Leitsatz (amtlich)
a) Auch in Ansehung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG kann eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Preisänderungsklausel nach § 307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) dahingehend geschlossen werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (Fortführung der BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865, Rz. 19 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 192, 372 bestimmt, und VIII ZR 93/11, ZNER 2012, 265, Rz. 24 ff.).
b) Ist die in einem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden formularmäßig vereinbarte Preisänderungsklausel nach § 307 BGB unwirksam, verbleiben das Kalkulations- und damit auch das Kostensteigerungsrisiko grundsätzlich bei dem Energieversorgungsunternehmen (Fortführung des Senatsurteils v. 25.10.1989 - VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 145). Dessen Verpflichtung zur Herausgabe der von dem Kunden rechtsgrundlos gezahlten Erhöhungsbeträge ist daher nicht gem. § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
c) Die Verjährung von Rückzahlungsansprüchen wegen Gaspreisüberzahlungen beginnt nicht bereits mit den jeweils geleisteten Abschlagszahlungen, sondern erst mit der anschließenden Erteilung der Jahresabrechnung zu laufen (Bestätigung des Senatsurteils v. 23.5.2012 - VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rz. 9 ff.).
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 307, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 3; Richtlinie 93/13/EWG Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 24.1.2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.805,18 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist und als die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Hanau vom 26.8.2010 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem regionalen Gasversorgungsunternehmen, welches den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas versorgte, die Rückzahlung eines Betrages i.H.v. 6.212,78 EUR nebst Zinsen aufgrund unwirksamer Gaspreisanpassungen in den Jahren 2005 bis 2009.
Rz. 2
Die Parteien schlossen im Jahre 1990 einen vorformulierten Erdgasliefervertrag (Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 1,86 ct/kWh brutto vereinbart. Der Vertrag enthält eine Preisanpassungsklausel, aufgrund derer die Beklagte wiederholt ihre Preise änderte. Der Kläger widersprach mit Schreiben vom 2.2.2007 den Preisanpassungen und kündigte an, künftige Zahlungen nur unter Vorbehalt zu leisten.
Rz. 3
Nachdem das OLG Frankfurt in einem Parallelverfahren (Urt. v. 5.5.2009 - 11 U 61/07) die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel festgestellt hat, verlangt der Kläger die gezahlten Erhöhungsbeträge zurück. Er hat, ausgehend von dem ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis, den Rückforderungsanspruch mit 6.212,78 EUR beziffert.
Rz. 4
Die Beklagte hat diesen Anspruch in Höhe eines Teilbetrags von 80,54 EUR anerkannt. Das LG hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Rückzahlung von 4.979,68 EUR nebst Zinsen verurteilt; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren in Höhe eines Betrages von 3.174,50 EUR weiter. Der Kläger verfolgt mit der Anschlussrevision sein Klagebegehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision und die Anschlussrevision haben Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Der Kläger habe die in den Jahren 2006 bis 2009 geleisteten Erhöhungsbeträge ohne Rechtsgrund geleistet, in Höhe eines Teilbetrages von 1.162,10 EUR könne sich die Beklagte aber mit Erfolg auf Verjährung berufen.
Rz. 8
Das vertragliche Preisänderungsrecht im Sondervertrag sei - was die Beklagte nicht in Abrede stelle - gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.
Rz. 9
Ein Anspruch der Beklagten auf das erhöhte Entgelt folge auch nicht aus einer stillschweigenden Vereinbarung des erhöhten Preises. Denn der vorbehaltslosen Zahlung des auf der Grundlage einer unwirksamen Preisanpassungsklausel erhöhten Preises komme nicht der Erklärungswert einer stillschweigenden Zustimmung zu dem erhöhten Preis zu.
Rz. 10
Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung lasse sich nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB herleiten. Eine solche komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies sei hier nicht der Fall. Denn die Beklagte habe nach dem Widerspruch des Klägers das Vertragsverhältnis zum 31.3.2007 beenden können. In einem solchen Fall sei der Beklagten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Festhalten am Vertrag nicht unzumutbar.
Rz. 11
Für die Beklagte habe zudem nach dem Widerspruch des Klägers hinreichender Anlass bestanden, eine Kündigung des Vertrages in Erwägung zu ziehen. Dass die Beklagte infolge der unterlassenen Kündigung zur teilweisen Rückerstattung des in den Jahren 2006 bis 2009 gezahlten Entgelts verpflichtet sei, führe unter Abwägung aller zu berücksichtigenden Interessen nicht zu einer unbilligen Härte. Denn insoweit sei bei der Gesamtbelastung zu berücksichtigen, dass Rückerstattungsansprüche aus dem Zeitraum vor 2006 wegen Verjährungseintritts nicht mehr geltend gemacht werden könnten, so dass die Klägerin über einen langen Zeitraum so gestellt werde, als seien die Preisanpassungen wirksam gewesen.
Rz. 12
Eine unzumutbare Belastung der Beklagten ergebe sich auch nicht daraus, dass sie befürchte, den Rückforderungen zahlreicher anderer Kunden ausgesetzt zu sein. Denn insoweit fehle jedenfalls konkreter Vortrag zu dem Ausmaß von Rückforderungsansprüchen. Alleine ein hypothetisches Risiko genüge insoweit nicht.
Rz. 13
Seinem somit gegebenen Rückforderungsanspruch könne der Kläger den ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis zugrunde legen.
Rz. 14
Hinsichtlich der im Jahre 2005 geleisteten Überzahlungen i.H.v. 1.162,10 EUR sei der Rückzahlungsanspruch jedoch verjährt. Denn die dreijährige Verjährungsfrist des § 199 BGB habe mit Ablauf des 31.12.2005 zu laufen begonnen, da es für den Beginn der Verjährung auf die Zahlung der einzelnen Abschlagsbeträge und nicht auf den Zugang der Jahresabrechnung ankomme. Der Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2005i.H.v. 1.244,16 EUR sei mit Ausnahme eines Betrages von 82,06 EUR, der erst im Februar 2006 gezahlt worden sei, im Zeitpunkt der Beantragung des Mahnbescheids im Dezember 2009 bereits verjährt gewesen.
II.
Rz. 15
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in zwei entscheidenden Punkten nicht stand. Frei von Rechtsfehlern ist zwar die Annahme des Berufungsgerichts, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für die Jahre 2006 bis 2009 gezahlten Erhöhungsbeträge zusteht. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Rückforderungsanspruchs rechtsfehlerhaft den im Jahre 1990 vereinbarten Ausgangspreis von 1,86 ct/kWh brutto zugrunde gelegt. Mit der vom Berufungsgericht gegeben Begründung kann auch nicht angenommen werden, dass Rückzahlungsansprüche für das Jahr 2005 verjährt seien.
Rz. 16
1. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag um einen (Norm-)Sonderkundenvertrag handelt und die in diesem Vertrag enthaltene Preisänderungsklausel unwirksam ist.
Rz. 17
2. Mit Recht - und von der Revision ebenfalls unbeanstandet - hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass weder in der Zahlung der abgerechneten Beträge noch in dem Weiterbezug von Gas nach Ankündigung der Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung des Klägers zur Erhöhung der Gaspreise liegt (BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 Rz. 16 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 192, 372 bestimmt, und VIII ZR 93/11, ZNER 2012, 265 Rz. 22 f.; v. 9.2.2011 - VIII ZR 295/09, NJW 2011, 1342 Rz. 40 ff.; v. 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rz. 57 ff.).
Rz. 18
3. Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für die Jahre 2005 bis 2009 gezahlten Erhöhungsbeträge.
Rz. 19
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass es für alle in dem klagegegenständlichen Zeitraum über den ursprünglich vereinbarten Anfangspreis hinausgehenden Zahlungen an einem Rechtsgrund fehlt.
Rz. 20
a) Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preisänderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwarten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in angemessener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 20, und VIII ZR 93/11, a.a.O., Rz. 25; jeweils m.w.N.).
Rz. 21
Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat, ist diese Lücke im Vertrag im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 21 ff., und VIII ZR 93/11, a.a.O., Rz. 26 ff.; jeweils m.w.N.).
Rz. 22
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht dieser Lösung nicht das - nach den vorgenannten Senatsentscheidungen ergangene - Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (fortan: Gerichtshof) vom 14.6.2012 (Rs. C-618/10, NJW 2012, 2257 - Banco Español de Crédito) entgegen.
Rz. 23
aa) Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG eine mitgliedstaatliche Regelung unvereinbar, die es dem nationalen Gericht gestattet, "wenn es eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher entdeckt, den Inhalt dieser Klausel abzuändern, anstatt schlicht deren Anwendung gegenüber dem Verbraucher auszuschließen" (EuGH, a.a.O., Rz. 71). Eine Regelung dieses Inhalts kennt das innerstaatliche deutsche Recht nicht. Nach § 306 Abs. 1, 2 BGB bleibt der Vertrag vielmehr unter Wegfall der unwirksamen Klausel im Übrigen bestehen, wobei an die Stelle der unwirksamen Klausel die dispositiven gesetzlichen Bestimmungen treten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist dem nationalen Gericht die inhaltliche Abänderung einer wegen unangemessener Benachteiligung unwirksamen Klausel, die dazu führen würde, der Klausel mit einem (noch) zulässigen Inhalt Geltung zu verschaffen (geltungserhaltende Reduktion), verboten (vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 17.5.1982 - VII ZR 316/81, BGHZ 84, 109, 116 f.; v. 19.9.1983 - VIII ZR 84/82, NJW 1984, 48 unter II 1a bb).
Rz. 24
Von der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Klauseln zu unterscheiden ist die ergänzende Vertragsauslegung. Bei ihr geht es nicht darum, einer unangemessenen Klausel im Wege der Auslegung einen anderen, noch angemessenen Inhalt beizulegen, sondern um die Ausfüllung einer Lücke im Vertragsgefüge, die durch den Wegfall der unwirksamen Klausel entsteht.
Rz. 25
bb) Wie der BGH bereits entschieden hat (BGH, Urt. v. 12.10.2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 318), bestehen gegen eine ergänzende Vertragsauslegung - wie sie auch in verschiedenen anderen europäischen Rechtsordnungen vorgesehen ist (vgl. Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union, Stand Mai 1999, Band IV, A 5 Rz. 8) - keine europarechtlichen Bedenken, da in der Richtlinie 93/13/EWG nicht geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen der Vertrag ohne die unwirksame Klausel fortgilt. Dem ist auch die Literatur einhellig gefolgt (Grabitz/Hilf/Pfeiffer, a.a.O.; Basedow in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 306 Rz. 4; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 306 BGB Rz. 4c; Wolf in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., Art. 6 RL Rz. 7; vgl. auch Erman/Roloff, BGB, 13. Aufl., § 306 Rz. 3). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der genannten Entscheidung des Gerichtshofs. Denn nach dieser Entscheidung ist mit Art. 6 der Richtlinie 93/13/EWG nur eine geltungserhaltende Reduktion unvereinbar, nicht aber eine ergänzende Vertragsauslegung.
Rz. 26
Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist es den Gerichten verboten, "durch Abänderung des Inhalts" der missbräuchlichen Klausel den Vertrag anzupassen (EuGH, a.a.O., Rz. 65, 69, 71, 73). Eine solche Abänderung des Inhalts der Klausel entspricht im deutschen Recht einer geltungserhaltenden Reduktion.
Rz. 27
Zudem betont der Gerichtshof, dass ohne eine strikte Nichtanwendung der unwirksamen Klausel Gewerbetreibende versucht sein könnten, diese Klauseln gleichwohl zu verwenden, wenn sie wüssten, dass der Vertrag durch die Gerichte im erforderlichen Umfang angepasst werde. Hierdurch würde das Ziel der Richtlinie, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln "ein Ende zu setzen", unterlaufen (EuGH, a.a.O., Rz. 68 f.). Dies ist auch die Begründung für das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion im deutschen Recht (vgl. BGH, Urt. v. 17.5.1982 - VII ZR 316/81, a.a.O.; v. 19.9.1983 - VIII ZR 84/82, a.a.O.).
Rz. 28
cc) Um eine solche verbotene Klauselanpassung im Wege der geltungserhaltenden Reduktion handelt es sich bei der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung indes nicht. Während die Klauselanpassung die Preisänderungsregelung als solche - nur mit einem veränderten, gesetzeskonformen Inhalt - aufrechterhalten will, setzt die ergänzende Vertragsauslegung die unabänderliche Unwirksamkeit der den Verbraucher benachteiligenden Klausel voraus. Denn nur dann besteht eine dem Regelungsplan der Parteien widersprechende Lücke im Vertrag, die durch Auslegung geschlossen werden kann.
Rz. 29
Der Senat hat ausdrücklich klargestellt, dass es nicht in Betracht kommt, an die Stelle der unwirksamen - den Vertragspartner des Klauselverwenders i.S.d. § 307 BGB unangemessen benachteiligenden - Preisänderungsklausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen. Dem entsprechend hat der Senat in den bereits entschiedenen Fällen die wegen der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklauseln lückenhaften Verträge nicht um eine Preisanpassungsregelung mit abweichendem - angemessenem - Inhalt ergänzt, sondern unter Zugrundelegung des vollständigen Wegfalls der unangemessenen Preisanpassungsklauseln darauf abgestellt, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war (BGH vom 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 24). Das hierbei gewonnene Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung lässt den Inhalt der unangemessenen Preisanpassungsklauseln und deren Unwirksamkeit unberührt; es ergänzt den Vertragsinhalt vielmehr auf der Rechtsfolgenseite um eine Regelung, die gerade deswegen erforderlich ist, weil das unangemessen ausgestaltete einseitige Preisanpassungsrecht vollständig entfällt und dadurch im Vertragsgefüge eine Lücke entsteht, die zu einem nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien untragbaren Ergebnis führen würde.
Rz. 30
dd) Im Übrigen entspricht die vom Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung der Zielsetzung der Richtlinie 93/13/EWG.
Rz. 31
Ziel der Richtlinie ist es, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen (EuGH, a.a.O., Rz. 63). Dabei sind die Interessen beider Vertragsparteien in den Blick zu nehmen, um die angestrebte Ausgewogenheit der Interessen der Vertragsparteien zu gewährleisten (EuGH, Urt. v. 15.3.2012 - Rs. C-453/10, NJW 2012, 1781 Rz. 31 f. - Perenièová und Pereniè, unter Bezugnahme auf den Schlussantrag der Generalanwältin vom 29.11.2011 - Rs. C-453/10, BeckRS 2011, 81770 Rz. 63).
Rz. 32
(1) Die von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG geforderte materielle Ausgewogenheit kann in der vorliegenden Konstellation nicht alleine durch den Wegfall der unwirksamen Bestimmung über das Preisanpassungsrecht auch für die Vergangenheit wiederhergestellt werden. Denn da die Parteien durch die Vereinbarung der Preisanpassungsklausel nicht von einer dispositiven Norm abgewichen sind, steht dispositives Gesetzesrecht im Sinne konkreter materiell-rechtlicher Regelungen eines Preisanpassungsrechts nicht zur Verfügung. Zu den gem. § 306 Abs. 2 BGB im Falle einer unwirksamen Vertragsbestimmung den Inhalt des Vertrages regelnden "gesetzlichen Vorschriften" des insoweit maßgeblichen nationalen deutschen Rechts (vgl. EuGH, Urt. v. 14.6.2012 - Rs. C-618/10, a.a.O., Rz. 72; ferner EuGH, Urt. v. 1.4.2004 - Rs. C-237/02, NJW 2004, 1647 Rz. 21 - Freiburger Kommunalbauten) gehört aber auch die ergänzende Vertragsauslegung (BGH vom 1.2.1984 - VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 75), die ebenfalls eine materielle Ausgewogenheit der Vertragsbeziehungen sicherstellt und es zugleich ermöglicht, grundsätzlich die Wirksamkeit des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten (vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.2012 - Rs. C-453/10, a.a.O., Rz. 31). Denn die ergänzende Vertragsauslegung orientiert sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben und führt zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung (BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., m.w.N.).
Rz. 33
(2) Nach der vom BVerfG gebilligten Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerfG NJW 2011, 1339, 1341) findet die ergänzende Vertragsauslegung nicht in jedem Fall einer unwirksamen Preisanpassungsklausel in einem Energielieferungsvertrag, sondern nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen Anwendung. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebt (BGH, Urt. v. 14.7.2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rz. 50 m.w.N.). Diese Voraussetzungen hat der Senat in einer Reihe von Fällen verneint, die dadurch gekennzeichnet waren, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 22 m.w.N.).
Rz. 34
Der Senat nimmt jedoch - unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerfG, a.a.O.) - eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann an, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 23). In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen (BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O.), so dass nur die ergänzende Vertragsauslegung zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führt und das von der Richtlinie verfolgte Ziel gewährleistet, Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten (vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.2012 - Rs. C-453/10, a.a.O., Rz. 28, 31; vom 14.6.2012 - Rs. C-618/10, a.a.O., Rz. 40; jeweils m.w.N.).
Rz. 35
(3) Ohne die vom Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung in derartig gelagerten Fällen könnte sich der Energieversorger - auch in Ansehung seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit (vgl. BVerfG, a.a.O.) - darauf berufen, dass die Versorgung des Kunden zu dem Ausgangspreis für ihn eine unzumutbare Härte darstelle, wenn der bei dem lange Zeit zurückliegenden Vertragsabschluss vereinbarte Preis seit vielen Jahren nicht mehr kostendeckend ist. Dies hätte gem. § 306 Abs. 3 BGB die Unwirksamkeit des Liefervertrages zur Folge, so dass das Vertragsverhältnis für die Vergangenheit nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln wäre. Hierbei wäre die materielle Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen indes nicht in dem gleichen Maße sichergestellt wie bei der ergänzenden Vertragsauslegung.
Rz. 36
c) In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall Folgendes:
Rz. 37
Der Kläger kann der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht den im Jahre 1990 vereinbarten Ausgangspreis zugrunde legen und somit auch nicht die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbeginn geltend machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger den Preiserhöhungen zunächst nicht widersprochen, sondern die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen bis in das Jahr 2007 ohne Beanstandungen hingenommen und damit der Beklagten keine Veranlassung gegeben, eine Beendigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses - etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das Grundversorgungsverhältnis (vgl. dazu BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 37, und VIII ZR 93/11, a.a.O., Rz. 32; v. 9.2.2011 - VIII ZR 295/09, a.a.O., Rz. 39; Senatsbeschluss v. 7.6.2011 - VIII ZR 333/10, juris, Rz. 8; jeweils m.w.N.) - in Erwägung zu ziehen. Soweit die Revisionserwiderung meint, dass die Beklagte bereits zuvor durch Widersprüche oder Klagen anderer Kunden Veranlassung gehabt hätte, auch den mit dem Kläger geschlossenen (Norm-)Sonderkundenvertrag zu kündigen, verkennt sie, dass Anlass zur Kündigung des individuellen Gasliefervertrages für den Versorger erst besteht, wenn er wegen eines Widerspruchs im konkreten Vertragsverhältnis Anlass hat, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen (BGH, Urt. v. 14.3.2012 - VIII ZR 113/11, a.a.O., Rz. 23; VIII ZR 93/11, a.a.O., Rz. 28).
Rz. 38
Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.
Rz. 39
Welchen Arbeitspreis der Kläger seinem Rückforderungsanspruch zugrunde legen kann, hängt daher davon ab, wann ihm die einzelnen Jahresabrechnungen der Beklagten zugegangen sind und gegen welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Klägers noch rechtzeitig vor Ablauf von drei Jahren erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
Rz. 40
4. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann auch nicht angenommen werden, dass die Rückzahlungsansprüche für die im Jahre 2005 geleisteten Abschläge verjährt sind.
Rz. 41
Die Rückzahlungsansprüche des Klägers aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verjähren - wovon auch das Berufungsgericht ausgeht - innerhalb der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB (BGH vom 23.5.2012 - VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rz. 9). Diese beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Rz. 42
Das Berufungsgericht hat insoweit zu Unrecht angenommen, dass ein Rückzahlungsanspruch des Klägers bereits zum Zeitpunkt der Erbringung der einzelnen Abschlagszahlungen entstanden ist. Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat (BGH, Urt. v. 23.5.2012 - VIII ZR 210/11, a.a.O., Rz. 9 ff.), entsteht ein Rückforderungsanspruch nicht bereits mit der Leistung der einzelnen Abschlagszahlungen, sondern erst mit Erteilung der Abrechnung.
Rz. 43
Die dreijährige Verjährungsfrist für die Rückzahlungsansprüche, die auf Abschlagszahlungen im Jahre 2005 beruhten, begann daher mit dem Zugang der Jahresabrechnung für das Jahr 2005. Sofern über diese Abschlagszahlungen - wozu Feststellungen bisher fehlen - erst im Jahre 2006 abgerechnet worden sein sollte, hätte der im Dezember 2009 beantragte Mahnbescheid die Verjährung der Rückzahlungsansprüche aus dem Jahre 2005 gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.
III.
Rz. 44
Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit es mit der Revision und der Anschlussrevision angegriffen worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 3597460 |
BB 2013, 449 |
DB 2013, 8 |
EBE/BGH 2013 |
JurBüro 2013, 331 |
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