Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 18. Oktober 2002 – 5 Sa 367/02 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Brandenburg zurückverwiesen.
Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein landesarbeitsgerichtliches Berufungsurteil, das erst mehr als fünf Monate nach der Verkündung in vollständiger Fassung abgesetzt wurde.
1. Im Ausgangsverfahren wurde über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung gestritten und darüber, ob ein Betriebsübergang (§ 613a BGB) vorlag. Mit seiner Klage wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens und machte dessen Fortbestand zur Beklagten zu 2) geltend, nachdem diese den Betrieb übernommen hatte. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers mit einem am 18. Oktober 2002 verkündeten und am 27. März 2003 von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangten Urteil zurück und lies die Revision nicht zu.
2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Zur Begründung beruft er sich auf die Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – (NZA 2001, S. 982). Der Beschwerdeführer rügt ferner eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und des Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Zur Verfassungsbeschwerde sind das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg und die Beklagten des Ausgangsverfahrens angehört worden. Diese haben keine Stellungnahmen abgegeben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen zur Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits entschieden.
Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 41, 23 ≪25 f.≫; 69, 381 ≪385≫). Gleichzeitig gebietet die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Pflicht zur Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und zur Herstellung von Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪269≫; 88, 118 ≪124≫).
2. Nach diesem Maßstab verletzt die erst am 27. März 2003 vollständig abgefasst und unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind, kann keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein, um das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt, erschwert damit für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise.
In vollständiger Fassung ist ein landesarbeitsgerichtliches Urteil erst dann abgesetzt, wenn es von sämtlichen Kammermitgliedern unterschrieben (vgl. § 69 Abs. 1 ArbGG) der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Denn die Fünf-Monats-Frist soll auch gewährleisten, dass die schriftlichen Urteilsgründe die Verhandlungs- und Beratungsergebnisse zutreffend wiedergeben. Diesem Erfordernis wird nur genügt, wenn sich sämtliche zur Unterschrift verpflichteten Richter einigermaßen zeitnah die Urteilsgründe zu Eigen machen können (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. August 2002 – 1 BvR 1012/02 – NZA 2003, S. 59).
Wegen der weiteren Begründung wird verwiesen auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – (NZA 2001, S. 982).
3. Da das angegriffene Urteil schon wegen des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keinen Bestand haben kann, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob die darüber hinausgehenden vom Beschwerdeführer gerügten Verfassungsverstöße vorliegen.
4. Das angegriffene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten, weil sich die Verfassungsbeschwerde als begründet erweist (§ 34a Abs. 2 BVerfGG). Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3, § 134 Abs. 1 BRAGO (vgl. dazu BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1004499 |
NZA 2003, 1355 |
AP, 0 |
NJ 2003, 642 |
www.judicialis.de 2003 |