Verfahrensgang
OVG für das Land Brandenburg (Beschluss vom 30.04.2004; Aktenzeichen 1 A 490/01.Z) |
VG Cottbus (Urteil vom 07.12.2000; Aktenzeichen 2 K 467/96) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Der Beschwerdeführer, der in der Deutschen Demokratischen Republik den Beruf des Kastrierers aufgenommen hat, begehrt die Erlaubnis zur Fortsetzung seiner bisherigen Tätigkeit.
I.
1. Die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik erlaubten dem Beschwerdeführer die Kastration von gesunden männlichen Tieren unter örtlicher Betäubung; weibliche Tiere durfte er – mit Ausnahme von Sauen – ab Eintritt der Geschlechtsreife nicht kastrieren (vgl. Verordnung über die Tierkastration durch Berufskastrierer vom 19. Dezember 1950, GBl DDR S. 1215 f.). § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Tierschutzgesetzes (im Folgenden: TierSchG) in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 5 und Satz 3 TierSchG behalten die Kastration warmblütiger Wirbeltiere im Alter von über vier Wochen dem Tierarzt vor. Die Vorschriften wurden durch Art. 8 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) in Verbindung mit Anlage I Kapitel VI Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 14 (BGBl II 1990 S. 885) mit der Maßgabe in Kraft gesetzt, dass Berufskastrierern aus dem Beitrittsgebiet, die vor 1991 ihre Ausbildung abgeschlossen haben, die Erlaubnis erteilt werden kann, dort eine den dort bisher geltenden Vorschriften entsprechende Tätigkeit bis auf Widerruf, längstens bis zum 31. Dezember 1995, auszuüben.
2. Der Beschwerdeführer, der seit 1983 als Berufskastrierer in der Deutschen Demokratischen Republik tätig war, stellte im November 1995 einen Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Erlaubnis zur Kastration warmblütiger Tiere unter Betäubung, den der zuständige Landkreis unter Verweis auf den Tierarztvorbehalt des Tierschutzgesetzes und die Übergangsregelung in der Anlage zum Einigungsvertrag ablehnte. Die daraufhin erhobene Verpflichtungsklage blieb beim Verwaltungs- und beim Oberverwaltungsgericht erfolglos.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die der ablehnenden Entscheidung zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen stellten eine übermäßige unzumutbare Belastung dar und seien daher mit der Berufsfreiheit nicht vereinbar. Den Bedürfnissen des Tierschutzes werde durch Methode und Praxis der staatlich geprüften und anerkannten Berufskastrierer hinreichend Rechnung getragen. Er habe nicht die Möglichkeit, sich durch ein Studium der Tiermedizin zu qualifizieren.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für die Bundesregierung, der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, das Land Brandenburg, die Bundestierärztekammer, der Deutsche Tierschutzbund e.V., der Bundesverband Tierschutz e.V. und der Vereinigte Bundesverband der Kastrierer in Deutschland e.V.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihre Annahme ist insbesondere nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden. Der Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers durch die Nichterteilung der begehrten Erlaubnis zur Fortsetzung seiner Tätigkeit als Kastrierer im bisherigen Umfang ist auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 und § 6 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 5 und Satz 3 TierSchG in Verbindung mit Art. 8 des Einigungsvertrages und Anlage I Kapitel IV Sachgebiet A Nr. 14 verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
a) Der in den Vorschriften des Tierschutzgesetzes niedergelegte Tierarztvorbehalt ist zur Erreichung des Gemeinwohlziels eines besseren Tierschutzes (vgl. hierzu BVerfGE 48, 376 ≪389≫ und insbesondere auch die Einführung des Staatsziels Tierschutz in Art. 20a GG) nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich. Ein milderes, aber zur Erreichung des mit dem Tierarztvorbehalt erstrebten Zieles ebenso wirksames Mittel ist nicht erkennbar. Grundsätzlich ist nach dem Willen des Gesetzgebers jedes Tier, das einer Schmerzempfindung fähig ist, im Falle eines schmerzhaften Eingriffs vorher zu betäuben. Die Betäubung der höher organisierten Wirbeltiere erfordert besondere Kenntnisse auf den Gebieten der Physiologie und der Betäubungslehre, verbunden mit entsprechenden praktischen Fähigkeiten (vgl. Amtliche Begründung zu § 5 TierSchG, BTDrucks VI/2559). Die in einem Hochschulstudium erworbene tiermedizinische Ausbildung macht es dem Tierarzt möglich, die Narkose in jedem Stadium sachgerecht zu begleiten, während der Berufskastrierer wegen der beschränkten Ausbildunginhalte und der kürzeren Ausbildungszeit die hierfür notwendigen umfassenden Kenntnisse nicht erlangen kann.
b) Die der ablehnenden Entscheidung zugrunde liegende gesetzliche Regelung ist auch nicht aufgrund des Fehlens einer angemessenen Übergangsregelung unverhältnismäßig (vgl. hierzu BVerfGE 21, 173 ≪183≫; 32, 1 ≪22 f.≫; 43, 242 ≪288 f.≫; 68, 272 ≪284≫). Die Übergangsvorschrift in Art. 8 des Einigungsvertrages in Verbindung mit Anlage I Kapitel IV Sachgebiet A Nr. 14 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der Gesetzgeber sich mit ihr innerhalb des von Art. 12 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gebot des Vertrauensschutzes begrenzten Gestaltungsspielraums bewegt. Es ist ausreichend, dass den Berufskastrierern eine angemessene Frist von fünf Jahren zur beruflichen Neuorientierung eingeräumt worden ist. Der Vertrauensschutz gebietet es hingegen nicht, die berufliche Betätigung auch solchen Personen in bisherigem Umfang zu erhalten, denen die Qualifikation fehlt, die im Interesse des vom Gesetzgeber definierten Rechtsgüterschutzes für die Zukunft eingeführt worden ist (vgl. BVerfGE 98, 265 ≪310≫).
2. Für eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG ist nichts ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1573313 |
GewArch 2006, 431 |