Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründungsfrist
Beteiligte
Rechtsanwälte Eva Kullmann und Partner |
Verfahrensgang
Tenor
Die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 2. Juli 1999 und 11. August 1999 – 13 Sa 1136/99 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 DM (in Worten: zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen gerichtliche Entscheidungen, mit denen ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung versagt und die Berufung verworfen worden ist.
I.
1. Das Arbeitsgericht verurteilte den Beschwerdeführer, an die Klägerin eine restliche Vergütung von rund 2.500 DM zu zahlen. Der Beschwerdeführer legte dagegen beim Landesarbeitsgericht Berufung ein. Am letzten Tag der Frist für die Berufungsbegründung stellte seine Rechtsanwältin den Antrag, die Frist um einen Monat zu verlängern. Wegen urlaubsbedingter Arbeitsüberlastung sei es ihr als alleiniger Sachbearbeiterin nicht möglich, die Berufungsbegründung fristgerecht zu erstellen.
Der Kammervorsitzende wies den Antrag zurück. Ihm lasse sich nicht entnehmen, wann die Rechtsanwältin festgestellt habe, dass sie an der rechtzeitigen Erstellung der Berufungsbegründung gehindert sei und warum sie den Antrag erst in den späten Nachmittagsstunden des letzten Tages der Frist gestellt habe. Die Rechtsanwältin des Beschwerdeführers stellte daraufhin Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Berufung. Das Landesarbeitsgericht wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung. Die Rechtsanwältin habe die Versäumung der Frist verschuldet. Sie habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass dem Antrag stattgegeben werde. Ihm fehle die beim angerufenen Landesarbeitsgericht regelmäßig erforderliche nähere Begründung. Ob bei anderen Berliner Gerichten zu erwarten sei, dass einem erstmaligen Verlängerungsantrag bei einem Hinweis auf urlaubsbedingte Arbeitsüberlastung stattgegeben werde, vermöge das Landesarbeitsgericht nicht zu beurteilen. Jedenfalls sei eine derartige Handhabung bei ihm nicht üblich.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Seine Rechtsanwältin habe auf die Verlängerung der Frist vertrauen dürfen. Arbeitsüberlastung sei als erheblicher Grund für die Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung allgemein anerkannt. Seine Rechtsanwältin habe nicht wissen können, dass das angerufene Landesarbeitsgericht unübliche Anforderungen bei der Fristverlängerung stelle.
3. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen des Landes Berlin und die Klägerin des Ausgangsverfahrens haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Rechtes des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) angezeigt ist. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Eine solche unzumutbare Erschwerung liegt vor, wenn Gerichte bei der Entscheidung über Verlängerungsanträge und über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Verhalten als schuldhaft ansehen, das nach der Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts eindeutig nicht zu beanstanden ist. Nur wenn dem betroffenen Rechtsanwalt bekannt sein muss, dass bei dem angerufenen Gericht eine strengere Handhabung von Verfahrensvorschriften zu erwarten ist, kann eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 79, 372 ≪376 f.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. August 1998, NJW 1998, S. 3703 f. m.w.N.).
b) Hier durfte die Rechtsanwältin des Beschwerdeführers sich auf eine eindeutige Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte verlassen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass zu den erheblichen Gründen im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG besonders starke Arbeitsbelastung des Prozessbevollmächtigten zählt. Dieser braucht danach auch nicht deshalb mit der vollständigen Ablehnung der Fristverlängerung zu rechnen, weil er die Gründe der besonders starken Arbeitsbelastung und ihre Auswirkungen auf die Bearbeitung gerade der konkreten Sache nicht näher substantiiert und glaubhaft gemacht hat (vgl. BAG, Beschluss vom 27. September 1994, NJW 1995, S. 1446 f.; vgl. auch BGH, NJW 1991, S. 2080 f.; Schaub, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 66 Rn. 14; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 519 Rn. 19).
Die Rechtsanwältin des Beschwerdeführers konnte, als sie den Antrag auf Fristverlängerung stellte, nicht wissen, dass das Landesarbeitsgericht eine ins Einzelne gehende Darlegung der Gründe für die berufliche Überlastung und deren Auswirkungen auf die konkrete Sache fordern würde. Das Landesarbeitsgericht nennt in seinem Beschluss keine Entscheidung, aus der sie anderes hätte entnehmen können (vgl. dazu auch den heutigen Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 222/99 –). Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erwähnt das Landesarbeitsgericht nicht.
2. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 600189 |
NJW 2000, 1634 |
NVwZ 2000, 793 |
NZA 2000, 556 |
SGb 2001, 72 |
MittRKKöln 2000, 238 |
BRAK-Mitt. 2000, 179 |
SozSi 2001, 326 |