Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskrafterstreckung eines gegen den Allleingesellschafter ergangenen Urteils gegen Kapitalgesellschaft
Leitsatz (amtlich)
Eine Kapitalgesellschaft muss sich nicht die Rechtskraft eines gegen ihren Alleingesellschafter ergangenen klageabweisenden Nichtigkeitsurteils entgegenhalten lassen.
Normenkette
ZPO § 325; PatG § 81 ff.
Verfahrensgang
BPatG (Urteil vom 14.12.2010; Aktenzeichen 4 Ni 24/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.12.2010 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des BPatG aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das PatG zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagten sind Inhaber des am 11.5.1995 angemeldeten deutschen Patents 195 16 780 (Streitpatents), das eine hydrodynamische Düse für die Reinigung von Rohren und Kanälen betrifft und 16 Patentansprüche umfasst.
Rz. 2
Der Geschäftsführer der Klägerin U. S., der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem PatG auch deren Alleingesellschafter war, hatte 2007 unter der Firma U. D. Inhaber U. S. Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 erhoben, die das PatG durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 22.4.2008 (Az. 4 Ni 25/07) abwies.
Rz. 3
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, das Streitpatent sei in vollem Umfang wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären. Sie stützt sich hierzu auf eine Reihe von Dokumenten sowie auf die Behauptung einer Vorbenutzung. Sie hat beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären, hilfsweise, dieses wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot für unwirksam zu erklären, weiter hilfsweise festzustellen, dass das Streitpatent wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot unwirksam sei.
Rz. 4
Das PatG hat, soweit die Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 angegriffen sind, die Klage als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen und die Hilfsanträge als unzulässig angesehen.
Rz. 5
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie nurmehr ihren Hauptantrag weiterverfolgt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der bisherige Alleingesellschafter der Klägerin einen Teil seiner Anteile einem weiteren Gesellschafter übertragen.
Rz. 6
Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
I. Das PatG hat ausgeführt, der Zulässigkeit der Klage stehe, soweit diese auf die Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang seiner Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 gerichtet sei, die Rechtskraft des Urteils im Verfahren 4 Ni 25/07 entgegen. Zwar könne eine Nichtigkeitsklage, solange das Patent in Kraft stehe, grundsätzlich von jedermann erhoben werden; insb. könne der selbst auf dem Gebiet des Streitpatents tätigen Klägerin ein eigenes Interesse an der Überprüfung der Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht ohne Weiteres abgesprochen werden. Hier schließe aber das frühere Sachurteil die erneute Klage im Umfang des im früheren Verfahren gestellten Antrags aus. Die jetzige Klägerin müsse sich die in der Person des seinerzeitigen Klägers begründeten Einwendungen entgegenhalten lassen. Die klagende Gesellschaft bilde die Gestalt, in der sich ihr Alleingesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Gesellschaft und Gesellschafter seien trotz der Trennung der Rechtspersönlichkeiten bei wirtschaftlicher Betrachtung als eine Person anzusehen. Eine den Alleingesellschafter treffende Rechtskraftwirkung wäre obsolet, wenn sie durch die von diesem allein bestimmte Gesellschaft umgangen werden könnte. Die Patentinhaber könnten darauf vertrauen, sich im Rahmen eines bereits geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds nicht nochmals mit demselben Kläger auseinandersetzen zu müssen. Der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen komme eine Befriedungsfunktion zu, die ihre Beseitigung nur in gesetzlich besonders geregelten Ausnahmefällen zulasse.
Rz. 8
Die bisher noch nicht angegriffenen Patentansprüche, hinsichtlich derer die Klage bedenkenlos zulässig sei, würden durch ihre Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 getragen.
Rz. 9
II. Dies hält der Nachprüfung nicht stand.
Rz. 10
1. Die Nichtigkeitsklage ist, wie das PatG richtig gesehen hat, als Popularklage ausgestaltet. Deswegen stellt sich die Frage der Klagebefugnis zunächst nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung seit langem angenommen, dass Verpflichtungen, die einer Klage entgegenstehen, unter bestimmten Voraussetzungen auch Dritten entgegengehalten werden können (so schon RGZ 59, 133, 135 f. = JW 1905, 58 - Rechtskraft im Nichtigkeitsverfahren; st.Rspr. des BGH seit BGH, Urt. v. 10.1.1963 - I ZR 174/63, GRUR 1963, 253 - Bürovorsteher).
Rz. 11
2. Das rechtskräftige Urteil wirkt nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen die Parteien und diejenigen Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit deren Rechtsnachfolger geworden sind. Die Klägerin war weder Partei des Vorprozesses, noch ist sie die Rechtsnachfolgerin ihres vormaligen Alleingesellschafters, des Klägers des Vorprozesses. Für das Patentnichtigkeitsverfahren gilt nichts Abweichendes.
Rz. 12
3. Eine über § 325 Abs. 1 ZPO hinausgehende Rechtskraftwirkung (Rechtskrafterstreckung) kommt nur aufgrund gesetzlicher Regelung in Betracht (Beispiele bei Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 325 Rz. 11 ff.). Darüber hinaus kann sich aus Vorschriften des materiellen Rechts ergeben, dass ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter die rechtskräftige Entscheidung gegen sich gelten lassen muss. So folgt aus der akzessorischen Haftung des Bürgen, des Eigentümers des hypothekarisch belasteten Grundstücks oder des Verpfänders einer beweglichen Sache (§§ 768 Abs. 1, 1137 Abs. 1, 1211 Abs. 1 BGB), dass diese sich auf die Abweisung der Klage des Gläubigers gegen den Schuldner berufen können (vgl. Musielak, a.a.O., Rz. 15). Aus § 129 Abs. 1 HGB folgt, dass ein rechtskräftiges Urteil, das in einem Prozess zwischen der offenen Handelsgesellschaft und einem Gesellschaftsgläubiger ergeht, insoweit auch gegenüber den Gesellschaftern wirkt, als es sich um Einwendungen handelt, die der Gesellschaft durch das Urteil abgesprochen worden sind (BGH, Urt. v. 11.12.1978 - II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 224 f.: s. auch BGH v. 18.3.1975 - X ZB 12/74, BGHZ 64, 155, 156 ff. - Lampenschirm). Materiell-rechtliche Vorschriften, aus denen abgeleitet werden könnte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung müsse die Abweisung einer (Patentnichtigkeits-)Klage ihres Alleingesellschafter gegen sich gelten lassen, gibt es indessen nicht (vgl. bereits Senat, Urt. v. 17.12.2002 - X ZR 155/99, zu I a.E., juris; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rz. 34).
Rz. 13
4. Das PatG hat gemeint, die Klägerin müsse sich den gegen ihren Alleingesellschafter begründeten Rechtskrafteinwand ebenso entgegenhalten lassen wie rechtsgeschäftliche Abreden. Es hat sich hierzu auf das Senatsurteil vom 2.6.1987 (X ZR 97/86, GRUR 1987, 900 - Entwässerungsanlage) berufen. In diesem Fall hat der Senat angenommen, dass sich die dortige Beklagte auf eine den Alleingesellschafter der dortigen Klägerin, den Erfinder des dortigen Streitpatents, treffende Nichtangriffspflicht berufen könne. Zwar liege kein "Strohmann-Fall" vor, da die Klägerin ein Eigeninteresse an der Vernichtung des Streitpatents habe. Die Klägerin sei aber die rechtliche Gestalt, in der sich ihr Gesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Trotz der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeiten könne daher bei der Beurteilung der Frage, ob im Verhältnis zur Beklagten ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliege, nicht unberücksichtigt bleiben, dass jene bei wirtschaftlicher Betrachtung ein und dieselbe Person seien. Nach Treu und Glauben sei, wie sich aus BGH, Urt. v. 29.1.1957 - I ZR 84/55, GRUR 1957, 482 - Chenillefäden für den umgekehrten Fall ergebe, die Nichtangriffspflicht des Alleingesellschafters auch von der Gesellschaft zu beachten.
Rz. 14
Das PatG beachtet jedoch nicht hinreichend, dass sich diese für den Einwand der Nichtangriffsabrede aus Treu und Glauben aufgestellten Grundsätze nicht auf den Rechtskrafteinwand anwenden lassen. Denn im Rahmen der Bewertung eines vertraglichen Verpflichtungen widersprechenden prozessualen Verhaltens nach § 242 BGB sind die Rechtspositionen und Interessenlagen der Beteiligten umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Dies lässt Raum für Lösungen, bei denen ggf. die rechtliche Unterscheidung zwischen der juristischem Person und ihrem Alleingesellschafter in ihrer Bedeutung so zurücktritt, dass sich die Gesellschaft wie ihr Gesellschafter (und umgekehrt) behandeln lassen muss. Auf das Institut der Rechtskraft (und der Rechtskrafterstreckung) lassen sich solche Wertungen nicht übertragen.
Rz. 15
5. Dem steht nicht entgegen, dass der Strohmann die rechtskräftige Abweisung der Nichtigkeitsklage gegen sich gelten lassen muss. Denn hierbei handelt es sich nicht um einen auf die Rechtskraft gegründeten Einwand, sondern um eine Folgerung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Prozessrecht. Der ohne eigenes Interesse auf die Nichtigerklärung eines Patents antragende Strohmann muss gegen sich gelten lassen, dass derjenige, an dessen Stelle er klagt, an der Klage gehindert ist (s. nur BGH, Urt. v. 29.6.2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 - Ziehmaschinenzugeinheit II). Einen diesen Einwand ausfüllenden Sachverhalt hat das PatG nicht festgestellt. Auch sonst kann die Klageerhebung nicht als treuwidrig angesehen werden.
Rz. 16
III. Muss die Klägerin mithin die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht gegen sich gelten lassen, ist auch der Annahme des PatG die Grundlage entzogen, der Antrag, das Streitpatent sei im Umfang der Patentansprüche 2 bis 4, 6, 7, 9 bis 12 und 14 für nichtig zu erklären, sei unbegründet, da sich deren Patentfähigkeit aus der - zwischen den Parteien feststehenden - Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 ergebe.
Rz. 17
IV. Da das PatG eine Sachprüfung nicht vorgenommen hat, ist eine Zurückverweisung zweckmäßig (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2004 - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354, 356 - Crimpwerkzeug I).
Fundstellen
BB 2012, 130 |
BB 2012, 476 |
DB 2012, 113 |
BlPMZ 2012, 146 |
EBE/BGH 2012 |
GRUR 2012, 540 |
GRUR 2012, 9 |
NZG 2012, 149 |
ZIP 2012, 698 |
AnwBl 2012, 105 |
MDR 2012, 236 |
BPatGE 2011, 303 |
StX 2012, 191 |
IP kompakt 2012, 4 |
IPRB 2012, 127 |
Mitt. 2012, 78 |