Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 28.11.2011; Aktenzeichen 2 VAs 11/11) |
GStA Celle (Entscheidung vom 31.10.2011; Aktenzeichen 2 Zs 2189/11) |
StA Hanau (Entscheidung vom 21.06.2011; Aktenzeichen NZS 17 Js 23314/97) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die formalen Anforderungen an die Begründung eines Antrags im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG.
I.
Der Beschwerdeführer, ein montenegrinischer Staatsangehöriger, wurde durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 11. März 1998 wegen Mordes und versuchten Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
1. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim lehnte mit angegriffenem Bescheid vom 21. Juni 2011 ab, von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Ablauf von 14 Jahren abzusehen (vgl. § 456a StPO). Die Generalstaatsanwaltschaft Celle wies die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers mit angegriffenem Bescheid vom 31. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe sei aufgrund der Schwere der Schuld und der mangelnden Aufarbeitung der straftatursächlichen Persönlichkeitsdefizite aus spezialpräventiven Gründen wegen der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers geboten. Die persönlichen, insbesondere familiären Gründe müssten hinter dem öffentlichen Interesse an der weiteren Vollstreckung zurücktreten.
2. Das Oberlandesgericht Celle verwarf den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG mit angegriffenem Beschluss vom 28. November 2011 als unzulässig, da er den Begründungsanforderungen nach § 24 Abs. 1 EGGVG nicht genüge.
a) Nach § 24 Abs. 1 EGGVG müsse ein Antragsteller geltend machen, durch die angefochtene Maßnahme oder ihre Ablehnung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung genüge nicht. Erforderlich sei vielmehr eine – wenn auch zunächst in groben Zügen – die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichende Sachdarstellung, also der Vortrag von Tatsachen, die im Falle ihres Zutreffens ergäben, dass dem Verurteilten zumindest unter einem denkbaren Gesichtspunkt die beanspruchten Rechte zustehen und die Behörde diese verletzt.
b) An einem solchen, aus sich heraus verständlichen Sachvortrag fehle es hier. Der Beschwerdeführer trage keine Tatsachen vor, aus denen sich ergebe, dass die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen wäre oder die gesetzlichen Grenzen des ihr in § 456a StPO eingeräumten Ermessens überschritten hätte.
Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung seien die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Größe des bisher verbüßten Teils der Strafe und das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung mit den Belangen des Antragstellers, insbesondere seiner sozialen und familiären Situation abzuwägen. Daher erfordere eine die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichende Sachverhaltsdarstellung insbesondere die Mitteilung der Feststellungen zur Sache des gegen den Antragsteller zu vollstreckenden Urteils. Hierzu enthalte der Antrag jedoch keine ausreichenden Angaben. Die bloße Mitteilung, es habe sich um eine Beziehungstat vor dem Hintergrund finanzieller Schwierigkeiten gehandelt, bei der der Beschwerdeführer seinen Schwiegervater erstochen und seine Schwiegermutter mit Stichen in den Bauch verletzt habe, genüge insoweit nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, dass das Oberlandesgericht Celle die Begründungsanforderungen nach § 24 Abs. 1 EGGVG überspannt habe.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle verletzt den Beschwerdeführer zwar in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274≫; 78, 88 ≪99≫; 88, 118 ≪124≫). Dies muss auch der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leer laufen” lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫; 96, 27 ≪39≫). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 ≪125≫). Dies gilt für die Begründungsanforderungen nach § 24 EGGVG ebenso wie für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO.
Die erhöhten Darlegungsanforderungen im Klageerzwingungsverfahren, die das Bundesverfassungsgericht für zulässig erachtet hat (vgl. BVerfGK 2, 45 ≪50≫; 5, 45 ≪48≫; 14, 211 ≪214 f.≫), sind jedoch nicht auf das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG übertragbar. Während der Verletzte einer Straftat kein subjektives Recht auf Erhebung der öffentlichen Klage gegen den der Tat Verdächtigen hat (vgl. BVerfGE 51, 176 ≪187≫), ist Gegenstand des Verfahrens nach §§ 23 ff. EGGVG eine unmittelbare Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers durch eine staatliche Maßnahme oder ihre Ablehnung bzw. Unterlassung (vgl. § 24 Abs. 1 EGGVG). Insoweit handelt es sich um klassische Eingriffe – hinsichtlich der Ablehnung eines positiven Bescheids gilt dies hier jedenfalls deshalb, weil dadurch dem Beschwerdeführer die Wiedererlangung der persönlichen Freiheit verwehrt wird. Die Grundrechtsrelevanz führt dazu, dass Art. 19 Abs. 4 GG besondere Bedeutung gewinnt (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪266≫) und an den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz jedenfalls nicht dieselben strengen Anforderungen wie im Klageerzwingungsverfahren gestellt werden können.
b) Hieran gemessen ist der Zugang des Beschwerdeführers zu gerichtlichem Rechtsschutz in verfassungswidriger Weise beschränkt worden.
aa) Die vom Oberlandesgericht Celle verlangte, eine Schlüssigkeitsprüfung ermöglichende Darlegung schränkt den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz zwar noch nicht unverhältnismäßig ein. Art. 19 Abs. 4 GG fordert nicht zwingend eine Auslegung des § 24 EGGVG im Sinne der „Möglichkeitstheorie”, wonach lediglich ein Sachverhalt vorgetragen werden muss, aus dem sich ein möglicher Rechtsanspruch ergeben kann, der verletzt sein könnte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 24 EGGVG Rn. 1; Rauscher/Pabst, MüKo-ZPO, 3. Aufl. 2008, § 24 EGGVG Rn. 2 f.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die vom Oberlandesgericht Celle aufgestellten Anforderungen bewegen sich auch unterhalb der strengen Darlegungsanforderungen für das Klageerzwingungsverfahren.
bb) Das Oberlandesgericht Celle hat jedoch dadurch, dass es die Annahme einer fehlenden Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung allein darauf gestützt hat, dass hinreichende Ausführungen zu den strafrechtlichen Urteilsfeststellungen fehlten, das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die formale Sichtweise des Oberlandesgerichts Celle, wonach der Sachverhalt nur durch Ausführungen im Antrag selbst und nicht durch Beifügung und Inbezugnahme entsprechender Schriftstücke dargelegt werden kann, führt zur Verweigerung der inhaltlichen Schlüssigkeitskontrolle. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht Celle offenbar den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Celle vorgelegt hat, in dem die wesentlichen Urteilsfeststellungen wiedergegeben und gewürdigt worden sind.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Ein besonders schwerer Nachteil im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ist dann nicht anzunehmen, wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Dies ist vorliegend der Fall.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung müsste auch bei einer erneuten Befassung vom Oberlandesgericht Celle als unzulässig verworfen werden, weil er nicht hinreichend im Sinne von § 24 EGGVG begründet worden ist. Aus seinen Ausführungen ergibt sich nicht, dass die Ermessensentscheidung nach § 456a StPO fehlerhaft sein könnte. Der Beschwerdeführer hat sich nicht hinreichend mit den beiden entscheidenden Abwägungsgesichtspunkten des Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft Celle – der Schwere der Schuld einerseits und der mangelnden Aufarbeitung der straftatursächlichen Persönlichkeitsdefizite andererseits – auseinandergesetzt. Er hat lediglich Abwägungskritierien, die auch die Generalstaatsanwaltschaft Celle herangezogen hat, anders als diese gewichtet.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen
Haufe-Index 3401855 |
NStZ-RR 2013, 187 |