Leitsatz (amtlich)
a) Die Berufungszuständigkeit nach § 91 Satz 2 GWB beurteilt sich allein danach, ob eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit nach § 87 GWB vorliegt (materielle Anknüpfung). Für die Zuständigkeit nach § 91 Satz 2 GWB genügt es entgegen früherer Rechtslage nicht, dass ein nach §§ 87, 89 GWB zuständiges LG erkennbar in dieser Eigenschaft entschieden hat (formelle Anknüpfung).
b) Besteht eine Unsicherheit über die Berufungszuständigkeit eines nach §§ 91, 93, 92 i.V.m. § 87 GWB zuständigen OLG kann die Berufung, über die gem. § 119 GVG das allgemein zuständige Berufungsgericht zu entscheiden hat, fristwahrend auch bei dem für Kartellsachen zuständigen OLG eingelegt werden. Dies ist insb. dann der Fall, wenn ein nach §§ 87, 89 GWB zuständiges LG erkennbar in dieser Eigenschaft entschieden hat.
c) § 2 Abs. 4 TKG steht einer parallelen Anwendung der §§ 19, 20 GWB neben § 28 TKG nicht entgegen.
Normenkette
GWB §§ 87, 91-93; GVG § 119; ZPO §§ 517, 519, 520 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Kartellsenats des OLG Düsseldorf vom 9.5.2018 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Entgelte für die Ausstrahlung von Programmsignalen.
Rz. 2
Die Beklagte betreibt in Potsdam einen Radiosender und nimmt zur Übertragung der analogen UKW-Hörfunksignale die von der Klägerin betriebenen terrestrischen Sendeanlagen in Anspruch.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 19.8.2015 genehmigte die Bundesnetzagentur die Entgelte der Klägerin für die Zeit ab 1.1.2016. Für die Zeit ab 17.8.2015 bis Ende 2015 wurden die Entgelte der Klägerin für unwirksam erklärt und andere - niedrigere - Entgelte angeordnet, ferner wurde der Klägerin untersagt, die beanstandeten Entgelte zu fordern.
Rz. 4
Auf die Zahlungsklage der Klägerin schlossen die Parteien am 26.10.2015 im Berufungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf einen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich für den Zeitraum bis 30.9.2015 zur Zahlung von rund 175.000 EUR. Die Klägerin verzichtete auf Zahlung des danach noch offenen Restbetrages. Nr. 6 des Vergleichs hat folgenden Inhalt:
"Die Beklagte (...) verpflichtet sich, sämtliche Rechnungen der Klägerin (...), welche nach dem 30.09.2015 datieren und/oder fällig werden, jederzeit fristgemäß und vollständig auszugleichen. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Ausgleich dieser Rechnungen neben dem Ausgleich des unter Ziffer 1 dieser Vereinbarung aufgeführten Betrags und der jeweiligen Raten erfolgt."
Rz. 5
Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Entgelt für im Zeitraum von Oktober 2015 bis April 2016 erbrachte Übertragungsleistungen in Anspruch. Diese Entgelte wurden nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 19.8.2015 ermittelt.
Rz. 6
Das von der Klägerin angerufene LG Bonn hat den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag der Klägerin an das nach § 87 GWB für kartellrechtliche Streitigkeiten zuständige LG Köln verwiesen. Das LG Köln hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Dagegen hat die Beklagte beim OLG Düsseldorf Berufung eingelegt.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage, hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weiter hilfsweise die Zurückverweisung an das OLG Köln begehrt.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.
Rz. 9
I. Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf WuW 2018, 481) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 10
Das Gericht sei für die Berufung gegen das Urteil des LG Köln nicht zuständig. Eine Zuständigkeit ergebe sich nicht aus §§ 93, 92 Abs. 1, 91, 87 GWB i.V.m. § 2 der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz vom 30.8.2011. Der Rechtsstreit sei keine Rechtsstreitigkeit nach § 87 GWB.
Rz. 11
Die Zuständigkeit ergebe sich nicht daraus, dass das LG über den Rechtsstreit - formal - (auch) als Kartellgericht entschieden habe, indem es in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt habe, "angesichts der Erhebung der Missbrauchseinrede des § 19 GWB" zur Entscheidung gemäß "§§ 87, 95 GWB" berufen zu sein. Die Berufungszuständigkeit des Kartellsenats richte sich ausschließlich nach der materiellen Anknüpfung. Der Rechtsstreit werfe keine kartellrechtliche Hauptfrage auf. Es sei auch nicht festzustellen, dass die Entscheidung des Rechtsstreits gem. § 87 Satz 2 GWB von einer kartellrechtlichen Vorfrage abhänge. Für den Fall, dass das für Berufungen allgemein zuständige Nichtkartellgericht angerufen werde, sei allein dieses Gericht zur Prüfung berufen, ob die Entscheidungserheblichkeit zu bejahen sei. Erst und nur dann, wenn hiernach das Nichtkartellgericht - in vertretbarer Weise - zu der Auffassung gelange, der Rechtsstreit sei nicht ohne die Beantwortung einer solchen Vorfrage zu entscheiden, verliere es seine Zuständigkeit und sei der Berufungsrechtsstreit ggf. in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das nunmehr zuständige Kartellberufungsgericht zu verweisen. Nichts Anderes gelte in den Fällen, in denen - wie im Streitfall - Berufung bei dem Kartellberufungsgericht eingelegt worden sei. Allein dieses Verständnis werde auch dem Sinn und Zweck der ausschließlichen Zuständigkeit (§ 95 GWB) der nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen besonders berufenen Gerichte und Spruchkörper gerecht, der in der Gewährleistung von Einheitlichkeit und Qualität der kartellrechtlichen Rechtsprechung liege. Eine nicht hinzunehmende Gefahr der Hemmung der Kartellberufungsgerichte in der Bewältigung ihrer vorbezeichneten - eigentlichen - Aufgabe wäre nicht nur dann zu besorgen, wenn es für ihre Entscheidungszuständigkeit genügte, dass das Nichtkartellberufungsgericht die Entscheidungserheblichkeit lediglich für wahrscheinlich halte. Diese Gefahr sei vielmehr ebenso zu besorgen, wenn das unmittelbar angerufene Kartellberufungsgericht zu einer vollen Rechtsprüfung zu dem Zweck der Feststellung der Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage verpflichtet wäre.
Rz. 12
Im Übrigen hänge die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht von der Beurteilung kartellrechtlicher Vorfragen i.S.d. § 87 Satz 2 GWB ab. Die Berufung reklamiere einen der Klägerin sowohl nach § 28 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 TKG als auch nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB anzulastenden Preishöhenmissbrauch und leite hieraus ab, der Klägerin sei ein i.S.v. § 87 Satz 2 GWB beachtlicher Kartellrechtsverstoß vorzuwerfen. Die Berufung übersehe, dass die Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes in § 87 GWB keine Erwähnung fänden, so dass die Frage eines am Maßstab des § 28 TKG zu beurteilenden Preishöhenmissbrauchs von vornherein nicht als kartellrechtliche Vorfrage i.S.v. § 87 Satz 2 GWB in Betracht kommen könne. Dies liege richtigerweise bereits darin begründet, dass nach zutreffender Rechtsansicht von einer Spezialität der Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes zur Zugangs- und Entgeltregulierung sowie zur telekommunikationsrechtlichen Missbrauchsaufsicht (§§ 28, 42 TKG) gegenüber den Missbrauchstatbeständen der §§ 19, 20 GWB auszugehen sei. Selbst bei einer parallelen Anwendbarkeit der Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gälte im Ergebnis nichts Anderes.
