[12] b) Das Berufungsgericht hat zu Recht die Voraussetzungen einer schuldhaften (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) Verletzung der die Klägerin treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme bejaht.
[13] aa) Insbesondere ist es zutreffend davon ausgegangen, dass Schäden der geltend gemachten Art von dem mit der Wohnungseigentümergemeinschaft abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag gedeckt sind. Die Darlegungs- und Beweislast hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Zwar hat es ausgeführt, es sei nicht substantiiert vorgetragen worden, dass der Gebäudeversicherer für die behaupteten Schäden nicht eintrittspflichtig sei. Jedoch darf diese Erwägung bei verständiger Würdigung des Prozessverlaufs nicht dahin missverstanden werden, das Berufungsgericht habe der Klägerin insoweit - was unzutreffend wäre - die Darlegungslast für den von der Beklagten geltend gemachten Gegenanspruch aus positiver Forderungsverletzung aufgebürdet. Denn die Beklagte hat in beiden Instanzen dargelegt, dass die behaupteten Schäden von dem mit der Wohnungseigentümergemeinschaft abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag erfasst werden. Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 7.11.2005 nach § 139 ZPO darauf hingewiesen, es sei bislang kein Vorbringen ersichtlich, das der Annahme entgegen stehen könnte, die in Rede stehenden Schäden unterfielen nicht dem Versicherungsschutz. Wenn die Klägerin dem nichts entgegen gesetzt hat, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten zum Umfang des Deckungsschutzes zugrunde gelegt hat.
[14] bb) Ein Rückgriff des Versicherers gegen den schädigenden Wohnungseigentümer scheidet aus. Das Berufungsgericht hat den mit der Wohnungseigentümergemeinschaft geschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag der Sache nach dahin ausgelegt, dass auch das Sachersatzinteresse der einzelnen Miteigentümer an dem Gemeinschafts- und an dem Sondereigentum der anderen Wohnungseigentümer mitversichert ist. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte, die den Schaden ohnehin nur leicht fahrlässig herbeigeführt hat, schon nicht als Dritte i.S.v. § 67 Abs. 1 VVG zu qualifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 18.3.2001 - IV ZR 163/99, NZM 2001, 624, 625; zum Regressverzicht des Gebäudeversicherers bei Vorliegen nur leichter Fahrlässigkeit vgl. BGH, Urteile v. 13.9.2006 - IV ZR 116/05, BGHReport 2006, 1525 und IV ZR 378/02, Rz. 11 ff. bzw. Rz. 14 f., jeweils m.w.N.; beide zur Veröffentlichung bestimmt). Diese - naheliegende - Auslegung lässt Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. auch BGH, Urt. v. 18.3.2001, a.a.O.). Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass die Beklagte haftpflichtversichert ist, auch in diesem Zusammenhang keine andere Beurteilung (BGH v. 8.11.2000 - IV ZR 298/99, BGHZ 145, 393, 399 = BGHReport 2001, 66 = MDR 2001, 272; ausführlich BGH, Urt. v. 13.9.2006 - IV ZR 273/05, BGHReport 2006, 1521, Rz. 9 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
[15] cc) Ein besonderes Interesse an einer Inanspruchnahme der Beklagten ist nicht ersichtlich. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, eine Klage gegen den Gebäudeversicherer sei mit einem hohen Prozessrisiko behaftet, weil der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag mittlerweile nach § 12 Abs. 1 VVG verjährt sein könnte, wird nicht bedacht, dass Prozessrisiken, die aus der Verletzung versicherungsvertraglicher Obliegenheiten resultieren, kein besonderes Interesse in dem obigen Sinne begründen können (vgl. BGH, Urt. v. 3.11.2004 - VIII ZR 28/04, BGHReport 2005, 352 m. Anm. Jendrek = MDR 2005, 386 (LS) = NZM 2005, 100, 101). Für die Einhaltung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG kann nichts anderes gelten.
III.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1643665 |
NJW 2007, 292 |
NWB 2007, 15 |
BGHR 2007, 138 |
BauR 2007, 442 |
DWW 2007, 164 |
EBE/BGH 2007, 3 |
NZM 2007, 88 |
WM 2007, 132 |
ZMR 2007, 464 |
MDR 2007, 390 |
VersR 2007, 411 |
WuM 2007, 33 |
ZWE 2007, 30 |
ZWE 2007, 32 |
ZWE 2007, 468 |
GuT 2006, 378 |
Info M 2007, 229 |
MietRB 2007, 100 |
RdW 2007, 189 |
ZNotP 2007, 95 |
BBB 2007, 52 |
IMR 2007, 15 |
MK 2007, 51 |