Leitsatz (amtlich)
Begründet ein Gesellschafter seinen Schaden damit, er hätte die monatlichen Zahlungen auf die Einlage eingestellt, wenn er nicht betrogen worden wäre, macht er einen Einzelschaden geltend.
Normenkette
InsO § 92 S. 1
Verfahrensgang
LG Würzburg (Urteil vom 31.01.2018; Aktenzeichen 42 S 1655/17) |
AG Würzburg (Urteil vom 04.08.2017; Aktenzeichen 18 C 1140/17) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Würzburg vom 31.1.2018 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Das Urteil ist gegen den Beklagten zu 1) vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend, die sich daraus ergeben sollen, dass er an der C. AG & Co. KG (künftig: Schuldnerin), über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, vielleicht auch nur mittelbar gesellschaftlich beteiligt war. Zum Zeitpunkt der Zeichnung der Anlage durch den Kläger waren die Beklagten für die Schuldnerin wohl noch nicht tätig. Der Kläger wirft ihnen vor, Gesellschaftsvermögen in strafrechtlich relevanter Weise verschoben zu haben. Er hat die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben, welches noch andauert. Das LG hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung der Beklagten erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Über die Revision ist in Bezug auf den Beklagten zu 1) antragsgemäß durch (Teil-)Versäumnisurteil zu entscheiden, weil dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war. Dieses Versäumnisurteil beruht inhaltlich allerdings nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Antrags (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.).
II.
Rz. 3
Die Revision des Klägers ist begründet.
Rz. 4
1. Zur Begründung führt das Berufungsgericht in dem gem. § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommenen Urteil aus: Der Kläger sei nicht berechtigt, den von ihm geltend gemachten Schaden einzuklagen. Es handle sich um einen Gesamtschaden i.S.v. § 92 InsO, der nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden könne. Davon abgesehen könne der Kläger den Schaden wegen des Wertverlustes seiner Beteiligung nur in der Weise geltend machen, dass er den Schädiger auf Zahlung an die Gesellschaft in Anspruch nehme. Weiter scheitere die Klage daran, dass der Kläger nicht nachgewiesen habe, die bestrittenen Zahlungen tatsächlich erbracht zu haben.
Rz. 5
2. Das Berufungsurteil ist gem. §§ 562 Abs. 1, 545 Abs. 1, 547 Nr. 6 ZPO von Amts wegen aufzuheben, weil es nicht mit Gründen versehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2009 - IX ZR 73/08, JurBüro 2009, 427 Rz. 3; Beschl. v. 22.9.2016 - V ZR 4/16, NJW 2017, 893 Rz. 10; Urt. v. 21.11.2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rz. 8).
Rz. 6
a) Ein Urteil muss - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - neben den in § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO aufgeführten Bestandteilen - Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, Datum des Schlusses der mündlichen Verhandlung und Urteilsformel - eine Begründung enthalten. Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO müssen aus dem Berufungsurteil die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, nebst den Klage- und Berufungsanträgen ersichtlich sein. Diese Darlegungen können, wenn das Urteil in der mündlichen Verhandlung verkündet wird, gem. § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen werden (BGH, Urt. v. 12.2.2009, a.a.O., m.w.N.; v. 1.3.2010 - II ZR 213/08, WM 2010, 796 Rz. 8). Dem wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Es enthält keinen als Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen zu verstehenden Hinweis auf das Urteil des AG, keine eigenen Feststellungen zum Sach- und Streitstand und keine Ausführungen zum weiteren Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz. Es gibt weder die Klage- noch die Berufungsanträge wieder.
Rz. 7
b) Fehlen die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorgeschriebenen Feststellungen, kann eine Aufhebung und Zurückverweisung dann unterbleiben, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen sowie das Rechtsschutzziel der Parteien hinreichend deutlich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergeben (BGH, Urt. v. 12.2.2009, a.a.O., Rz. 4). Vorliegend ist das nicht der Fall. Zwar wird hinreichend deutlich, dass der Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend macht, weil er meint, durch deren Untreuehandlungen zum Nachteil der Gesellschaft sei er persönlich geschädigt worden. Nicht erkennbar ist, welchen Schaden er in welcher Höhe geltend macht und wie er ihn begründet. Insoweit kann nicht beurteilt werden, ob die Ausführungen des Berufungsgerichts zutreffen, er mache lediglich einen Gesellschafts- und Gesamtschaden geltend, wozu er möglicherweise nach § 92 InsO (ggf. analog) nicht berechtigt ist, und keinen Einzelschaden. Das genügt den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht. Das angefochtene Urteil enthält damit keine tatsächlichen Grundlagen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Dieses ist weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, den entscheidungserheblichen Sachverhalt und die in den Vorinstanzen gestellten Anträge selbst aus den Akten zu ermitteln (BGH, Urt. v. 12.2.2009, a.a.O.).
III.
Rz. 8
1. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Rz. 9
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 10
Der Kläger macht mit der Revisionsbegründung geltend, er habe, wie das Berufungsgericht verkannt habe, seinen Schaden nicht darin gesehen, dass der Wert seiner ggf. mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin durch die behaupteten Untreuehandlungen der Beklagten gegenüber der Schuldnerin gesunken sei, sondern allein darin, dass er von Dezember 2009 bis September 2014 monatliche Raten auf die Einlage gezahlt habe, Zahlungen, die er nicht geleistet hätte, wenn die Beklagten ihn nicht betrogen hätten (vgl. zum Betrug durch Unterlassen BGH, Beschl. v. 8.3.2017 - 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72). Sollte dies zutreffen, hätte der Kläger keinen Gesamtschaden i.S.v. § 92 InsO eingeklagt, sondern einen Einzelschaden, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind (vgl. BGH, Urt. v. 21.3.2013 - III ZR 260/11, BGHZ 197, 75 Rz. 42 ff.). Denn er würde, weil er so behandelt werden wollte, als wenn er betrügerisch zur Zeichnung einer Kapitalanlage veranlasst worden wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2017, a.a.O., Rz. 30), einen Quasi-Kontrahierungsschaden geltend machen, welcher keinen Gesamtschaden, sondern einen Einzelschaden darstellt. Dies gilt auch dann, wenn eine ganze Gruppe von Gläubigern wie etwa sämtliche Anleger einer Kapitalanlagegesellschaft durch gleichartige deliktische Handlungen geschädigt worden ist. Denn das Bestehen mehrerer oder sogar massenhaft eingetretener Individualschäden führt nicht zu einem Gesamtschaden (OLG Bamberg, ZInsO 2017, 1939, 1944; OLG Nürnberg ZIP 2011, 1015, 1017; HK-InsO/Schmidt, 9. Aufl., § 92 Rz. 20).
Rz. 11
a) Ein Gesamtschaden bezieht sich auf einen solchen Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat. Die Verkürzung der Masse muss also die Gesamtheit der Gläubiger treffen (BGH, Beschl. v. 14.7.2011 - IX ZR 210/10, NZI 2011, 682 Rz. 9). Das schädigende Verhalten, aus dem der Schädiger in Anspruch genommen wird, muss die Insolvenzmasse verkürzt (BGH, Urt. v. 8.5.2003 - IX ZR 334/01, NZI 2003, 434, 435) und damit zu einer geringeren Quote für die Gläubiger geführt haben (Quotenverringerungsschaden; vgl. BGH, Urt. v. 22.4.2004 - IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 27; OLG Bamberg, ZInsO 2017, 1939, 1944; OLG Nürnberg ZIP 2011, 1015, 1016 f.). Der Anspruch kann sich nicht nur gegen Gesellschafter oder Organe der insolventen Schuldnerin, sondern grundsätzlich gegen jeden Dritten richten. Ein Gesamtschaden tritt auch durch eine deliktische Verschiebung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens ein (BGH, Urt. v. 8.5.2003, a.a.O.). Dagegen handelt es sich um einen nicht von § 92 InsO erfassten Einzelschaden, wenn der Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, sondern individuell geschädigt wird (BGH, Beschl. v. 14.7.2011, a.a.O.).
Rz. 12
Entsprechend diesen Grundsätzen wird überwiegend in dem Kontrahierungsschaden des Neugläubigers, mit welchem der Geschäftsführer einer juristischen Person nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung in ihrem Namen einen Vertrag schließt (§ 15a InsO), ein Einzelschaden gesehen, welcher nicht vom Insolvenzverwalter, sondern vom Neugläubiger geltend zu machen ist (§ 823 Abs. 2 BGB; vgl. zu § 64 Abs. 1 GmbHG: BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190, 192 ff.; v. 30.3.1998 - II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 214 ff.). Denn der Schaden besteht nicht in einer Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens; er ist deshalb nicht durch Auffüllen der Masse zu ersetzen, sondern er liegt darin, dass der Neugläubiger mit der insolventen Gesellschaft überhaupt einen Vertrag geschlossen hat (BGH, Urt. v. 6.6.1994, a.a.O., S. 198; vom 30.3.1998, a.a.O., S. 216 f.; v. 22.4.2004 - IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 27; OLG Köln, ZInsO 2007, 218; Brandes in MünchKomm/InsO/Gehrlein, 3. Aufl., § 92 Rz. 36).
Rz. 13
b) Nicht anders ist der Kläger zu behandeln, wenn er aufgrund einer angeblichen Täuschungshandlung der Beklagten seine Zahlungen an die Schuldnerin fortgesetzt hat. Auch für ihn stellen sich die Zahlungen dann nach seinem Vortrag als ein individueller Vermögensverlust dar. Er will nicht geschädigt sein, weil sich die Insolvenzquote für alle Gläubiger verringert hat. Sondern er sieht seinen individuellen Schaden - unabhängig von jeder Insolvenzquote - allein in der konkreten Weiterzahlung der monatlichen Raten. Sein Schaden soll nicht die mittelbare Folge des behaupteten deliktischen Zugriffs der Beklagten auf das Vermögen der Schuldnerin, sondern Folge neuer Straftaten der Beklagten sein, nämlich ihrer Täuschungshandlungen, welche den Kläger zur Weiterzahlung der monatlichen Raten veranlassten (OLG Bamberg, ZInsO 2017, 1939, 1944; vgl. auch BGH, Beschl. v. 14.7.2011 - IX ZR 210/10, NZI 2011, 682 Rz. 9). Sowohl der deliktische Angriff auf die Dispositionsfreiheit des Klägers als auch auf dessen Privatvermögen als das eigentliche Tatobjekt der Betrugstat sind ausschließlich seiner Individualsphäre zugeordnet (vgl. BGH, Urt. v. 28.4.2008 - II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rz. 25 ff.; OLG Bamberg, a.a.O.).
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil steht dem Beklagten zu 1) als säumiger Partei der Einspruch zu, soweit die Revision des Klägers Erfolg hat. Der Einspruch ist von einem bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Teilversäumnisurteils bei dem BGH, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Fundstellen
Haufe-Index 12791667 |
BB 2019, 403 |
DB 2019, 365 |
DB 2019, 7 |
DStR 2019, 12 |