Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbengemeinschaft. Gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses. Mitwirkungspflicht der Miterben. Veräußerung eines Nachlassgrundstücks. Begriff der Verwaltungsmaßregel. Ordnungsmäßigkeit aus objektiver Sicht. Erforderlichkeit. Wesentliche Veränderung des Nachlasses. Umstrukturierung des Gesamtnachlasses
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den mitwirkungspflichtigen Verwaltungsmaßregeln gem. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB zählen grundsätzlich auch Verfügungen über einzelne Nachlassgegenstände.
2. Die Beurteilung, ob eine Veränderung wesentlich i.S.v. §§ 745 Abs. 3 S. 1, 2038 Abs. 2 S. 1 BGB ist, richtet sich nach dem gesamten Nachlass und nicht den Einzelnen davon betroffenen Nachlassgegenständen.
3. In der bloßen Umstrukturierung des Nachlasses durch die mit dem Verkauf eines Nachlassgrundstückes verbundene Verschiebung des Verhältnisses von Grund- zu Barvermögen liegt allein noch keine wesentliche Veränderung des Gesamtnachlasses.
Normenkette
BGB § 745 Abs. 3 S. 1, § 2038 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 11
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 25.3.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten gem. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB bei der Veräußerung eines Nachlassgrundstückes.
Sie sind zusammen mit ihrem unter Betreuung stehenden Bruder Mitglieder einer Erbengemeinschaft nach ihrem am 14.3.2002 verstorbenen Vater. Zum Nachlass mit einem Gesamtwert von über 800.000 EUR gehörte neben Barvermögen und weiteren Immobilien ein Ferienhaus in D. . Noch zu Lebzeiten ihres Vaters beauftragte die Klägerin in ihrer Eigenschaft als seine Betreuerin im Juni 2001 einen Immobilienmakler mit dem Verkauf dieses Anwesens. Nach mehr als 40 erfolglosen Veräußerungsversuchen boten im April 2002 Interessenten einen Kaufpreis von 144.000 EUR, der dem Schätzwert des örtlichen Gutachterausschusses vom März 2001 entsprach. Die Klägerin drängte wegen des angeblich fortschreitenden Verfalls verbunden mit unwirtschaftlichen Verwaltungsmaßnahmen auf einen Verkauf. Ihrer Aufforderung, dem zuzustimmen, kam die Beklagte nicht nach, weil sie damals noch an einer Eigennutzung interessiert gewesen sein will. Die Einzelheiten der unter Einschaltung des Immobilienmaklers darüber geführten Gespräche sind umstritten. Die Kaufinteressenten sahen schließlich von einem Erwerb des Ferienhauses ab. Im Oktober 2003 wurde es zu einem Preis von 100.000 EUR verkauft.
Die Klägerin will festgestellt wissen, dass die Beklagte der Erbengemeinschaft den Schaden zu ersetzen hat, der durch den nicht erfolgten Verkauf im Juni 2002 entstanden ist. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der Entscheidung des LG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NJW-RR 2004, 1518 abgedr. ist (OLG Frankfurt v. 25.3.2004 - 16 U 131/03, NJW-RR 2004, 1518) meint, eine Mitwirkungspflicht der Beklagten habe nicht bestanden, da die geplante Veräußerung des Ferienhauses keine Verwaltungsmaßnahme i.S.d. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB gewesen wäre. Es fehle an den nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267) erforderlichen besonderen Umständen, die ausnahmsweise eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand als Verwaltungsmaßnahme erscheinen ließen. Daher könne dahinstehen, ob die Veräußerung als Verwaltungsmaßnahme ordnungsgemäß gewesen wäre.
Jedenfalls hätte darin aber eine wesentliche Veränderung gelegen, die gem. §§ 2038 Abs. 2 S. 1, 745 Abs. 3 BGB nicht beschlossen oder verlangt werden könne. Dabei könne offen bleiben, ob auf die Veränderung des einzelnen Nachlassgegenstandes oder die des gesamten Nachlasses abzustellen sei, da die Veräußerung eines Nachlassgrundstückes im Werte von 144.000 EUR auch den Gesamtnachlass mit einem Wert von 800.000 EUR wesentlich verändert hätte.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend und von der Revision auch nicht angegriffen hat das Berufungsgericht die Feststellungsklage für zulässig angesehen, selbst wenn der Klägerin durch den Verkauf des Ferienhauses noch in der Berufungsinstanz eine Bezifferung des Schadens möglich gewesen sein mag. Ist eine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO - wie hier - in zulässiger Weise erhoben worden, braucht ein Kläger nach der Rechtsprechung des BGH nicht nachträglich zur Leistungsklage überzugehen, wenn dies im Lauf des Rechtsstreits möglich wird (BGH, Urt. v. 17.10.2003 - V ZR 84/02, NJW-RR 2004, 79, unter B II 1; 4.6.1996 - VI ZR 123/95, MDR 1996, 959 = NJW 1996, 2725, unter II c; 15.11.1977 - VI ZR 107/76, NJW 1978, 210, unter I 2a und ständig).
