Leitsatz (amtlich)
§ 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG (Ausnahme vom Einwendungsdurchgriff des § 9 Abs. 3 VerbrKrG) setzt nicht voraus, daß der Kredit grundpfandrechtlich vollständig durch einen entsprechenden Wert des belasteten Grundstücks gesichert oder gar der Beleihungsrahmen gemäß §§ 11, 12 HypBG eingehalten ist.
Normenkette
VerbrKrG § 3 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Gera (Aktenzeichen 9 O 2447/97) |
Thüringer OLG (Aktenzeichen 5 U 1288/98) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 8. Juni 1999 aufgehoben und das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 16. Juli 1998 abgeändert, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden ist.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Vollstreckung der beklagten Bank aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde.
Der Kläger, Geschäftsführer einer Wohnungsgenossenschaft in Thüringen, und seine Ehefrau (im folgenden: Eheleute) wurden durch einen Vermittler veranlaßt, im Rahmen eines steuersparenden Erwerbermodells eine angeblich fest vermietete Eigentumswohnung in B. zum Preis von 180.420 DM einschließlich Nebenkosten zu erwerben. Der notarielle Kaufvertrag, bei dem sich die Eheleute vertreten ließen, wurde am 29. Oktober 1993 geschlossen.
Die Beklagte, die der Verkäuferin Ende 1993 zur Zwischenfinanzierung des Projekts einen Kredit in Höhe von 1,5 Mio. DM eingeräumt und den Verkehrswert der genannten Eigentumswohnung mit 104.000 DM ermittelt hatte, gewährte den Eheleuten mit Vertrag vom 22. Februar/12. März 1994 zwei Darlehen in Höhe von insgesamt 180.000 DM. Zur Absicherung bestellten die Eheleute an der Eigentumswohnung zugunsten der Beklagten eine Grundschuld, übernahmen die persönliche Haftung und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen.
Erstmals im Juli 1994 besichtigte der Kläger die Eigentumswohnung. Er stellte fest, daß sie erhebliche Baumängel aufwies und nicht vermietet war. Die Eheleute fochten daraufhin den Kaufvertrag gegenüber der Verkäuferin wegen arglistiger Täuschung an. Mit Zustimmung der Beklagten verkauften sie am 25. September 1996 die Eigentumswohnung für 60.300 DM und überwiesen davon 60.000 DM an die Beklagte, die die Darlehen alsbald fällig stellte.
Der Kläger ist der Ansicht, die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus der notariellen Urkunde sei unzulässig. Er könne nach den Grundsätzen des sogenannten Einwendungsdurchgriffs (§ 9 Abs. 3 VerbrKrG) die Rückzahlung des Kredites verweigern, da er den finanzierten Kaufvertrag wirksam angefochten habe. Auch habe die Beklagte pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt, daß der Kaufpreis nach ihren Ermittlungen um mehr als 70% über dem tatsächlichen Wert der Eigentumswohnung gelegen habe.
Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde in Höhe des 18.203,85 DM zuzüglich Zinsen übersteigenden Betrages für unzulässig erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht, dessen Urteil in ZIP 1999, 1554 veröffentlicht ist, hat die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Ein Einwendungsdurchgriff wegen der Anfechtung des Kaufvertrages komme zugunsten des Klägers nicht in Betracht. § 9 VerbrKrG finde nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG auf Kreditverträge keine Anwendung, nach denen der Kredit durch ein Grundpfandrecht abgesichert sei. Das gelte auch, wenn – wie hier – die Grundschuld die Darlehensforderung nur unvollständig decke.
Der Kläger habe gegenüber der Beklagten aber einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß; denn sie habe nicht über das ihr bekannte Mißverhältnis zwischen dem Wert der Eigentumswohnung und dem von den Eheleuten dafür zu zahlenden Kaufpreis aufgeklärt. Zwar sei eine kreditgebende Bank – namentlich bei steuersparenden Bauherren- oder Erwerbermodellen – grundsätzlich nicht verpflichtet, den Darlehensnehmer über die Risiken der von ihm beabsichtigten Verwendung des Darlehens aufzuklären. Ausnahmsweise gelte jedoch etwas anderes, wenn sie – wie hier – in Bezug auf die speziellen Risiken des finanzierten Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung habe. Die Beklagte habe aufgrund des von ihr eingeholten Gutachtens gewußt, daß der Wert der vom Kläger erworbenen Wohnung um 74% hinter dem Kaufpreis zurückblieb. Das Mißverhältnis zwischen dem Kaufpreis und dem von der Beklagten ermittelten Wert der Eigentumswohnung sei so gravierend, daß sich der Beklagten der Eindruck eines sittenwidrigen Geschäfts oder der arglistigen Täuschung geradezu habe aufdrängen müssen. Es komme nicht darauf an, ob die Beklagte gewußt habe, daß der Kläger das Objekt nicht in Augenschein genommen oder sich in sonstiger Weise hierüber informiert hatte. Aus den Umständen habe sich der Beklagten diese Vermutung aufdrängen müssen. Abgesehen von dem Mißverhältnis zwischen Kaufpreis und Wert des Objekts sei augenfällig, daß der Kläger von einer direkten Kontaktaufnahme mit der Beklagten und Erörterungen des Geschäfts geradezu „abgeschirmt” worden sei. Die Beklagte habe die fehlende Kontaktaufnahme auch nicht etwa als Verzicht auf eine geschuldete Aufklärung verstehen dürfen. Vielmehr habe dies der Beklagten besondere Veranlassung geben müssen, ein Gespräch mit dem Kläger zu suchen und die Situation zu besprechen. Der Kläger müsse sich allerdings ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen, weil er es leichtfertig unterlassen habe, sich vor Abschluß der Verträge das Kaufobjekt auch nur von außen anzusehen.
II.
Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beklagte hat sich nicht wegen unterlassener Aufklärung des Klägers schadensersatzpflichtig gemacht.
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Bei steuersparenden Bauherren- und Erwerbermodellen ist die Bank nur unter ganz besonderen Voraussetzungen zur Risikoaufklärung über das zu finanzierende Geschäft verpflichtet, weil sie regelmäßig davon ausgehen darf, daß die Kunden entweder selbst über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen oder daß sie sich jedenfalls der Hilfe von Fachleuten bedient haben. Gleichwohl können sich auch hier aus den besonderen Umständen des Einzelfalles Aufklärungs- und Hinweispflichten der Bank ergeben. Das kann – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – etwa dann der Fall sein, wenn sie in bezug auf die speziellen Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 1991 - XI ZR 300/90, WM 1992, 133 (insoweit in BGHZ 116, 209 nicht abgedruckt) und vom 31. März 1992 - XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 902 m.w.Nachw.; BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - IX ZR 352/97, WM 1999, 678, 679).
2. Ein solcher zur Aufklärung verpflichtender Wissensvorsprung liegt hier, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, nicht vor.
a) Kenntnisse der Bank über den Zustand des zu finanzierenden Objekts begründen regelmäßig keinen Wissensvorsprung über spezielle Risiken, der zur Aufklärung des Kreditsuchenden verpflichten könnte. Die Bank darf davon ausgehen, daß der Kunde sich über den Zustand der Immobilie selbst ins Bild gesetzt hat (Senatsurteil vom 3. Dezember 1991 - XI ZR 300/90, WM 1992, 133, 134 m.w.Nachw.). Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht – allerdings in anderem Zusammenhang – das Verhalten des Klägers, eines Geschäftsführers einer Wohnungsgenossenschaft, die Eigentumswohnung unbesehen zu kaufen, als leichtfertig bewertet. Mit einem solchen leichtfertigen Verhalten brauchte die Beklagte nicht zu rechnen.
b) Nicht ausreichend zur Begründung einer Aufklärungspflicht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch ein Wissensvorsprung der Bank darüber, daß der vom Erwerber zu zahlende Kaufpreis in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert des zu erwerbenden Objekts steht (vgl. BGH, Urteile vom 15. Oktober 1987 - III ZR 235/86, WM 1987, 1426, 1428, 21. Januar 1988 - III ZR 179/86, WM 1988, 561, 563, 31. März 1992 - XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 903 und vom 11. Februar 1999 - IX ZR 352/97, WM 1999, 678, 679). Das kann allenfalls dann anders zu beurteilen sein, wenn die Bank bei einem Vergleich von Kaufpreis und Wert des Objekts von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Kunden durch den Vertragspartner ausgehen muß. Das ist hier – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht der Fall.
Nicht jedes, auch nicht jedes auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung führt zur Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann von einem besonders groben Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das eine Vermutung für die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit begründet, dann ausgegangen werden, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. z.B. BGHZ 125, 218, 227; BGH, Urteile vom 9. Oktober 1996 - VIII ZR 233/95, WM 1997, 230, 232, vom 21. März 1997 - V ZR 355/95, WM 1997, 1155, 1156 und vom 26. November 1997 - VIII ZR 322/96, WM 1998, 932, 934 m.w.Nachw.).
Von einem solchen Mißverhältnis kann hier selbst dann keine Rede sein, wenn man mit dem Berufungsgericht dem von der Beklagten für interne Zwecke geschätzten Grundstückswert von 104.000 DM einen Kaufpreis von 180.420 DM gegenüberstellt. Hinzu kommt, daß – worauf die Revision zutreffend hinweist – bei dem anzustellenden Vergleich nicht von 180.420 DM, sondern von einem niedrigeren Betrag ausgegangen werden muß. In dem von den Eheleuten zu entrichtenden Kaufpreis sind nämlich alle Nebenkosten enthalten wie Grunderwerbssteuer, Notar- und Grundbuchkosten, Provisionen und Gebühren für Mietgarantie und Finanzierungsvermittlung.
Über die verbleibende Überteuerung mußte nicht einmal die Verkäuferin der Eigentumswohnung aufklären. Nichts spricht dafür, der Beklagten als finanzierenden Bank insoweit gleichwohl eine Aufklärungspflicht aufzuerlegen. Es war vielmehr Sache des Klägers, die Angemessenheit des Kaufpreises der Eigentumswohnung zu klären. Als Geschäftsführer einer Wohnungsgenossenschaft mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von fast 9.000 DM wäre er dazu – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – auch ohne weiteres in der Lage gewesen.
c) Die Beklagte hatte auch nicht Kenntnis von sonstigen Umständen, die eine sittenwidrige Schädigung des Klägers durch den Vertragspartner hätten nahelegen können. Inwiefern sich ihr – wie das Berufungsgericht meint – hätte aufdrängen müssen, daß der Kläger „von einer direkten Kontaktaufnahme mit der Beklagten und Erörterungen des Geschäfts geradezu abgeschirmt wurde,” hat das Berufungsgericht nicht dargelegt. Solche Umstände sind auch nicht ersichtlich.
III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Einwendungen des Klägers, die einer Vollstreckung aus der notariellen Urkunde entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Die Anfechtung des Kaufvertrages berührt die Darlehensforderungen der Beklagten nicht. Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Einwendungsdurchgriff gemäß § 9 VerbrKrG komme hier schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG auf das Darlehensverhältnis der Parteien keine Anwendung finde, ist nicht zu beanstanden. Der gewährte Kredit ist von der Sicherung durch ein Grundpfandrecht abhängig gemacht und zu den für grundpfandrechtlich abgesicherte Kredite üblichen Bedingungen gewährt worden. § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG stellt entscheidend auf die Zinshöhe und die sonstigen Kreditkonditionen ab. Er setzt nicht voraus, daß der Kredit grundpfandrechtlich vollständig durch einen entsprechenden Wert des belasteten Grundstücks gesichert oder gar der Beleihungsrahmen gemäß §§ 11, 12 HypBG eingehalten ist. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Die Einhaltung einer bestimmten Beleihungsgrenze zählt nicht zu den „Bedingungen” des Kredits, sondern liegt auf der Ebene des Motivs der Kreditgewährung. Eine etwaige Untersicherung fällt in den Risikobereich der Bank und kann nach dem Zweck der Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG nicht dazu führen, daß sie auch noch dem Einwendungsdurchgriff nach § 9 VerbrKrG ausgesetzt wird. Überdies ist es ein Gebot der Rechtssicherheit, die Anwendung des § 3 Abs. 2 Nr. 2 nicht von der Bewertung des jeweiligen Grundpfandobjekts abhängig zu machen, über die häufig erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen können (vgl. OLG Braunschweig WM 1998, 1223, 1226; OLG Hamm WM 1998, 1230, 1233; Bülow, VerbrKrG 3. Aufl. § 3 Rdn. 91; Bruchner in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch § 81 Rdn. 57; Gößmann BuB Rdn. 3/645; a.A. Pfeiffer ZBB 1996, 304, 308 f.).
IV.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO) und die Klage vollständig abzuweisen. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da es weiterer Feststellungen nicht bedurfte (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Unterschriften
Nobbe, Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Müller, Dr. Joeres
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.04.2000 durch Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 2224 |
DB 2000, 1399 |
NJW 2000, 2352 |
BauR 2000, 1533 |
EWiR 2000, 699 |
NZM 2000, 777 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1245 |
WuB 2000, 981 |
ZIP 2000, 1051 |
ZfIR 2000, 704 |
DNotZ 2000, 693 |
MDR 2000, 893 |
NJ 2000, 600 |
ZBB 2000, 270 |