Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständiges Gericht im isolierten Sorgerechtsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Begründung eines gewillkürten Wohnsitzes des minderjährigen Kindes und zum Verhältnis zu dem gesetzlichen Wohnsitz
2. Neben bzw. anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes kann ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden. Dieser hat Vorrang vor dem gesetzlichen Wohnsitz des § 11 S. 1 BGB und kann auch stillschweigend begründet werden, soweit eine ständige Niederlassung des Kindes an dem (neuen) Wohnsitz durch den sorgeberechtigten Elternteil bzw. durch beide sorgeberechtigte Elternteile gewollt ist. Für eine solche gewillkürte Begründung eines Wohnsitzes ist der Wille des Sorgeberechtigten erforderlich, dass sich das Kind auf Dauer an dem von dem Wohnsitz des Sorgeberechtigten abweichenden Ort aufhällt.
Normenkette
BGB § 11 S. 1, § 1626a Abs. 2; FGG § 36 Abs. 1 S. 1, § 43 Abs. 1, § 64 Abs. 3 S. 2; GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1a; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 621a Abs. 1
Verfahrensgang
AG Zehdenick (Aktenzeichen 3 F 326/07) |
AG Neuruppin (Aktenzeichen 53 F 98/08) |
Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das AG - FamG - Zehdenick bestimmt.
Gründe
1. Die Kindeseltern streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht/Sorgerecht für das betroffene Kind D. Das betroffene Kind ist nichtehelich geboren, eine Sorgerechtserklärung gem. § 1626a Abs. 1 BGB wurde nicht abgegeben. Bei Trennung der Kindeseltern im Sommer 2006 verblieb das Kind im Haushalt des im Bezirk des AG Zehdenicks wohnenden Kindesvaters mit Einverständnis der Kindesmutter.
Mit Antrag vom 12.12.2007 hat der Vater den Entzug der elterlichen Sorge zu Lasten der Kindesmutter und die Übertragung der elterlichen Sorge zu seinen Gunsten beantragt. Nach Anhörung des Kindesvaters hat sich das AG Zehdenick mit Beschluss vom 20.6.2008 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Neuruppin, in dessen Bezirk die Kindesmutter wohnhaft ist, abgegeben.
Mit Beschluss vom 21.7.2008 hat das AG Neuruppin sich für örtlich unzuständig erklärt, da hinsichtlich des Wohnortes beim Kindesvater für das betroffene Kind ein gewillkürter Wohnsitz gegeben sei, und zugleich das Verfahren dem Brandenburgischen OLG zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
2. Das Brandenburgische OLG ist zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit der beteiligten Gerichte nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen.
a) Es handelt sich vorliegend um eine selbständige Familiensache (Sorgerechtsverfahren) gem. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, für die sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 621a Abs. 1 ZPO nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO richtet.
Intern ist der Familiensenat des OLG für den bestehenden Kompetenzkonflikt zweier FamG zuständig. Zu den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG zählen auch Nebenentscheidungen der AG, die Hauptsacheentscheidung vorbereitenden. Eine solche Nebenentscheidung stellt der Streit zweier FamG um die örtliche Zuständigkeit i.V.m. den nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erforderlichen rechtskräftigen Erklärungen über die eigene Unzuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 725; Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 8).
b) Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in isolierten Sorgerechtsverfahren richtet sich nach §§ 64 Abs. 3 Satz 2; 43 Abs. 1; 36 Abs. 1 Satz 1 FGG. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FGG i.V.m. § 11 Satz 1 BGB teilt das minderjährige Kind den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt sind (gesetzlicher Wohnsitz). Im konkreten Fall steht hinsichtlich des nichtehelich geborenen Sohnes D das alleinige Sorgerecht der Kindesmutter zu, § 1626a Abs. 2 BGB.
Jedoch ist die Regelung des § 11 Abs. 1 S. 1 BGB nicht zwingend. Neben bzw. anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes kann ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellerberger, BGB, 67. Aufl. 2008, § 11 Rz. 1 und 5). Ein gewillkürter Wohnsitz besitzt Vorrang vor dem gesetzlichen Wohnsitz des § 11 Satz 1 BGB und kann auch stillschweigend begründet werden, soweit eine ständige Niederlassung des Kindes an dem (neuen) Wohnsitz durch den sorgeberechtigten Elternteil bzw. durch beide sorgeberechtigten Elternteile gewollt ist (OLG Frankfurt, FamRZ 1996, 1351). Für eine solche gewillkürte Begründung eines Wohnsitzes ist der Wille des Sorgeberechtigten erforderlich, dass sich das Kind auf Dauer an dem von dem Wohnsitz des Sorgeberechtigten abweichenden Ort aufhält. Ein lediglich zeitlich begrenzter Aufenthalt des Kindes, z.B. während eines Urlaubes oder ein vorübergehendes Belassen bei den Großeltern, genügen nicht (OLG Frankfurt, a.a.O.; Palandt-Heinrichs/Ellenberger, a.a.O., § 11 Rz. 1).
Vorliegend befindet sich das betroffene Kind seit nahezu zwei Jahren in der Obhut des Kindesvaters und wohnt in dessen - im Bezirk des AG Zehdenick gelegenen - Wohnung. Nach dem bislang unbestrittenen Vorbringen des Kindesvaters ist dieser Aufenthalt im Einverständnis mit der allein sorgeberechtigten Kindesmutter erfolgt. Selbst wenn es insoweit an einem ausdrücklich erklä...