Ebenso wenig ist die Auslegung des Klageantrags durch das Berufungsgericht zu beanstanden, dass es der Klägerin um die Verweigerung der Zustimmung zur Auflassung gegangen sei, da sie die Übereignung - anders als den im Antrag lediglich genannten Verkauf - nicht kraft Mehrheitsbeschluss hätte erreichen können.
2. Richtig ist auch der materiell-rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten im Zusammenhang mit der von der Klägerin betriebenen Veräußerung des Ferienhauses im Frühjahr 2002 setzt voraus, dass sie mit der nicht erteilten Zustimmung und der dadurch bewirkten Absage der Kaufinteressenten schuldhaft die ihr als Mitglied der Erbengemeinschaft obliegende Pflicht ggü. den übrigen Miterben verletzt hat, bei Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sind (§§ 280 Abs. 1, § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB).
Die Annahme des Berufungsgerichts, eine solche Mitwirkungspflicht der Beklagten scheide bereits deswegen aus, weil ohne besondere Umstände vom Regelfall auszugehen sei, dass Verfügungen keine Verwaltungsmaßnahmen sind, trifft dagegen nicht zu. Sie beruht auf einem Missverständnis der von ihm im Ausgangspunkt allerdings zu Recht herangezogenen Rechtsprechung des BGH, die den Begriff der Verwaltungsmaßregel näher bestimmt (a). Auch seine hilfsweise angestellten Erwägungen, die Veräußerung des Ferienhauses hätte eine von der Minderheit nicht hinzunehmende wesentliche Veränderung des Nachlasses bedeutet, sind nicht frei von Rechtsfehlern (b).
a) Unter den Begriff gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses i.S.v. § 2038 Abs. 1 BGB fallen alle Maßregeln zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten (BGH, Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267 unter 3; Beschl. v. 29.1.1952 - V BLw 16/51, LM Nr. 2 zu § 2038 BGB). Dazu zählen grundsätzlich auch Verfügungen über Nachlassgegenstände, nur muss neben der Ordnungsmäßigkeit die Erforderlichkeit einer solchen Verwaltungsmaßnahme durch besondere Umstände belegt sein, um eine Mitwirkungspflicht zu begründen.
aa) Das ergibt sich aus dem Wortlaut, der systematischen Stellung und Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift.
§ 2038 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 BGB spricht sehr viel umfassender als etwa § 2040 Abs. 1 BGB, der sich nur auf Verfügungen bezieht, von "Maßregeln". Die systematische Stellung des engeren § 2040 Abs. 1 BGB, der dem weiter gehenden § 2038 Abs. 1 BGB nachfolgt, unterstützt ein solches Verständnis, das auch durch die Entstehungsgeschichte belegt wird. Nach den Motiven zum BGB umfasst die Verwaltung - ähnlich weit - die gesamte tatsächliche und rechtliche Verfügung über das verwaltete Gut, schließt also Veräußerungen, zu denen der Verwalter berechtigt ist, nicht aus (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, V. Band, S. 337 zu § 1978 Abs. 1). Auch § 180 ZVG, der jedem Erben das Recht einräumt, zur Vorbereitung der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft selbständig einen Antrag auf Teilungsversteigerung zu stellen (BGH, Urt. v. 19.11.1998 - IX ZR 284/97, MDR 1999, 376 = NJW-RR 1999, 504, unter II 2; Heldrich in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 2042 Rz. 65) verdeutlicht, dass Verfügungen, die einer Erbauseinandersetzung vorangehen und sie eventuell vorbereiten sollen - einschließlich solcher über Nachlassgrundbesitz -, Verwaltungsmaßnahmen sein können (BGH v. 4.5.1987 - II ZR 211/86, BGHZ 101, 24 [26 f.] = MDR 1987, 1001; v. 16.11.1998 - II ZR 68/98, BGHZ 140, 63, 68 f.; ebenso Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., § 43 I 3a; Staudinger/Werner, BGB [2002], § 2038 Rz. 6 f.).
bb) Die vom Berufungsgericht missverstandene Formulierung im Urteil des BGH v. 22.2.1965 (BGH, Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267, unter 3), dass unter Umständen zur Verwaltung auch Verfügungshandlungen erforderlich werden können, sollte lediglich das gesetzliche Gebot der Erforderlichkeit einer konkreten Verwaltungsmaßnahme hervorheben, ersichtlich aber nicht den Kreis der möglichen mitwirkungspflichtigen Verwaltungsmaßregeln einschränken. Eine Veräußerung wird danach nicht erst durch besondere Umstände zur Verwaltungsmaßnahme, vielmehr bedarf es besonderer Umstände, damit sie im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung als erforderlich bewertet werden kann.
cc) Die Annahme, eine Verwaltungsmaßnahme scheitert schließlich nicht daran, dass es sich bei der vorgesehenen Veräußerung des Ferienhauses im Juni 2002 um eine damit unvereinbare Teilauseinandersetzung gehandelt hätte (BGH, Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267). Anhaltspunkte für eine (ggf. sogar unzulässige) Teilauseinandersetzung gibt es nach den Angaben zu dem Veräußerungsgeschäft nicht; nicht einmal der Erlös sollte sogleich verteilt werden. Die beabsichtigte schlichte freihändige Veräußerung des Nachlassgrundstückes könnte sich allenfalls als eine insoweit unschädliche, die Erbauseinandersetzung lediglich vorbereitende Maßnahme darstellen, die ihre Eigenschaft als Verwaltungsmaßregel nicht in Frage stellt.
Die Veräußerungspläne der Klägerin betrafen daher eine gem. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB grundsätzlich mitwirkungspflichtige Verwaltungsmaßregel.
b) Die Beklagte war auch nicht deswegen von ihrer Mitwirkungspflicht entbunden, weil in der Veräußerung eine "wesentliche Veränderung des Gegenstandes" gelegen hätte, die gem. §§ 2038 Abs. 2 S. 1, 745 Abs. 3 S. 1 BGB nicht verlangt werden kann.
aa) Das Berufungsgericht hat die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage offen gelassen, ob mit Gegenstand i.S.d. § 745 Abs. 3 S. 1 BGB der gesamte Nachlass (so die wohl h.M.: Heldrich in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 2038 Rz. 30; Ann, Die Erbengemeinschaft, S. 22 f.; Brox, Erbrecht, 21. Aufl., Rz. 492; Staudinger/Langhein, BGB [2002], § 745 Rz. 10, 42; Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 2038 Rz. 6; Muscheler, ZEV 1997, 169 [225]; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., § 43 I 3b) oder auch bzw. nur der konkrete einzelne Nachlassgegenstand gemeint ist (LG Hannover v. 24.1.1990 - 1 S 240/89, NJW-RR 1990, 454; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2038 Rz. 9; Schlüter, Erbrecht, 15. Aufl., Rz. 672; Staudinger/Werner, BGB [2002], § 2038 Rz. 13).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Für die Wesentlichkeit einer Veränderung ist auf den gesamten Nachlass abzustellen, anderenfalls läge in jeder Verfügung über einen Nachlassgegenstand eine wesentliche Veränderung; derartige Maßnahmen wären mithin nie ordnungsgemäß. Das wäre indes mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Mitwirkungsregelungen unvereinbar, die - wie vorstehend unter 2 a) ausgeführt - Verfügungen in den Katalog der möglichen Verwaltungsmaßregeln grundsätzlich mit einbeziehen.
Gestützt wird dies durch die Gesetzgebungsmotive zur Bruchteilsgemeinschaft. Die Frage nach dem Gegenstand der Gemeinschaft soll sich aus "den Vorschriften über die in Frage kommenden Rechtsinstitute" ergeben (Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, II. Band, S. 488). Dies ist aus dem Kontext der maßgeblichen Verweisung des § 2038 Abs. 2 S. 1 BGB der gesamte Nachlass. So regelt § 2038 Abs. 1 BGB - anders als etwa § 2040 Abs. 1 BGB - nicht (nur) die Verwaltung eines einzelnen Nachlassgegenstandes, sondern die Verwaltung des Nachlasses insgesamt (Muscheler, ZEV 1997, 169 [171]). Auch zur Erhaltung notwendige Maßregeln i.S.d. § 2038 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 BGB können sowohl solche sein, die auf Erhaltung des Nachlasses in seiner Gesamtheit abzielen, als auch solche, die nur der Erhaltung bestimmter einzelner Nachlassgegenstände dienen (BGHZ 6, 76 [80 f.]). Damit umfasst die Verweisung des § 2038 Abs. 2 S. 1 BGB auf § 745 Abs. 3 BGB ebenso den Nachlass als Ganzen (BGH v. 16.11.1998 - II ZR 68/98, BGHZ 140, 63 [66 f.]; Heldrich in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 2038 Rz. 30; Brox, Erbrecht, 21. Aufl., Rz. 492; Muscheler, ZEV 1997, 169 [225]).
bb) Nicht gefolgt werden kann schließlich der Ansicht des Berufungsgerichts, es liege eine wesentliche Veränderung des Nachlasses vor, weil der Wert des Ferienhauses im Verhältnis zum Gesamtnachlass erheblich sei. Eine wesentliche Veränderung setzt voraus, dass durch die Verwaltungsmaßnahme die Zweckbestimmung oder Gestalt des Nachlasses in einschneidender Weise geändert werden würde (BGH v. 4.5.1987 - II ZR 211/86, BGHZ 101, 24 [28] = MDR 1987, 1001; Urt. v. 8.3.2004 - II ZR 5/02, MDR 2004, 934 = BGHReport 2004, 970, unter II 2b; Urt. v. 14.11.1994 - II ZR 209/93, MDR 1995, 350 = NJW-RR 1995, 267, unter II 2a aa und ständig). In diesem Zusammenhang misst das Berufungsgericht den wirtschaftlichen Auswirkungen der beabsichtigten Veräußerung zu wenig Gewicht bei.
Durch den Verkauf des Grundstücks wäre der an die Erbengemeinschaft zu zahlende Erlös im Wege der dinglichen Surrogation an die Stelle der Immobilie getreten (§ 2041 S. 1 BGB). Der Verkauf hätte also nur die Zusammensetzung des Nachlasses verändert, ohne dessen Substanzwert zu mindern. Zweck der §§ 2038 ff., 743 ff. BGB ist es hingegen, Wertverluste des Nachlasses bis zu dessen Teilung zu vermeiden (AnwKomm-BGB/Ann, § 2038 Rz. 1). Vor diesem Hintergrund stellt sich die geplante Veräußerung eines von mehreren Nachlassgrundstücken als bloße Umstrukturierung des Gesamtnachlasses dar, mit der lediglich das ursprünglich bestehende etwa gleichwertige Verhältnis von Barvermögen und Grundbesitz zu Gunsten des Barvermögens verschoben werden sollte. Bei einem Gesamtnachlasswert von über 800.000 EUR kann eine solche Veränderung des Nachlassbestandes in Höhe des zu erzielenden Kaufpreises von 144.000 EUR nicht als wesentlich gewertet werden; die wirtschaftliche Grundlage der Erbengemeinschaft bliebe davon unberührt (K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., §§ 744, 745 Rz. 25). Ebenso wenig würde dadurch der Charakter des gesamten Nachlasses geändert (BGH v. 16.11.1998 - II ZR 68/98, BGHZ 140, 63 [69]). Zum Nachlass gehörten mehrere Immobilien; das streitgegenständliche Ferienhaus hat ihm also nicht das maßgebliche Gepräge geben können.
Den Entzug der konkreten Nutzungsmöglichkeit durch den Verkauf einer bestimmten Immobilie muss der einzelne Miterbe hingegen hinnehmen, da die §§ 2038 Abs. 2 S. 1, 745 Abs. 3 S. 2 BGB nur die Nutzungsquote garantierten, nicht aber die reale Eigennutzung (BGH, Urt. v. 14.11.1994 - II ZR 209/93, MDR 1995, 350 = NJW-RR 1995, 267, unter II 2a bb).
3. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Grundstücksveräußerung als Verwaltungsmaßregel i.S.d. § 2038 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 BGB ordnungsgemäß und auch erforderlich gewesen wäre. Das wird nachzuholen sein. Der Senat weist insoweit vorsorglich auf folgende Gesichtspunkte hin.
a) Die Ordnungsmäßigkeit einer Maßnahme ist aus objektiver Sicht zu beurteilen (BGH, Urt. v. 20.12.1982 - II ZR 13/82, MDR 1983, 560 = NJW 1983, 932, unter II 4d; KG OLGE 30, 184). Entscheidend ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers (BGH, Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 208/63, FamRZ 1965, 267). Nach dem bisherigen Parteivortrag wird insoweit insb. zu berücksichtigen sein, ob dem von der Klägerin geforderten Verkauf ggü. dem weiteren Leerstand des Hauses oder den vom Berufungsgericht genannten anderen Möglichkeiten - Sanierung, Vermietung oder Übernahme des Ferienhauses durch einen Miteigentümer - aus wirtschaftlicher Sicht der Vorzug zu geben gewesen wäre.
b) Die sich anschließend ggf. stellende Frage der Erforderlichkeit ist danach zu beantworten, ob ohne den beabsichtigten Verkauf eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Nachlasswertes zu besorgen gewesen wäre (BGH, Urt. v. 12.1.1972 - IV ZR 1206/68, LM Nr. 2/3 zu § 2120 BGB; Urt. v. 17.9.1954 - V ZR 35/54, LM Nr. 14 zu § 1004 BGB). Dafür reicht der Umstand, dass der Landeswohlfahrtsverband H. als Kostenträger für den unter Betreuung stehenden Bruder der Parteien und Miterben zur Deckung seiner Kosten eine Veräußerung des streitgegenständlichen Anwesens gewollt und bereits in anderem Zusammenhang dem Bruder mit einer Teilungsversteigerung gedroht hat, allerdings nicht aus. Dieser in der Berufungsinstanz erstmals gehaltene - unstreitige - Sachvortrag der Klägerin hätte zwar grundsätzlich Berücksichtigung finden müssen (BGH v. 18.11.2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138 [141 ff.] = BGHReport 2005, 318 m. Anm. Schultz = MDR 2005, 527 m. Anm. Timme). Dem Landeswohlfahrtsverband stand aber auch Barvermögen des Nachlasses in nicht unbeträchtlicher Höhe zur Befriedigung seiner Geldforderung zur Verfügung. Bislang ist kein Grund vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, warum sich der Landeswohlfahrtsverband nicht hieraus als für den Nachlass weniger einschneidende Maßnahme - leichter und ohne etwaige wirtschaftliche Nachteile bei einer Zwangsversteigerung des Grundstückes - befriedigen könnte. Es besteht daher auch kein Anhalt, dass die Grundstückssubstanz wegen dieser Forderungen ohnehin nicht zu erhalten gewesen wäre (BGH v. 8.6.2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254 [258 f.] = GesR 2005, 18 = MDR 2004, 1313 = BGHReport 2004, 1375 m. Anm. Heßler).
c) Die Feststellung des LG, das von der Beklagten behauptete Interesse an der Eigennutzung der Immobilie sei nur vorgeschoben gewesen, steht einer neuerlichen Beweiserhebung insoweit nicht entgegen. Schon die in der Berufungsbegründung der Beklagten dargelegten Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen geben Anlass für eine erneute Beweisaufnahme (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; BGH, Urt. v. 8.6.2004 - VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254 = GesR 2005, 18 = MDR 2004, 1313 = BGHReport 2004, 1375 m. Anm. Heßler = NJW 2004, 2828, unter II 2b bb [1] und [2]). In diesem Zusammenhang kann auch der Vorhalt der Beklagten Bedeutung erlangen, die Klägerin habe vorschnell auf eine Veräußerung gedrungen, dieser Verkauf sei übereilt gewesen.
d) Sollte eine Mitwirkungspflicht festzustellen sein, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Beklagte ihr schuldhaft nicht nachgekommen ist. Die Verkaufsbemühungen sind von der Klägerin lange vor dem Erbfall eingeleitet worden. Der erst nach dem Erbfall damit in ihrer Eigenschaft als Miterbin befassten Beklagten muss eine gewisse Überlegungsfrist zugebilligt werden, wie aus ihrer Sicht mit der Immobilie verfahren werden soll.
Fundstellen
Haufe-Index 1454306 |
BGHZ 2006, 181 |
NJW 2006, 439 |
BGHR 2006, 166 |
FamRZ 2006, 192 |
DNotI-Report 2006, 5 |
MittBayNot 2006, 245 |
WM 2006, 638 |
ZAP 2006, 426 |
ZEV 2006, 24 |
ZEV 2006, 470 |
JA 2006, 328 |
MDR 2006, 448 |
ZErb 2006, 95 |
ZFE 2006, 119 |
ZNotP 2006, 68 |
EE 2006, 37 |
LL 2006, 170 |