Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (Verpackungsverordnung – VerpackV) vom 21. August 1998 (BGBl I S. 2379 ff.).

Der Beschwerdeführer zu 1) ist Alleingesellschafter der Komplementärgesellschaft der Beschwerdeführerinnen zu 2) und 3). Die Beschwerdeführerin zu 2) ist Herstellerin von Milchfrischprodukten. Die Beschwerdeführerin zu 3) stellt die für Frischmilchprodukte erforderlichen Verpackungen aus Kunststoff her. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Sie halten unter anderem die Verpackungsverordnung wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für nichtig, weil diese Verordnung die Bevorzugung der werkstofflichen Verwertung für Kunststoffverpackungen gegenüber sonstigen stofflichen Verwertungsarten anordne und das von der Duales System Deutschland AG (DSD AG) organisierte so genannte flächendeckende System absichere. Der quotenmäßig fixierte Vorrang der werkstofflichen Verwertung sei wegen fehlender beziehungsweise nicht hinreichend bestimmter Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig. Nach § 6 Abs. 1 Satz 4 KrW/AbfG werde die Bundesregierung ermächtigt, für bestimmte Abfallarten nach Maßgabe näherer Kriterien den Vorrang der stofflichen oder energetischen Verwertung zu bestimmen. Für Kunststoffverpackungen habe der Verordnungsgeber nicht nur einen Vorrang zwischen der stofflichen oder energetischen Verwertung geregelt, sondern innerhalb der stofflichen Verwertung der werkstofflichen Verwertung einen quotenmäßig festgelegten Vorrang eingeräumt. Die Ermächtigungsgrundlage gestatte nach ihrem Wortlaut nicht den Ausweis einer einzelnen stofflichen Verwertungsmodalität als vorrangig gegenüber einer anderen. Die starren Quoten verstießen zudem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die zwingende Vorgabe von werkstofflicher Verwertung für gebrauchte Kunststoffverpackungen führe dazu, dass ein erheblicher Sortieraufwand betrieben werden müsse, der zusammen mit dem Erfassungsaufwand zu unverhältnismäßigen Belastungen der Betroffenen führe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihrer Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.

1. Dieser Grundsatz erfordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 22 ≪27≫; 81, 97 ≪102≫). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist auch bei Normen, die einen Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, zu beachten (vgl. BVerfGE 71, 305 ≪335 f.≫; 74, 69 ≪74≫). Bei Rechtsverordnungen des Bundes, gegen die unmittelbar kein Rechtsweg eröffnet ist, verlangt der Grundsatz die Anrufung der allgemein zuständigen Gerichte, wenn diese der behaupteten Grundrechtsverletzung abhelfen können (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪325 f.≫; 71, 305 ≪335 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1998, S. 169 f.; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 2031; speziell zur Verpackungsverordnung 1991, BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ-RR 2000, S. 473; allgemein zustimmend: Pielow, Die Verwaltung 1999, S. 445, 463 ff.). Zumutbar ist dies allerdings nur, wenn die Anrufung dieser Gerichte nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪20≫; 85, 80 ≪86≫).

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Beschwerdeführer gehalten, zunächst Rechtsschutz auf dem Verwaltungsrechtsweg zu suchen.

a) Eine Klage vor den Verwaltungsgerichten ist nicht offensichtlich aussichtslos. Die Beschwerdeführer sehen durch Vorschriften der Verpackungsverordnung ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Diese Rechte können in zulässiger Weise vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit geltend gemacht werden. Es handelt sich dabei, auch wenn der Anspruch aus Grundrechten hergeleitet wird, nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht offen stünde, weil es unmittelbar um die Auslegung und Anwendung von Vorschriften der Verpackungsverordnung, einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift, geht (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪357 ff.≫; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., 1998, § 40 Rn. 33 bis 35 m.w.N.).

Der Verwaltungsrechtsweg ist auch dann nicht verschlossen, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm – einschließlich ihrer Verfassungsmäßigkeit – ankommt. Gegebenenfalls können die Verwaltungsgerichte die Verfassungswidrigkeit einer solchen Rechtsnorm in den Gründen ihrer Entscheidung selbst feststellen (vgl. BVerwGE 80, 355 ≪358 f.≫). Als statthafte Klageart kommt eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO in Betracht (vgl. BVerwGE 39, 247 ≪248 f.≫, allerdings im Zusammenhang mit einem förmlichen Gesetz; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: Januar 2000, § 43 Rn. 25; Pielow, Die Verwaltung 1999, S. 445, 468 f.), wenn und soweit – wie hier – die Norm keines gesonderten Vollzugsaktes mehr bedarf und deshalb unmittelbar verpflichtende Wirkungen entfaltet (vgl. Pielow, aaO, S. 468 f., unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu so genannten self-executing-Normen in BSGE 72, 15 ≪19 f.≫; Pietzcker, aaO, Rn. 25 a.E.). Eine verwaltungsgerichtliche Klage könnte etwa die Feststellung zum Ziel haben, dass die Verpackungsverordnung wegen Fehlens einer Ermächtigungsgrundlage nichtig ist. Diese Rechtsauffassung zur Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Verwaltungsgerichte steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der sich dessen Verwerfungsmonopol nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinn, nicht aber auf Rechtsverordnungen bezieht (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪326≫; BVerfG, NVwZ 1998, S. 169 f.; BVerfG, NJW 1999, S. 2031). Dem steht auch nicht das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 (vgl. NJW 2000, S. 857 ff.) zu § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 der Verordnung über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe zur Herstellung von Arzneimitteln (Frischzellen-Verordnung) vom 4. März 1997 (BGBl I S. 432) entgegen. In diesem Fall waren die Versuche der dortigen Beschwerdeführer, vor den Verwaltungsgerichten im Wege der einstweiligen Anordnung wirkungsvollen Rechtsschutz zu erlangen, erfolglos geblieben.

b) Dass es den Beschwerdeführern unzumutbar sein könnte, ihre Interessen zunächst vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen, ist nicht erkennbar. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs ist nach dem insoweit sinngemäß anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nur dann möglich, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist und die Erschöpfung des Rechtswegs auch im Hinblick auf den Sinn des Subsidiaritätsprinzips, eine vorherige Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen durch die allgemein zuständigen Gerichte zu gewährleisten, nicht geboten ist (vgl. BVerfGE 90, 128 ≪136 f.≫). Danach kommt ein Verzicht auf die Rechtswegerschöpfung hier nicht in Betracht. Von einer Beschreitung des Rechtswegs kann insbesondere deshalb nicht abgesehen werden, weil eine vorherige Klärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen durch die allgemein zuständigen Gerichte notwendig ist. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll gerade dazu dienen, dass – insbesondere bei neuen Rechtsvorschriften – verfassungsrechtlich relevante Tatsachen- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen Gerichte hinreichend vorgeklärt werden. Dadurch soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen trifft. Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können – aufgrund besonderen Sachverstands – möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden (vgl. BVerfGE 56, 54 ≪69≫; 79, 1 ≪20≫). Es kann grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, wie ein Gericht der ersten Tatsacheninstanz eines Verwaltungsprozesses tätig zu werden (vgl. BVerfGE 24, 367 ≪402≫).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1267198

NVwZ-RR 2002, 1

DVBl. 2001, 1429

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