Rz. 13
Die Entscheidungserheblichkeit kartellrechtlicher Vorfragen sei auch deshalb zu verneinen, weil die Beklagte - wie das LG im Ergebnis mit Recht erkannt habe - aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichs rechtlich gehindert sei, gegenüber der Klageforderung den Einwand des Preishöhenmissbrauchs zu erheben. Die Beklagte habe ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis zugunsten der Klägerin abgegeben, mit dem sie sich verpflichtet habe, gegen Leistungsabrechnungen nach dem 30.9.2015 nicht den Einwand einer missbräuchlichen Entgeltüberhöhung zu erheben.
Rz. 14
Aus den genannten Gründen bestehe auch keine "Anrufungszuständigkeit" in dem Sinne, dass die Berufung auch fristwahrend beim Kartellberufungsgericht eingelegt werden könne. Dadurch werde der Zugang zu den staatlichen Gerichten für den Berufungsführer nicht unzumutbar erschwert. Der Rechtsmittelführer werde bereits dadurch hinreichend geschützt, dass er in Ausnahme von § 519 Abs. 1 ZPO die Berufung fristwahrend stets bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht einlegen könne.
Rz. 15
Die Verweisung des Rechtsstreits in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO scheide aus, weil kein schützenswertes Vertrauen der Beklagten dahin festzustellen sei, die Berufung fristwahrend bei dem Kartellberufungsgericht einlegen zu können. Im Ausgangspunkt setze die Verweisung eine "Anrufungszuständigkeit" voraus. Eine solche könne nur in Grenzfällen angenommen werden. Soweit das LG ausgeführt habe, seine ausschließliche Zuständigkeit folge bereits aus der Erhebung eines kartellrechtlichen Einwands für sich genommen, stehe dies in ganz offensichtlichem Widerspruch zum Wortlaut des § 87 Satz 2 GWB.
Rz. 16
II. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Rz. 17
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, die Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) und deren Begründung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) seien nicht durch Einreichung der Berufung und Berufungsbegründung bei diesem gewahrt worden.
Rz. 18
Nach der Rechtsprechung des BGH gehört zur Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes, dass der Rechtsuchende in die Lage versetzt wird, die verfahrensrechtlichen Wege zu erkennen, auf denen er sein Recht finden kann. Dies gilt auch für die Voraussetzungen, unter denen er eine ihm ungünstige gerichtliche Entscheidung anfechten kann, und für das Verfahren, das er bei einer solchen Anfechtung beachten muss, um eine sachliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zu erreichen. Eine Regelung, die das einzuhaltende Verfahren nur mit erheblicher Unsicherheit erkennen, einen darauf beruhenden Irrtum des Rechtsuchenden aber zur Unzulässigkeit seines Rechtsmittels führen lässt, genügt diesen Anforderungen nicht (BGH, Urt. v. 30.5.1978 - KZR 12/77, BGHZ 71, 367, 371 f. - Pankreaplex I; Beschl. v. 17.7.2018 - EnZB 53/17 Rz. 20 - Berufungszuständigkeit).
Rz. 19
Aufgrund dessen hat der Senat für eine Berufung, über die der Kartellsenat des OLG zu befinden hat, entschieden, dass diese fristwahrend auch bei dem nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG allgemein zuständigen OLG eingelegt werden kann (BGHZ 71, 367, 374 - Pankreaplex I). Dies hat er mit den Besonderheiten des gerichtlichen Kartellverfahrens begründet, in dem die gesetzliche Regelung der Zuständigkeit für das Rechtsmittel - insb. aufgrund der Schwierigkeiten, die mit der Einordnung als Kartellsache verbunden sein können, und aufgrund landesrechtlicher Konzentrationsregelungen - nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen lässt, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach einer Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist. Verneint das angerufene Gericht seine Zuständigkeit, hat es den Rechtsstreit in analoger (vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1996 - XII ZB 90/95 NJW-RR 1997, 55) Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht zu verweisen (BGHZ 71, 367, 374 - Pankreaplex I).
Rz. 20
Der Partei kann bei einer Unsicherheit über das funktionell zuständige Gericht nicht zugemutet werden, zur Vermeidung der Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht als auch bei dem nach §§ 91, 93, 92 GWB i.V.m. § 87 GWB zuständigen Berufungsgericht einzulegen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.11.2016 - V ZB 73/16, ZWE 2017, 101, 102; Beschl. v. 22.3.2016 - I ZB 44/15 NJW-RR 2017, 105, Rz. 23 - Gestörter Musikvertrieb; a.A. KK-KartR/Voß, § 93 GWB Rz. 12).
Rz. 21
Dem Rechtsmittelführer kann im Falle einer Unsicherheit über das Bestehen der Spezialzuständigkeit des für Kartellsachen zuständigen OLG auch nicht zugemutet werden, das Rechtsmittel stets beim allgemein zuständigen Gericht einzulegen. Im Falle der Zuständigkeit des Kartellgerichts führte die Einlegung der Berufung beim allgemein zuständigen Berufungsgericht zu einer nicht zumutbaren Verfahrensverzögerung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts obliegt nämlich die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage nicht primär dem allgemein zuständigen Berufungsgericht. Dies hängt vielmehr davon ab, ob die Berufung zunächst bei diesem (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, NZKart 2018, 194, 197 - kartellrechtliche Vorfrage) oder bei dem Kartellberufungsgericht eingelegt wurde. Es liegt in der Natur der Sache, dass das zunächst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entscheidet.
Rz. 22
Für die vom Berufungsgericht angenommene Primärzuständigkeit des allgemein zuständigen Berufungsgerichts findet sich im Gesetz keine Grundlage. Denn § 91 Satz 2 GWB und §§ 92, 93 GWB sehen die Zuständigkeit der bei den OLG eingerichteten Kartellsenate bzw. der durch Rechtsverordnung der Landesregierung bestimmten Kartell-OLG unabhängig von einer vorangehenden Vorprüfung durch das allgemein zuständige Berufungsgericht vor (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1959 - KZR 1/59, BGHZ 31, 163, 167; Urt. v. 17.7.2018 - EnZB 53/17 Rz. 17 - Berufungszuständigkeit).
Rz. 23
Insoweit unterscheidet sich die jetzige von der bis zum Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle geltenden Rechtslage. Nach der bis dahin geltenden Regelung in § 96 Abs. 2 GWB a.F. begründete das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Vorfrage nicht die Zuständigkeit des Kartellgerichts. Vielmehr hatte das allgemein zuständige Gericht das Verfahren bis zur Entscheidung durch die nach diesem Gesetz zuständigen Behörden und Gerichte über die entscheidungserhebliche Vorfrage auszusetzen. Das allgemein zuständige Gericht hatte damit über die Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage in alleiniger Zuständigkeit zu entscheiden (BGH, Beschl. v. 15.6.1959 - KAR 1/59, BGHZ 30, 186, 193/194).
Rz. 24
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch die Neuregelung die "Unterscheidung für die sachliche Zuständigkeit von Kartellgerichten zwischen kartellrechtlicher Hauptfrage und Vorfrage" aufgegeben und durch eine "Gesamtzuständigkeit der Kartellgerichte für Kartellrechtsfragen ersetzt" werden, da sich diese Trennung als wenig praktikabel erwiesen hatte (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/9720, 68). Für die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es für die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit bei der Zuständigkeit der allgemein zuständigen Gerichte verbleiben sollte, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil sprechen die in der Gesetzesbegründung angesprochene "Gesamtzuständigkeit der Kartellgerichte" und die Praktikabilität dafür, dass das zunächst angerufene Gericht die Frage der Entscheidungserheblichkeit unabhängig von einer Vorprüfung durch ein anderes Gericht zu treffen hat.
Rz. 25
Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Kartellsenats der Zivilsenat beim BGH seine Zuständigkeit bejahen, wenn er keine ernsthaften Zweifel daran hat, dass sich der Klageanspruch nicht aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herleiten lässt (BGH, Urt. v. 4.4.1975 - KAR 17/75, GRUR 1975, 610, 611 - Abschleppaufträge). Ferner konnte nach früherer Rechtslage von einer Aussetzung nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. abgesehen werden, wenn der erkennende Zivilsenat des BGH die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu beurteilenden Vorfrage in Übereinstimmung mit den Parteien für völlig unzweifelhaft hielt (BGH, Urt. v. 26.6.1969 - X ZR 52/66, GRUR 1969, 677, 679 - Rüben-Verladeeinrichtung) oder wenn die entscheidungserhebliche Vorfrage in rechtlicher Hinsicht als durch den Kartellsenat des BGH bereits als geklärt anzusehen war (BGH, Urt. v. 4.10.1988 - X ZR 3/88 GRUR 1989, 39, 40 - Flächenentlüftung). Dies betrifft jedoch lediglich die Frage der teleologischen Reduktion der Zuständigkeitsnorm. Aus dieser Rechtsprechung lässt sich eine primäre Zuständigkeit des allgemein zuständigen Gerichts zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit nicht herleiten, sondern allenfalls, dass die Zuständigkeit der Kartellgerichte in den genannten Fällen keine ausschließliche ist (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 87 Rz. 36; Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., § 87 Rz. 20). Es kann deshalb in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob es einer teleologischen Reduktion des § 87 GWB bzw. der §§ 91 Satz 2, 93, 92 GWB in dem genannten Umfang mit der Einschränkung bedarf, dass der Einschätzung der Parteien insoweit keine Bedeutung zukommt (bejahend: BAG, Urt. v. 29.6.2017 - 8 AZR 189/15, BAGE 159, 316 Rz. 30; Beschl. v. 28.3.2019 - 8 AZR 366/16, juris Rz. 20; K. Schmidt, a.a.O., § 87 Rz. 36; Bornkamm/Tolkmitt, a.a.O., § 87 Rz. 20 und 22; a.A. Ahrens/Bacher, 8. Aufl., Kap. 77 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 26
Angesichts der Unsicherheit über das zuständige Gericht kann die Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Gericht als auch bei dem nach §§ 91, 93, 92 GWB i.V.m. § 87 GWB zuständigen Gericht eingelegt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 17.11.2016 - V ZB 73/16, ZWE 2017, 101, 102). Während die Berufung beim allgemein zuständigen Gericht auch eingelegt werden kann, wenn an der Zuständigkeit des für Kartellsachen zuständigen OLG keine vernünftigen Zweifel bestehen (BGHZ 71, 367, 374 f. - Pankreaplex I), kann die Berufung beim Kartellberufungsgericht allerdings dann nicht eingelegt werden, wenn keinerlei vernünftige Zweifel an der Zuständigkeit des allgemeinen Berufungsgerichts bestehen. Denn in diesem Fall kann es mangels einschlägiger landesgesetzlicher Konzentrationsregelungen keine Unsicherheit geben.
Rz. 27
Eine eindeutige Zuständigkeit des allgemeinen Berufungsgerichts ist bereits dann zu verneinen, wenn ein nach §§ 87, 89 GWB zuständiges LG erkennbar in dieser Eigenschaft entschieden hat. So verhält es sich hier. In den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils wird ausgeführt, dass sich eine ausschließliche Zuständigkeit nach §§ 87, 95 GWB angesichts der Erhebung der Missbrauchseinrede des § 19 GWB ergebe.
Rz. 28
Unter diesen Umständen konnte nach dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit die Berufung gegen das Urteil des LG daher i.S.d. § 519 Abs. 1 ZPO wirksam bei dem OLG eingelegt werden, bei dem gem. §§ 91 Satz 1, 92, 93 GWB ein Kartellsenat gebildet ist. Dies ist nach § 2 der Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 30.8.2011 (GV NRW 469) das OLG Düsseldorf (Berufungsgericht).
