Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Reisekosten eines gerichtlich bestellten Strafverteidigers
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Zwischenurteil vom 17.03.1999; Aktenzeichen 2 Ws 35/99) |
LG Hanau (Zwischenurteil vom 22.01.1999; Aktenzeichen 1 Js 1848/94 KLs) |
LG Hanau (Zwischenurteil vom 15.12.1998; Aktenzeichen 1 Js 1848/94 KLs) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 1999 – 2 Ws 35/99 – und des Landgerichts Hanau vom 22. Januar 1999 – 1 Js 1848/94 KLs – sowie der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hanau vom 15. Dezember 1998 – 1 Js 1848/94 KLs –, soweit darin die Festsetzung der Erstattung von Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld abgelehnt worden sind, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
2. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Erstattung von Reisekosten des gerichtlich bestellten Strafverteidigers.
1. Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt mit Kanzlei in Hamburg, verteidigte den türkischen Staatsangehörigen B. Dieser befand sich im Februar 1994 in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Der Beschwerdeführer zeigte dem zuständigen Ermittlungsrichter unter Vorlage einer Vollmacht die Übernahme der Verteidigung an und beantragte seine gerichtliche Bestellung zum Verteidiger. Er wurde am 26. April 1994 vom Vorsitzenden der für das Hauptverfahren zuständigen Strafkammer des Landgerichts zum Verteidiger bestellt. Nach Anklageerhebung wurde sein Mandant B. in die Justizvollzugsanstalt Hanau verlegt. Der Beschwerdeführer beantragte, ihm zur Vorbereitung der Hauptverhandlung dort ein Informationsgespräch mit dem Angeklagten unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers auf Kosten der Staatskasse zu bewilligen und die Erforderlichkeit seiner Reise festzustellen. Der Vorsitzende der Strafkammer genehmigte die Informationsreise sowie die Beiziehung eines Dolmetschers und verfügte, dass die Kosten dafür aus der Staatskasse vorzulegen seien. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht fand an zwei Verhandlungstagen statt. Dazu reiste der Beschwerdeführer jeweils aus Hamburg an.
2. Der Beschwerdeführer beantragte unter dem 6. Mai 1997 die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 3.524,57 DM, darunter Reisekosten und Abwesenheitsgeld in Höhe von 2.297,75 DM.
a) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts setzte die Gebühren durch Beschluss vom 15. Dezember 1998 antragsgemäß fest, lehnte aber die Festsetzung der Erstattung der Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld ab. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts seien die Reisekosten eines auswärtigen Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen sei, nicht erstattungsfähig.
b) Hiergegen wandte der Beschwerdeführer mit der Erinnerung ein, die Versagung der Auslagenerstattung entspreche nicht dem Gesetz und sei unverhältnismäßig. Das Landgericht wies die Erinnerung durch Beschluss vom 22. Januar 1999 zurück. Nach seiner Rechtsprechung könne ein früherer Wahlverteidiger, der danach zum Verteidiger bestellt worden sei, nicht mehr an Gebühren ersetzt verlangen als ein Wahlverteidiger beanspruchen könne.
c) Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mit der Beschwerde. Die Entscheidung des Landgerichts entspreche nicht dem Gesetz. Seine Bestellung zum Verteidiger sei ohne Vorbehalt erfolgt. Zu berücksichtigen sei auch die Feststellung der Erforderlichkeit seiner Informationsreise unter Zahlung eines Vorschusses. Es sei unzumutbar, wenn der bestellte Verteidiger seine Reisekosten selbst tragen müsse und letztlich mehr Auslagen habe als er an Gebühren verdiene. Das Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde. Die Entscheidung des Landgerichts entspreche seiner bisherigen Rechtsprechung. Danach sei maßgebliches Kriterium für die Berechnung der Gebühren und Auslagen die erstmalige Beauftragung des Verteidigers. Seine Rechtsprechung sei vom Bundesverfassungsgericht durch Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde in einer anderen Sache bestätigt worden.
II.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner am 30. April 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen. Er macht aus eigenem Recht die Verletzung der Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG geltend. Die angegriffenen Entscheidungen ließen eine plausible Begründung vermissen. Es sei willkürlich, dem bestellten Verteidiger nach vorangegangener Genehmigung einer Informationsreise unter Zahlung eines Vorschusses nachträglich die Auslagenerstattung zu versagen. Dies verstoße auch gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze, weil dadurch die Verteidigung nachträglich beeinträchtigt werde. Darüber hinaus liege ein enteignungsgleicher Eingriff vor. Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts werde auch nicht durch die von ihm zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gestützt.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde hat die hessische Landesregierung Stellung genommen. Sie hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigten nicht in ausreichendem Maße die Bedeutung und Tragweite der Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers; sie führten auch zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung dieses Rechts. Die gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Verteidiger sei ein Fall der Indienstnahme eines Privaten zu öffentlichen Zwecken; dafür sei der Rechtsanwalt angemessen zu entschädigen. Die Grenze des Zumutbaren werde überschritten, wenn er durch Reisekosten einen Teil seines sonstigen Einkommens preisgeben müsse, um seiner Pflicht zur sachgerechten Verteidigung nachzukommen. Gründe des Gemeinwohls könnten für ein solches Ergebnis nicht gefunden werden. Bei der Auslegung des Merkmals der Erforderlichkeit der Auslagen des bestellten Verteidigers sei mittelbar auch das Interesse des Beschuldigten an effektiver Verteidigung zu beachten. Dem würden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Jedenfalls soweit die Erstattung der Auslagen für die Informationsreise versagt wurde, sei auch das Willkürverbot verletzt worden; denn insoweit gingen die angegriffenen Entscheidungen darüber hinweg, dass die Erforderlichkeit der Informationsreise bereits bindend festgestellt worden sei (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO).
Entscheidungsgründe
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die angegriffenen Entscheidungen deuten im Blick auf die ständige Rechtsprechung, die ihnen zugrunde liegt, auf eine generelle Vernachlässigung dieser Grundrechte hin (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫).
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere nach dem durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemachten Vorbringen des Beschwerdeführers rechtzeitig erhoben worden, und sie ist mit der – der Sache nach erhobenen – Rüge, die angegriffenen Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit, in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Dass eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausdrücklich gerügt wurde, steht deren Prüfung nicht entgegen (vgl. BVerfGE 79, 174 ≪201≫; 84, 366 ≪369≫; 85, 214 ≪217≫).
1. Die angegriffenen Entscheidungen weisen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ansprüche aus beruflicher Tätigkeit teilweise ab und berühren damit dessen Berufsausübung. Sie sind daher an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 47, 285 ≪321≫; 83, 1 ≪13≫; 101, 331 ≪346≫).
a) Die gerichtliche Bestellung zum Verteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238 ≪241≫; 68, 237 ≪253 f.≫). Sie erfolgt im öffentlichen Interesse daran, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen die Verteidigung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens notwendig ist (vgl. § 140 StPO), rechtskundigen Beistand erhält (vgl. BVerfGE 39, 238 ≪242≫; 68, 237 ≪254≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 – 2 BvR 1169/86 –, JurBüro 1987, Sp. 1029). Der gerichtlich bestellte Verteidiger muss die Verteidigung übernehmen (§ 49 BRAO); nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Beiordnung beantragen (§ 49 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO). Er muss die Verteidigung – gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen – in sachgerechter Weise führen. Im Gegensatz zum Wahlverteidiger hat der bestellte Verteidiger die Verteidigung selbst zu führen; er hat insbesondere an der Hauptverhandlung selbst ununterbrochen teilzunehmen und darf keine Untervollmacht erteilen. Im Übrigen hat er dieselben Aufgaben wie ein gewählter Verteidiger.
Angesichts dieser umfassenden Inanspruchnahme des bestellten Verteidigers hat der Gesetzgeber dessen Aufgabe nicht als vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht ausgestaltet, sondern er sieht vor, dass der bestellte Verteidiger für seine Tätigkeit honoriert wird (§ 97 Abs. 1 BRAGO) und Ersatz seiner Auslagen erhält (§ 97 Abs. 2 Satz 1 BRAGO), es sei denn, die Auslagen seien zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen des Mandanten nicht erforderlich (§ 97 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Die für die Auslagenerstattung bei Prozesskostenhilfe geltende weitere Ausnahme gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO für Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat, wird in § 97 Abs. 2 BRAGO nicht in Bezug genommen. Ein anderer gesetzlicher Grund für die Versagung der Auslagenerstattung an den bestellten Verteidiger findet sich nicht. Er kommt auch bei Gesamtbetrachtung der Vergütungsregelung nicht in Betracht; denn der Vergütungsanspruch des bestellten Verteidigers liegt bereits erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪255≫).
Diese Begrenzung ist zwar durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an der Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt; dies gilt aber nur, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪255≫). Eine Kürzung der gesetzlich genau bestimmten Gebühren oder eine Versagung der Erstattung von Auslagen, die für die sachgerechte Verteidigung erforderlich waren, kann dem bestellten Verteidiger ein unzumutbares Opfer abverlangen. Sie ist dann mit dem Recht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar (vgl. BVerfGE 47, 285 ≪321 f.≫; 54, 251 ≪271≫; 68, 237 ≪255≫).
b) Daran gemessen, verstoßen die angegriffenen Entscheidungen gegen das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie berücksichtigen nicht, dass die Gebühren für die Verteidigertätigkeit des Beschwerdeführers (§ 97 Abs. 1 BRAGO) vollständig aufgezehrt werden, wenn ihm die Kosten für seine zur sachgerechten Verteidigung notwendigen Reisen nicht erstattet werden. Diese Auslagen übersteigen sogar die Gebühr für die Verteidigertätigkeit, so dass der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit als bestellter Verteidiger im konkreten Fall wirtschaftliche Verluste erleiden müsste, wenn die angegriffenen Entscheidungen Bestand hätten. Die Grenze des Zumutbaren wird dadurch überschritten. Insoweit liegt der vorliegende Fall anders als die Fälle, die durch die nicht mit Gründen versehenen Nichtannahmebeschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1996 – 2 BvR 289/96 – und vom 10. Dezember 1996 – 2 BvR 366/96 – entschieden worden sind, auf die sich das Oberlandesgericht beruft.
Auch ist das im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigende Gleichheitsgebot (vgl. BVerfGE 54, 251 ≪271≫) verletzt; denn wenn die Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger nicht vergütungsfrei ausgestaltet ist, so entspricht jedenfalls das Ergebnis der angegriffenen Entscheidungen, nach dem der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als bestellter Verteidiger einen wirtschaftlichen Verlust erleiden müsste, nicht dem Gesetz (§§ 97 Abs. 2 Satz 1, 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO), ohne dass die angegriffenen Entscheidungen dafür eine nachvollziehbare Begründung enthielten. § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO gilt insoweit nicht entsprechend; denn die Frage, ob die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger erforderlich ist, wird bereits bei der Auswahl des Verteidigers nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO geprüft. Daher sind dann, wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass der bestellte Verteidiger seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl., § 97 BRAGO Rn. 39 m.w.N.).
Die Erforderlichkeit der Informationsreise des Beschwerdeführers zur Vorbereitung der Hauptverhandlung wurde mit bindender Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren festgestellt (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO). Zur Teilnahme an der Hauptverhandlung war der Beschwerdeführer ohnehin rechtlich verpflichtet. Demnach kann im Kostenfestsetzungsverfahren weder die Erforderlichkeit der Bestellung des Beschwerdeführers zum Verteidiger noch die Erforderlichkeit seiner Reisen zur sachgerechten Verteidigung in Frage gestellt werden. Gründe des Gemeinwohls, die die Belastung des Beschwerdeführers mit einem wirtschaftlichen Verlust infolge seiner Tätigkeit als bestellter Verteidiger rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch werden solche Gründe in den angegriffenen Entscheidungen genannt. Warum nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts, der das Landgericht gefolgt ist, das maßgebliche Kriterium für die Berechnung von Gebühren und Auslagen die erstmalige Beauftragung des Verteidigers sein soll, wird gleichfalls nicht erläutert, obwohl es sich dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmen lässt.
2. Ob auch andere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann offen bleiben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Broß
Fundstellen
Haufe-Index 565394 |
NJW 2001, 1269 |
NStZ 2001, 211 |
ZAP 2001, 320 |
Rpfleger 2001, 198 |
AGS 2001, 63 |
MittRKKöln 2001, 142 |
StV 2001, 241 |
BRAGO prof. 2001, 92 |