Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Beschluss vom 20.12.2005; Aktenzeichen Vollz (Ws) 22/05) |
Saarländisches OLG (Beschluss vom 02.12.2005; Aktenzeichen Vollz (Ws) 22/05) |
LG Saarbrücken (Beschluss vom 30.03.2005; Aktenzeichen III StVK 123/05) |
Tenor
Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 2. Dezember 2005 – Vollz (Ws) 22/05 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, soweit das Gericht die Rechtsbeschwerde in Bezug auf den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers verworfen hat. In diesem Umfang wird der Beschluss aufgehoben und die Sache an das Saarländische Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 20. Dezember 2005 – Vollz (Ws) 22/05 – wird insoweit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Saarland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ahndung von Regelverstößen eines Patienten im psychiatrischen Maßregelvollzug.
Soweit sie darüber hinaus die Vorenthaltung einer Obstportion betrifft, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.
1. Der Beschwerdeführer ist gemäß § 63 StGB in der S… untergebracht. Mit Schreiben vom 2. Februar 2005 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er unter anderem begehrte, festzustellen, dass die Anordnung eines gegen ihn verhängten Zimmerarrests ohne schriftliche rechtsmittelfähige Begründung rechtswidrig sei und dass durch die Weigerung des Stationsarztes, Anordnungen rechtsmittelfähig zu begründen, sein Recht auf effektiven Rechtsschutz vorsätzlich missachtet werde. Der Stationsarzt habe ihm mitgeteilt, dass er gegen eine – nach Auffassung des Beschwerdeführers unzulässige und mangels anderer Möglichkeiten undurchführbare – Anordnung verstoßen habe und daher eine Woche Zimmerarrest erhalte. Seine Bitte, diese Anordnung schriftlich durch rechtsmittelfähigen Bescheid zu begründen, habe der Stationsarzt zurückgewiesen.
2. In ihrer Stellungnahme führte die Klinikleitung aus, bei dem Beschwerdeführer liege eine komplexe sexuelle Devianz sowohl mit pädophilen Komponenten als auch in Form einer Interessenfixierung auf prägenitale Sexualziele (Urin, Kot) vor. Im Rahmen dieser Fixierung sei es wahrscheinlich sekundär zu einer Fixierung der Sexualpräferenz auf Objekte – im Sinne eines “Windelfetischismus” – und zu psychogener Harninkontinenz gekommen. Es bestehe der begründete Verdacht, dass der Beschwerdeführer das Ausmaß seiner Inkontinenz aggraviere, wenn nicht sogar zur Aufrechterhaltung seiner perversen Struktur instrumentalisiere. Außerdem sei bei dem Beschwerdeführer primärpersönlich von einer egozentrischen Persönlichkeitsakzentuierung auszugehen, die im Rahmen der Unterbringung zunehmend in einer abnormen Erlebnisentwicklung mit paranoid-querulatorischen Zügen gipfle. Der Beschwerdeführer nässe klinikeigene Handtücher ein und nutze diese als Ersatzbefriedigung für seinen Windelfetischismus. Der damit einhergehende desolate hygienische Zustand des Beschwerdeführers strapaziere seine Beziehung zu der Patientengemeinschaft erheblich. Nachdem bei einer Zimmerdurchsuchung am 2. Februar 2005 zum wiederholten Male mehrere mit Urin getränkte Handtücher bei dem Beschwerdeführer aufgefunden worden seien, habe man sich im Rahmen der therapeutischen Bemühungen und im Hinblick auf den Missmut von Seiten der Patientengemeinschaft entschlossen, einen Zimmerarrest für die Dauer von einer Woche auszusprechen. Dem therapeutischen Team sei es trotz intensiver Bemühungen bislang nicht gelungen, eine tragfähige therapeutische Beziehung zu dem Beschwerdeführer aufzubauen. Nachdem im September 2004 die Unterbringungsentscheidung des Landgerichts Saarbrücken rechtskräftig geworden sei, habe man sich bemüht, bei dem Beschwerdeführer eine Verhaltensmodulation herbeizuführen. Der Beschwerdeführer sei informiert worden, dass er von der Klinik keine Windel mehr erhalte, so lange er einer ausführlichen körperlichen Abklärung seiner Beschwerden nicht zustimme. Außerdem sei ihm verboten worden, die hauseigenen Handtücher als Windelersatz zu benutzen. Der Beschwerdeführer habe jedoch einer körperlichen Abklärung der Inkontinenz nie zugestimmt, was die eingangs erwähnte Diagnose bekräftigt habe. Aufgrund der therapierefraktären Haltung des Beschwerdeführers sei es nicht möglich, in die verhaltenstherapeutischen Bemühungen der Klinik positive Verstärker im Sinne belohnender Handlungen einzubauen. In diesem Falle bleibe allein die Möglichkeit, bei Verstößen gegen die vereinbarten Verhaltensregeln negative Verstärker zu benutzen. Eine schriftliche Verkündung solcher unmittelbar notwendigen therapeutischen Maßnahmen sehe das Saarländische Maßregelvollzugsgesetz nicht vor.
3. Mit Schreiben vom 18. März 2005 teilte der Beschwerdeführer der Strafvollstreckungskammer mit, er habe die Stellungnahme der Klinikleitung am 8. März 2005 gegen 17.00 Uhr erhalten. Da seine Unterlagen am selben Tag eingezogen und erst am Nachmittag des 17. März 2005 wieder ausgehändigt worden seien, sei es ihm nicht möglich gewesen, sein Recht auf rechtliches Gehör wahrzunehmen. Am Morgen des 17. März 2005 zwischen 6.30 und 8.00 Uhr sei ihm das vom Gericht zugesandte Schreiben abhandengekommen. Ein Wegschließen bis zum Nachmittag desselben Tages sei nicht möglich gewesen. Er bitte daher darum, ihm eine Kopie des Schreibens zuzusenden, nach deren Erhalt er umgehend seine Erwiderung auf die Ausführungen der Klinikleitung einreichen werde.
4. In einem daraufhin am 24. März 2005 mit der Klinik geführten Telefonat wurde der zuständigen Richterin mitgeteilt, dem Beschwerdeführer seien die Unterlagen am vorangegangenen Tag nach Durchführung einer Kontrolle ausgehändigt worden. Die Richterin sah daraufhin von einer erneuten Übersendung der Stellungnahme ab.
5. Mit Beschluss vom 30. März 2005 wies das Landgericht Saarbrücken den Feststellungsantrag als unbegründet zurück. Die Anordnung des Zimmerarrests sei ermessensfehlerfrei erfolgt und habe einer schriftlichen Begründung nicht bedurft, da es sich um eine therapeutische Maßnahme gehandelt habe, für die nach dem Saarländischen Maßregelvollzugsgesetz kein Schriftformerfordernis bestehe. Den behandelnden Ärzten sei im Rahmen ihrer fachlich-medizinischen Tätigkeit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der einer gerichtlichen Kontrolle von außen weitgehend entzogen sei. Dem Gericht obliege lediglich die Prüfung, ob die Entscheidung des Arztes aus dem Rahmen sachgerechter medizinischer Erwägungen falle. Hierfür bestünden vorliegend keine Anhaltspunkte. Nach den glaubhaften Darlegungen der Klinikleitung zur Erfolglosigkeit der bisherigen therapeutischen Bemühungen und den Ergebnissen der Zimmerdurchsuchung vom 2. Februar 2005 habe nur die Möglichkeit bestanden, negative Verstärker einzusetzen, um die Einhaltung der vereinbarten Verhaltensregeln durchzusetzen. Es verstehe sich von selbst, dass für die Einhaltung von therapeutisch notwendigen Verhaltensregeln in einer psychiatrischen Einrichtung, für die das Maßregelvollzugsgesetz nicht die im Strafvollzugsgesetz enthaltene Regelung über Disziplinarmaßnahmen vorsehe, im Rahmen von therapeutisch wohlerwogenen Maßnahmen auf eine Verhaltensänderung des Patienten im Sinne einer Förderung der Fähigkeit zur Selbstverantwortung Einfluss genommen werden könne.
6. Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt, da ihm die Stellungnahme der Klinikleitung – wie er dem Gericht mitgeteilt habe – nicht vorliege. Zu dem als Behandlungsmaßnahme bezeichneten Zimmerarrest habe er die gemäß § 9 des Saarländischen Maßregelvollzugsgesetzes (Gesetz Nr. 1257 über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt – MRVG – vom 29. November 1989, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 16. Mai 2007, Amtsbl. S. 1226) erforderliche Einwilligung nicht erteilt. Die Strafvollstreckungskammer wolle hier offenbar trotz entgegenstehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das besondere Gewaltverhältnis für die forensische Psychiatrie wieder etablieren. Die Behauptung der Klinikleitung, es seien am 2. Februar 2005 zum wiederholten Male uringetränkte Handtücher in seinem Zimmer vorgefunden worden, treffe nicht zu und sei von ihm bestritten worden; entsprechende Beweisanregungen habe das Gericht ignoriert. Das Gericht sei verpflichtet, ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen richterliche Kontrolle entgegenzubringen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es sich bei einem mehrtägigen Zimmerarrest um eine anerkannte Behandlungsmaßnahme gegen Harninkontinenz handeln solle.
7. Das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales des Saarlandes beantragte, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, diese aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen. Aufgrund des Vorfalls vom 2. Februar 2005 und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer zum wiederholten Mal uringetränkte Handtücher auf seinem Zimmer verwahrt habe, sei es notwendig gewesen, negative Verstärker therapeutisch einzusetzen, um die Einhaltung der vereinbarten Verhaltensregeln durchzusetzen. Zur Behandlung der Anlasskrankheit und zum Zweck des Maßregelvollzugs, die Besserung herbeizuführen, sei es vonnöten gewesen, einen negativen Verstärker therapeutisch einzusetzen. Diese Maßnahme sei zur Therapie der Anlasskrankheit des Beschwerdeführers ausdrücklich geeignet und erforderlich gewesen. Der Therapieansatz, mit negativen Verstärkern konformes Verhalten anzutrainieren und nonkonformes Verhalten abzutrainieren, sei eine heute anerkannte Behandlungsmethode. Aus therapeutischen Gesichtspunkten sei es daher auch nicht unverhältnismäßig gewesen, dem Beschwerdeführer den Zimmerarrest aufzuerlegen. Auch unter Berücksichtigung der Interessen der Patientengemeinschaft sei die Anweisung des Zimmerarrests ermessensfehlerfrei erfolgt.
8. Das Saarländische Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 2. Dezember 2005 als unzulässig, da es nicht geboten sei, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 26 Abs. 2 MRVG, § 116 Abs. 1 StVollzG). Es sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer bei der Beurteilung der Sachlage die sachverständige Einschätzung der bei dem Beschwerdeführer vorliegenden psychischen Störung durch die Klinikleitung zugrundegelegt habe. Die Richtigkeit der die Einweisungsdiagnose bestätigenden sachverständigen Einschätzung der Klinik sei in Verfahren gemäß § 26 Abs. 2 MRVG, § 109 ff. StVollzG nicht zu überprüfen. In diesen Verfahren werde der Senat daher auf der Grundlage der sachverständigen Einschätzung der Klinik auch weiterhin davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer zumindest das Ausmaß seiner Inkontinenz aggraviere, wenn nicht sogar zur Aufrechterhaltung seiner perversen Struktur instrumentalisiere.
9. Die gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gerichtete “Gegenvorstellung gemäß § 33a StPO”, mit welcher der Beschwerdeführer Einwände gegen die von dem Gericht zugrundegelegte Diagnose vortrug und erneut eine Verletzung seines Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG rügte, wies das Saarländische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. Dezember 2005 zurück.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 GG. Obwohl er die Strafvollstreckungskammer darauf hingewiesen habe, dass ihm die Stellungnahme der Klinikleitung nicht vorliege, und um Übersendung einer Kopie gebeten habe, habe das Gericht entschieden, ohne dass ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt worden sei. Das Oberlandesgericht sei auf keine der in der Rechtsbeschwerde aufgeführten Rügen eingegangen. Auch seine in der Gegenvorstellung enthaltenen Ausführungen zu den medizinischen Hintergründen seiner Harninkontinenz seien in dem zweiten Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts ignoriert worden.
2. Das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales des Saarlandes hat von einer Stellungnahme abgesehen.
3. Mit Schreiben vom 31. Januar, 7. April und 25. Oktober 2007 hat der Beschwerdeführer weitere Unterlagen vorgelegt, die unter anderem die Schwierigkeiten beim Aufbau einer therapeutischen Beziehung zu dem Beschwerdeführer und die Behandlung der bei dem Beschwerdeführer bestehenden Inkontinenzproblematik durch das Klinikpersonal thematisieren.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie die Verwerfung der Rechtsbeschwerde in Bezug auf den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 2. Dezember 2005 betrifft, gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) vor.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig; insbesondere ist die Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auch im Hinblick auf die Rechtsbeschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts vom 2. Dezember 2005 gewahrt, so dass dahinstehen kann, ob der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 20. Dezember 2005 geeignet war, die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erneut in Gang zu setzen.
2. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG. Durch die Verneinung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 138 Abs. 3, § 116 Abs. 1 StVollzG in Bezug auf die Zurückweisung des Feststellungsantrags durch das Landgericht hat das Oberlandesgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪58≫; stRspr). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne fachgerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 94, 166 ≪213≫). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪61≫; 92, 365 ≪410≫; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 54, 94 ≪96 f.≫). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer “leerlaufen” lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 ≪99≫; 96, 27 ≪39≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Mai 2007 – 2 BvR 2012/05 –, juris).
Den sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Die Annahme des Gerichts, im Hinblick auf den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers sei die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 138 Abs. 3, § 116 Abs. 1 StVollzG), überspannt die Anforderungen an die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde in einer mit dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Weise.
a) Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30. März 2005 eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit des dem Beschwerdeführer auferlegten Zimmerarrests getroffen. Es hat diesen Arrest nicht nur als therapeutische Maßnahme eingeordnet, für die nach dem Maßregelvollzugsgesetz kein Schriftformerfordernis bestehe, sondern unter Billigung der verhaltenstherapeutischen Erwägungen der Klinikleitung ausdrücklich festgestellt, dass die Anordnung dieser Maßnahme ermessensfehlerfrei erfolgt sei.
b) Gegen diese Sachentscheidung des Landgerichts hat sich der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Rechtsbeschwerde mit der Sachrüge gewandt. Er hat die Einordnung des gegen ihn angeordneten Zimmerarrests als Behandlungsmaßnahme in Frage gestellt und darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Behandlung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 MRVG grundsätzlich der Einwilligung des betroffenen Patienten bedarf. Der näheren Prüfung und Beantwortung der damit aufgeworfenen Frage, ob für die verfahrensgegenständliche Maßnahme eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bestand, durfte das Oberlandesgericht sich nicht entziehen, indem es einerseits die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwarf, andererseits knappe Rechtsausführungen zur Sache machte, die – ohne jedes Eingehen auf die Frage der ausreichenden gesetzlichen Grundlage – auf eine inhaltliche Bestätigung der angegriffenen landgerichtlichen Entscheidung hinausliefen. Von einem nach den maßgeblichen Kriterien des § 116 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit § 138 Abs. 3 StVollzG (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 116 Rn. 2; Arloth, in: Arloth/Lückemann, StVollzG, 2004, § 116 Rn. 3) fehlenden Klärungsbedarf konnte angesichts der Bedeutung der aufgeworfenen Frage und angesichts des Standes der fachgerichtlichen Rechtsprechung (s. unter bb) und cc)) offensichtlich keine Rede sein. Erst recht konnte ein Klärungsbedarf nach diesen Kriterien nicht mit einer die landgerichtliche Entscheidung in der Sache bestätigenden Begründung verneint werden.
aa) Jede Maßnahme, die mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist, bedarf einer Ermächtigungsgrundlage, aus der sich in einer dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechenden Weise die Eingriffsvoraussetzungen und der Umfang der erlaubten Eingriffe ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44≫; 113, 29 ≪50≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. November 2006 – 2 BvR 1418/05 –, NStZ-RR 2007, S. 92 ≪93≫). Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44 ff.≫; 100, 313 ≪359 f., 372≫; 110, 33 ≪52≫; 113, 348 ≪375≫). Diese Anforderung gilt allgemein und unabhängig von den guten oder sogar zwingenden sachlichen Gründen, die für den Eingriff sprechen mögen; eingreifende Maßnahmen im Straf- und im Maßregelvollzug sind von ihr nicht ausgenommen (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪80≫; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. August 2006 – 2 BvR 1803/05 –, juris, und vom 30. November 2006, a.a.O.; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung Hanseatisches OLG, Beschluss vom 16. März 2007 – 3 Vollz ≪Ws≫ 1/07 –, StraFo 2007, S. 259 ≪260≫). Der Vorbehalt des Gesetzes und die verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Normenbestimmtheit und Normenklarheit sind wesentliche Elemente des verfassungsrechtlichen Schutzes der Grundrechte. Sie stellen sicher, dass die gesetzesausführende Verwaltung – zu der auch ein psychiatrisches Krankenhaus gehört, soweit darin die Maßregel gemäß § 63 StGB vollzogen wird – steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet, dass die Gerichte über Maßstäbe der Rechtskontrolle verfügen, und dass die möglicherweise Betroffenen sich auf belastende Maßnahmen einstellen können (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1550/03 u.a. –, NJW 2007, S. 2464 ≪2466≫; BVerfGE 113, 348 ≪376≫; 110, 33 ≪52 ff.≫).
bb) Der Klärung hätte danach zunächst bedurft, ob der gegen den Beschwerdeführer verhängte Zimmerarrest überhaupt – wie von der Klinik und dem Landgericht angenommen – einer Einordnung als Behandlungsmaßnahme zugänglich war. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die Beantwortung unerwünschter Verhaltensweisen von Maßregelvollzugspatienten mit sanktionsartigen Maßnahmen, die den Patienten im Sinne einer “negativen Verstärkung” beeinflussen und damit präventiv wirken sollen, als Behandlungsmaßnahme anzusehen ist (in diesem Sinne LG Marburg, Beschluss vom 28. August 1991 – 7b StVK 131/91 –, R & P 1992, S. 67 ≪68≫; zustimmend Lückemann in: Arloth/Lückemann, StVollzG 2004, § 136 Rn. 2; Kreuzer, Behandlung, Zwang und Einschränkungen im Maßregelvollzug, 1994, S. 30 ff.), oder ob derartigen Reaktionen des Klinikpersonals auf Regelverstöße der Patienten der Charakter einer – bislang in keinem der Landesgesetze zum Maßregelvollzug vorgesehenen – Disziplinarmaßnahme zukommt (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 1. Dezember 2005 – StVK ≪Vollz≫ 743/05 –, StraFo 2006, S. 87; Hanseatisches OLG, a.a.O.; Lindemann, Die Sanktionierung unbotmäßigen Patientenverhaltens, 2004, S. 6 ff., 61 ff.; Pollähne, R & P 1992, S. 47 ff.; ders., in: AK-StVollzG, 5. Aufl. 2006, vor § 136 Rn. 12; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl. 2003, S. 171 ff.; Wagner, in: Kammeier ≪Hrsg.≫, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Kap. D Rn. 37 ff.).
Auch soweit davon auszugehen wäre, dass ungeachtet funktionaler Übereinstimmungen zwischen disziplinarischen und “negativ verstärkenden” Reaktionen auf unerwünschtes Verhalten das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für Disziplinarmaßnahmen im Maßregelvollzug nicht die Möglichkeit ausschließt, negative Verstärker als Behandlungsmaßnahmen einzusetzen, wäre damit die Frage einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für derartige Maßnahmen noch nicht beantwortet. Aus dem Umstand, dass sachgerechte Behandlung Spielräume erfordert, die der gesetzlichen Normierbarkeit und gerichtlichen Kontrolle des therapeutischen Vorgehens Grenzen setzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 7. September 1981 – 7 VAs 30/81, StV 1982, S. 125 m. Anm. Baur; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. März 2000 – 2 Ws 203/99 –, R & P 2000, S. 140 ≪141≫ m. Anm. Volckart; LG Heidelberg, Beschluss vom 20. April 2004 – 7 StVK 79/04 –, juris; Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 238 f.), folgt nicht, dass dieser Spielraum unbegrenzt sein und der Gesetzgeber sich daher jeder näheren Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eingreifender Behandlungsmaßnahmen enthalten müsste und dürfte.
cc) Die Frage der ausreichenden gesetzlichen Grundlage und in diesem Zusammenhang die einschlägigen einfachgesetzlichen Regelungen wären im Übrigen unter dem speziellen Gesichtspunkt zu würdigen gewesen, dass der Beschwerdeführer sich nicht gegen irgendeine, sondern gegen eine seinem erklärten Willen zuwiderlaufende, zwangsweise über ihn verhängte Behandlungsmaßnahme gewandt hat.
Die Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ist nach vorherrschender Auffassung nicht bereits den Vorschriften der § 63 StGB, § 136 StVollzG zu entnehmen. Vielmehr wird überwiegend angenommen, dass die zwangsweise Behandlung von nach § 63 StGB Untergebrachten sich nach den einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen richtet, auf die § 138 Abs. 1 StVollzG verweist (vgl. KG, Beschluss vom 20. Juni 1997 – 5 Ws 122/97 Vollz –, NStZ-RR 1997, S. 351; OLG Karlsruhe, a.a.O., S. 140; Heide, Medizinische Zwangsbehandlung 2001, S. 81 ff.; Rotthaus/Freise, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl. 2006, § 136 Rn. 4; Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 167; a.A. OLG Hamm, Beschluss vom 23. Oktober 1986 – 1 Vollz ≪Ws≫ 178/86 –, NStZ 1987, S. 144; Stalinski, BtPrax 2000, S. 59 ≪62≫).
Nach der für den saarländischen Maßregelvollzug geltenden Bestimmung des § 9 Abs. 2 MRVG bedarf die Behandlung jedoch grundsätzlich der Einwilligung des Patienten (Satz 1) oder seines gesetzlichen Vertreters bzw. Betreuers (Satz 3). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht das Gesetz lediglich für die zwangsweise Behandlung zur Abwendung von Lebensgefahr, schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Patienten oder Gefahr für die Gesundheit anderer Personen vor (§ 9 Abs. 3 Satz 1 MRVG). Nach den Gesetzesmaterialien soll der Anwendungsbereich der Zwangsbehandlung auf die Beseitigung einer Not- bzw. Akutsituation mittels Pharmakotherapie beschränkt sein, während die Durchführung psychotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten grundsätzlich für ausgeschlossen gehalten wird (vgl. Landtag des Saarlandes, Drucks 9/2239, S. 5 f. der Begründung).
c) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie wird daher im bezeichneten Umfang aufgehoben und die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 20. Dezember 2005 wird insoweit gegenstandslos.
3. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG durch das Landgericht rügt, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist jedenfalls unbegründet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht darin zu sehen, dass das Landgericht eine Entscheidung getroffen hat, obwohl der Beschwerdeführer zuvor darauf hingewiesen hatte, dass ihm die Stellungnahme der Klinik nicht vorliege. Abgesehen davon, dass den Ausführungen des Beschwerdeführers die Umstände des von ihm behaupteten Abhandenkommens der Stellungnahme der Klinikleitung nicht hinreichend deutlich zu entnehmen sind, wurden die vermissten Unterlagen ihm nach – von seiner Seite nicht bestrittener – Auskunft der Klinik jedenfalls am 23. März 2005 ausgehändigt, so dass ihm bis zur Entscheidung des Landgerichts vom 30. März 2005 hinreichend Zeit für eine Erwiderung blieb.
4. Die Entscheidung über die Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Dem Beschwerdeführer sind in Anbetracht des Umfanges seines Obsiegens die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1853598 |
DVBl. 2008, 38 |
R&P 2008, 46 |