Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückfall ehemaliger Militärliegenschaften
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Rückfall ehemaliger Militärliegenschaften gemäß Art. 134 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Vorschriften des Reichsvermögen-Gesetzes (RVG) vom 16. Mai 1961 (BGBl I S. 597).
1. Die Beschwerdeführerin hatte in den Jahren 1934 bis 1936 anlässlich der Errichtung einer Garnison auf ihrem Gemeindegebiet eine Grundfläche von insgesamt rund 150.000 qm unentgeltlich an das Deutsche Reich abgetreten. Schon 1961 hatte sie die Rückübertragung dieses Grundvermögens gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 RVG gefordert. Der Bund hatte demgegenüber im Juli 1964 geltend gemacht, er benötige die Grundstücke, auf denen US-Streitkräfte stationiert waren, für Verteidigungszwecke.
Nach Abzug der amerikanischen Truppen im Juni 1992 verklagte die Beschwerdeführerin die Bundesrepublik Deutschland vor dem Verwaltungsgericht auf Herausgabe und Übereignung eines Teils der streitbefangenen Grundstücke. Das Gericht wies die Klage ab. Das Rückfallrecht sei bereits im Jahre 1964 erloschen. Zur Begründung bezog sich das Verwaltungsgericht wesentlich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2000 (BVerwGE 111, 188), das dieselbe Rechtsfrage betrifft.
Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung ab.
2. Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem grundrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 geschützten Rechtsanspruch aus Art. 134 Abs. 3 GG verletzt.
a) Sie könne sich trotz entgegenstehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise auf die Eigentumsgarantie berufen. Denn Art. 134 Abs. 3 GG gewährleiste kraft Verfassungsrechts eine Eigentumsposition der Gemeinden, die den durch Art. 14 GG grundrechtlich geschützten Vermögensrechten gleichstehe. Da das Grundgesetz keinen speziellen Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Rückfallrechts aus Art. 134 Abs. 3 GG vorsehe, sei der allgemeine Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde eröffnet. Das Rückfallrecht habe als Teil des gemeindlichen Finanzvermögens keinen Bezug zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und sei einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage” ausgesetzt. Daher sei die Gemeinde wie ein Privater schutzwürdig, wenn ihr diese Vermögensposition ohne gesetzliche Grundlage entschädigungslos entzogen werde.
b) Der Rückfallanspruch bestehe fort. Das Rückfallvermögen könne erst nach stationierungsrechtlicher Freigabe endgültig zugeordnet werden. Daher erlösche das Rückfallrecht nur bei aktuellem „Anschlussbedarf” des Bundes, der vorliegend nicht gegeben sei. Während der Stationierung hätten die betreffenden Grundstücke schon deshalb nicht zum „Bundesverwaltungsvermögen” gehört, weil eine entsprechende Widmung gefehlt habe. Vielmehr habe lediglich so genanntes „Stationierungs-” oder „Beschaffungsvermögen” vorgelegen. Indem der Bund die Grundstücke nunmehr unter Verstoß gegen Art. 134 Abs. 3 GG seinem Finanzvermögen einverleibe, verletze er das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin ist nicht antragsberechtigt gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG. Sie kann die Verletzung eines eigenen Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geltend machen.
a) Zweifelhaft erscheint bereits, ob der Rückfallanspruch aus Art. 134 Abs. 3 GG überhaupt dem Eigentumsbegriff des Art. 14 GG unterfällt. Denn es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch eines Hoheitsträgers, der nicht im Zivil- oder Verwaltungsrecht vorgeprägt, sondern durch die Verfassung selbst konstituiert ist (vgl. zur Eigentumsqualität subjektiv-öffentlicher Vermögensrechte BVerfGE 69, 272 ≪300 ff.≫). Die Frage kann jedoch dahinstehen. Selbst wenn man das Rückfallrecht als Eigentum im Sinne des Verfassungsrechts qualifiziert, kann sich die Gemeinde zur Verteidigung ihres Anspruchs jedenfalls nicht auf die Eigentumsgarantie berufen.
b) Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Bedeutung hat diese Regelung vor allem für die juristischen Personen des Privatrechts (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪369≫ m.w.N.). Dagegen verneint das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts materielle Grundrechte innehaben können, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪368 ff.≫; 45, 63 ≪78 f.≫; 61, 82 ≪101≫; 68, 193 ≪205 ff.≫).
Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht im Fall der Gemeinden ausgedehnt: Einer Gemeinde steht das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht zu (BVerfGE 61, 82 ≪100 ff.≫ „Sasbach”). Auch bei nicht-hoheitlicher Tätigkeit befindet sich die Gemeinde in keiner grundrechtstypischen Gefährdungslage. Wenngleich sie hierbei wie jede andere Person hoheitlichen Eingriffen unterworfen sein kann, bedarf sie insoweit des Grundrechtsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht. Denn zum einen unterscheidet sich ihre Position von der Stellung Privater schon durch so genannte Fiskusprivilegien. Zum anderen untersagt das Gemeindewirtschaftsrecht weithin eine wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ohne Bezug zu ihren öffentlichen Aufgaben. Vielmehr binden die Gemeindeordnungen die Unternehmenstätigkeit regelmäßig an den öffentlichen Zweck der Gemeinde. Daher hat das Eigentum in der Hand einer Gemeinde nicht dieselbe Funktion wie in der Hand des Privaten, nämlich dem Eigentümer als Grundlage eigenverantwortlicher privater Initiative von Nutzen zu sein. Art. 14 als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater (BVerfG a.a.O. ≪108 f.≫). Das Bundesverfassungsgericht hat offen gelassen, ob es „ganz besonders gelagerte Ausnahmefälle geben kann, in denen es denkbar ist, einer Gemeinde den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG oder einen gleichartigen Schutz zuzubilligen, wenn sie in ihrem Eigentum außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beeinträchtigt wird” (BVerfG a.a.O. ≪109≫).
c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, einen derartigen Ausnahmefall anzuerkennen.
Allerdings betrifft die Versagung des Rückfallrechts die Beschwerdeführerin nicht in der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben. Denn Art. 134 Abs. 3 GG setzt im Gegensatz zu Art. 134 Abs. 2 GG nicht voraus, dass der Anspruchsinhaber den beanspruchten Vermögensgegenstand für öffentliche Aufgaben benötigt. Vielmehr besteht er, soweit der Bund keine eigenen Verwaltungsaufgaben geltend macht, auch dann, wenn die Gemeinde den Vermögensgegenstand fiskalisch nutzen will. Dennoch befindet sich die Beschwerdeführerin nicht in einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage”, die eine von BVerfGE 61, 82 abweichende Entscheidung rechtfertigen würde.
Gegen eine solche Annahme spricht schon der Vergleich beider Sachverhaltskonstellationen: In BVerfGE 61, 82 machte die Gemeinde Sasbach geltend, sie werde durch die atomrechtliche Genehmigung des Kernkraftwerks Wyhl in der Bewirtschaftung ihrer benachbarten Wein- und Obstgärten beeinträchtigt. Vorliegend geht es um die Rückgabe von Grundflächen, die seit über sechzig Jahren im Eigentum des Reichs oder des Bundes stehen und seit dieser Zeit nicht mehr von der Beschwerdeführerin genutzt wurden. Mögen auch höhere Vermögenswerte auf dem Spiel stehen, so ist gleichwohl nicht ersichtlich, weshalb das Interesse der Beschwerdeführerin am Rückfall grundrechtsnäher sein sollte als dasjenige der Gemeinde Sasbach an der gemeindeeigenen Landwirtschaft. Wie sie die beanspruchten Grundstücke zu nutzen gedenkt, hat die Beschwerdeführerin im Übrigen nicht dargetan. Soweit sie fiskalisch-unternehmerisch tätig werden will, ist sie jedenfalls gemäß Art. 87 Abs. 1 Nr. 1 der Bayerischen Gemeindeordnung an ihren öffentlichen Zweck als selbstverwaltete Gebietskörperschaft gebunden. Also kann sie ihre Beschwerdebefugnis nicht alleine aus Art. 14 GG herleiten.
d) Die verfassungsrechtliche Verankerung des Rückfallrechts in Art. 134 GG verbürgt keinen „gleichartigen Schutz” (BVerfGE 61, 82 ≪109≫), der im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnte.
Art. 134 GG gehört zur Gruppe der Übergangsbestimmungen im XI. Abschnitt des Grundgesetzes. Die Vorschrift regelt die Vermögenszuordnung nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945. Den Zweck ihres Absatz 3 hat das Bundesverfassungsgericht folgendermaßen umschrieben:
„Vorschriften, die wie Art. 134 Abs. 3 GG die Neuordnung des öffentlichen Vermögens nach einem Staatsbankrott zum Gegenstand haben, dienen nicht der Abrechnung über die Vergangenheit, sondern sollen vor allem eine Grundlage für die künftige Entwicklung des Staates schaffen (vgl. BVerfGE 15, 126 ≪141≫). Die Bereinigung des Staatsbankrotts hat dabei von der jeweils gegebenen konkreten Situation auszugehen und das hinterlassene öffentliche Vermögen auf die Träger öffentlicher Aufgaben in einer Weise zuzuordnen, die ihnen die Erfüllung der von ihnen wahrzunehmenden Aufgaben ermöglicht” (BVerfGE 95, 250 ≪264≫).
Diese Umschreibung charakterisiert das Verteilungsprinzip der Funktionsnachfolge: Die Absätze 2 und 3 des Art. 134 GG zielen darauf, den verschiedenen Verwaltungsträgern jeweils diejenigen Vermögensgegenstände aus dem ehemaligen Reichsvermögen rechtlich zuzuordnen, die sie zur Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben benötigen (vgl. Bartlsperger, Der Rückfall stationierungsrechtlich genutzten früheren Reichsvermögens, Berlin 1994, S. 86 ff.). Zwar durchbricht Absatz 3 dieses Prinzip insofern, als der Rückfallanspruch unabhängig davon besteht, ob die Gemeinde das Rückfallvermögen unmittelbar für Verwaltungsaufgaben beansprucht oder fiskalisch nutzt. Dennoch steht im Hintergrund dieser Regelung die unausgesprochene Zielsetzung, das Vermögen von Ländern und Gemeinden als der primären Verwaltungsträger zu mehren, um sie in ihrer öffentlichen Funktion finanziell zu stützen (vgl. zur Entstehungsgeschichte v. Doemming, JöR 1951, S. 877 ff., hier S. 879). Deshalb kommt auch in der Zuweisung an die Gemeinden durch Art. 134 Abs. 3 GG – zumindest mittelbar – der Gedanke der Funktionsnachfolge zum Tragen.
Schon dieser Regelungszusammenhang spricht dagegen, Art. 134 Abs. 3 GG mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu vergleichen und einen grundrechtsähnlichen Schutz gemeindlichen Eigentums aus dieser Norm abzuleiten. Denn so gesehen stellt der Streit über den Bestand des Rückfallrechts einen Kompetenzkonflikt zwischen Hoheitsträgern dar, der nicht im Wege der Individualverfassungsbeschwerde geklärt werden kann und soll (vgl. BVerfGE 21, 362 ≪370 f.≫). Vielmehr sind für derartige Konflikte in bestimmten Fällen besondere verfassungsgerichtliche Verfahren für Verfassungsstreitigkeiten vorgesehen (vgl. BVerfG a.a.O.). Ein spezieller Rechtsbehelf existiert für Streitigkeiten im Rahmen des Art. 134 GG aber gerade nicht.
Im Laufe des Verfassungsgebungsverfahrens hatten sowohl der Allgemeine Redaktionsausschuss als auch der Fünferausschuss vorgeschlagen, dem damaligen Art. 143e GG einen Absatz einzufügen, nach dem über Streitigkeiten bei Anwendung dieser Vorschrift das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden habe. Weshalb dieser Passus in der endgültigen Fassung entfallen ist, liegt im Dunkeln (vgl. v. Doemming a.a.O., S. 880 bis 883). Möglicherweise hielt man die Zuständigkeitseröffnung angesichts des Übergangscharakters der Norm für entbehrlich. Jedenfalls widerspräche es dem Willen des Verfassungsgesetzgebers, eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für derartige Streitigkeiten über den Umweg der Individualverfassungsbeschwerde zu begründen. Im Übrigen ist diese Rechtswegeröffnung unvereinbar mit dem Enumerationsprinzip des Art. 93 GG, soweit sich der Anspruch aus Art. 134 Abs. 3 GG nicht unmittelbar auf den Schutzanspruch aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zurückführen lässt.
e) Eine solche Verknüpfung hat jedoch auszuscheiden. Denn das Rückfallrecht unterscheidet sich wesentlich von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Während Art. 14 GG zunächst den Bestand privat genutzter Vermögenspositionen vor einem Entzug durch den Staat schützt, geht es in Art. 134 Abs. 3 GG um die Rückübertragung von Vermögensgegenständen, die seit vorkonstitutioneller Zeit in staatlicher Hand liegen und jahrzehntelang zu öffentlichen Zwecken genutzt worden sind. Die betreffenden Vermögensgegenstände, hier Grundstücke, sind dem Gemeindefiskus seinerzeit nicht gegen seinen Willen entzogen worden. Vielmehr hat die Gemeinde ihr Grundeigentum auf vertraglicher Basis freiwillig und durchaus eigennützig (vgl. für die sog. Garnisonsverträge Bartlsperger a.a.O., S. 12) auf das Reich übertragen. Deshalb tritt – mag die Rückübertragung nach „Wegfall der Geschäftsgrundlage” auch der Billigkeit entsprechen (vgl. v. Doemming a.a.O., S. 879) – der Gedanke des Bestandsschutzes, der Art. 14 GG beherrscht, in der Konstellation des Art. 134 Abs. 3 GG zurück.
Schließlich normiert Art. 134 Abs. 3 GG im Gegensatz zu Art. 14 GG keine subsidiäre Eigentumswertgarantie (vgl. dazu Papier, in: Maunz/Dürig, Komm. GG, Art. 14 Rn. 8 ff.): Während die Enteignung Privater gemäß Art. 14 Abs. 3 GG nur gegen Entschädigung zulässig ist, entfällt der Rückfallanspruch der Gemeinde entschädigungslos, sobald sich der Bund auf „eigene Verwaltungsaufgaben” beruft. Auch hierin kommt eine verminderte Schutzwürdigkeit der Gemeinde als Inhaberin des Rückfallrechts deutlich zum Ausdruck. Dieser Wegfall des Entschädigungsprinzips im Verhältnis zwischen den beteiligten Hoheitsträgern markiert einen Unterschied zu Art. 14 GG, der es verbietet, aus Art. 134 Abs. 3 GG eine grundrechtsähnliche Gewährleistung gemeindlichen Eigentums abzuleiten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 780426 |
NVwZ 2002, 1090 |
NVwZ 2002, 1366 |
NuR 2003, 221 |
DVBl. 2002, 1404 |
UPR 2002, 438 |
LL 2003, 42 |