Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmissbrauch. Deinstallation von Breitbandverteileranlagen im Gebäudeinnern. Duldungspflicht von Kabelanlagen
Leitsatz (redaktionell)
Aus der Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG folgt keine Verpflichtung von Grundstücks- und Gebäudeeigentümern auch solche Kabelanlagen zu dulden, die in den Gebäuden auf ihren Grundstücken installiert sind und allein der Versorgung der dortigen Bewohner mit Prorammangeboten dienen.
Normenkette
TKG § 57 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Naumburg v. 23.1.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein kommunales Wohnungsbauunternehmen, schloss im Jahr 1993 für eine Vielzahl ihrer Liegenschaften mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten Gestattungsverträge. Nach diesen durfte die Rechtsvorgängerin der Beklagten in den bezeichneten Häusern Breitbandverteileranlagen für Kabelfernsehen und Hörfunk einrichten und die Bewohner auf diesem Weg mit Programmangeboten versorgen. Jeweils unter Nr. 9.3 der Gestattungsverträge war vereinbart, dass bei Vertragsende "in Ausnahmefällen" hinsichtlich der Übernahme der Anlage durch die Klägerin verhandelt werden könne und "ansonsten die Pflicht" der Rechtsvorgängerin der Beklagten "zur kostenlosen Demontage der Anlage" bestehe. Sie hatte sich unter Nr. 9.4 der Verträge ferner "für den Fall der Demontage bei Vertragsbeendigung" verpflichtet, auf ihre Kosten "den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen."
Die Vertragsverhältnisse endeten auf Grund von Kündigungen der Klägerin mit Ablauf des 31.12.2001. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten die Beseitigung der von dieser in den Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen, zu denen insbesondere Linienkabel, Linienverstärker, Hausverteiler, Hausverkabelung und Anschlussdosen zählen, sowie die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Demgegenüber ist die Beklagte der Ansicht, sie schulde keine Beseitigung, weil die Klägerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet sei, die Anlagen zu dulden. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolgreich gewesen. Mit ihrer von dem OLG zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte sei auf Grund der Vereinbarungen im Rahmen der Gestattungsverträge zur Beseitigung der Breitbandverteileranlagen und zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes verpflichtet. Da die Beklagte nicht nach § 57 Abs. 1 TKG berechtigt sei, in den betreffenden Häusern das Breitbandkabelnetz nach dessen Deinstallation erneut einzurichten, stehe den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. § 57 Abs. 1 TKG beziehe sich allein auf Grund und Boden, also auf das Grundstück im eigentlichen Sinne. Nicht erfasst seien hingegen die auf einem Grundstück befindlichen Gebäude, in denen hier die zu beseitigende Anlage installiert sei.
Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
II.
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte auf Grund der Vereinbarungen in den Gestattungsverträgen verpflichtet ist, nach der wirksamen Beendigung der Vertragsverhältnisse die in den Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen zu beseitigen und den Zustand vor Installation dieser Einrichtungen wieder herzustellen. Insoweit nimmt auch die Revision das Berufungsurteil hin.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner die Klägerin nicht durch das Verbot unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) gehindert gesehen, die vertraglichen Ansprüche auf Beseitigung und Wiederherstellung gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Die Revision wendet ohne Erfolg ein, die Klägerin sei nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet, die erneute Verlegung gleicher Kabelnetze in den betreffenden Gebäuden durch die Beklagte zu dulden und handele daher rechtsmissbräuchlich, wenn sie deren Deinstallation verlange. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ("dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est", vgl. BGH, Urt. v. 3.5.2002 - V ZR 17/01, BGHReport 2002, 713 = NJW 2002, 3021 [3024]) scheitert daran, dass der Beklagten ein Gegenanspruch aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG nicht zusteht. Zwar liegt die Annahme nahe, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe durch die 1993 übernommene Verpflichtung zur Deinstallation nicht im Voraus auf eine erst später durch In-Kraft-Treten des Telekommunikationsgesetzes am 1.8.1996 geschaffene Rechtsposition verzichtet. Auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG kann sich die Beklagte aber gleichwohl nicht berufen, weil aus dieser Vorschrift keine Verpflichtung der Klägerin folgt, auch solche Kabelanlagen zu dulden, die in den Gebäuden auf ihren Grundstücken installiert sind und allein der Versorgung der dortigen Bewohner mit Programmangeboten dienen. Selbst wenn der Wortlaut des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG ein Verständnis in dem von der Revision erstrebten Sinne zulassen sollte (vgl. Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2002, Teil 6 Rz. 45 - 46; anders zum früheren Recht dagegen BVerwG NJW 1976, 906 [907]), folgt doch die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung aus (a) der Entstehungsgeschichte der Norm, ferner aus (b) dem mit ihr verfolgten Zweck sowie schließlich aus (c) der Systematik des Gesetzes (a. A. wohl Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2002, Teil 6 Rz. 336, jedoch in Rz. 338 mit einer Ausnahme für Kabelanlagen im Hausinnern).
a) Der Sache nach enthält § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG gegenüber dem früheren Rechtszustand keine grundlegend neue Regelung (BVerfG v. 25.8.1999 - 1 BvR 1499/97, NJW 2000, 798 [799]). Bereits das - mit In-Kraft-Treten des Telekommunikationsgesetzes außer Kraft getretene (§ 100 Abs. 3 TKG) - Telegrafenwegegesetz (TWG) gab in § 10 Abs. 1 zuletzt der Deutschen Telekom AG die Befugnis, Fernmeldelinien durch den Luftraum über - nicht als Verkehrswege zu qualifizierende - Grundstücke zu führen. Durch die Nachfolgevorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG soll - neben der Beseitigung des Monopols der Deutschen Telekom AG - eine Erweiterung der Duldungspflicht nur insofern erfolgen, als nun auch unterirdische Telekommunikationslinien von den Grundstückseigentümern hinzunehmen sind (Nienhaus, Wegerechte für Telekommunikationslinien auf Privatgrundstücken, 2000, S. 162 ff.; Haidinger/Rädler, MMR 1999, 330 [331]). Für den zunächst in § 10 Abs. 1 TWG geregelten Fall der Kreuzung des Luftraums liegt auf der Hand, dass damit nur das Überqueren eines Grundstücks mit - nach aktueller Terminologie (vgl. Fangmann, Telekommunikations- und Postrecht, 2. Aufl., S. 297) - Telekommunikationslinien geduldet werden musste. Nachdem die durch die Vorgängerregelung bereits ermöglichte oberirdische Leitungsführung lediglich um die Alt. einer unterirdischen Leitungsführung ergänzt wurde, erstreckt sich die Duldungspflicht nun zusätzlich auch auf das Durchqueren eines Grundstücks. Hingegen findet sich im Zusammenhang mit der Entstehung der Vorschrift kein Anhaltspunkt dafür, dass die Neuregelung auch für Anschlussleitungen nebst Zubehör, namentlich in Form von Kabelanlagen in Gebäuden, gelten soll.
b) Auch der mit der Norm verfolgte Zweck steht ihrer Anwendung auf Kabelanlagen entgegen, die in Gebäuden zur Versorgung der dort lebenden Bewohner installiert sind. Ziel der gegenüber § 10 Abs. 1 TWG erweiterten Duldungspflicht ist es, den Auf- und Ausbau eines Telekommunikationsnetzes auch in solchen Fällen zu ermöglichen, in denen eine Realisierung nur durch unterirdisch geführte Leitungswege möglich ist. Auf diese Weise sollen im volkswirtschaftlichen Interesse sowie zur Förderung des Wettbewerbs vorhandene Telekommunikationsstrukturen nutzbar gemacht und der Aufbau neuer Netze erleichtert werden (Begründung zu § 56 des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 13/3609, 50). Im Hinblick auf den unmittelbaren Gesetzeszweck der Erleichterung des Auf- und Ausbaus von Telekommunikationsnetzen kann der durch § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG erweiterte sachliche Anwendungsbereich lediglich dazu führen, dass der Eigentümer nun auch das Durchqueren eines Grundstücks mit Telekommunikationslinien dulden muss. Hingegen erfordert es der Gesetzeszweck nicht, dass sich die Duldungspflicht auch auf solche Leitungen und Anlagen erstreckt, die auf einem Grundstück bzw. den hierauf errichteten Gebäuden mit Abschlusseinrichtungen (vgl. § 3 Nr. 3 TKG) enden. Da der Betreiber keine Abnahme von Telekommunikationsdienstleistungen über solche Kabelanlagen von dem Grundstückseigentümer erzwingen kann, handelt es sich bei fehlendem Nutzungsrecht - etwa auf Grund eines vertraglichen Gestattungsverhältnisses (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2002 - XII ZR 86/01, BGHReport 2002, 1075 = CR 2003, 259 = MDR 2003, 20 = NJW 2002, 3322) - lediglich um ungenutzte Anschlussleitungen (nebst Zubehör), deren es zum Betrieb eines wettbewerbsfähigen Telekommunikationsnetzes nicht bedarf. Die Versorgung Dritter, insbesondere von Mietern, mit Telekommunikationsdienstleistungen erlangt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, weil der Netzbetreiber hierdurch keine unmittelbaren Rechte gegenüber dem Grundstückseigentümer erlangt (vgl. Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2002, Teil 6 Rz. 341). Letztlich geht es in solcher Situation, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in erster Linie darum, dem Betreiber die Kosten für die Deinstallation einer nutzlos gewordenen Kabelanlage zum Nachteil des Grundstückseigentümers zu ersparen. Dies ist indessen nicht der Zweck, den das Gesetz mit der in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG geregelten Duldungspflicht verfolgt.
c) Zudem folgt aus der - auf Grund der Ermächtigung in § 41 TKG erlassenen - Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV), dass für Anschlussleitungen eine Regelung nicht in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG, sondern an anderer Stelle getroffen ist (Piepenbrock in Beck'scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., § 10 TKV Rz. 2; vgl. auch Schuster, MMR 1999, 137 [140]). Insbesondere mit Blick auf den Kontrahierungszwang der Universaldienstverpflichteten (§ 9 Abs. 1 TKV) macht nämlich § 10 Abs. 1 TKV die Verpflichtung zum Vertragsschluss davon abhängig, dass dem Netzbetreiber für die Inanspruchnahme des Grundstücks eine Einwilligungserklärung des dinglich Berechtigten ("Grundstückseigentümererklärung") vorgelegt wird (Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, 30). Der Bestimmung liegt mithin die Erwägung zu Grunde, dass sich aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG für einen Netzbetreiber kein Recht ergibt, Anschlussleitungen auf fremden Grundstücken zu verlegen (so auch die Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, 30). Könnte ein Netzbetreiber ohnehin über § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG die Installation von Anschlussleitungen und -einrichtungen erzwingen, wäre eine derart umfassende Ausnahme von dem Kontrahierungszwang nicht gerechtfertigt, sondern lediglich für die Fälle angezeigt, in denen die Voraussetzungen einer Duldungspflicht des Eigentümers nicht erfüllt sind. Überdies enthalten sowohl die Grundstückseigentümererklärung als auch die Gegenerklärung des Netzbetreibers - die jeweils als Anlage zu § 10 Abs. 1 TKV formuliert sind - die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Deinstallation der "Vorrichtungen", die er auf dem fremden Grundstück und in darauf befindlichen Gebäuden "errichtet" hat. Da sich der Netzbetreiber dieser Verpflichtung nach dem Inhalt der genannten Erklärungen nur im Fall entgegenstehender schutzwürdiger Belange Dritter entziehen kann, sprechen die Anlagen zu § 10 Abs. 1 TKV ebenfalls dafür, dass eine Duldungspflicht aus § 57 Abs. 1 TKG in solcher Konstellation nicht einschlägig sein kann.
III.
Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1070891 |
ZfIR 2004, 127 |
GuT 2004, 7 |