Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
Tenor
Der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde untersagt, ihre Entscheidung vom 20. März 2003 – 934 E 1 – 7.263/03 – zu vollziehen, insbesondere das Zeugnis über die Zustellung einer Klageschrift gegen die Beschwerdeführerin gemäß Artikel 6 Absatz 4 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (Bundesgesetzblatt 1977 Teil II Seite 1452) zu übermitteln.
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die im Wege der Rechtshilfe beantragte Zustellung einer Klage auf Schadensersatz in Höhe von 17 Mrd. US-Dollar, mit der sie vor einem Gericht der Vereinigten Staaten von Amerika in Anspruch genommen werden soll. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt sie, die angegriffenen Entscheidungen außer Vollzug zu setzen.
I.
1. Gegen die Beschwerdeführerin ist von einer Gruppe US-amerikanischer Musikautoren und -verlage vor dem Distriktgericht für den südlichen Bezirk New Yorks (District Court for the Southern District of New York) der Vereinigten Staaten von Amerika eine Schadensersatzklage eingereicht worden (Az.: US SD New York 03 CV 1093). Die Kläger dieses Verfahrens tragen vor, dass die Beschwerdeführerin an der mittlerweile insolventen Musiktauschbörse „Napster” beteiligt gewesen und insoweit auch für möglicherweise von der Musiktauschbörse begangene Urheberrechtsverletzungen verantwortlich sei. Die Klage hat einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 17 Mrd. US-Dollar zum Gegenstand.
Die Klage wurde im class action-Verfahren (Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure, Title 28 United States Code Appendix Rule 23), d.h. als Sammelklage eingeleitet (vgl. Greiner, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public, 1998, S. 56 ff.). Bei diesem Verfahren handeln die Kläger im eigenen Namen und als Repräsentanten für alle anderen von dem streitgegenständlichen Ereignis betroffenen Personen. Diese Gruppenmitglieder sind den Beteiligten weder bekannt, noch müssen sie vor Gericht erscheinen. Gleichwohl ist eine Entscheidung in dem Rechtsstreit oder ein Vergleich auch für sie bindend (vgl. Heß, Die Anerkennung eines Class Action Settlement in Deutschland, JZ 2000, S. 373 f.; Greiner, a.a.O., S. 113 ff.). Die Zustellung der Klageschrift ist zum einen Prozessvoraussetzung im US-amerikanischen Recht (vgl. Junker, Der deutsch-amerikanische Rechtsverkehr in Zivilsachen, JZ 1989, S. 121 m.w.N.), zum anderen ist sie nach deutschem Zivilprozessrecht die Voraussetzung für die spätere Anerkennung des ausländischen Urteils (vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Die Kläger sollen in der Zwischenzeit ihre Klage auf zwei US-amerikanische Tochtergesellschaften der Beschwerdeführerin erweitert und die Klageschrift in den Vereinigten Staaten zugestellt haben.
2. a) Die Kläger beantragten mit Schriftsatz vom 11. März 2003 auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 – HZÜ (BGBl 1977 II S. 1452) – die Zustellung ihrer Klage an die Beschwerdeführerin. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf, bei der es sich um die für Zustellungen in Nordrhein-Westfalen zuständige „zentrale Behörde” der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Art. 2 HZÜ handelt, beschied den Antrag gemäß Art. 5 Abs. 1 HZÜ mit Verfügung vom 20. März 2003 positiv und erließ eine Zustellungsanordnung an das Amtsgericht Gütersloh. Das Amtsgericht veranlasste am 4. April 2003 einen Zustellungsversuch bei der Beschwerdeführerin (Az. 14 AR 27/03), der jedoch keinen Erfolg hatte, weil die Annahme des Schriftstücks verweigert wurde.
b) Mit Schriftsatz vom 16. April 2003 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag gemäß § 23 EGGVG an das Oberlandesgericht Düsseldorf. Der Antrag war im Wesentlichen darauf gerichtet, die Entscheidung der Präsidentin des Oberlandesgerichts aufzuheben, hilfsweise für rechtswidrig und unwirksam zu erklären.
Zur Begründung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass es sich bei der Klageerhebung um den Versuch handele, einen möglichst großen öffentlichen Druck aufzubauen, um sie zu einem Vergleich außerhalb gerichtlicher Verfahren zu zwingen. Insbesondere die Höhe der Schadensersatzforderung sei nicht begründbar, weil es sich bei dem Betrag von 17 Mrd. US-Dollar um ein Vielfaches des Umsatzes der möglicherweise betroffenen US-amerikanischen Musikindustrie handele und bereits auf der Grundlage von Beispielrechnungen deutlich werde, dass die behaupteten Schäden unter keinen Umständen und nicht einmal näherungsweise verursacht worden sein könnten. Des weiteren übersteige die Klageforderung deutlich ihr Eigenkapital im gesamten Konzern und damit ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei sie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Weitere Verletzungen dieser Grundrechtsposition ergäben sich aus den Rechtsfolgen der Zustellung: Nach einer Zustellung und der darauf folgenden Klagezulassung sei sie gezwungen, an dem sogenannten pre-trial-Verfahren teilzunehmen, einem Beweisverfahren hauptsächlich zwischen den Parteien. Komme sie den sehr weit reichenden prozessualen Pflichten in dem für sie kostenträchtigen Verfahren nicht nach, drohten ihr empfindliche Strafen und in letzter Konsequenz der Verlust des Rechtsstreits. Die Zustellung setze endgültig auch das class action-Verfahren in Gang, das in seiner Konzeption in rechtsstaatlicher Hinsicht bedenklich sei. Schließlich könne sie einem Geschworenenprozess unterworfen werden, gegen den aus rechtsstaatlicher Perspektive ebenfalls Bedenken bestünden.
Ferner werde durch die Erzeugung von wirtschaftlichem und tatsächlichem Druck ein rechtsmissbräuchlicher Zwang auf sie ausgeübt; in Wirklichkeit gehe es den Klägern nicht um die gerichtliche Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs. Im Ergebnis liege ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte aus Art. 12 und Art. 14 GG vor.
Bereits in der Zustellung der Klage liege ein Eingriff in die Souveränität sowie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Art. 13 Abs. 1 HZÜ. Durch das spätere Anerkennungsverfahren sei sie nur unzureichend geschützt, weil ein solcher Schutz nur für ihr im Inland belegenes Eigentum gewährleistet werden könne. Da den deutschen Gerichten und Behörden die notwendigen Hoheitsbefugnisse im Ausland fehlten, könne der Schutz nur durch rechtzeitiges Eingreifen im Rahmen des Zustellungsverfahrens gewährleistet werden.
c) Die Präsidentin des Oberlandesgerichts beantragt mit Schreiben vom 6. Mai 2003, den Antrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen. Die Zustellung einer Klage im Rahmen des Haager Zustellungsübereinkommens sei nach gefestigter Rechtsprechung auch bei „exorbitant hohen Schadensersatzforderungen” zulässig. Es sei mit Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens unvereinbar, wenn bereits im Stadium der Klagezustellung in eine detaillierte Prüfung des ordre public oder sogar eine materielle Prüfung des Klagebegehrens eingetreten würde. Art. 13 Abs. 1 HZÜ solle dem ersuchten Staat nicht die Möglichkeit eröffnen, den im Ausland anhängigen Rechtsstreit nach eigenen Auffassungen zu präjudizieren; es seien auch keine Ermittlungen über den Hintergrund, den Anlass und die Berechtigung des Klagebegehrens vorzunehmen. Durch die Klagezustellung werde ferner noch kein Vollstreckungszugriff auf das in Deutschland befindliche Vermögen der Partei eröffnet. Eine Verletzung von Art. 2 GG durch die Zustellung sei mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1994 (BVerfGE 91, 335 ff.) ebenfalls zu verneinen. Hingegen sei ein Zustellungsersuchen abzulehnen, soweit mit der Zustellung eine Aufforderung zur Dokumentenvorlage im Wege der pre-trial discovery of documents umfasst sei.
d) Das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 11. Juli 2003 ab. Der Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 HZÜ sei bei einer an Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens orientierten Auslegung der Vorschrift auf besonders gravierende Fälle beschränkt, in denen die Erledigung des Zustellungsersuchens eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich brächte. Diese Auslegung sei zwar für die Zustellung US-amerikanischer Strafschadensersatzklagen (punitive or exemplary damages) entwickelt worden, lasse sich jedoch ohne weiteres auf den hier zu entscheidenden Fall einer zivilrechtlich begründeten Schadensersatzklage übertragen. Die ersuchte Zustellung würde nicht diese fundamentalen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung oder Grundrechtspositionen aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 GG verletzen.
Da es sich um die Zustellung eines verfahrensleitenden Schriftstücks handele und der Ausgang des Verfahrens in den Vereinigten Staaten völlig offen sei, falle nicht entscheidend ins Gewicht, dass der geltend gemachte Betrag nur schwerlich nachzuvollziehen sei. Allein die theoretische Möglichkeit einer Verurteilung zu einer enorm hohen Schadensersatzleistung stelle keinen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien dar. Denn die Zustellung bewirke allenfalls eine Gefährdung der finanziellen Interessen der Beschwerdeführerin. Ein Vollstreckungszugriff sei durch die Zustellung nicht eröffnet und könne später auch im Anerkennungsverfahren verhindert werden. Die Tatsache, dass durch die unverhältnismäßig hohe Klageforderung und die dadurch verursachten Presseaktivitäten Druck auf die Beschwerdeführerin ausgeübt werde, um deren Vergleichsbereitschaft zu fördern, sei auch der deutschen Rechtspraxis nicht fremd.
Eine Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze komme auch nicht in Betracht, weil die Klage in einer class action geltend gemacht werde. Zwar bestehe dieses Rechtsinstitut der Popularklage in Deutschland nicht, wohl aber in den Vereinigten Staaten. Diese Klageform beeinträchtige nicht die unverzichtbaren Rechte der Beschwerdeführerin. Eine Schlüssigkeitsprüfung der Klageschrift vor Zustellung komme auch nach deutschen Rechtsvorstellungen nicht in Betracht; Ermittlungen in dieser Hinsicht führten zu Verzögerungen im Rechtshilfeverfahren, die dem Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens zuwiderliefen.
Schließlich würde die Ablehnung der Zustellung die Beschwerdeführerin nicht vor einem Verfahren in den Vereinigten Staaten bewahren, da die Klage zwei Tochtergesellschaften der Beschwerdeführerin zugestellt worden sei.
II.
Die Beschwerdeführerin macht mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art 14 Abs. 1 GG sowie – hilfsweise – aus Art. 2 Abs. 1 GG geltend. Für die Eilbedürftigkeit ihres Antrags verweist sie auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden, zweiten Zustellungsversuchs.
1. Zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde trägt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor:
Bereits die Anordnung der Klagezustellung setze sie unter einen erheblichen Druck und beeinflusse sie massiv in ihren grundrechtlich geschützten Interessen. Die exorbitante und ruinöse Klagesumme von 17 Mrd. US-Dollar sei unverhältnismäßig und verletze ihre Handlungsfreiheit sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Der Gesetzgeber habe durch die Aufnahme von Art. 40 Abs. 3 EGBGB in das internationale Schadensersatzrecht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Geltendmachung exorbitanter Ansprüche, die auf Grund ihrer Höhe in einem gravierenden Widerspruch zu den Grundvorstellungen der deutschen Rechtsordnung stehen, gegen den ordre public verstoßen.
Der ordre public sei durch Art. 13 Abs. 1 HZÜ vorbehalten. Die Vorschrift biete dem deutschen Staat die Gelegenheit, seiner Schutzpflicht bei gravierenden Verstößen gegen Grundrechtspositionen nachzukommen. Die Entscheidung über die Zustellung sei der deutschen Staatsgewalt zuzurechnen. Eine Vernachlässigung des Art. 13 Abs. 1 HZÜ werde dann zu einem Grundrechtsverstoß, wenn die Auswirkungen der Klagezustellung mit essentiellen Inhalten der deutschen Grundrechtsordnung kollidieren.
Durch die Klage werde sie unter einen erheblichen außergerichtlichen Druck gesetzt, der das Ziel habe, sie zu Konfliktlösungen außerhalb eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens zu drängen. Das Ziel sei in diesem Fall der Abschluss eines sachlich ungerechtfertigten Vergleichs. Die Sachwidrigkeit ergebe sich zum einen aus der Höhe der Schadensersatzforderung, die sowohl den Umsatz der US-amerikanischen Musikverlagsindustrie um das zehnfache übersteige als auch weit über dem Eigenkapital der Beschwerdeführerin liege, zum anderen durch das gewählte Prozessinstitut der class action, die eine Klageerhebung ohne materiell-rechtliche Prüfung der Klageforderung erlaube. Des Weiteren drohe durch die Zustellung ihr Ansehen als Wirtschaftsunternehmen in tiefgreifender Weise beeinträchtigt zu werden, da das Vertrauen der relevanten Öffentlichkeit in die Bonität und Seriosität des Unternehmens nachhaltig erschüttert werden könne.
Durch diese Umstände werde ihre eigentumsrechtliche und berufsfreiheitliche Grundrechtsposition beeinträchtigt. Das Unternehmen sei im Hinblick auf den Kundenstamm und die Außenkontakte als Ganzes betroffen.
2. Die Beschwerdeführerin hat zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Im Hinblick auf die nach § 32 BVerfGG notwendige Folgenabwägung verweist sie auf die Unumkehrbarkeit einer Klagezustellung. Mit der Zustellung träten die Beeinträchtigungen ihrer Grundrechtspositionen ein und wirkten sich negativ auf ihren Geschäftsbetrieb aus. Dem gegenüber stehe die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der angegriffenen Entscheidungen, durch die die Rechtshilfe für einen begrenzten Zeitraum hinausgeschoben werde.
III.
Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf hatte Gelegenheit, sich zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu äußern.
Von einer Anhörung der Kläger des Ausgangsverfahrens, die durch die angegriffenen Entscheidungen begünstigt sind (vgl. § 94 Abs. 3 BVerfGG), hat der Senat wegen der Dringlichkeit der Sache gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG abgesehen.
Entscheidungsgründe
B.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
I.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist.
Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist oder das Bundesverfassungsgericht die Hauptsache so rechtzeitig zu entscheiden vermag, dass hierdurch die absehbaren schweren Nachteile vermieden werden können.
Ist der Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so wägt das Bundesverfassungsgericht die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen diejenigen Nachteile ab, die entstünden, wenn die Maßnahme nicht in Kraft träte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erwiese (vgl. BVerfGE 86, 390 ≪395≫; 88, 173 ≪179 f.≫; 99, 57 ≪66≫; 104, 23 ≪28 f.≫; stRspr).
II.
Das Begehren in der Hauptsache ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
1. Das Haager Zustellungsübereinkommen will die gegenseitige Rechtshilfe unter den Vertragsparteien dadurch verbessern, dass die technische Abwicklung der Zustellung vereinfacht und beschleunigt wird. Dadurch soll sichergestellt werden, dass gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfängern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen (vgl. BVerfGE 91, 335 ≪339 f.≫). Diese Erwägungen schließen es grundsätzlich aus, dass die innerstaatliche Rechtsordnung zum Prüfungsmaßstab für die Zustellung gemacht wird (vgl. Koch/Diedrich, Grundrechte als Maßstab für Zustellungen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen?, ZIP 1994, S. 1830 ≪1831≫). Andernfalls könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei der Zustellung oder, wegen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen zu einer Vereitelung der Zustellung führen, die durch das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollten. Ein Zustellungsersuchen kann nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 HZÜ jedoch abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Zustellung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.
Der Vorbehalt in Art. 13 HZÜ für die Anwendung ausländischen Rechts wird durch Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Haager Zustellungsübereinkommens eng ausgelegt (vgl. OLG Frankfurt, RIW 2001, S. 464 = NJW-RR 2002, S. 357; siehe Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., 2003, Art. 13 HZÜ Rn. 3 m.w.N.). So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Gewährung von Rechtshilfe durch die Zustellung einer Klage, mit der Ansprüche auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht (punitive damages) geltend gemacht werden, in der Regel nicht die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt (vgl. BVerfGE 91, 335 ≪340≫). Die Entscheidung hat jedoch offen gelassen, ob die Zustellung einer solchen Klage mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren ist, wenn das mit der ausländischen Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt (BVerfGE 91, 335 ≪343≫; vgl. auch Schlosser, a.a.O., Art. 13 HZÜ Rn. 3).
2. Im Hauptsacheverfahren ist die Frage zu klären, ob diese Grenze in dem hier zu beurteilenden Fall überschritten ist. Insoweit ist die Bedeutung und Reichweite von Art. 13 Abs. 1 HZÜ zu klären (vgl. Juenger/Reimann, Zustellung von Klagen auf punitive damages nach dem Haager Zustellungsübereinkommen, NJW 1994, S. 3274; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl., 2001, Rn. 2159).
a) Der Abschluss und die Ratifikation des Haager Zustellungsübereinkommens konkretisiert die Entscheidung des Grundgesetzes, dass der von ihm verfasste Staat in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft eingegliedert ist (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 und Art. 23 bis 26 GG). Das Grundgesetz gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. BVerfGE 75, 1 ≪16 f.≫, Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 2003 – 2 BvR 685/03 –, im Umdruck S. 11), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen.
Im Hinblick auf das Haager Zustellungsübereinkommen hat sich die deutsche Rechtsordnung für das Recht des ersuchenden Staates im Bereich des Zivilprozessrechts geöffnet. Die deutsche öffentliche Gewalt wird für die ersuchende ausländische Behörde tätig, um das in jener Rechtsordnung anhängige, innerstaatliche Verfahren über die Grenzen der nationalen Hoheitsgewalt hinaus zu fördern. Dies schließt grundsätzlich auch die Zustellung von Klagen mit ein, die in für die deutsche Rechtsordnung unbekannten Verfahrensarten erhoben worden sind.
Diese Respektierungspflicht könnte jedoch ihre Grenze dort erreichen, wo die ausländische, im Klageweg geltend gemachte Forderung – jedenfalls in ihrer Höhe – offenkundig keine substantielle Grundlage hat. Werden Verfahren vor staatlichen Gerichten in einer offenkundig mißbräuchlichen Art und Weise genutzt, um mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung einen Marktteilnehmer gefügig zu machen, könnte dies deutsches Verfassungsrecht verletzen. Ein ähnlicher Gedanke hat im Jahre 1999 durch Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB auch Eingang in das deutsche internationale Privatrecht gefunden. Die Vorschrift regelt das Deliktsstatut und schließt Schadenersatzansprüche auf der Grundlage ausländischen Rechts unter bestimmten Voraussetzungen dem Grunde nach aus (vgl. Heldrich, in: Palandt, 62. Aufl., 2003, Art. 40 EGBGB Rn. 1, 20). Art. 40 Abs. 3 EGBGB bestimmt insoweit, dass Ansprüche, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, nicht geltend gemacht werden können, soweit sie wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich oder offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen oder haftungsrechtlichen Regelungen eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Übereinkommens widersprechen.
b) Bei der Prüfung der Frage, ob die beabsichtigte Zustellung gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstößt, ist auch die Ausgestaltung der multilateralen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rechtshilfe zu würdigen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die ersuchte Vertragspartei ihre Behörden in den Dienst des ersuchenden Staates stellt, indem Schriftstücke entgegengenommen und die für die innerstaatliche Zustellung erforderlichen Maßnahmen veranlasst werden. Bei der Zustellung handelt es sich um einen staatlichen Hoheitsakt, mit dem Gerichtsverfahren einer fremden Rechtsordnung gefördert werden.
Verstößt schon die Zustellung einer ausländischen Klage gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates, so ist fraglich, ob deutsche Behörden in diesem Fall die Rechtshilfe mit dem Hinweis leisten dürfen, der Betroffene habe noch im weiteren Verlauf des Verfahrens – etwa im Rahmen der Anerkennung des ausländischen Titels nach § 328 Abs. 1 ZPO – die Möglichkeit, den Verstoß zu rügen. Denn aus der Zustellung ergeben sich für den Empfänger Rechtsfolgen, die geeignet sind, ihn in seinen grundrechtlich geschützten Positionen zu beeinträchtigen.
III.
Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin aus.
1. Bei einer Folgenabwägung sind gegeneinander abzuwägen die Nachteile, die für die Beschwerdeführerin einträten, wenn die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt wird, in der Hauptsache sich aber später herausstellt, dass die Zustellung der Klage deren grundrechtlich geschützte Positionen verletzt, mit denjenigen Nachteilen, die sich ergäben, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen wird, sich später aber herausstellt, dass die Zustellung mit dem Grundgesetz vereinbar war.
2. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, hätte sich die Zustellung der Klage im Wege der Rechtshilfe verzögert. Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger des US-amerikanischen Ausgangsverfahrens bereits dadurch unwiederbringliche Rechtsnachteile erlitten.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass eine Verzögerung der Rechtshilfe die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten von Amerika ernstlich belasten könnte. Der Erlass der einstweiligen Anordnung führt noch nicht zu einer nachhaltigen Beschränkung des Rechtshilfeverkehrs zwischen beiden Staaten auf der Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens.
3. Unterbliebe der Erlass der einstweiligen Anordnung, erwiese sich die Gewährung der Rechtshilfe im Hauptsacheverfahren dagegen als verfassungswidrig, müsste das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin in das US-amerikanische Verfahren einbezogen ist und das erkennende Bundesgericht über die Zulassung der Klage als class action mit den entsprechenden Rechtsfolgen entscheidet.
Mit der Zustellung und dem Fortgang des US-amerikanischen Verfahrens ist die Beschwerdeführerin der Gefahr einer Verurteilung ausgesetzt, die bei unterstelltem Erfolg in der Hauptsache den Maßstäben des Grundgesetzes – wie sie von Art. 13 Abs. 1 in das Haager Übereinkommen aufgenommen werden – nicht standhielte. Die Möglichkeit, dass das Urteil in einem späteren Verfahrensstadium im Inland nicht anerkannt oder für nicht vollstreckbar erklärt wird, könnte die Beschwerdeführerin weder vor einer Vollstreckung in ihr in den Vereinigten Staaten belegenes Vermögen noch vor einem mit der Zustellung geförderten Reputationsverlust bewahren.
Unterschriften
Hassemer, Sommer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1262397 |
BVerfGE 2004, 238 |
CR 2003, 762 |
WM 2003, 1583 |
ZAP 2003, 1103 |
ZIP 2003, 1625 |
ZIP 2005, 2128 |
JZ 2003, 956 |
RIW 2003, 874 |
BayVBl. 2004, 80 |
DVBl. 2003, 1315 |
Mitt. 2003, 477 |