Leitsatz (amtlich)
Das Umpacken eines parallel importierten Arzneimittels in einen neuen Umkarton kann erforderlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Erschöpfung des Markenrechts sein, wenn das Aufstocken des Inhalts der Originalpackung von 60 auf 100 Tabletten mittels versetztem Einschieben der Blisterstreifen in den Originalkarton auf den Widerstand der Verbraucher stößt.
Normenkette
MarkenG § 24
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 11.05.2000) |
LG Hamburg |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 11. Mai 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein in Deutschland ansässiges Pharmaunternehmen, ist Lizenznehmerin der Marke Nr. 882 157 „BRICANYL”, eingetragen für „pharmazeutische Erzeugnisse”. Sie vertreibt das Arzneimittel „Bricanyl” zur Behandlung der Atemwege.
Die Beklagte zu 1 verbringt als Parallelimporteurin das aus den Niederlanden stammende Arzneimittel „Bricanyl” 2,5 mg, das dort in Packungen zu 60 Tabletten vertrieben wird, nach Deutschland und bringt es gemeinsam mit der Beklagten zu 2 in von ihnen neu hergestellten Umverpackungen zu 100 Tabletten, die sie mit der Bezeichnung „Bricanyl” versehen, in den Verkehr.
Die Klägerin hat geltend gemacht, in dem Umpacken des Arzneimittels „Bricanyl” unter Verwendung von neu erstellten Umverpackungen liege eine Markenrechtsverletzung. Die Verwendung solcher Packungen sei unnötig; die Originalverpackungen könnten überklebt, auf- oder abgestockt und/oder gebündelt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagten unter Androhung von näher bezeichneten Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
- das aus den Niederlanden importierte Arzneimittel „Bricanyl” 2,5 mg Tabletten in neu hergestellte eigene Umverpackungen der Packungsgröße 100 Tabletten umzupacken und in der Bundesrepublik Deutschland feilzuhalten und/oder in den Verkehr zu bringen.
Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Sie haben geltend gemacht, es sei die Erschöpfung des Markenrechts eingetreten. Die Verwendung der neu erstellten Umverpackungen sei erforderlich, um die Arzneimittel auf den Markt bringen zu können; das dürfe nicht im Hinblick auf das praktisch immer mögliche Bündeln, Überkleben, Auf- oder Abstocken verneint werden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat eine Markenverletzung angenommen, weil eine Erschöpfung des Markenrechts nicht eingetreten sei. Dazu hat es ausgeführt:
Das angegriffene Verhalten der Beklagten sei unbeschadet einer gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung des Markenrechts und der Schranken gemäß Art. 28, 30 EG eine Verletzung der Klagemarke im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
Eine Erschöpfung des Markenrechts sei nicht eingetreten, weil sich die Markeninhaberin der Benutzung ihrer Marke aus berechtigten Gründen widersetzen dürfe. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gehöre zu den notwendigen Voraussetzungen für den Eintritt der Erschöpfung, daß das Umpacken in eine neue äußere Verpackung erforderlich sei, um das Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat vertreiben zu können.
Das Umpacken in neu erstellte „Bricanyl”-Umverpackungen sei nicht erforderlich, weil überklebte Original-Umverpackungen mit aufgestocktem Inhalt verwendet werden könnten.
Derartig aufgestockte Packungen seien nicht „unordentlich”. Eine neu hergestellte Verpackung möge in gewisser Hinsicht ansprechender sein. Das erhebliche wirtschaftliche Interesse der Beklagten, sich mit einer derartigen Verpackung als Vertriebsunternehmen besser darstellen zu können, sei jedoch gegenüber den Interessen des Markeninhabers nicht vorrangig; es betreffe nicht den den Beklagten zu gewährleistenden freien Warenverkehr als solchen.
II. Die hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist es Dritten untersagt, ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr ein mit einer Marke identisches Zeichen für Waren zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke Schutz genießt. Diesen gesetzlichen Tatbestand verwirklichen die Beklagten dadurch, daß sie das importierte Arzneimittel „Bricanyl” nach der Vornahme bestimmter Veränderungen, insbesondere dem Umpacken in neu hergestellte, mit der Marke der Klägerin versehene äußere Umkartons, vertreiben (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 und 2 MarkenG).
Der markenrechtliche Schutz greift allerdings nicht durch, wenn das Markenrecht erschöpft ist (§ 24 Abs. 1 MarkenG). Die Voraussetzungen einer Erschöpfung hat das Berufungsgericht verneint. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Die Bestimmung des § 24 MarkenG beruht auf der entsprechenden Regelung in Art. 7 MarkenRL. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist deshalb zur Auslegung des § 24 MarkenG heranzuziehen. In der Entscheidung „Bristol-Myers Squibb” hat der Gerichtshof dem Parallelimporteur von Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen zugestanden, die Ware um- oder neu zu verpacken und anschließend in den Verkehr zu bringen (EuGH, Urt. v. 11.7.1996 – verb. Rs. C-427/93, C-429/93 und C-436/93, Slg. 1996, I-3457 Tz. 49, 53 ff. = GRUR Int. 1996, 1144; vgl. auch EuGH, Urt. v. 12.10.1999 – Rs. C-379/97, Slg. 1999, I-6927, 6964 Tz. 27, 28 = GRUR Int. 2000, 159 – Pharmacia & Upjohn). Danach ist der Eintritt der Erschöpfung des Rechts aus der Marke nur für solche bestimmten Waren (vgl. EuGH, Urt. v. 1.7.1999 – Rs. C-173/98, Slg. 1999, I-4103 Tz. 20 = GRUR Int. 1999, 870 – Docksides/Sebago) anzunehmen, die vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung „unter dieser Marke” in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind und bei denen kumulativ fünf Bedingungen gegeben sind: (1) Die Geltendmachung der Rechte aus der Marke dient nicht einer künstlichen Abschottung der Märkte. (2) Der Originalzustand des Arzneimittels, zum Beispiel in einem Blisterstreifen, wird von den Veränderungen, die der Importeur oder sein Lieferant vornimmt, nicht berührt, was auch mittelbar dadurch geschehen kann, daß ein neuer Beipackzettel lückenhaft ist oder unrichtige Angaben enthält. (3) Auf der Verpackung müssen sowohl das die Umverpackung vornehmende Unternehmen als auch der Hersteller genannt sein. (4) Das umgepackte Arzneimittel darf nicht so aufgemacht sein, daß der Ruf der Marke geschädigt wird. (5) Der Importeur muß den Markeninhaber vorab vom Feilhalten des umgepackten Arzneimittels unterrichten und ihm auf Verlangen ein Muster liefern. Das soll den Markeninhaber in die Lage versetzen nachzuprüfen, ob die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im übrigen aufgestellten Voraussetzungen einer Erschöpfung vorliegen oder nicht (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.2002 – I ZR 219/99, GRUR 2002, 1059, 1061 = WRP 2002, 1163 – Zantac/Zantic; Urt. v. 11.7.2002 – I ZR 35/00, GRUR 2002, 1063, 1065 = WRP 2002, 1273 – Aspirin, je m.w.N.).
2. Das Berufungsgericht hat eine künstliche Abschottung der Märkte durch die Klägerin verneint. Ob eine solche vorliegt, beurteilt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nach objektiven Kriterien und nicht danach, ob der Parallelimporteur eine darauf gerichtete Absicht des Markeninhabers nachweist (BGH GRUR 2002, 1059, 1061 – Zantac/Zantic; EuGH GRUR Int. 1996, 1144, 1149 Tz. 57 – Bristol-Myers Squibb; vgl. auch EuGH GRUR Int. 2000, 159, 162 f. Tz. 39, 41 – Pharmacia & Upjohn). Dabei ist darauf abzustellen, ob im Zeitpunkt des Vertriebs bestehende Umstände den Parallelimporteur objektiv dazu zwingen, eine neue äußere Umverpackung zu verwenden, um das betreffende Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr bringen zu können.
Entgegen der Meinung der Revision führt zwar der Umstand, daß die entsprechende Packungsgröße im Ausfuhrmitgliedstaat Niederlande nicht angeboten wird, nicht schon dazu, daß die Herstellung neuer äußerer Verpackungen für diese Größe jedenfalls als notwendig anzusehen wäre. Die Erforderlichkeit hängt vielmehr davon ab, ob und inwieweit die importierten Arzneimittel durch Maßnahmen in Deutschland vertriebsfähig gemacht werden können, die das Recht des Markeninhabers weniger beeinträchtigen (BGH GRUR 2002, 1059, 1061 – Zantac/Zantic; vgl. auch EuGH GRUR Int. 1996, 1144, 1148 Tz. 55 – Bristol-Myers Squibb; EuGH GRUR Int. 2000, 159, 163 Tz. 44 – Pharmacia & Upjohn; EuGH WRP 2002, 673, 676 Tz. 27, 28 – Merck, Sharp & Dohme/Paranova; EuGH WRP 2002, 666, 667 Tz. 48, 49 – Boehringer Ingelheim/Swingward).
Hierbei stellt eine Abneigung des Verkehrs gegen mit Etiketten überklebte Arzneimittel nicht stets ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt dar, das ein Umpacken in eine neue Verpackung erforderlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs macht. Besteht aber auf einem Markt oder einem beträchtlichen Teil dieses Marktes ein so starker Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen mit Etiketten überklebte Arzneimittelpackungen, kann von einem Hindernis für den tatsächlichen Marktzugang auszugehen sein (EuGH WRP 2002, 673, 676 Tz. 30 – Merck, Sharp & Dohme/Paranova; EuGH WRP 2002, 666, 667 Tz. 51 – Boehringer Ingelheim/Swingward; ebenso: EuGH, Urt. v. 19.9.2002 – Rs. C-433/00, GRUR 2002, 1054, 1055 Tz. 26 – Aventis). Das Hindernis liegt insbesondere dann vor, wenn die Abneigung der Verbraucher derart ausgeprägt ist, daß sie sich auch auf die Verschreibungspraktiken der Ärzte und die Einkaufspraktiken der Apotheker auswirkt. Die Frage, ob im Einzelfall ein Hindernis im vorgenannten Sinne vorliegt, hat das nationale Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände zu beantworten.
Das Berufungsgericht hat angenommen, daß in Deutschland verkehrs- und vertriebsfähige Packungen ohne weiteres dadurch hergestellt werden könnten, daß die Beklagten die niederländische äußere Originalpackung in der Größe zu 60 Tabletten mit einem entsprechenden Etikett versehen und so für den Vertrieb des Arzneimittels in Deutschland verwenden könnten. Des weiteren ergebe sich aus dem Beispiel von „Bricanyl”-Packungen eines anderen Parallelimporteurs, daß die niederländischen Originalpackungen zu 60 Tabletten mit Etiketten überklebt und mit zusätzlichen Blisterstreifen auf die Packungsgröße zu 100 Tabletten aufgestockt werden könnten; die Originalpackungen seien hierzu hinreichend dimensioniert. Eine neue Umverpackung möge zwar in gewisser Hinsicht ansprechender wirken als eine überklebte oder eine überklebte und aufgestockte Originalpackung, sie sei im Streitfall aber nicht erforderlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.
Dagegen wendet sich die Revision in Anbetracht der neueren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs mit Erfolg. Die Frage der Erforderlichkeit des Umpackens in neue Kartons kann im Streitfall, in dem es im Verkehr mit Arzneimitteln um die Akzeptanz einer mit neuen Etiketten überklebten und von 60 auf 100 Tabletten aufgestockten Originalpackung geht, anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen noch nicht abschließend beantwortet werden. Bei der erneuten Beurteilung wird das Berufungsgericht vor allem auch der Gesamtheit der tatsächlichen Umstände Beachtung zu schenken haben, zumal das Aufstocken der Originalpackungen um annähernd 67% (von 60 auf 100 Tabletten) nicht als Bündelung, sondern als bloße Hinzufügung von Blisterstreifen in Frage steht, die auch bei großzügiger Dimensionierung der Originalpackungen wohl ein seitlich versetztes Einlegen der Blisterstreifen in den Umkarton erforderlich macht. Die Parteien werden Gelegenheit haben dazu vorzutragen, ob diese ungewöhnliche Präsentation des Arzneimittels auf den Widerstand der Verbraucher stößt (vgl. EuGH WRP 2002, 666, 671 Tz. 52 – Boehringer Ingelheim/Swingward).
III. Danach war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Ullmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Bornkamm, Schaffert
Fundstellen
Haufe-Index 892601 |
BGHR 2003, 500 |
BGHR |
NJW-RR 2003, 477 |
GRUR 2003, 338 |
Nachschlagewerk BGH |
WRP 2003, 526 |
PharmaR 2003, 168 |
GRUR-Int. 2003, 953 |
IIC 2004, 581 |
Mitt. 2003, 216 |