Entscheidungsstichwort (Thema)
Mietvertrag ohne Beschaffenheitsvereinbarung. Vorübergehende Verkehrslärmbelästigung kein Minderungsgrund
Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Voraussetzungen einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung in Bezug auf die Mietsache (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133).
b) Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, bestimmt sich der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand der Mietsache nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben.
c) Eine vorübergehende erhöhte Verkehrslärmbelastung aufgrund von Straßenbauarbeiten stellt unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls dann, wenn sie sich innerhalb der in Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält, keinen zur Minderung berechtigenden Mangel der vermieteten Wohnung dar.
Normenkette
BGB § 535 Abs. 1 S. 2, § 536
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.04.2012; Aktenzeichen 65 S 181/11) |
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Urteil vom 22.03.2011; Aktenzeichen 8 C 413/10) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 65 des LG Berlin vom 17.4.2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG Pankow/Weißensee vom 22.3.2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagten sind seit dem Jahr 2004 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Das Mietshaus befindet sich in der S., die zu Mietbeginn keine unmittelbare Verbindung mit der davor liegenden P. S. hatte. Von Juni 2009 bis November 2010 wurde der stadteinwärts fahrende Verkehr, den bis dahin die P. S. aufgenommen hatte, über die S. geleitet, die zu diesem Zweck als Einbahnstraße und mit einem direkten Zugang zur P. S. ausgestattet wurde. Der Grund für die geänderte Verkehrsführung lag in (vorübergehenden) umfangreichen Straßenbauarbeiten auf der gesamten Länge der P. S. . Die Beklagten minderten wegen der gestiegenen Lärmbelastung die Miete ab Oktober 2009.
Rz. 2
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagten auf Zahlung rückständiger Miete von Oktober 2009 bis November 2010 i.H.v. insgesamt 1.386,19 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Verurteilung der Beklagten - unter Klageabweisung im Übrigen - auf 553,22 EUR nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 5
Die von den Beklagten zu zahlende Miete sei ab 1.12.2009 gem. § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB um 10 % gemindert, weil die Lärmbelästigung durch die umgeleiteten Verkehrsströme erheblich über dem bei Vertragsschluss stillschweigend vereinbarten Zustand liege. Für die Monate Oktober und November 2009 stehe den Beklagten dagegen kein Recht auf Minderung zu.
Rz. 6
Zwar sei es anerkannt, dass Beeinträchtigungen des vertragsgemäßen Gebrauchs durch Baulärm, auch von Straßenbaustellen, zu einer Mietminderung führen könnten. Die Kammer halte es jedoch in Anlehnung an vorangegangene Instanzrechtsprechung (AG Fürth, WuM 2007, 317; AG Frankfurt/Oder, ZMR 2003, 268) für angemessen, mittelbare Beeinträchtigungen durch hoheitliche Straßenbaumaßnahmen - wie hier die erhöhte Lärmbelastung aufgrund der temporären Umleitung von Verkehrsströmen - grundsätzlich als das allgemeine Lebensrisiko eines jeden Bürgers einzuordnen, dessen Folgen ihn nicht zur Minderung der Miete berechtigten. Dies finde jedoch dort seine Grenze, wo die Beeinträchtigungen den zeitlichen Umfang dessen überschritten, womit ein Mieter als allgemeines Lebensrisiko rechnen müsse. Diese Grenze sei bei straßenbaubedingten Lärmbelästigungen nach Ablauf von sechs Monaten ab Beginn der erhöhten Lärmbelastung zu ziehen.
II.
Rz. 7
Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Den Beklagten steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hinsichtlich des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums kein Recht auf Minderung der vereinbarten Miete zu.
Rz. 8
1. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien (BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, NJW 2010, 1133 Rz. 11; v. 17.6.2009 - VIII ZR 131/08, NJW 2009, 2442 Rz. 9; v. 6.10.2004 - VIII ZR 355/03, NJW 2005, 218 unter II 1), die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können (BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, a.a.O., Rz. 14; BGH v. 2.11.2006 - VIII ZR 52/05, WuM 2005, 774 Rz. 2). Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler; vgl. zu diesem Begriff: Häublein in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 536 Rz. 14 f.; Ehlert in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 536 Rz. 29a; Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2011, § 536 Rz. 26 ff.; Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 536 Rz. 8 ff.), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache ausgesetzt ist (vgl. BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, a.a.O., Rz. 12 ff:, BGH, Urt. v. 21.9.2005 - XII ZR 66/03, NJW 2006, 899 Rz. 19). Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (vgl. BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, a.a.O.; BGH, Urt. v. 10.5.2006 - XII ZR 23/04, NZM 2006, 582 Rz. 10).
Rz. 9
2. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, die gegenüber dem Zustand bei Vertragsschluss in der Wohnung vernehmbare erhöhte Lärmbelastung stelle jedenfalls ab dem siebten Monat seit dem Entstehen der erhöhten Lärmwerte einen zur Minderung berechtigenden Mangel der Mietsache dar, durchgreifenden Bedenken.
Rz. 10
a) Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die vom Berufungsgericht nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrages hinsichtlich zukünftiger, von Dritten verursachter Lärmbelästigungen den zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden Zustand für die gesamte Dauer des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrags als unverändert bestehend bleibend "stillschweigend vereinbart". Auch eine konkludente Vereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines sog. Umweltfehlers reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - wie hier den in der Wohnung zu vernehmenden Straßenlärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt (etwa: "ruhige Lage") und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (vgl. BGH, Urt. v. 23.9.2009 - VIII ZR 300/08, a.a.O., Rz. 14). Die Voraussetzungen, unter denen hiernach eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung angenommen werden kann, ergeben sich weder aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen noch aus den sonstigen Umständen.
Rz. 11
b) Auch die Bestimmung des zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) führt nicht dazu, dass in der durch die straßenbaubedingte Umleitung des Verkehrs verursachten erhöhten Lärmbelastung ein Mangel zu sehen wäre, der die Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum zur Minderung berechtigte.
Rz. 12
Nach den tatsächlichen Feststellungen des AG, auf die das Berufungsgericht in seinem Urteil Bezug nimmt, stellen die von den Beklagten vorgetragenen (gegenüber den Verhältnissen bei Vertragsschluss erhöhten) Lärmwerte, ausgehend von der im Berliner Mietspiegel 2009 aufgestellten Grenze der Verkehrslärmbelastung, keine hohe Belastung dar. Unter Berücksichtigung dessen, dass sich die vermietete Wohnung in der Berliner Innenstadt befindet, mithin in einer Lage, bei der jederzeit mit Straßenbauarbeiten größeren Umfangs und längerer Dauer zu rechnen ist, haben die Beklagten diese (erhöhte) Lärmbelastung redlicherweise hinzunehmen. Davon ist im Ansatz auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Für seine Annahme, die vereinbarte Miete sei ab dem siebten Monat nach Eintreten der erhöhten Lärmbelastung gemindert, ist ein sachlicher Grund nicht erkennbar. Denn eine vorübergehende erhöhte Lärmbelastung stellt unabhängig von ihrer zeitlichen Dauer jedenfalls dann, wenn sie sich - wie hier - innerhalb der in Berliner Innenstadtlagen üblichen Grenzen hält, keinen zur Minderung berechtigenden Mangel dar.
III.
Rz. 13
Nach alledem kann das Berufungsurteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Wiederherstellung des die Klage im vollen Umfang zusprechenden amtsgerichtlichen Urteils durch Zurückweisung der Berufung.
Fundstellen