Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 22.05.2001) |
LG München I (Urteil vom 19.06.2000) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Mai 2001 und das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Juni 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der beiden Rechtsmittelverfahren, an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht von den Beklagten die anteilige Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit der Unterhaltung und Instandsetzung des sog. E.-I. in M. und dessen Übergabe an die Stadt M..
Mit notariellem Vertrag vom 29. März 1989 kaufte die Klägerin von der damaligen Deutschen Bundesbahn die Grundstücke des „E.-I” in M. zum Preis von 390 Mio. DM. Der Kauf umfaßte neben verschiedenen bebauten Grundstücken, die mit Erbbaurechten und dinglichen Vorkaufsrechten zugunsten der Erbbauberechtigten belastet waren, sämtliche Flächen eines privaten Erschließungssystems. Außerdem übertrug die Deutsche Bundesbahn der Klägerin ihre gegenüber der Landeshauptstadt M. übernommene Verpflichtung, das private Erschließungssystem zu erhalten und zu unterhalten. Die Klägerin verpflichtete sich, die erforderlichen infrastrukturellen Maßnahmen „federführend” für alle Käufer auf deren Rechnung durchzuführen. Dafür sollten die Käufer eine angemessene Vergütung zahlen. Als Federführende durfte die Klägerin „alles … noch Offene” nach billigem Ermessen bestimmen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben als Federführende erhielt die Klägerin von der Deutschen Bundesbahn einen einmaligen Zuschuß in Höhe von 29 Mio. DM. Nach Abschnitt B § 4 der Urkunde darf die Klägerin die Käufer erst dann in Anspruch nehmen, wenn der Zuschuß von 29 Mio. DM zuzüglich aufgelaufener Zinsen von 4 % p.a. verbraucht ist.
Die Beklagten, die Erbbauberechtigte verschiedener Grundstücke waren, übten in der Folgezeit ihr Vorkaufsrecht aus und wurden Eigentümer dieser Grundstücke. Am 4. Juni 1991 veräußerten sie das Grundstück an die Streitverkündeten T. zu hälftigem Miteigentum. Mit Vertrag vom 14. Dezember 1993/30. November 1994 veräußerte die Klägerin die gesamte private Infrastruktur des E.-I. an die Landeshauptstadt M..
Die Klägerin behauptet, der von der Deutschen Bundesbahn gewährte Zuschuß zuzüglich der vertraglichen Zinsgutschriften sei in Erfüllung der Federführungsaufgaben bereits bis zum April 1994 vollständig verbraucht worden. Über diesen Betrag hinaus sei sie weiter mit insgesamt 23.066.579 DM zugunsten der Grundstückseigentümer in Vorlage getreten. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zur Zahlung des auf sie entfallenden anteiligen Betrages von 305.370,54 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagten haben behauptet, die Klägerin habe einen erheblichen Teil des Zuschusses von 29 Mio. DM vertragswidrig verwendet.
Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Revision. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, es habe hier gemäß § 304 Abs. 1 ZPO gesondert über den Anspruchsgrund ein Zwischenurteil ergehen dürfen. Nach Darlegung der Klägerin sei der Verbrauch der 29 Mio. DM hinreichend wahrscheinlich, so daß darüber endgültig im Betragsverfahren entschieden werden könne. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen habe die Klägerin schlüssig vorgetragen; die Beklagten seien deshalb dem Grunde nach zur Übernahme der anteiligen Investitions- und Federführungskosten für die Erhaltung und Herstellung der Infrastruktur im E.-I. verpflichtet.
II.
Dies hält der Revision nicht stand.
1. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht allerdings an, daß die Beklagten an die Federführungsvereinbarung aus dem Kaufvertrag vom 29. März 1989 gebunden sind. Seit dem Urteil vom 14. Juli 1995 (V ZR 31/94, NJW 1995, 3183) entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß mit der Ausübung des Vorkaufsrechts der Vorkäufer die Verpflichtung der Klägerin übernommen hat, die Aufgabenstellung, Funktion und Tätigkeit der Federführenden hinzunehmen, die sich aus dem dem eigentlichen Kaufvertrag vom 29. März 1989 vorgeschalteten Auftragsverhältnis ergeben. Da Rechte und Pflichten aus dem Auftragsverhältnis selbst nicht Gegenstand des synallagmatischen Austauschverhältnisses der Parteien des Kaufvertrags vom 29. März 1989 geworden sind, ist zwischen der Klägerin und den Beklagten ein Federführungsvertrag nicht zustande gekommen. Mithin können die Beklagten die Federführungsregelung auch nicht kündigen, so daß es auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Klägerin wegen Vorenthaltung der für eine Kündigung erforderlichen Informationen den Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet ist, nicht mehr ankommt.
2. Das Berufungsurteil hat jedoch deshalb keinen Bestand, weil das vom Landgericht erlassene Grundurteil unzulässig ist.
a) Eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs gemäß § 304 Abs. 1 ZPO ist nur dann zulässig, wenn einerseits sämtliche den Grund des Anspruchs betreffenden Fragen zur Entscheidung reif sind (vgl. BGH, Urt. v. 23. September 1992, IV ZR 199/91, NJW-RR 1993, 91) und andererseits nach dem Sach- und Streitstand zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, daß der Anspruch in irgendeiner rechnerischen Höhe besteht (vgl. Senat, BGHZ 79, 45, 46; Urt. v. 20. Juli 2001, V ZR 170/00, NJW 2002, 302, 304; auch BGHZ 97, 97, 109; 111, 125, 133; 126, 217, 219), für das Nachverfahren also nichts als die Feststellung der Höhe des Anspruchs übrig bleibt (vgl. BGH, Urt. v. 13. Mai 1980, VI ZR 276/78, LM ZPO § 304 Nr. 43). Danach war der Erlaß eines Grundurteils auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen unzulässig.
b) Allerdings weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß § 304 ZPO prozeßwirtschaftlichen Erwägungen entspringt und daher dogmatische Erwägungen bei Auslegung dieser Vorschrift in den Hintergrund treten können (BGHZ 108, 256, 259). Bedeutung gewinnt die prozeßwirtschaftliche Ausrichtung der Norm namentlich bei der Abgrenzung der Fragen, die bei Erlaß des Grundurteils geklärt sein müssen, gegenüber den Fragen, deren Klärung dem Betragsverfahren überlassen werden kann (vgl. Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 304 Rdn. 16). Gründe der Prozeßwirtschaftlichkeit können es jedoch nicht rechtfertigen, die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Grund- und Betragsverfahren zugunsten einer davon losgelösten punktuellen Entscheidung über beliebige einzelne Tatbestandsvoraussetzungen einer Anspruchsnorm aufzugeben. Festzuhalten ist daher insbesondere daran, daß ein Grundurteil erst dann ergehen darf, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß der eingeklagte Anspruch wenigstens in irgendeiner Höhe besteht.
c) An den Voraussetzungen für den Erlaß eines Grundurteils fehlt es. Das Berufungsgericht geht zwar zu Recht davon aus, daß ein Anspruch der Klägerin nur dann besteht, wenn der von der Verkäuferin geleistete Zuschuß nebst den aufgelaufenen Zinsen und Verkaufserlösen für Infrastrukturmaßnahmen aufgebraucht ist (so bereits Senat, Urt. v. 14. Juli 1995, V ZR 31/94, NJW 1995, 3183, 3185). Es beachtet jedoch nicht, daß hiernach die vertragsgemäße Verwendung des Vorschusses Anspruchsvoraussetzung ist, mithin zum Grund des geltend gemachten Anspruchs zählt. Die Beklagten sind vor einer Inanspruchnahme durch die Klägerin solange geschützt, als diese den Zuschuß nicht vollständig vertragsgemäß verbraucht hat und hierüber einen entsprechenden Nachweis führt. Erst wenn der vertragsgemäße Verbrauch bewiesen ist, bleibt Raum für einen gegebenenfalls dem Betragsverfahren vorbehaltenen Streit über die Begründetheit und Höhe zusätzlicher Aufwendungen. Das Berufungsgericht hätte demnach vor Erlaß eines Grundurteils zunächst feststellen müssen, daß der Zuschuß von 29 Mio. DM zuzüglich aufgelaufener Zinsen und Verkaufserlösen tatsächlich und berechtigterweise aufgezehrt ist; eine nur „hinreichende Wahrscheinlichkeit” des Verbrauchs genügt insoweit nicht.
