Verfahrensgang
Tenor
1. Der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird untersagt, die im Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2003 ausgeschriebene Notarstelle in Wuppertal-Vohwinkel bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu besetzen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfahren über die einstweilige Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Ablehnung der Bewerbung um eine Notarstelle.
1. Der Beschwerdeführer legte, nachdem er das Erste Juristische Staatsexamen mit 4,38 Punkten bestanden hatte, im Jahre 1983 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit der Note „voll befriedigend” (9,60 Punkte) ab. Seit Februar 1994 ist der Beschwerdeführer, der zunächst als Rechtsanwalt sowie als Richter in Nordrhein-Westfalen tätig war, hauptamtlicher Notar in Sachsen. Er bewarb sich auf die im März 2003 zur Wiederbesetzung ausgeschriebene Notarstelle in Wuppertal-Vohwinkel.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2003 wurde die Bewerbung des Beschwerdeführers abschlägig beschieden. Zugunsten des an erster Stelle vorgeschlagenen Mitbewerbers, der seit 1997 im notariellen Vorbereitungsdienst des Landes Sachsen steht und nach Übernahme einer Notariatsverwaltung nunmehr als Referent im Sächsischen Staatsministerium der Justiz tätig ist, sprächen seine sehr gute dienstliche Beurteilung als Notarassessor und sein um 4,62 Punkte besseres Ergebnis im Ersten Juristischen Staatsexamen; der Beschwerdeführer habe demgegenüber ein um 0,08 Punkte besseres Ergebnis im Zweiten Staatsexamen und ein höheres Dienstalter. Bei Abwägung aller Gesichtspunkte gebe zugunsten des Mitbewerbers der deutlich überzeugendere Eindruck im Vorstellungsgespräch den Ausschlag.
Die Anträge des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung und auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts habe alle für die Auswahlentscheidung relevanten Gesichtspunkte in die Abwägung einbezogen.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2004 hat der Bundesgerichtshof die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Im Rahmen der Auswahlentscheidung sei der Mitbewerber unter besonderer Berücksichtigung des Vorstellungsgesprächs in nicht zu beanstandender Weise als persönlich und fachlich geeigneter angesehen worden.
2. Am 10. August 2004 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und stellte zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er rügt unter anderem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG. Er sieht sich in der Freiheit seiner Berufsausübung verletzt, da er aufgrund seiner mittlerweile 10-jährigen Berufserfahrung als Notar und seiner über achtjährigen Berufserfahrung als Richter gegenüber dem ausgewählten Mitbewerber über die höhere fachliche Eignung verfüge.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 ≪172≫; 91, 328 ≪332≫; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zumindest in Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht offensichtlich unbegründet. Zum Schutz des wichtigen Gemeinschaftsgutes einer qualitätsvollen vorsorgenden Rechtspflege muss gewährleistet werden, dass im Auswahlverfahren zur Besetzung von Notarstellen derjenige zum Zuge kommt, der den Anforderungen des Amtes am ehesten entspricht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats, NJW 2004, S. 1935). Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 der Bundesnotarordnung richtet sich die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern nach der persönlichen und fachlichen Eignung unter Berücksichtigung der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung und der bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten Leistungen. Eine Auswahlentscheidung auf dieser gesetzlichen Grundlage hat nur dann vor Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG Bestand, wenn sie eine konkrete und einzelfallbezogene Bewertung gerade auch der fachlichen Leistungen der Bewerber vornimmt und dabei die spezielle Befähigung für das Amt des Notars angemessen einbezieht. Ob dies im Falle des Beschwerdeführers in Anbetracht seiner langjährigen Notartätigkeit in gebotenem Umfang erfolgt ist, ist einer Klärung in der Hauptsache vorzubehalten.
3. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, die der Präsidentin des Oberlandesgerichts aufgibt, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von einer Besetzung der Notarstelle abzusehen.
Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hat die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Beschwerdeführer den konkreten Amtssitz nicht mehr erhalten. Es bestünde zudem die Gefahr, dass auf absehbare Zeit keine freie Notarstelle mit dem Beschwerdeführer besetzt werden könnte. Überdies wäre der Beschwerdeführer dann auf ein neues Bewerbungsverfahren angewiesen, dem insofern ein neuer Lebenssachverhalt zugrunde läge, als er mit anderen Bewerbern konkurrierte.
Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, muss die vorübergehende Vakanz einer Notarstelle in Kauf genommen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch diese Vakanz beeinträchtigt werden könnte, sind nicht vorhanden.
Unterschriften
Hömig, Hoffmann-Riem, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1289028 |
www.judicialis.de 2004 |