Rz. 29
III. Die Sache ist zu neuer Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Eine Verweisung an das OLG Köln kommt nicht in Betracht, da das Berufungsgericht zur Entscheidung berufen ist.
Rz. 30
1. Gemäß § 91 Satz 2 GWB entscheidet der Kartellsenat beim OLG über die Berufung gegen Endurteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87 GWB (bei dem Verweis auf Abs. 1 handelt es sich offensichtlich um ein Redaktionsversehen). Diese Gesetzesformulierung unterscheidet sich von der bis zum Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle am 1.1.1999 (Bek. vom 26.8.1998, BGBl. I 1998, 2546) geltenden Regelung. Danach hatte der Kartellsenat über die Berufung gegen Endurteile "der nach §§ 87, 89 [GWB] zuständigen Landgerichte" (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.7.1957, § 92, BGBl. I 1081, 1098) zu entscheiden. Durch die Änderung ist die materielle Anknüpfung an die Stelle der formellen Anknüpfung getreten. Dies hat zur Folge, dass auch eine in erster Instanz von einem Nichtkartellgericht entschiedene Rechtsstreitigkeit nach § 87 GWB von dem beim OLG zu bildenden Kartellsenat zu entscheiden ist (BGH, Urt. v. 9.5.2000 - KZR 1/99 WRP 2000, 757, 759 - Aussetzungszwang). Andererseits genügt es entgegen teilweise vertretener Meinung für die Zuständigkeit nach § 91 Satz 2 GWB nicht mehr, dass ein nach §§ 87, 89 GWB zuständiges LG erkennbar in dieser Eigenschaft entschieden hat (BGH, Urt. v. 17.7.2018 - EnZB 53/17, Rz. 24 - Berufungszuständigkeit; a.A. K. Schmidt, a.a.O., § 91 GWB Rz. 14). Erforderlich ist vielmehr stets, dass eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i.S.d. § 87 GWB vorliegt.
Rz. 31
2. Zutreffend und von der Revision nicht beanstandet hat das OLG das Vorliegen einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit nach § 87 Satz 1 GWB (sog. Kartellstreitsache, vgl. BGH, WRP 2000, 757, 758 - Aussetzungszwang; BGH, Beschl. v. 11.12.2001 - KZB 12/01 GRUR 2002, 464 - LDL-Behandlung) verneint. Die mit dem Klagebegehren erstrebte Rechtsfolge (vgl. BGH GSZ, Beschl. v. 22.3.1976 - GSZ 2/75, GRUR 1977, 51, 52 - Auto-Analyzer) kann nicht aus den in § 87 Satz 1 GWB genannten Normen hergeleitet werden.
Rz. 32
3. Die besondere Zuständigkeit des Kartellsenats beim OLG besteht gem. § 91 Satz 2 i.V.m. § 87 Satz 2 GWB auch für Streitsachen mit kartellrechtlicher Vorfrage. Eine solche ist gegeben, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung, die nach diesem Gesetz zu treffen ist, oder von der Anwendbarkeit des Art. 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Art. 53 oder 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum abhängt. Die die genannten Normen betreffende Vorfrage muss damit entscheidungserheblich sein. Dies setzt, was auch das Berufungsgericht nicht verkennt, voraus, dass der Streit nicht ohne Entscheidung der kartellrechtlichen Vorfrage spruchreif ist, also abschließend entschieden werden kann (BGH, Beschl. v. 28.2.1985 - I ZR 174/82 GRUR 1985, 883, 884 - Abwehrblatt; BAGE 159, 316 Rz. 20; BAG, Beschl. v. 28.3.2019 - 8 AZR 366/16, juris Rz. 13).
Rz. 33
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht das Vorliegen einer entscheidungserheblichen kartellrechtlichen Vorfrage verneint.
Rz. 34
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass es für die Frage der Entscheidungserheblichkeit nicht auf die Bewertung der Parteien, sondern auf die objektive Beurteilung durch das Gericht ankommt (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1975 - KAR 1/75, GRUR 1975, 610, 611 - Abschleppaufträge). Aus der nunmehr geltenden materiellen Anknüpfung (s.o. III. 1) folgt, dass auch die Einschätzung der Vorinstanz unerheblich ist (vgl. BGH, GRUR 1975, 610, 611 - Abschleppaufträge).
Rz. 35
b) Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, der von der Beklagten geltend gemachte Preishöhenmissbrauch betreffe keine entscheidungserhebliche kartellrechtliche Vorfrage i.S.v. § 87 Satz 2 GWB.
Rz. 36
(aa) Bereits die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob § 28 TKG hinsichtlich des Missbrauchsverbots eine abschließende Regelung i.S.d. § 2 Abs. 4 Satz 1 TKG enthält, so dass §§ 19, 20 GWB daneben keine Anwendung finden, ist eine kartellrechtliche Vorfrage i.S.d. § 87 Satz 2 GWB. Denn sie betrifft die Anwendung der §§ 19, 20 GWB.
Rz. 37
(bb) Es kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht angenommen werden, dass § 2 Abs. 4 Satz 1 TKG eine parallele Anwendbarkeit von § 28 TKG und §§ 19, 20 GWB ausschließt (Kind, Geppert, Schütze, Schulze zur Wische, MMR-Beil. 2003, 3; Piepenbrock/Schuster, CR 2002, 98, 100; a.A. Cornils, Beck'scher TKG-Kommentar, § 2 TKG Rz. 98 f.; Scheurle/Mayen/Gärditz, TKG, 3. Aufl. 2018, Rz. 76; offenlassend: BVerwG, Urt. v. 16.12.2015 - 6 C 27.14, juris Rz. 25). Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 TKG bleiben die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, soweit durch dieses Gesetz nicht ausdrücklich abschließende Regelungen getroffen werden, anwendbar. Eine Regelung, die die Anwendbarkeit der §§ 19, 20 GWB explizit ausschließt, findet sich im Telekommunikationsgesetz nicht. Dagegen findet sich im Energiewirtschaftsgesetz eine solche Regelung in § 111 Abs. 2 EnWG. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass im Telekommunikationsgesetz eine solche Regelung nicht erforderlich, vielmehr eine implizite Vorrangbehauptung ausreichend ist (a.A. Cornils, a.a.O., § 2 TKG Rz. 98 m.w.N.). Wenn § 111 Abs. 1 EnWG, der die Anwendbarkeit von §§ 19, 20 GWB ausschließt, soweit "ausdrücklich abschließende Regelungen" getroffen werden, eine explizite Regelung verlangt, kann für die wortidentische Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 TKG mangels Anhaltspunkten für einen gegenteiligen Willen des Gesetzgebers nichts Anderes gelten. Eine ausdrückliche Regelung wäre im Übrigen auch deshalb erforderlich gewesen, weil sich aus § 123 Abs. 1 Satz 3 TKG ergibt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass im Bereich der Telekommunikation durch das BKartA Kartellverwaltungsverfahren nach §§ 19 und 20 GWB eingeleitet werden können. Diese Bestimmung sieht ein Recht zur Stellungnahme der Bundesnetzagentur in von dem BKartA nach den §§ 19, 20 GWB geführten Verfahren vor.
Rz. 38
(cc) Die Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage, ob ein Missbrauch nach §§ 19, 20 GWB zu bejahen ist, kann auch nicht mit der Erwägung des Berufungsgerichts verneint werden, die Missbrauchskontrolle nach §§ 19, 20 GWB könne zu keinem anderen Ergebnis führen als diejenige nach § 28 TKG. Es kann dahinstehen, ob dies zutrifft (für den Ausbeutungsmissbrauch bejahend: BVerwG, Urt. v. 16.12.2015 - 6 C 27.14, juris Rz. 25). Denn diese Frage betrifft die Anwendung der §§ 19, 20 GWB. Für deren Beantwortung sind gem. §§ 87 Satz 2, 91 GWB allein die spezialisierten Kartellgerichte zuständig.
Rz. 39
(dd) Das Berufungsgericht hat darüber hinaus verkannt, dass wegen des Vorrangs des Unionsrechts stets zu prüfen ist, ob Art. 102 AEUV zur Anwendung kommt (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 82 EG: BGH, Urt. v. 29.6.2010 - KZR 31/08 GRUR-Int. 2011, 165 Rz. 32 - GSM-Wandler). Wenden die einzelstaatlichen Gerichte das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht auf nach Art. 82 EG bzw. Art. 102 AEUV verbotene Missbräuche an, so wenden sie auch diese Vorschriften an (Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003). Insoweit stellt sich u.a. die durch die Kartellgerichte zu beurteilende Vorfrage, ob neben den speziellen Vorgaben des Art. 13 der Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), die durch § 31 TKG umgesetzt werden, ein eigenständiger Anwendungsbereich für eine Preishöhenkontrolle auf der Grundlage des allgemeinen Verbots des Ausbeutungsmissbrauchs nach Art. 102 Satz 2 Buchst. a AEUV bleibt (verneinend BVerwG, Urt. v. 16.12.2015 - 6 C 27.14, juris Rz. 27; vgl. noch zu TKG 1996: BGH, Urt. v. 10.2.2004 - KZR 6/02 und KZR 7/02 MMR 2004, 470, 471 - Dial & Benefit; vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 82 EG im Falle der Zugangsverweigerung: BGH, Urt. v. 29.6.2010 - KZR 24/08, WuW 2010, 1029, 1034).
Rz. 40
(ee) Zwar wären die vorstehend angesprochenen kartellrechtlichen Vorfragen nicht entscheidungserheblich, wenn ohne Prüfung kartellrechtlicher Normen festgestellt werden könnte, dass die Beklagte aufgrund des Vergleichs vom 26.10.2015 gehindert wäre, sich darauf zu berufen. Dies ist indes entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht der Fall. Die Beklagte hat sich in der Berufungsbegründung (S. 3) auf die Nichtigkeit der zwischen den Parteien geschlossenen Verträge und damit auch des Vergleichs berufen. Der Rechtsstreit wirft damit die Frage auf, ob der vom Berufungsgericht als deklaratorisches Schuldanerkenntnis qualifizierte Verzicht der Beklagten auf die Geltendmachung eines Preishöhenmissbrauchs und damit die Berufung auf die Verbotsgesetze gem. § 28 TKG, ggf. auch §§ 19, 20 GWB sowie gem. Art. 102 AEUV nach § 134 BGB unwirksam ist. Ein im Vergleichswege abgegebenes deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist trotz Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz wirksam, wenn der Vergleichsinhalt den Bereich nicht verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn beide Seiten auch in der Vorstellung gehandelt haben, durch den Vergleich ihrem Rechtsverhältnis keinen anderen Inhalt gegeben zu haben, als ihm bei richtiger Gesetzesauslegung zukommen kann (BGH, Urt. v. 22.9.2011 - IX ZR 1/11 VersR 2012, 60 Rz. 12). Die Beurteilung, ob der Bereich verlassen wird, der ernstlich zweifelhaft ist, hängt jedoch wiederum maßgeblich von der Anwendbarkeit und dem Inhalt der gesetzlichen Verbotsgesetze gem. §§ 19, 20 GWB, Art. 102 AEUV ab.
Rz. 41
IV. Nach alledem hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Rechtsstreit ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen