Verfahrensgang
LG Oldenburg (Beschluss vom 27.09.2006; Aktenzeichen 12 Ns 101/06) |
LG Oldenburg (Beschluss vom 06.06.2006; Aktenzeichen 12 Ns 101/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist nicht gegeben.
a) In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) das Gericht verpflichtet, die Ausführungen von Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 ≪220≫; 69, 145 ≪148≫; 70, 288 ≪293≫). Eine Gehörsverletzung kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen des Beschwerdeführers entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist; grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte Vorbringen von Prozessbeteiligten berücksichtigen (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪187≫; 65, 293 ≪295 f.≫; 70, 288 ≪293≫). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachen müssen jedoch in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪189≫; 58, 353 ≪357≫). Beweisanträge, auf die es für die Entscheidung ankommt, müssen vom Gericht berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 60, 247 ≪249≫; 60, 250 ≪252≫; 69, 145 ≪148≫), sofern nicht Gründe des Prozessrechts es gestatten oder dazu zwingen, sie unbeachtet zu lassen.
b) Nach § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO nimmt das Berufungsgericht die Berufung in den Fällen des Absatzes 1 der Vorschrift an, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist. Die Auslegung dieser Vorschrift kann das Bundesverfassungsgericht nur darauf prüfen, ob Verfassungsrecht – insbesondere Grundrechte und grundrechtsgleiche Gewährleistungen – verletzt ist. Nach herrschender, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Ansicht der Strafgerichte ist die Berufung offensichtlich unbegründet, wenn für jeden Sachkundigen anhand der Urteilsgründe und einer eventuell vorliegenden Berufungsbegründung sowie des Protokolls der Hauptverhandlung erster Instanz ohne längere Prüfung erkennbar ist, dass das Urteil sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden ist und keine Verfahrensfehler vorliegen, die die Revision begründen würden.
Danach ist es grundsätzlich ausgeschlossen, die Berufung als offensichtlich unbegründet anzusehen, wenn der Angeklagte zur Entkräftung von Feststellungen, auf denen das erstinstanzliche Urteil beruht, neue Beweisanträge ankündigt. Diese dürfen regelmäßig nur dann unbeachtet bleiben, wenn ein Grund vorliegt, der gemäß § 244 StPO die Ablehnung eines Beweisantrags rechtfertigt. Nur ausnahmsweise wird es in Betracht kommen, einen – ein neues Beweismittel betreffenden – Beweisantrag als ungeeignet anzusehen, das bisherige Beweisergebnis zu entkräften; das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit in § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO ist insoweit nur dann erfüllt, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann. Dies hat das Berufungsgericht – auch im Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG – zu begründen, wenn es die Annahme der Berufung ablehnt, wie ein Gegenschluss aus § 322 a Satz 3 StPO ergibt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Mai 1996 – 2 BvR 2847/95 –, NJW 1996, S. 2785 ≪2786≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. August 2001 – 2 BvR 1098/01 –, NStZ 2002, S. 43 ≪44≫; Berliner Verfassungsgerichtshof, Beschluss vom 27. September 2004 – VerfGH 1/03 –, NVwZ-RR 2005, S. 73 ≪74≫).
c) Hieran gemessen ist Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt.
aa) Soweit die Beschwerdeführerin die unterbliebene Mitteilung des gegen den gesondert verfolgten B. ergangenen Strafbefehls geltend gemacht hatte, ist durch das Nachverfahren eine Heilung dieses Mangels eingetreten.
bb) Die weitere Beanstandung, der Beschwerdeführerin sei die – von dem Strafbefehl in Bezug genommene – Anklageschrift gegen B. nicht mitgeteilt worden, greift ebenfalls nicht durch, weil die angegriffenen Entscheidungen hierauf jedenfalls nicht beruhen. Das Gericht ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass die rechtskräftige Verurteilung des B. auch jene Taten umfasst, welche sich auf Manipulationen zu Gunsten der Beschwerdeführerin bezogen. Für das Landgericht bestand daher Veranlassung, sich mit den Auswirkungen möglicher Angaben dieses Zeugen auf das Beweisergebnis auseinanderzusetzen. Hätte der Strafbefehl hingegen die hier gegenständlichen Vorfälle nicht erfasst, hätte dem Zeugen B. im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO zugestanden. Damit wäre er mangels erkennbarer Aussagebereitschaft als Beweismittel ausgeschieden, so dass eine Annahme der Berufung schon deshalb nicht in Betracht gekommen wäre. Bei Mitteilung der Anklageschrift gegen B. hätte die Beschwerdeführerin daher keinen weiter gehenden Vortrag halten können.
cc) Eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör folgt hier auch nicht daraus, dass das Landgericht die Berufung trotz des angekündigten Antrags auf Vernehmung des Zeugen B. nicht zur Entscheidung angenommen hat. Nach der Auffassung des Landgerichts lag hier der Ausnahmefall vor, dass die Aussage des Zeugen in Anbetracht der sonstigen Beweismittel nicht geeignet war, einen anderen Verfahrensausgang herbeizuführen.
Die Entscheidung des Landgerichts wird den unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gebotenen Darlegungserfordernissen gerecht. Die in der Sache getroffene Wertung des Landgerichts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass die sichergestellten Unterlagen lediglich auf den Namen der Beschwerdeführerin fingiert worden seien, durfte das Landgericht hier als rein theoretische Möglichkeit werten, welche keine vernünftigen Zweifel an dem Urteil des Amtsgerichts zu begründen vermochte.
dd) Dies gilt auch für die Annahme des Landgerichts, bei dem Zeugen Dr. N. handele es sich um kein neues Beweismittel. Dass dieser Zeuge im Verfahren erster Instanz unerreichbar gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich; er hätte daher schon durch das Amtsgericht vernommen werden können.
ee) Eine Gehörsverletzung ergibt sich schließlich auch nicht hinsichtlich der weiteren, von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufungsbegründungsschrift im Einzelnen ausgeführten Beanstandungen. Das Landgericht hat dieses Vorbringen in den angegriffenen Entscheidungen erkennbar verarbeitet und ist zu jedenfalls nicht unvertretbaren Ergebnissen gelangt.
b) Damit ist auch keine Verletzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegeben.
c) Soweit die Beschwerdeführerin schließlich eine Verletzung des Gleichheitssatzes beanstandet hat, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil das Bundesverfassungsgericht anhand des Vortrags in der Verfassungsbeschwerde nicht beurteilen kann, welche Besonderheiten für die Entscheidungen im Verfahren gegen den Mitangeklagten R. ursächlich waren.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen