Verfahrensgang
AG Bochum (Aktenzeichen 64 AR 464/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
1. Der strafgefangene Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben, nachdem auf seinen Antrag auf Vorführung zur Geschäftsstelle zwecks Protokollierung mehrerer Rechtsbeschwerden hin (§ 118 Abs. 3 StVollzG) die zuständige Rechtspflegerin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts B. dem Beschwerdeführer über mehrere Wochen keinen Termin zur Aufnahme der Rechtsbeschwerden eingeräumt hatte.
Die Aufnahme der Rechtsbeschwerden ist zwischenzeitlich – nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde und mehrere Monate nach Antragstellung – erfolgt. Die Verzögerung beruhte zunächst auf einem Zuständigkeitsstreit zwischen den Rechtspflegern des Amtsgerichts und des Landgerichts B., nach dessen Beilegung auf Überlastung der zuständigen Rechtspflegerin.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft hat (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Er ist gegen die beanstandete Untätigkeit nur mit einer an den Direktor des Amtsgerichts gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde, nicht aber mit einer Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Rechtspflegergesetz (RPflG) vorgegangen.
Dem steht nicht entgegen, dass in der fachgerichtlichen Rechtsprechung keine Einigkeit darüber herrscht, ob gegen die Verweigerung einer gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 RPflG vom Rechtspfleger vorzunehmenden Protokollierung mit einer Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG vorgegangen werden kann oder ob allein der Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde offensteht (im ersteren Sinne KG, Beschluss vom 26. Januar 1995 – 1 VA 14/94 –, NJW-RR 1995, S. 637 ≪638≫, m.w.N.; a.A. Hanseatisches OLG, Beschluss vom 8. März 1983 – 1 Ws 56/83 –, MDR 1983, S. 512; offenlassend OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2007 – 3 (s) Sbd. I – 8/07 –, NStZ-RR 2008, S. 79 ≪80≫; vgl. auch, allg. zur Frage der Erinnerung bei Untätigkeit des Rechtspflegers, Hansens, in: Arnold u.a., RPflG, 6. Aufl. 2002, § 11 Rn. 8, m.w.N.). Die diesbezügliche Unklarheit betrifft zwar auch den Fall, dass ein Rechtspfleger die Vornahme der Niederschrift nicht überhaupt, sondern nur für einen gewissen Zeitraum ablehnt oder schlicht untätig bleibt. Der Versuch, einen geltend gemachten Grundrechtsverstoß vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit anderen Rechtsbehelfen abzuwehren, ist jedoch nicht schon dann entbehrlich, wenn die Statthaftigkeit des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs nach dem Stand der Rechtsprechung zweifelhaft ist (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪381≫; 70, 180 ≪186 f.≫; 91, 93 ≪106≫).
Ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf gehört allerdings nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfG, a.a.O.). Eine offensichtliche Unzulässigkeit lag hier aber weder nach dem Stand der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch aus sonstigen Gründen vor.
Für den Fall, dass ein Handeln oder Unterlassen des zuständigen Rechtspflegers das durch § 118 Abs. 3 StVollzG eingeräumte Recht, eine Rechtsbeschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen, verletzt, stünde bei unterstellter Unstatthaftigkeit der Erinnerung keinerlei gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung. Dies wäre mit der grundrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht vereinbar (vgl. auch KG, a.a.O., m.w.N.) und entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, der bei der Änderung des Rechtspflegergesetzes durch das Gesetz vom 6. August 1998 (BGBl I S. 2030) den Rechtsbehelf der Erinnerung für die Fälle, in denen Entscheidungen des Rechtspflegers nach den allgemeinen Regeln des Verfahrensrechts nicht anfechtbar sind, gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen beibehalten hat (vgl. BTDrucks 13/10244, S. 7; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Januar 2001 – 1 BvR 2170/00 –, juris).
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine in den Verantwortungsbereich der Justiz fallende verzögerte Protokollierung und die damit verbundene Verweisung des Betroffenen auf den Weg des Wiedereinsetzungsantrages eine Verletzung des durch § 118 Abs. 3 StVollzG eingeräumten verfahrensrechtlichen Anspruchs des Gefangenen darstellt, mit der Folge, dass hiergegen gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren und demgemäß die Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG als statthaft anzusehen wäre, haben zunächst – unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass eine Grundrechtsverletzung durch Verzögerungen im Justizbetrieb nicht schon durch fehlendes Verschulden der konkret befassten Justizorgane ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGK 9, 339 ≪351≫) – die Fachgerichte zu beurteilen. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine selbständige, grundrechtlich dem Art. 19 Abs. 4 GG zuzuordnende Rechtsverletzung durch verzögerte Aufnahme von Rechtsbehelfen insbesondere dann zu bejahen ist, wenn es sich nicht nur um Verzögerungen in einem Sonderfall handelt, wie er auch bei im Prinzip ordnungsgemäßem Justizbetrieb vereinzelt auftreten kann, sondern um die Folge eines über einen längeren Zeitraum andauernden systemischen Missstandes.
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch nicht ersichtlich, dass die Einlegung der Erinnerung ihm unter den gegebenen Umständen unzumutbar gewesen wäre. Unzumutbar wurde sie insbesondere nicht dadurch, dass er sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an den Direktor des Amtsgerichts gewandt hatte, ohne dass damit die mit der Verfassungsbeschwerde beanstandete Verzögerung abgewendet worden wäre. Es kann nicht in das Belieben eines Beschwerdeführers gestellt werden, eine Dienstaufsichtsbeschwerde, die nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG gehört, an die Stelle der gesetzlich vorgesehenen Erschöpfung des Rechtswegs zu setzen.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen