Leitsatz (amtlich)
Wird in einer Streitigkeit zwischen dem Bund und einem Land zunächst das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO angerufen und stellt das Bundesverfassungsgericht auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 50 Abs. 3 VwGO den verfassungsrechtlichen Charakter der Streitigkeit fest, ist die für verfassungsrechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 13 Nr. 7 BVerfGG geltende Antragsfrist gemäß § 69, § 64 Abs. 3 BVerfGG nur dann gewahrt, wenn die Klage zum Bundesverwaltungsgericht binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme oder Unterlassung erhoben worden ist.
Tenor
- Die Verfahren 2 BvG 1/02 und 2 BvG 2/02 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Der vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Rechtsstreit im Verfahren 2 BvG 2/02 ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne des Artikel 93 Absatz 1 Nummer 3 Grundgesetz.
- Die Anträge werden verworfen.
Tatbestand
A.
Der Bund-Länder-Streit betrifft die Frage, ob der Bund berechtigt ist, vom Land Mecklenburg-Vorpommern die Erstattung eines Betrages von umgerechnet ungefähr 15 Millionen Euro zu verlangen, der ihm im Rahmen der Rechnungsabschlussentscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften durch die Anlastung von Marktordnungsausgaben des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft auferlegt worden ist.
I.
Der Bund hat das Land Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung für das Haushaltsjahr 1995 ermächtigt, zur Durchführung der – inzwischen aufgehobenen – Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl. Nr. L 181/12) Zahlungen zu Lasten der Bundeskasse vorzunehmen. Er wies dem Land hierfür Mittel bis zur Höhe von 675.100.000 DM zu. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Kommission) übersandte dem Bund im Februar 1996 Prüfungsbemerkungen über im Bereich des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Oktober 1995 durchgeführte Kontrollen. Sie vertrat die Auffassung, die in den Bemerkungen aufgezeigten Kontroll- und Verwaltungsmängel gäben Anlass zur Besorgnis. Im Juni 1998 teilte die Kommission dem Bund mit, im Hinblick auf das Ergebnis der Prüfung sei beabsichtigt, von den im Sektor Kulturpflanzen für das Haushaltsjahr 1995 aufgeführten “Gesamtausgaben Ernte 1994” in Höhe von 607.833.306,53 DM einen Betrag von 2 v.H. von der Gemeinschaftsfinanzierung auszuschließen. In ihrem Nachtrag vom Mai 1999 vertrat die Kommission abschließend die Auffassung, dass eine Anlastung von 5 v.H. gerechtfertigt sei. Dementsprechend schloss sie mit einer Entscheidung vom 28. Juli 1999 gegenüber dem Bund einen Betrag von 30.394.115,33 DM aus.
Die vom Bund wegen des 2 v.H. übersteigenden Anlastungsbetrages zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erhobene Klage hatte keinen Erfolg (EuGH, Rs. C-377/99, Urteil vom 19. September 2002, Slg. 2002, I-7421).
II.
Der Bund entrichtete den ihm durch die Rechnungsabschlussentscheidung der Kommission angelasteten Betrag Mitte Oktober 1999. Danach forderte er mit Schreiben vom 17. November 1999 das Land Mecklenburg-Vorpommern auf, ihm die an die Kommission geleisteten 30.394.115,33 DM bis zum 10. Dezember 1999 zu erstatten. Die zuvor auf politischer Ebene bereits mehrfach erörterte Frage, wer die finanziellen Folgen derartiger Anlastungen innerstaatlich zu tragen habe, hatte bis zu diesem Zeitpunkt zwischen dem Bund und den Ländern nicht geklärt werden können. Im Hinblick darauf leistete das Land Mecklenburg-Vorpommern am 15. Dezember 1999 den genannten Betrag, teilte dem Bund jedoch mit Schreiben vom selben Tage mit, die Zahlung stehe unter dem Vorbehalt einer zukünftigen generellen Lösung der Anlastungsproblematik auf Bund-Länder-Ebene und, sofern bis Ende Juni 2000 keine Einigung erzielt werde, unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung seiner Zahlungsverpflichtung.
III.
1. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat nach einem weiteren Schriftwechsel am 13. März 2001 Klage zum Bundesverwaltungsgericht auf Rückzahlung eines Teils des von ihm geleisteten Betrages erhoben und zur Begründung ausgeführt, seine Zahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Weder das europäische noch das nationale Recht sähen einen Anspruch des Bundes auf Erstattung des ihm durch die Rechnungsabschlussentscheidung der Kommission vom 28. Juli 1999 angelasteten Betrages vor. Die für den Ausschluss von der Finanzierung durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds maßgebliche Bestimmung des Gemeinschaftsrechts äußere sich nicht zu der Frage, wer innerhalb des innerstaatlichen Gefüges der Mitgliedstaaten dafür aufzukommen habe, dass Ausgaben nicht in Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsvorschriften getätigt worden seien. Aus Art. 104a Abs. 5, Abs. 1 oder Abs. 3 GG lasse sich ebenfalls kein Ausgleichsanspruch des Bundes herleiten.
Der Bund ist der Klage entgegen getreten. Er ist der Ansicht, ihm stehe nach nationalem Recht ein Erstattungsanspruch zu.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache mit Beschluss vom 8. Mai 2002 gemäß § 50 Abs. 3 VwGO dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO lägen nicht vor. Die Klage sei auf eine teilweise Rückzahlung des vom Land dem Bund auf dessen Ausgleichsverlangen hin unter Vorbehalt geleisteten Geldbetrages gerichtet und deshalb verfassungsrechtlicher Art (Verfahren 2 BvG 2/02).
2. Daraufhin hat das Land Mecklenburg-Vorpommern mit beim Bundesverfassungsgericht am 30. Mai 2002 eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben. Das Land begehrt festzustellen, dass die Zahlungsaufforderung des Bundes vom 17. November 1999, ihm die an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gezahlten 30.394.115,33 DM bis zum 10. Dezember 1999 zu erstatten, seine verfassungsrechtlichen Rechte verletze, weil Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG – auch bei entsprechender Anwendung – keine Pflicht zur Zahlung begründe (Verfahren 2 BvG 1/02).
Dieser Antrag werde gestellt, um Rechtsnachteile für das Land Mecklenburg-Vorpommern für den Fall abzuwenden, dass das Bundesverfassungsgericht von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ausgehe, andererseits aber der Literaturmeinung folge, nicht in der Sache entscheiden zu dürfen. Die Antragsfrist sei nicht abgelaufen; hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Der Bund ist dem Begehren entgegen getreten. Er hält die Antragsfrist für verstrichen.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat in den verbundenen Verfahren dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und den Ländern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe
B.
Der vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Rechtsstreit ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG (I.). Allerdings war die insoweit bei der Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage des Landes Mecklenburg-Vorpommern entsprechend § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG zu beachtende Frist von sechs Monaten bereits verstrichen. Auch für den am 30. Mai 2002 im Verfahren 2 BvG 1/02 unmittelbar beim Bundesverfassungsgericht gestellten Antrag ist die Frist nicht gewahrt (II.). Die Anträge sind daher als unzulässig zu verwerfen.
I.
1. a) Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7 BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht. Die Zulässigkeit eines Bund-Länder-Streits nach den genannten Vorschriften setzt eine Maßnahme oder Unterlassung voraus, die innerhalb eines Bund und Land umspannenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnisses eine verfassungsrechtliche Rechtsposition des Landes verletzen oder unmittelbar gefährden kann (vgl. BVerfGE 13, 54 ≪72≫; 81, 310 ≪329≫; 92, 203 ≪226≫; 95, 250 ≪262≫; 104, 238 ≪245≫). Demgegenüber entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nach § 40 Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im ersten und letzten Rechtszug über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern.
Die Abgrenzung dieser beiden gerichtlichen Zuständigkeiten für Bund-Länder-Streitverfahren hat ihren Ausgangspunkt bei der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. § 69, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Generelle Kriterien für die Bestimmung eines Bund und Land umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnisses sind bislang nicht entwickelt worden. Die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts zwingt hierzu ebenfalls nicht.
Für die Bestimmung der Rechtsnatur des Streites um die geltend gemachten Ansprüche kommt es auf den Charakter des zwischen Bund und Land zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses an (BVerfGE 42, 103 ≪113≫; 62, 295 ≪313≫). Dabei ist maßgebend auf das verfassungsrechtliche Grundverhältnis abzustellen; denn die geltend gemachten Ansprüche können in einem engeren Rechtsverhältnis wurzeln, und dann sind dieses engere Rechtsverhältnis und seine Rechtsnatur für die Rechtsnatur der geltend gemachten Ansprüche entscheidend (vgl. hierzu BVerfGE 42, 103 ≪113≫). Auf die Vorstellung des Antragstellers von der Rechtsnatur des Streitverhältnisses kommt es nicht an (BVerfGE 42, 103 ≪110 f.≫; 62, 295 ≪313≫).
b) Die Zahlungsaufforderung des Bundes gründet entgegen dem Vortrag des Antragstellers nicht auf den Vorschriften des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (im Folgenden: BLEG). § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 5 BLEG regeln nur die Vorfinanzierung durch die Bundesanstalt. Der Rechtsstreit hat seine Wurzeln in der Ausführung von unmittelbar geltendem Recht der Europäischen Gemeinschaft, die insoweit gemäß Art. 37 EG-Vertrag mit einer umfassenden Rechtsetzungskompetenz ausgestattet ist. § 2 der Verordnung über eine Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung – KAV –), wonach für die Durchführung der Rechtsakte des Rates und der Kommission über die Einführung einer Stützungsregelung für die Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen sowie eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen die nach Landesrecht hierzu bestimmten Stellen (Landesstellen) zuständig sind, wiederholt insoweit nur deklaratorisch, was sich aus der entsprechenden Anwendung der Art. 83 ff. GG ergibt.
Das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis gründet im verfassungsrechtlichen Grundverhältnis aus Art. 104a GG; denn bei der nachträglichen Kürzung von Stützungsgeldern aus Haushaltsmitteln der Europäischen Gemeinschaften geht es um die Zuordnung von Finanzlasten und damit um die Beantwortung der Frage, ob der Bund gegenüber der Gemeinschaftsebene ohne die Möglichkeit des Rückgriffs beim Land abschließend einzustehen hat oder nach nationalem Verfassungsrecht das betroffene Land dem Bund gegenüber zum Ausgleich verpflichtet ist.
Mit der Behauptung, nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sei eine verschuldensunabhängige Verwaltungshaftung ausgeschlossen, beruft sich der Antragsteller auf einen im Verfassungsrecht wurzelnden (Abwehr-)Anspruch (vgl. BVerfGE 99, 361 ≪365≫). Dem kann nicht entgegengehalten werden, der behauptete Anspruch entspringe in seiner Gesamtheit (des Näheren) erst einer – bislang fehlenden – einfachgesetzlichen Regelung gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG oder der die einfachgesetzliche Lücke ausfüllenden Haftungskernrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 96, 45 ≪50≫; BVerwG Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 A 5/92 –, NVwZ 1995, S. 991 ≪992≫). Das mag für Streitigkeiten um die Höhe eines Verwaltungshaftungsanspruchs oder dessen Verzinsung und nach einer Titulierung durch das Bundesverwaltungsgericht für eine etwaige Vollstreckung aus diesem Urteil gelten (BVerfGE 99, 361 ≪366≫), es gilt jedoch nicht für die hier fragliche Zuordnung von Finanzlasten dem Grunde nach. Mit der Verwerfung der Anträge im letztgenannten Verfahren hat der Senat im Übrigen die logisch vorrangige Frage der Rechtswegzuständigkeit bereits bejaht, weil Kern des Rechtsstreits nicht die rechtliche Beurteilung der Verwaltungsmaßnahme, sondern die verfassungsrechtliche Frage war, ob Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eine unmittelbare Anspruchsgrundlage für das Begehren des Bundes bietet, obwohl ein Gesetz gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nicht ergangen ist (BVerfGE 99, 361 ≪365 f.≫).
2. Das Bundesverfassungsgericht ist für die abschließende Entscheidung der ihm vorliegenden verfassungsrechtlichen Streitigkeit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zuständig.
a) Über eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 3 VwGO oder eine Vorlage des Bundessozialgerichts nach § 39 SGG hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden. Es handelt sich hierbei nicht um eine Verweisung, weil es mit der Verfassungsorganstellung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar wäre, innerhalb seiner Zuständigkeit zur Entscheidung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten Bindungen von Fachgerichten zu unterliegen und unter Umständen auf Grund von deren Verweisung Fragen des einfachen Rechts entscheiden zu müssen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wie das Bundesverfassungsgericht vorzugehen hat, wenn es die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts teilt, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt (zum Meinungsstand in der Literatur vgl. im Einzelnen Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., 2000, § 50, Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., 2003, § 50, Rn. 10; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2003, § 50, Rn. 14; Sodan/Ziekow, VwGO, Stand Januar 2003, § 50, Rn. 10; Sachs, Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bei Bund-Länder-Streitigkeiten, DÖV 1981, S. 707; Schunck/de Clerk, VwGO, 3. Aufl., 1977, § 50, Anm. 2a; Meyer/Ladewig, SGG, 4. Aufl., 2002, § 39, Rn. 4).
b) Der Senat bejaht seine Befugnis, eine ihm nach § 50 Abs. 3 VwGO vorgelegte verfassungsrechtliche Streitigkeit in der Sache abschließend zu entscheiden, aus folgender Erwägung:
Der Gesetzgeber hat dem Bundesverwaltungsgericht in erster Instanz nur diejenigen Sachen zugewiesen, die an Umfang, Bedeutung oder Auswirkung über das Gebiet eines Landes hinausgehen, Sachen von allgemeiner grundsätzlicher Bedeutung, die aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses einer alsbaldigen Entscheidung bedürfen (BVerfGE 8, 174 ≪178≫). Bei der Auslegung der Prozessrechtsnorm des § 50 Abs. 3 VwGO ist daher derjenigen Auslegungsvariante der Vorzug zu geben, die zu größerer Verfahrensbeschleunigung führt. Einer Entscheidung, die nur den Ausspruch zum Inhalt hat, dass es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt, müssten weitere förmliche Verfahrensschritte folgen, um zu der angestrebten Entscheidung in der Sache zu kommen. Eine solche Verfahrensgestaltung wäre unökonomisch.
3. Das zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht verfolgte Begehren des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist wegen Versäumens der Frist des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG unzulässig. Nachdem der Senat den verfassungsrechtlichen Charakter der Streitigkeit zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Bund und damit seine Entscheidungszuständigkeit bejaht hat, steht verbindlich fest, dass es sich um eine nur vom Bundesverfassungsgericht in der Sache zu entscheidende verfassungsrechtliche Bund-Länder-Streitigkeit handelt, die nur eine solche nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 oder nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative GG sein kann. Daher müssen auch die Sachurteilsvoraussetzungen für die einschlägige Verfahrensart vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben sein. Diese – wie beispielsweise eine Antragsfrist – können nicht durch Anrufung des unzuständigen Bundesverwaltungsgerichts umgangen werden.
a) Ein Antragsteller wird hierdurch nicht etwa deshalb unzumutbar belastet, weil ihm letztlich das Risiko verbliebe, den zutreffenden Rechtsweg wegen der Auffächerung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Deutschland eigenverantwortlich zu wählen. So verhält es sich hier nicht. Der Rechtsschutz wird bei der Abgrenzung von § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 1. Alternative GG nicht von der Beurteilung der Vorfrage des einschlägigen Rechtsweges abhängig gemacht. Dies wäre auf Grund der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einer verwaltungsrechtlichen und einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit zwischen Bund und Land auch unzumutbar. Der Gesetzgeber darf einen umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz nicht durch die Schwierigkeit, das zuständige Gericht mit seinem Anliegen zu erreichen, zunichte machen. Die Vorlagepflicht nach § 50 Abs. 3 VwGO dient nicht nur dazu, das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten sicherzustellen. Sie ist zudem das rechtsstaatliche Korrektiv für die Unwägbarkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes, wenn verschiedene Gerichtsbarkeiten mit diesem betraut sind und die zu beurteilenden Materien einander berühren oder gar überschneiden können. Daraus folgt ferner, dass einem Antragsteller in einem Bund-Länder-Streit von vornherein nicht zugemutet werden darf, sowohl den Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht als auch den Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht zu beschreiten. Er genießt umfassenden Rechtsschutz durch die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts in dem in § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vorgesehenen Bund-Länder-Streit.
Die in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehene Klageart ist an keine gesetzliche Frist gebunden. Gleichwohl ist es nicht nur sachgerecht, sondern zur Vermeidung von Missbrauch und Umgehung geboten, das Fristerfordernis für den Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht nach Maßgabe des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG auf die Erhebung einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht zu übertragen, sofern es sich hierbei um ein Klagebegehren handelt, das unmittelbar vor dem Bundesverfassungsgericht hätte verfolgt werden müssen. Soll die Möglichkeit einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts offen gehalten werden, muss die Klage zum Bundesverwaltungsgericht innerhalb der Sechs-Monats-Frist erhoben werden. Der Senat folgt damit den Grundsätzen seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 76, 107 ≪115 f.≫).
b) Der Antragsteller hat das Bundesverwaltungsgericht im Bund-Länder-Streit gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht binnen der Frist von sechs Monaten angerufen.
Die Frist beginnt zu laufen, sobald die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt wird. Als Maßnahme ist jedes rechtlich erhebliche Verhalten zu werten. Es muss sich um einen Vorgang oder um ein Verhalten handeln, aus dem sich eine Beeinträchtigung eines Antragstellers ergeben kann. Diese Voraussetzung ist vor allem dann gegeben, wenn ein Beteiligter eine Kompetenz beansprucht, die die föderale Zuständigkeitsordnung zu beeinflussen vermag.
Der Antragsteller hat im Antragsverfahren (2 BvG 1/02) die rechtserhebliche Maßnahme zu Recht in der Zahlungsaufforderung vom 17. November 1999 gesehen. Mit ihr behauptet die Antragsgegnerin die Fälligkeit des Anspruchs. Aus der kurz nach Ablauf der gesetzten Frist geleisteten Zahlung unter Vorbehalt ergibt sich, dass der Antragsteller der Zahlungsaufforderung schon damals rechtserhebliche Wirkung beigemessen hat. Wenn BVerfGE 99, 361 (365) ausführt, dass (nicht das bundesverwaltungsgerichtliche Urteil, sondern) allenfalls die Klageerhebung zum Bundesverwaltungsgericht als rechtserhebliche Maßnahme angesehen werden könne, wird für die Fristwahrung dort, nachdem die davor erfolgte Geltendmachung der Regressforderung als fristwahrende Maßnahme ohnehin nicht in Betracht kam, auf einen vergleichbaren möglichst frühen Zeitpunkt abgestellt. Damit soll das Ziel der Fristbestimmung, alsbald Rechtsfrieden eintreten zu lassen, erreicht werden.
c) Die vom Antragsteller zum Bundesverwaltungsgericht erhobene Klage ist sonach für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache nicht fristwahrend im Sinn des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG. Der tatsächliche Verlauf bestätigt, dass andernfalls Rechtssicherheit und Rechtsfrieden entgegen dem Ziel des Gesetzgebers zur Disposition des Antragstellers stünden. Nach der Zahlungsaufforderung vom 17. November 1999 hat der Antragsteller dieses Verfahrens unter Vorbehalt am 15. Dezember 1999 geleistet. Mit Schreiben vom 20. Juli 2000 (also deutlich mehr als sechs Monate nach Zahlungsaufforderung) hat er die Antragsgegnerin an seine Rechtsauffassung erinnert, am 28. Februar 2001 auf Staatssekretärsebene Bund und Länder angeschrieben und dem Bund die Verletzung von Koordinierungsverantwortlichkeiten vorgeworfen und schließlich am 20. März 2001 eine Antwort des Staatssekretärs des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft erhalten, die sich gegen diesen Vorwurf verwahrte.
Das Begehren des Antragstellers kann auch nicht in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Unterlassens der Rückzahlung des unter Vorbehalt Geleisteten umgedeutet werden, der die Frist erst ab der endgültigen Verweigerung der Rückzahlung in Gang setzt. Bei jedem bei der Zahlung erklärten Vorbehalt muss der Leistende für die Rückforderung aktiv werden. Das gilt unabhängig davon, ob erfüllt und nur die Anerkenntniswirkung gemäß § 208 BGB a.F. oder der Rückforderungsausschluss gemäß § 814 BGB vermieden werden soll, oder ob ohne Erfüllungswirkung nur geleistet werden soll, wenn der Gläubiger den Bestand der Forderung beweist. Ihm fällt mit der Leistung die Rolle zu, sich die Rückzahlung gegebenenfalls zu erstreiten. Eine Vereinbarung über die Verlängerung der in § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG vorgesehenen Antragsfrist ist nicht möglich.
4. Die Frist des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. BVerfGE 99, 361 ≪366 m.w.N.≫).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt im Hinblick darauf, dass sich der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1993 dafür entschieden hat, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur im Verfassungsbeschwerde-Verfahren gegen Gerichtsentscheidungen zuzulassen (§ 93 Abs. 2 BVerfGG), ohne Erfolg. Das Vorbringen des Antragstellers, er habe nicht vorhersehen können, dass das Bundesverwaltungsgericht hier eine verfassungsrechtliche Streitigkeit annehmen werde, weshalb das Anlaufen der Frist des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG bis zum Ergehen des Vorlagebeschlusses gehemmt sei, ist mit Blick auf die am 20. Januar 1999 ergangenen Entscheidung BVerfGE 99, 361 unzutreffend. Mit Rücksicht auf dieses Erkenntnis bestand Anlass zu der Annahme, dass die Frist für die Erhebung eines Bund-Länder-Streits unabhängig von dem angerufenen Gericht zu beachten sein könnte.
II.
Auf Grund der vorstehenden Erwägungen ist auch der im Verfahren 2 BvG 1/02 beim Bundesverfassungsgericht am 30. Mai 2002 eingegangene Antrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern wegen Versäumens der Sechs-Monats-Frist nach Maßgabe des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG unzulässig und deshalb zu verwerfen.
Bezüglich einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten die Ausführungen unter I. 4. entsprechend.
Unterschriften
Hassemer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1084363 |
NVwZ 2004, 191 |
NVwZ 2004, 468 |
JuS 2004, 434 |