Die Bezeichnung der Zuwendung als „Zuschuß” führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Dies besagt lediglich, daß die Vertragsparteien 1989 davon ausgingen, es würden über die 29 Mio. DM hinaus Kosten entstehen. Es befreit die Klägerin weder von einem konkreten Nachweis der im Rahmen ihrer Federführung angefallenen Kosten, noch erlaubt es ihr eine beliebige Verwendung des Geldes.
Auch der Umstand, daß der Klägerin von der Deutschen Bundesbahn vorab (A § 15 der Vertragsurkunde) das Recht eingeräumt worden ist, alles noch Offene nach billigem Ermessen zu bestimmen, ändert daran nichts. Denn der Inhalt einer entsprechenden Ermessensentscheidung der Klägerin wäre einer gerichtlichen Nachprüfung unterworfen; im Falle ihrer Unbilligkeit könnte die Maßnahme als unverbindlich angesehen werden (vgl. Senat, Urt. v. 14. Juli 1995, aaO, 3185). Die nicht willkürliche bzw. vertragsfremde, sondern (im Sinne des Kaufvertrags vom 29. März 1989) vertragsgemäße Verwendung des Zuschusses ist demnach eine – zur Überprüfung der Ermessensausübung festzustellende – grundsätzliche Bedingung für eine Inanspruchnahme der Beklagten.
d) Die vom Berufungsgericht geprüfte „hinreichende Wahrscheinlichkeit” des Verbrauchs erlangt danach nur insoweit Bedeutung, als es um vertragsgemäße Aufwendungen und Entgelte der Klägerin geht, die den Zuschuß der Verkäuferin einschließlich der mit ihm erzielten Erlöse überschreiten. Hiervon abgesehen, ist das Urteil des Berufungsgerichts aber auch im Hinblick auf den herangezogenen Prüfungsmaßstab nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht begründet die von ihm bejahte Wahrscheinlichkeit lediglich mit der „Darlegung der Klägerin”. Dies kann für die Annahme der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht genügen; denn ansonsten müßte jeder Klägervortrag, soweit er überhaupt nach § 138 Abs. 1, 2 ZPO prozessual beachtlich ist, für den Erlaß eines Grundurteils ausreichen. Tatsächlich fehlt es aber dann an einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Klageanspruchs, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, daß sich bei näherer Prüfung der Klageforderung ein Anspruch in irgendeiner Höhe nicht feststellen läßt (BGH, Urt. v. 1. Juni 1976, VI ZR 162/74, VersR 1976, 987, 988). Dies kann nicht geprüft werden, ohne daß auch der Vortrag der Beklagten, die eingehend und nachdrücklich bestritten haben, daß die Klägerin den Zuschuß in voller Höhe zweckentsprechend für Infrastrukturmaßnahmen verbrauchte, Berücksichtigung findet. Das Berufungsgericht wird daher – sollte es die Anspruchsvoraussetzungen feststellen – nicht allein auf Grund des Klägervortrags über die ausreichende Wahrscheinlichkeit vertragsgemäßer Aufwendungen und Entgelte in einem den Zuschuß übersteigenden Umfang entscheiden können.
3. Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben. Die Sache ist aber – auf die Rüge der Revision (vgl. Senat, Urt. v. 22. März 1991, V ZR 16/90, NJW 1991, 2082, 2083) – nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn schon das erstinstanzliche Verfahren litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 539 ZPO a.F. Das Berufungsgericht hätte bereits nach dieser Vorschrift das Urteil des Landgerichts aufheben und die Sache an dieses zurückverweisen müssen (vgl. auch BGH, Urt. v. 12. Januar 1994, XII ZR 167/92, NJW-RR 1994, 379, 381 m.w.N.).
Unterschriften
Wenzel, Krüger, Klein, Gaier, Schmidt-Räntsch
Fundstellen
Haufe-Index 891993 |
NJOZ 2003, 327 |