Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Beschwerdeführerinnen rügen insbesondere eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichteinholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens machte gegen die Beschwerdeführerinnen u.a. den Anspruch nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG i.V.m. § 14 Abs. 5 MarkenG geltend, es zu unterlassen, die Bezeichnung “Revian” zur Kennzeichnung eines Weins im geschäftlichen Verkehr zu verwenden.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.
Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das nationale Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 234 Abs. 3 EGV von Amts wegen gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (im Einzelnen BVerfGE 82, 159 ≪192 f.≫).
Liegt – wie die Beschwerdeführerinnen rügen – zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt bezeichneten Grundrechts angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
Die Beschwerdeführerinnen werden durch die angegriffene Entscheidung nicht in ihren Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Der Bundesgerichtshof hat im Rahmen der Nichtzulassungsentscheidung vom 16. Januar 2003 das Bestehen einer Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV in vertretbarer Weise verneint.
a) Es handelt sich allerdings um einen Fall der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Zu der entscheidungserheblichen Frage, welche Bedeutung der Verkehrsauffassung zur Herkunft der Waren zukommt, und welche Bedeutung die Kennzeichnungskraft der älteren Marke für die Warenähnlichkeit und damit für die Verwechslungsgefahr der Waren hat, liegt insbesondere mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Canon Kabushiki Kaisha gegen Metro-Goldwyn-Mayer Inc. – Rs. C-39/97 –, vom 29. September 1998 (NJW 1999, S. 933, im Folgenden “Canon-Entscheidung”) einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor. Zugleich hat diese Entscheidung jedoch den speziellen Fall, ob auch dann, wenn nach der Verkehrsauffassung im allgemeinen die Waren aus zwei verschiedenen Unternehmen stammen, eine Verwechslungsgefahr vorliegen könne, nicht erschöpfend beantwortet.
b) Gegen die Richtigkeit der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Bundesgerichtshof drängen sich begründete Zweifel nicht in einer Weise auf, dass die Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof unvertretbar erschiene.
Der Bundesgerichtshof lässt in dem Nichtzulassungsbeschluss vom 16. Januar 2003 die Auslegung des Bundesgerichtshofs in der Revisionsentscheidung vom 16. November 2000 und die sich daran anschließende Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. April 2002 unbeanstandet, wonach keine absolute Warenunähnlichkeit – im vorliegenden Fall zwischen Mineralwasser und Wein – bestehe, obwohl die betroffenen Waren nach der Verkehrsauffassung im Allgemeinen aus unterschiedlichen Unternehmen stammen, weil die Klagemarke eine nicht nur niedrige oder durchschnittliche Kennzeichnungskraft habe. Dies ist nicht unvertretbar. Denn es ist nicht fernliegend, dass die Herkunftsfunktion der neueren Marke, wenn es nach der Verkehrsauffassung zumindest möglich erscheint, dass die Waren aus dem gleichen oder aus einem wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen, auch von der Kennzeichnungskraft der älteren Marke beeinflusst ist.
Diese Auslegung weicht auch nicht von den Grundsätzen der “Canon-Entscheidung” ab, die eine Verwechslungsgefahr nur dann ausschließt, wenn sich nicht ergibt, dass das Publikum glauben könnte, dass eine solche gleiche Herkunft bestehe.
c) Soweit die Beschwerdeführerinnen geltend machen, im Hinblick auf die Einheitlichkeit des aus Gemeinschaftsmarkenverordnung und Markenrechtsrichtlinie bestehenden Gemeinschaftsrechts sei ein Widerspruch zwischen der nationalen Rechtsprechung und den europäischen Entscheidungen zu vermeiden und deshalb sei das für das Markenrecht zentrale Tatbestandsmerkmal der Verwechslungsgefahr durch den Europäischen Gerichtshof umfassend und gemeinschaftseinheitlich zu konkretisieren, ist dies jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht maßgeblich.
Im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bereits dann zu verneinen, wenn das Hauptsachegericht die gemeinschaftsrechtliche Rechtsfrage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat. Dies ist bezüglich der rechtlichen Bedeutung der Verkehrsauffassung dazu, woher die Waren stammen, und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke für die Verwechslungsgefahr der Fall (vgl. oben unter b).
Soweit die Beschwerdeführerinnen die im Ergebnis bestehende Abweichung des angegriffenen Nichtzulassungsbeschlusses von der Entscheidung der Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt vom 23. November 2001 anführen, liegt ein entscheidungserheblicher Unterschied im Hinblick auf Rechtsfragen nicht vor. Lediglich das konkrete Ergebnis der in beiden Entscheidungen vorgenommenen Gesamtabwägung unterscheidet sich infolge der jeweils unterschiedlichen tatsächlichen Wertung der Kennzeichnungskraft der Klagemarke. Dies kann eine Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV nicht begründen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1254542 |
GRUR 2005, 52 |
Mitt. 2005, 124 |