Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Anfechtbarkeit eines Kaufvertrags wegen besonders grober Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung. Voraussetzungen für den Rückschluß von der besonders groben Äquivalenzstörung auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei risikobehafteten Geschäften
Leitsatz (redaktionell)
1. Aus dem Vorliegen einer besonders groben Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung kann auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten geschlossen werden; dies gilt jedoch nicht, wenn besondere Gegebenheiten vorliegen, die gegen eine subjektiv unlautere Ausnutzung eines den Benachteiligten in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstands sprechen.
2. Ist dies der Fall, muss derjenige, der sich auf die wucherähnliche Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts beruft, die subjektiven Merkmale auf der Seite des Vertragspartners darlegen und beweisen.
3. Ein Abänderungs – oder Aufhebungsanspruch nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage besteht bei einem risikobehafteten Rechtsgeschäft nicht, wenn derjenige, der sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruft, nach der vertraglichen Regelung das Risiko der Störung zu tragen hat.
Normenkette
BGB §§ 134, 138 Abs. 2, § 142 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Naumburg v. 13.5.2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit notariell beurkundetem Vertrag v. 16.7.1992 erwarb die Klägerin von der Beklagten unter Ausschluss der Gewährleistung für Beschaffenheit und Verwendbarkeit des Kaufgegenstands zwei Flurstücke in einer Gesamtgröße von 98.692 m2 für 1.480.380 DM (= 15,- DM/m2). Der Kaufpreis ist in § 4 als "vorläufig" bezeichnet, weil im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein funktionsfähiger Markt für Grund und Boden und entsprechende Marktpreise fehlten; nach § 5 sollte der endgültige Kaufpreis durch eine auf den 31.7.1993 auf den Grund und Boden bezogene Nachbewertung festgestellt werden, wobei der vorläufige Kaufpreis als "Mindestpreis" vereinbart war. § 20 enthält Bestimmungen für den Fall der Undurchführbarkeit des Vertrags.
Vor dem Abschluss des Vertrags hatte die Klägerin ein Verkehrswertgutachten v. 1.1.1991 eingeholt, in welchem der Bodenwert mit 5,71 DM/m2 ermittelt worden war; ein weiteres, ebenfalls von der Klägerin eingeholtes Gutachten weist zum 21.5.1992 einen Verkehrswert von 15,- DM/m2 aus. In beiden Gutachten wird darauf hingewiesen, dass die verkauften Flurstücke nach der Aussage des Bürgermeisters der Klägerin in dem Flächennutzungsplan als Gewerbefläche bzw. als Mischgebiet ausgewiesen sind bzw. sich in einer Bebauungsplanung befinden. Die Klägerin übermittelte der Beklagten beide Gutachten vor dem Abschluss des Kaufvertrags.
Tatsächlich gab es seinerzeit - und gibt es noch heute - keinen Flächennutzungs- oder Bebauungsplan, der die verkauften Flurstücke erfasst.
Mit Schreiben v. 24.1.1994 erklärte sich die Klägerin der Beklagten gegenüber mit der endgültigen Festschreibung des in dem Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreises einverstanden.
In einem weiteren Sachverständigengutachten wurde der Verkehrswert der verkauften Flächen zum 22.2.1994 mit 15,- DM/m2 ermittelt.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Anfechtung des Kaufvertrags wegen Irrtums, nachdem der von dem LG beauftragte Sachverständige einen Verkehrswert der Flurstücke im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von 1,56 DM/m2 ermittelt hatte.
Die Klägerin hält den Kaufvertrag für nichtig, weil sie ihn wirksam angefochten habe und er sittenwidrig sei. Wenigstens sei er nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und nach seinem § 20 aufzuheben oder anzupassen. Die Zwangsvollstreckung der Beklagten verstoße gegen Treu und Glauben.
Die Klage, mit der die Klägerin die Erklärung der Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde für unzulässig, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung, und die Herausgabe der Urkunde verlangt, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Mit der von dem OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint, der Kaufvertrag sei wirksam zu Stande gekommen; die erforderlichen Genehmigungen seien erteilt worden. Er habe auch weiterhin Bestand, weil er nicht wegen Wuchers oder als wucherähnliches Geschäft nichtig sei. Auch die von der Klägerin eingewandten Verstöße gegen das öffentliche Haushaltsrecht und ihre Anfechtungserklärung führten nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. Einen Anspruch auf Aufhebung oder Änderung des Vertrags habe die Klägerin nicht. Sie könne die Zwangsvollstreckung der Beklagten nur hindern, indem sie sich auf Gewährleistungsrechte berufe; diese seien jedoch vertraglich ausgeschlossen.
Das hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
II.
Die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus dem Kaufvertrag ist zulässig.
1. Fehlerfrei ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kaufvertrag wirksam zu Stande gekommen und nicht nach § 138 Abs. 2 BGB wegen Wuchers oder nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das öffentliche Haushaltsrecht nichtig ist; auch treffen seine weiteren Annahmen zu, dass die von der Klägerin erklärte Anfechtung nicht die Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 142 Abs. 1 BGB zur Folge hat, die Klägerin durch den Vertrag nicht unangemessen benachteiligt wird und § 20 des Vertrags, der Bestimmungen für den Fall seiner Undurchführbarkeit enthält, keinen Aufhebungsanspruch der Klägerin begründet. Das alles nimmt die Revision hin.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch die Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB verneint; er ist nicht sittenwidrig.
a) Es kann offen bleiben, ob hier ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Die daran geknüpfte Vermutung der verwerflichen Gesinnung des Begünstigten, also der Beklagten, wäre nämlich durch besondere Umstände erschüttert, so dass der Schluss allein von dem Vorliegen einer besonders groben Äquivalenzstörung auf eine subjektiv unlautere Ausnutzung eines den Benachteiligten in seiner Entscheidungsfreiheit hemmenden Umstands nicht zulässig wäre (BGH, Urt. v. 27.9.2002 - V ZR 218/01, MDR 2003, 148 = BGHReport 2003, 162 = WM 2003, 642 [643], m. w. N.). Beide Parteien haben die verkauften Flächen als Bauerwartungsland eingestuft. Darauf beruhte die Kaufpreisfindung. Sie war aus Sicht der Beklagten nach einem der ihr vorgelegten Sachverständigengutachten sachgerecht, zumal die Gutachter die bauplanungsrechtliche Qualität der Flächen auf Grund der Angaben des Bürgermeisters der Klägerin angenommen hatten. Unter diesen Umständen hat die Beklagte ausreichende, eine Übervorteilung der Klägerin ausschließende Bemühungen zur Ermittlung eines angemessenen Leistungsverhältnisses angestellt; dass das Gutachten fehlerhaft war, fällt ihr nicht zur Last (vgl. BGH, Urt. v. 19.7.2002 - V ZR 240/01, BGHReport 2002, 1013 = MDR 2002, 1242 = WM 2003, 154 [156], m. w. N.).
b) Die Rüge der Revision (§ 286 ZPO), das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sich aus der Bezeichnung des vereinbarten Kaufpreises als "vorläufig" und als "Mindestkaufpreis" ergebe, dass die Beklagte nicht auf die Gutachten vertraut, sondern die Möglichkeit eines besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ausdrücklich in Kauf genommen habe, und dass sie vertragliche Abhilfemöglichkeiten nur zu ihren Gunsten durchgesetzt habe, bleibt ohne Erfolg. Eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten lässt sich diesen Vertragsbestimmungen nicht entnehmen. Sie wurden vereinbart, weil es nach Auffassung beider Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch keinen funktionsfähigen Grundstücksmarkt und entsprechende Marktpreise gab. Die Nachbewertung der verkauften Flächen sollte dem Rechnung tragen und zu einem marktüblichen Kaufpreis führen. Dabei lag es auf der Hand, dass die Parteien mit steigenden Grundstückspreisen rechneten (vgl. BGH v. 26.1.2001 - V ZR 452/99, BGHZ 146, 331 [336] = MDR 2001, 681 = BGHReport 2001, 316). Nicht aber sollte die Nachbewertung Preisunterschiede ausgleichen, die sich aus einer eventuellen Änderung der bauplanungsrechtlichen Qualität der Flächen ergab. Dass die Parteien an eine solche Möglichkeit gedacht haben, ist nicht ersichtlich.
c) Wäre somit die auf ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beruhende Vermutung der verwerflichen Gesinnung der Beklagten erschüttert, müsste die Klägerin - ebenso wie bei dem Fehlen eines solchen Missverhältnisses - die für die Sittenwidrigkeit eines wucherähnlichen Geschäfts entscheidenden subjektiven Merkmale auf Seiten der Beklagten darlegen und beweisen. Das ist ihr nach den fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Revision nicht angegriffen werden, nicht gelungen.
d) Auf die von der Beklagten vorsorglich erhobenen Revisionsgegenrügen (§ 286 ZPO), mit denen sie die Verkehrswertermittlung durch den von dem LG bestellten Sachverständigen angreift und zusätzlich zu den Feststellungen des Berufungsgerichts die fehlende verwerfliche Gesinnung der Beklagten begründen will, kommt es nach alledem nicht an.
3. Ebenfalls - im Ergebnis - zu Recht hat das Berufungsgericht einen Aufhebungs- oder Abänderungsanspruch der Klägerin nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verneint.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Klägerin - wie das Berufungsgericht meint - wegen des Vorrangs der Sachmängelhaftung nicht auf eine fehlende oder geänderte Geschäftsgrundlage berufen kann (siehe dazu Senat, BGHZ 117, 159, 162 m. w. N.). Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision braucht der Senat nicht zu prüfen. Denn selbst wenn die Annahme des Berufungsgerichts fehlerhaft wäre und die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht über die Sachmängelgewährleistung ausgeschlossen wären, könnte die Klägerin keine Aufhebung oder Anpassung des Vertrags verlangen. Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage ist nämlich kein Raum, wenn nach der vertraglichen Regelung derjenige das Risiko zu tragen hat, der sich auf die Störung beruft (BGH BGHZ 74, 370 [373] m. w. N.). Hier hat die Klägerin das Risiko der künftigen Bebaubarkeit der verkauften Flächen übernommen.
Nach der gesetzlichen Interessenbewertung beim Kaufvertrag trägt i. d. R. der Käufer das Risiko, ob er den Kaufgegenstand wie beabsichtigt verwenden kann. Bei dem Kauf von Bauerwartungsland kommt hinzu, dass ein solches Geschäft typischerweise ein Element der Unsicherheit einschließt, weil in aller Regel gerade nicht feststeht, ob und ggf. wann das Grundstück bebaubar werden wird. Sind - wie normalerweise in einem solchen Fall - Störungen der Geschäftsgrundlage voraussehbar, ist es grundsätzlich Sache des betroffenen Vertragspartners, sich gegen die daraus drohenden Nachteile zu sichern; für eine Berücksichtigung der Geschäftsgrundlage ist bei einem solchen risikobehafteten Geschäft i. d. R. kein Raum (BGH BGHZ 74, 370 [374]; v. 12.6.1987 - V ZR 91/86, BGHZ 101, 143 [151 f.] = MDR 1987, 923, m. w. N.). Das nach diesen allgemeinen Grundsätzen die Klägerin treffende Risiko der Verwendbarkeit des Kaufgegenstands wird nach den vertraglichen Vereinbarungen - worauf die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung zutreffend hinweist - bei ihr belassen. Zum einen wurde der Klägerin zwar ein Rücktrittsrecht eingeräumt, nicht aber für den Fall, dass sie die Flächen nicht in der erwarteten Art und Weise nutzen kann. Zum anderen haben die Parteien in § 7 Abs. 2 einen Gewährleistungsausschluss vereinbart, der sich ausdrücklich auch auf die Verwendbarkeit des Kaufgegenstands bezieht.
b) Nach alledem kommt es auf die weiteren von der Beklagten vorsorglich erhobenen Revisionsgegenrügen nicht an.
4. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass die Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) für unzulässig erklärt werden müsse.
Zwar kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO der Vollstreckung aus einem Titel entgegengehalten werden (BGH BGHZ 42, 1 [2]). Voraussetzung ist aber, dass der Rechtsmissbrauch den Bestand der zu vollstreckenden Forderung betrifft (Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 767 Rz. 26; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 767 Rz. 12, "Rechtsmissbrauch"). Daran fehlt es hier. Die Beklagte hat, wie vorstehend unter II. 2. ausgeführt, die Kaufpreisforderung redlich erworben. Daran ändert nichts der von der Revision hervorgehobene Umstand, dass der Kaufvertrag in der vielfach durch unrealistische Erwartungen gekennzeichneten Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung von einer sehr kleinen Gemeinde in den neuen Bundesländern geschlossen wurde. Das Berufungsgericht hat - fehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen - nicht festgestellt, dass sich die Beklagte diesen Umstand bei der Vereinbarung des Kaufpreises einseitig zunutze gemacht hat. Vielmehr war es der Bürgermeister der Klägerin, der den Gutachtern die Bauerwartungsland-Qualität der verkauften Flächen vorgegeben und dadurch die Preisfindung entscheidend zum Nachteil der Klägerin beeinflusst hat. Dass den mit dem Vertragsschluss befassten Mitarbeitern der Beklagten die abweichende rechtliche Qualität der Flächen bekannt war, hat das Berufungsgericht ebenfalls fehlerfrei und unangegriffen nicht festgestellt. Falls, wie die Revision meint, die Beklagte der Klägerin bei dem Vertragsschluss intellektuell überlegen gewesen wäre, hätte sich das somit nicht auf die Vereinbarung des Kaufpreises ausgewirkt. Schließlich spielt es entgegen der Auffassung der Revision für die Frage des Rechtsmissbrauchs auch keine Rolle, ob die Klägerin durch die Zwangsvollstreckung wirtschaftlich überfordert wird. Somit ist das Verhalten der Beklagten nicht als unzulässige Rechtsausübung anzusehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
BGHR 2004, 776 |
IBR 2004, 225 |
Info M 2004, 21 |