Leitsatz (amtlich)
Zu Aufklärungs- und Beratungspflichten einer Bank bei Ablauf einer Optionsfrist.
Normenkette
BGB §§ 276, 675 Abs. 2; WpHG § 31
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 6. September 2000 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Bank nimmt den Beklagten auf Ausgleich des Schuldsaldos auf seinem Depoterträgniskonto in Anspruch.
Am 29. Februar 1988 eröffnete der Beklagte, ein Soziologiestudent, der im Sommer 1997 die Diplomprüfung ablegte, das als Kontokorrent geführte Depoterträgniskonto und wickelte darüber in den folgenden Jahren zahlreiche Wertpapiergeschäfte ab, die teilweise zu Totalverlusten führten. Er erhielt von der Klägerin am 30. Dezember 1993 die Broschüre „Basisinformationen über Börsentermingeschäfte” und unterzeichnete eine Rahmenvereinbarung über „Einzelheiten zum Abschluß von Börsentermingeschäften” sowie die Unterrichtungsschrift der Klägerin über „Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften”. Im Januar 1994 erwarb er über die Klägerin 50 Optionsscheine aus einer japanischen DM-Industrieanleihe. Ein Optionsschein berechtigte zum Bezug von 47,3854 Aktien des Emittenten zum Stückpreis von 1.702 JPY.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 1997 erinnerte die Klägerin den Beklagten an den bevorstehenden Verfall der Optionsscheine am 5. November 1997 und wies auf die Möglichkeiten hin, die Optionsscheine zu verkaufen oder die Optionen auszuüben. In unmittelbarem Anschluß daran heißt es im zweiten Satz des Schreibens: „Auf Grund der aktuellen Kurslage gehen wir davon aus, daß Sie an einer Optionsausübung nicht interessiert sind. Sofern Sie das Optionsrecht ausüben möchten, erteilen Sie uns bitte Ihren Auftrag auf der beiliegenden Optionserklärung …” Ferner enthielt das Schreiben eine kurze Zusammenfassung der Optionsbedingungen, darunter die Angabe des Optionspreises von 1.702 JPY pro Aktie und die Mitteilung der aktuellen Börsenkurse in Höhe von 0,05 DM für den Optionsschein und 122 JPY für die Aktie. Anschließend wird ausgeführt: „Wenn Sie Ihre Optionsscheine weder ausüben noch bis zum letzten Handelstag verkaufen, werden wir die Optionsscheine ca. 4 Wochen nach Endfälligkeit ohne weitere Anzeige an Sie als wertlos ausbuchen. Aufgrund der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte können wir nur bei Vorlage eines Auftrages für Sie tätig werden. Für eine aktuelle Beratung steht Ihnen Ihr Anlageberater jederzeit gerne zur Verfügung.”
Dem Schreiben war eine formularmäßige Optionserklärung beigefügt, die der Beklagte am 9. Oktober 1997 unterzeichnete und der Klägerin zuleitete. Diese ließ daraufhin die Option weisungsgemäß in Tokio ausüben und belastete das Konto des Beklagten für 2.369 Aktien der Emittentin zu einem Kurs von 1.702 JPY mit umgerechnet 60.155,55 DM. Das Konto weist infolge dessen einen Schuldsaldo von 59.297,50 DM auf.
Mit der Klage begehrt die Klägerin Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Der Beklagte beruft sich darauf, daß er bei Ausübung des Optionsrechts nicht mehr termingeschäftsfähig gewesen sei und dieses Geschäft wegen Irrtums angefochten habe. Hilfsweise rechnet er mit einem Schadensersatzanspruch auf, weil die Klägerin ihn fehlerhaft beraten habe.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Der Kauf der Optionsscheine und die Ausübung der Optionsrechte seien keine unverbindlichen Börsentermingeschäfte. Da es sich um abgetrennte Optionsscheine aus einer DM-Anleihe einer ausländischen Aktiengesellschaft handele, lägen Kassageschäfte vor. Zudem sei der Beklagte beim Kauf der Optionsscheine termingeschäftsfähig gewesen. Auf seine Termingeschäftsfähigkeit bei Ausübung der Optionsrechte als Folgegeschäft komme es nicht an. Einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB habe der Beklagte nicht schlüssig vorgetragen bzw. nicht unter Beweis gestellt. Er habe auch keinen aufrechenbaren Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung, Verschuldens bei Vertragsschluß oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 31 WpHG. Die Klägerin habe den Beklagten aufgrund der vorangegangenen Spekulationsgeschäfte als einen in solchen Wertpapiergeschäften erfahrenen Anleger ansehen dürfen. Sie habe ihre Informations- und Beratungspflicht mit ihrem Schreiben vom 7. Oktober 1997 anlage- und anlegergerecht erfüllt. Aus dem Schreiben gehe klar hervor, daß die Ausübung der Optionsrechte angesichts des aktuellen Kurses nicht empfehlenswert sei. Die wirtschaftliche Unsinnigkeit des Geschäfts habe die Klägerin noch dadurch verdeutlicht, daß sie dem aktuellen Börsenkurs von 122 JPY den Optionspreis von 1.702 JPY je Aktie gegenübergestellt habe. Die in dem Schreiben angebotene aktuelle Beratung habe der Beklagte nicht in Anspruch genommen.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung stand.
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch gemäß § 607 Abs. 1 BGB auf Zahlung von 59.297,50 DM. Sie kann die Rückzahlung des Überziehungskredits, den sie dem Beklagten auf seinem Konto gewährt hat, ohne Kündigung des Kontokorrentverhältnisses verlangen (vgl. BGHZ 73, 207, 209).
a) Das Konto des Beklagten weist einen Saldo in Höhe von 59.297,50 DM zugunsten der Klägerin auf, weil diese es zu Recht mit dem Aufwendungsersatz- und Provisionsanspruch gemäß §§ 670, 675 Abs. 1 BGB, 396 HGB in Höhe von 60.155,55 DM belastet hat, den sie als Kommissionärin durch den Erwerb der Aktien für den Beklagten nach Ausübung der Optionsrechte erworben hat.
b) Das Kommissionsgeschäft ist nicht gemäß §§ 53 Abs. 1, 60 BörsG unverbindlich. Die Ausübung der Optionsrechte war – ebenso wie der Erwerb der Optionsscheine – kein unverbindliches Börsentermingeschäft. Es handelt sich vielmehr um Geschäfte mit abgetrennten Optionsscheinen aus der Anleihe einer ausländischen Aktiengesellschaft, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats Kassageschäfte sind (BGHZ 133, 200, 206; vgl. auch für Währungsoptionsscheine, die von einer DM-Auslandsanleihe abgetrennt wurden: Beschluß vom 9. Dezember 1997 – XI ZR 85/97, WM 1998, 274, 275 und für abgetrennte Aktienoptionsscheine aus Wandelschuldverschreibungen: BGHZ 114, 177, 179).
c) Der Beklagte hat seine Erklärung vom 9. Oktober 1997, mit der er die Klägerin beauftragte, die Optionsrechte auszuüben, nicht wirksam gemäß §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB angefochten. Nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist er für seine bestrittene Behauptung, seine Erklärung beruhe auf einem Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB, beweisfällig geblieben.
2. Einen aufrechenbaren Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß, positiver Vertragsverletzung oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG hat das Berufungsgericht zu Recht nicht für gegeben erachtet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keine Beratungs- oder Aufklärungspflichten verletzt.
a) Ob die Klägerin dem Beklagten vor Ablauf der Optionsfrist Beratung oder Aufklärung schuldete (vgl. zu Beratungspflichten: BGHZ 100, 117, 118; 123, 126, 128; Senat, Urteil vom 9. Mai 2000 – XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442 und zu Aufklärungspflichten: Senat, Urteile vom 17. Januar 1995 – XI ZR 225/93, WM 1995, 566, 568 und vom 11. März 1997 – XI ZR 92/96, WM 1997, 811, 812), bedarf keiner Entscheidung, weil die Klägerin etwaige Beratungs- und Aufklärungspflichten durch ihr Schreiben vom 7. Oktober 1997 erfüllt hat.
Angesichts des drastischen Kursverfalls der Aktie der Emittentin war das wirtschaftlich einzig sinnvolle Verhalten, das für den Beklagten in Betracht kam, die Optionsrechte nicht auszuüben. Dies hat die Klägerin dem Beklagten in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 1997 durch den Satz: „Aufgrund der aktuellen Kurslage gehen wir davon aus, daß Sie an einer Optionsausübung nicht interessiert sind.” klar und leicht verständlich mitgeteilt. Die darin enthaltene Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, wurde durch den weiteren Text des Schreibens bestätigt und begründet. Aus der Mitteilung des Optionspreises je Aktie in Höhe von 1.702 JPY und des aktuellen Börsenkurses von 122 JPY ging klar hervor, daß die Ausübung der Option zu einem Erwerb der Aktien zu einem den Marktpreis um mehr als das 12fache übersteigenden Preis führen würde und deshalb den Interessen des Beklagten grob widersprach. Die Erwähnung der beiden anderen Möglichkeiten, auf den bevorstehenden Ablauf der Optionsfrist zu reagieren, nämlich des Verkaufs der Optionsscheine und der Ausübung der Optionsrechte, änderte an der Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, nichts. Auch die Bitte um Unterzeichnung und rechtzeitige Rücksendung des beigefügten Formulars, sofern die Optionsrechte ausgeübt werden sollten, stellte die Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, entgegen der Ansicht der Revision nicht in Frage. Dasselbe gilt für das beigefügte Formular, das nur wenige Sätze umfaßt und klar erkennen läßt, daß es ein von der Empfehlung der Klägerin abweichendes Verhalten betrifft.
Wenn der Beklagte den klar und leicht verständlich formulierten Text des lediglich eine Seite umfassenden Schreibens der Klägerin vom 7. Oktober 1997 und die nur drei Sätze enthaltende Anlage gleichwohl mißverstanden hat, so ist dies darauf zurückzuführen, daß er das Schreiben der Klägerin, wie er selbst vorgetragen hat, lediglich überflogen, d.h. teilweise nicht oder völlig unzureichend zur Kenntnis genommen hat. Mit einem solchen grob nachlässigen Verhalten mußte die Klägerin insbesondere bei einem Akademiker wie dem Beklagten, der bereits seit fast 10 Jahren zahlreiche Wertpapiergeschäfte abgeschlossen und dabei auch schon Totalverluste erlitten hatte, dem also das mit solchen Geschäften verbundene Risiko bekannt war, nicht rechnen.
Die Revision beruft sich in diesem Zusammenhang ohne Erfolg auf die Rechtsprechung des Senats zu den Aufklärungspflichten von gewerblichen Anlagevermittlungsgesellschaften, die das Anlegerpublikum auch vor solchen Geschäften schützen sollen, deren schlechte Aussichten es bei einiger geistiger Anstrengung vielleicht auch selbst hätte erkennen können (Senat, Urteile vom 27. November 1990 – XI ZR 115/89, WM 1991, 127, 128, vom 16. November 1993 – XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 155, vom 14. Mai 1996 – XI ZR 188/95, WM 1996, 1214, 1215 und vom 24. September 1996 – XI ZR 244/95, WM 1997, 309, 310). Diese gesteigerten Anforderungen an die Aufklärungspflichten von gewerblichen Anlagevermittlungsgesellschaften, die vielfach unaufgefordert unerfahrenen Bürgern telefonisch Börsentermingeschäfte anbieten, sind auf den Effektenhandel von Kreditinstituten nicht übertragbar (Senat, Urteil vom 19. Mai 1998 – XI ZR 286/97, WM 1998, 1391). Sie betreffen inhaltlich nur Geschäfte, bei denen hohe Aufschläge auf die Börsenpreise eine realistische Gewinnchance von vornherein ausschließen. Darum geht es hier nicht. Das Schreiben der Klägerin vom 7. Oktober 1997 diente nicht der Aufklärung vor dem – lange zurückliegenden – Erwerb der Optionsscheine, sondern enthielt korrekte klar formulierte Informationen und eine ebensolche zutreffende Empfehlung für das zweckmäßige Verhalten bei Ablauf der Optionsfrist.
Damit hat die Klägerin auch etwaige Pflichten aus § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG, der auch Bedeutung für Inhalt und Umfang (vor-)vertraglicher Aufklärungspflichten hat (BGHZ 142, 345, 356), und aus Nr. 3.2. der Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel vom 26. Mai 1997 (BAnz vom 3. Juni 1997, S. 6586) zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommissions-, Festpreis- und Vermittlungsgeschäft der Kreditinstitute erfüllt.
b) Weitergehende Beratung und Aufklärung schuldete die Klägerin dem Beklagten auch nach Eingang seiner Optionserklärung nicht. Der Beklagte hatte sich zwar mit Ausübung der Optionsrechte für ein Vorgehen entschieden, das nicht ihrer Empfehlung entsprach und ihm einen Vermögensnachteil in Höhe der Differenz zwischen Optionspreis und Kurswert der Aktie zufügte. Dies hätte die Klägerin, deren Mitarbeitern der aktuelle Börsenkurs der in Deutschland nur selten gehandelten japanischen Aktie nicht ohne weiteres gegenwärtig sein mußte, nach Eingang der Optionserklärung, die selbst keine Angaben über Optionspreis und aktuellen Börsenkurs der Aktie enthielt, aber nur erkennen können, wenn sie sich den Inhalt des gesamten Geschäftsvorganges einschließlich ihrer Empfehlung vom 7. Oktober 1997 vergegenwärtigt hätte. Dazu war die Klägerin nicht verpflichtet. Sie hatte dem Beklagten mit Schreiben vom 7. Oktober 1997 das wirtschaftlich einzig sinnvolle Vorgehen empfohlen und brauchte in der Folgezeit nicht zu überprüfen, ob der Beklagte ihrer Empfehlung folgte oder sich entgegen ihrer eindeutigen Empfehlung anders verhielt. Da der Beklagte ihr schriftliches Angebot zu weiterer Beratung nicht aufgegriffen hatte, war sie nicht gehalten, ihm von sich aus erneut weitere Beratung oder Aufklärung anzubieten. Sie konnte sich vielmehr darauf beschränken, den in der Optionserklärung erteilten klaren Auftrag – wie geschehen – an die Optionsstelle in Tokio weiterzuleiten, ohne ihn zu hinterfragen. Weitergehende Pflichten ergaben sich angesichts des vorausgegangenen Schreibens vom 7. Oktober 1997 auch nicht aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 WpHG sowie aus Nr. 4.3 Satz 3 der für Gerichte ohnehin nicht verbindlichen Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel.
III.
Die Revision des Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Unterschriften
Nobbe, Siol, Bungeroth, van Gelder, Joeres
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.07.2001 durch Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 625130 |
BB 2001, 2022 |
DB 2001, 2541 |
DStR 2001, 2128 |
BGHR 2001, 790 |
NJW-RR 2002, 405 |
EWiR 2001, 1087 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1718 |
WuB 2002, 45 |
ZIP 2001, 1628 |
MDR 2001, 1426 |
VersR 2002, 1247 |
RdW 2001, 593 |
ZBB 2001, 382 |
FB 2001, 704 |