Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung gegen die Klage eines minderjährigen Kindes, das sich im Ausland aufhält
Leitsatz (amtlich)
Zu den schwierigen Rechtsfragen, die im PKH-Verfahren nicht zu Lasten der bedürftigen Partei entschieden werden dürfen, zählen auch die Frage, ob während des Auslandsaufenthalts eines minderjährigen Kindes bei gemeinsamer elterlicher Sorge der Elternteil, bei dem das Kind zuvor gelebt hat, Kindesunterhalt nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB geltend machen kann und die Frage, ob der Unterhaltspflichtige eine zusätzliche Altersversorgung bis zu 4 % des Bruttoeinkommens auch im Verhältnis zum minderjährigen Kind betreiben darf, wenn nicht einmal der Mindestunterhalt gesichert ist.
Normenkette
BGB § 1606 Abs. 3, §§ 1629, 1603 Abs. 2, § 1629 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
AG Fürstenwalde (Beschluss vom 29.04.2008; Aktenzeichen 9 F 510/07) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Beklagten kann Prozesskostenhilfe nicht aus den vom AG angeführten Gründen (vollständig) versagt werden.
1. Das AG hat die Klage entgegen dem Einwand der Beklagten für zulässig gehalten, obwohl der minderjährige Kläger, für den Unterhalt begehrt wird, sich bei Klageeinreichung im Ausland aufgehalten und somit nicht mehr bei seinem Vater, der als gesetzlicher Vertreter aufgetreten ist, gelebt hat. Diese Frage darf im Prozesskostenhilfeverfahren aber nicht zu Lasten der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei, hier also der Beklagten, beantwortet werden.
Nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge der geschiedene Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, dieses bei der Geltendmachung seiner Unterhaltsansprüche gesetzlich vertreten. Der Begriff der Obhut stellt auf die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse ab. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der sich also vorrangig um die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes kümmert (BGH FamRZ 2006, 1015). Obhut ist nicht beschränkt auf eine von dem betreffenden Elternteil selbst unmittelbar geleistete Betreuung, sondern erstreckt sich auch auf eine Drittbetreuung, um die sich der Elternteil organisierend und überwachend kümmert (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1629 Rz. 6). Daher kann Obhut auch beispielsweise dann noch gegeben sein, wenn ein Elternteil das Kind bei Verwandten untergebracht hat, wenn das Kind sich während der Ferien länger beim anderen Elternteil aufhält oder wenn es in einem Heim untergebracht ist (Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1629 Rz. 31). In diesen Fällen wird für die Annahme, dass Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB gegeben ist, aber teilweise für erforderlich gehalten, dass der Elternteil seinen Betreuungsobliegenheiten durch regelmäßige Kontakte mit dem Kind und der Betreuungsperson nachkommt (so Huber in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 1629 Rz. 82; Wendl/Schmitz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 10 Rz. 135a).
Vor diesem Hintergrund lässt sich angesichts des Aufenthalts des Klägers in den USA seit August 2007 nicht ohne weiteres feststellen, dass eine Obhut des Vaters noch gegeben war. Denn regelmäßige Kontakte zwischen dem Kläger und seinem Vater dürfte es während des Auslandsaufenthalts nicht gegeben haben. Dies spricht grundsätzlich dafür, diese schwierige Frage im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der Beklagten zu entscheiden (vgl. BVerfG FamRZ 2002, 665; BGH FamRZ 2003, 671; OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1033 [1035]; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf-/Gutjahr, § 1 Rz. 257).
Allerdings wird das AG zu überprüfen haben, ob der Kläger inzwischen aus den USA zurückgekehrt und, seiner schriftsätzlich geäußerten Erwartung entsprechend, wieder in der Wohnung seines Vaters lebt. Für diesen Fall wäre die Zulässigkeit der Klage nun ohne weiteres zu bejahen.
2. Von seinem Rechtsstandpunkt aus, nämlich der Annahme der Zulässigkeit der Klage trotz Auslandsaufenthalt des Klägers, hätte das AG im angefochtenen Beschluss dennoch auf die Frage der Begründetheit eingehen müssen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die (zulässige) Klage dennoch in der Sache keinen Erfolg hat, etwa wenn der Einwand der Beklagten, sie sei nicht hinreichend leistungsfähig, zutrifft.
Bei summarischer Betrachtung bietet die Rechtsverteidigung gegen die Klage für die Zeit ab August 2007 in vollem Umfang Aussicht auf Erfolg, in der Zeit davor zumindest, soweit es um höheren Unterhalt als 106 EUR monatlich geht.
a) Das Nettomonatseinkommen der Beklagten nach Hinzusetzen einer anteiligen Steuererstattung und nach Abzug berufsbedingter Fahrtkosten ist mit rund 968 EUR unstreitig...