Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 24.11.2008; Aktenzeichen 19 S 77/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung einer Berufung durch einen auf § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützten Beschluss.
I.
Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin eines Grundstücks, auf welches eine auf dem benachbarten Grundstück befindliche Hecke hinüber wuchs. Im Rahmen eines wegen dieses Überwuchses durchgeführten Schlichtungsverfahrens traf der Ehemann der Beschwerdeführerin mit dem Beklagten des Ausgangsverfahrens eine den Überwuchs betreffende Vereinbarung. Im Ausgangsverfahren verlangte die Beschwerdeführerin von dem Beklagten Ersatz wegen eines auf den Überwuchs zurückgehenden Schadens sowie Zahlung der Kosten der Beseitigung des Überwuchses.
Mit einem Urteil vom 7. August 2008 hat das Amtsgericht die entsprechende Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil zuvor nicht das nach § 15a EGZPO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Brandenburgischen Schlichtungsgesetzes (BbgSchlG) erforderliche Schlichtungsverfahren durchgeführt worden sei. Zwar mache die Klägerin nicht Ansprüche aus § 910 BGB geltend. Vielmehr verlange sie Erstattung von Kosten und Schadenersatz aus §§ 1004, 812 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG erfasse aber nicht nur primäre Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, sondern auch Sekundäransprüche. Dazu gehörten nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auch Ansprüche auf Ersatz eines auf dem Überwuchs beruhenden Schadens. Hier habe zwar ein Schlichtungsverfahren stattgefunden, aber nicht zwischen den Parteien des Rechtsstreits, sondern zwischen dem Ehemann der Beschwerdeführerin und dem Beklagten.
Mit einem Beschluss vom 27. Oktober 2008 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung der Beschwerdeführerin durch Beschluss zurückzuweisen. Aus den in der Entscheidung des Amtsgerichts genannten Gründen habe das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage sei unzulässig, weil das nach § 15a EGZPO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG erforderliche Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Zwar mache die Beschwerdeführerin hier keine Ansprüche aus § 910 BGB geltend. Vielmehr folgten die von ihr geltend gemachten Ansprüche aus §§ 1004, 812 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB. Solche Ansprüche gehörten aber ebenfalls zu den von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG erfassten Ansprüchen. Das ergebe sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Dieser stehe einem weiteren Verständnis nicht entgegen; eine Beschränkung auf Ansprüche aus § 910 BGB sei danach nicht veranlasst. Ebenso spreche der Sinn und Zweck des Schlichtungsverfahrens für eine Einbeziehung auch von Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche: Denn ein wegen solcher Forderungen betriebenes gerichtliches Verfahren entzöge der außergerichtlichen Schlichtung hinsichtlich der Primärrechte die Basis. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Vertretung im Schlichtungsverfahren durch ihren Ehemann sei nicht erkennbar. So habe ihr Ehemann den Antrag auf Durchführung des Verfahrens im eigenen Namen gestellt. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass allen Beteiligten die Vertretung der Beschwerdeführerin durch ihren Ehemann klar gewesen sei. Die Behauptung, es entspreche der allgemeinen Übung der mit der Sache befassten Schiedsstelle, dass der anwesende Ehepartner den Ehegatten vertrete, sei unsubstantiiert. Gegen eine Vertretung spreche ferner, dass die Vertretung der Eigentümerin des Nachbargrundstücks durch den Beklagten in der Niederschrift ausdrücklich festgehalten worden sei. Im Übrigen sei der Vortrag der Beschwerdeführerin zur Vertretung im zweiten Rechtszug nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Für eine Anwendung des § 1357 BGB sei hier kein Raum. Schließlich habe das Schlichtungsverfahren dem Rechtsstreit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 15a EGZPO zwingend vorauszugehen und könne nicht nachgeholt werden.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 24. November 2008 hat das Landgericht die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung komme es für die Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG nicht darauf an, ob Ansprüche geltend gemacht würden, die ihre Grundlage in den §§ 906, 910, 911, 923 BGB selbst fänden. Vielmehr reiche es aus, dass diese Vorschriften zur Bestimmung des Inhalts und des Umfangs eines Beseitigungsanspruchs sowie eines darauf beruhenden Schadensersatzanspruchs heranzuziehen seien. Das habe der Bundesgerichtshof in einer Ansprüche aus dem Nachbarrechtsgesetz betreffenden Entscheidung überzeugend ausgeführt, und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte sei ebenfalls anerkannt, dass der Katalog des Art. 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO die Anspruchsgrundlagen nicht abschließend aufzähle. Vor diesem Hintergrund habe die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Das Landgericht habe § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO angewendet, obgleich der Rechtsstreit zwei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen habe. So sei höchstrichterlich nicht geklärt, ob Erstattungs- und Schadensersatzansprüche aus den §§ 1004, 812 BGB und § 823 Abs. 1 BGB zu denjenigen Ansprüchen gehörten, für die der Landesgesetzgeber nach § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO das Erfordernis eines Schlichtungsverfahrens habe vorsehen dürfen. Ebenso wenig sei geklärt, ob Eheleute sich im Schlichtungsverfahren wirksam vertreten könnten.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde wirft weder Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Gebots effektiven Rechtsschutzes angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Für den Zivilprozess ergibt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 85, 337 ≪345≫; 97, 169 ≪185≫). Effektiver Rechtsschutz in diesem Sinne umfasst dabei nicht nur das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie auf eine verbindliche Entscheidung durch den Richter aufgrund einer grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstandes (vgl. BVerfGE 85, 337 ≪345≫; 97, 169 ≪185≫). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Es begründet zwar keinen Anspruch auf eine weitere Instanz; die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzuges bleibt vielmehr dem Gesetzgeber überlassen (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 89, 381 ≪390≫; 107, 395 ≪401 f.≫). Hat der Gesetzgeber sich jedoch für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪385≫; 74, 228 ≪234≫; 77, 275 ≪284≫).
Diese Grundsätze finden auch auf den einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO Anwendung, da er gemäß § 522 Abs. 3 ZPO nicht anfechtbar ist und damit den Weg zur Revision versperrt. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar sind eine den Zugang zur Revision erschwerende Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO jedoch nur dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen sind, sich damit als objektiv willkürlich erweisen und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränken (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 –, DVBl 2009 S. 41 ≪Umdruck S. 8 f.≫ m.w.N.).
2. Hier hat das Berufungsgericht die maßgebende Bestimmung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht in objektiv willkürlicher Weise rechtsfehlerhaft angewendet.
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Sache nur dann zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt dabei die Revisibilität des anzuwendenden Rechts nach § 545 Abs. 1 ZPO voraus. Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind. Dementsprechend kann auch eine Rechtsfrage, die in der Vorinstanz nicht gesehen worden ist und nicht Gegenstand eines Meinungsstreits ist, klärungsbedürftig sein. Umgekehrt vermag nicht jede Gegenstimme Klärungsbedarf zu begründen. So kann sich weiterer Klärungsbedarf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann ergeben, wenn nicht nur einzelne Instanzgerichte oder Literaturstimmen der Auffassung des Bundesgerichtshofs widersprechen oder wenn neue Argumente vorgebracht werden, die den Bundesgerichtshof dazu veranlassen können, seine Ansicht zu überprüfen. Schließlich entfällt der Klärungsbedarf, wenn einer Rechtsfrage wegen einer Rechtsänderung für die Zukunft keine Bedeutung mehr zukommt (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O. S. 9 f. m.w.N.).
b) Einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss hat § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO hier nicht im Hinblick auf die Frage einer Vertretung der Klägerin im Schlichtungsverfahren durch ihren Ehemann entgegen gestanden, weil das Landgericht in diesem Zusammenhang keine Frage aufgeworfen hat, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Das Landgericht hat die von der Beschwerdeführerin behauptete Vertretung nicht unter Berufung auf einen abstrakten Rechtssatz abgelehnt, sondern mit Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles. So hat es die nach § 164 Abs. 2 BGB erforderliche Offenkundigkeit der Vertretung verneint und bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, der Vertretungswille des Ehemannes der Beschwerdeführerin sei nicht erkennbar hervorgetreten. Ferner hat das Landgericht den Inhalt der Niederschrift des Schlichtungsverfahrens gewürdigt. Anschließend hat es Anhaltspunkte für einen abweichenden übereinstimmenden Willen der Parteien geprüft und verneint. Schließlich hat das Landgericht im Zurückweisungsbeschluss das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Frage der Vertretung als nicht hinreichend substantiiert bewertet. Auf die Ausführungen zur Präklusion neuen Vorbringens im zweiten Rechtszug gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ist es danach nicht mehr angekommen. Dem Landgericht kann insoweit also schon keine fehlerhafte, keinesfalls aber eine objektiv willkürliche Anwendung des hier maßgebenden § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO vorgeworfen werden.
Bei der Auslegung der Öffnungsklausel des § 15a EGZPO – § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG selbst gehört nicht zum revisiblen Recht im Sinne des § 545 Abs. 1 ZPO – hat das Landgericht seine Entscheidung zwar auf den abstrakten Rechtssatz gestützt, dass der Landesgesetzgeber das Erfordernis eines Schlichtungsverfahrens nicht nur für Primäransprüche nach § 910 BGB, sondern auch für Erstattungs- und Schadenersatzansprüche habe vorsehen dürfen. Es hat jedoch willkürfrei davon ausgehen dürfen, dass damit keine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufgeworfen war. Mag es auch an einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Reichweite des § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO in Zusammenhang mit Erstattungs- und Schadenersatzansprüchen fehlen, hat sich das Landgericht insofern doch einer verbreiteten Auffassung und insbesondere einer eingehend begründeten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 6. März 2008 – 4 U 41/07 –, JURIS Rn. 17 ff. m.w.N.) angeschlossen. Zwar tritt Heßler dieser Auffassung zur Reichweite des § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO entgegen (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 15a EGZPO Rn. 5). Er begründet seinen Standpunkt diesbezüglich jedoch nicht. Die möglichen Gründe für eine restriktive Auslegung des § 15a EGZPO sind auch nicht so offensichtlich, dass das Landgericht schon deshalb und ohne weiteres einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hätte bejahen müssen. So mag zwar der Wortlaut des § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO von demjenigen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BbgSchlG abweichen. Daraus lässt sich, wie die § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO geltenden Ausführungen in der Einzelbegründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 14/980 S. 6) zeigen, aber nicht ableiten, dass der Bundesgesetzgeber eine Beschränkung der Öffnungsklausel auf Streitigkeiten über Primäransprüche wegen Überwuchses gemäß § 910 BGB beabsichtigt hat. Die Erwägungen des Gesetzgebers zum Sinn und Zweck der Regelung (vgl. BTDrucks 14/980 S. 6) sprechen vielmehr deutlich gegen eine Beschränkung. Da somit keine sachlichen Gründe für eine restriktive Auslegung des § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO sprechen, hat das Landgericht hier jedenfalls ohne krasses Missverständnis des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO und damit ohne Verstoß gegen das Verbot objektiver Willkür den Klärungsbedarf verneinen dürfen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen