Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Entscheidung vom 21.12.2021; Aktenzeichen 5 U 172/21) |
LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 16.12.2020; Aktenzeichen 10 O 3832/20) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 21. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 15. Mai 2012 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 220 CDI Blue Efficiency Coupé, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung abhängig von der Außentemperatur gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die die Erwärmung des Motors verzögert.
Rz. 3
Der Kläger hat die Beklagte unter dem Gesichtspunkt kaufrechtlicher Gewährleistung, bereicherungsrechtlicher Ansprüche wegen Nichtigkeit des Kaufvertrags und deliktischer Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung, die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weitergehender aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierender Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche beschränkte Revision (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2023 - VIa ZR 1517/22, NJW 2023, 2635 Rn. 4 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 8 f.; Urteil vom 10. Juli 2023 - VIa ZR 1620/22, juris Rn. 5 ff.) hat Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 7
Der Kläger habe keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem Thermofenster oder der KSR um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, weil es an Anhaltspunkten für ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten fehle. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere jedenfalls daran, dass die Vorschriften der EG-FGV keine Schutzgesetze darstellten.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 9
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 10
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang offen gelassenen - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass Ausgangspunkt für die Bemessung des Differenzschadens der gezahlte Kaufpreis ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 73). Etwa gewährte Rabatte mindern entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Differenzschaden nicht.
Menges |
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Götz |
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Rensen |
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Wille |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16178066 |