Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 15.08.1997; Aktenzeichen 1 U 133/96) |
LG Lübeck (Urteil vom 02.07.1996; Aktenzeichen 17 O 174/96) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
1. Die Beschwerdeführer wendet sich gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung zur Unterlassung und zum Widerruf einer Äußerung. Kläger des Ausgangsverfahrens ist der vormalige Bürgermeister der Hansestadt Lübeck. Beklagte und Beschwerdeführer sind die Verlegerin sowie der Chefredakteur und der stellvertretende Chefredakteur einer Zeitung.
In der Nacht zum 18. Januar 1996 kam es in einem Asylbewerberheim in Lübeck zu einem Schadenfeuer, dem insgesamt zehn Menschen zum Opfer fielen. Öffentlichen Äußerungen des Klägers nach war ungewiss, wer die Verursacher der Katastrophe waren. Am 23. Januar 1996 erschien in der Zeitung der Beschwerdeführerin zu 1 ein vom Beschwerdeführer zu 3 verfasster Leitartikel. Darin heißt es unter anderem:
Die Experten brauchten mehrere Tage, bis sie sicher waren: Der Brand wurde im ersten Stock des verschlossenen Hauses gelegt, vermutlich von Bewohnern. Anders Lübecks Bürgermeister … . Für den stand schon wenige Stunden nach dem Brand fest: Das war ein Anschlag Rechtsradikaler.
2. Der Kläger wandte sich mit der auf Unterlassung und Widerruf gerichteten Klage gegen die Formulierung, es habe für ihn schon wenige Stunden nach dem Brand festgestanden, dass es ein Anschlag Rechtsradikaler gewesen sei. Das Landgericht gab dem Klageantrag statt (vgl. AfP 1996, S. 406). Die Berufung wurde vom Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.
3. Mit der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer vornehmlich eine Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG; das Bundesverfassungsgericht hat die hier einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪13 ff.≫; 94, 1 ≪8 ff.≫; 97, 391 ≪400 ff.≫; 99, 185 ≪195 ff.≫). Des Weiteren ist die Annahme nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Die untersagte Äußerung fällt in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit erstreckt sich nicht nur auf Wertungen. Es erfasst auch Tatsachen, die der Meinungsbildung dienen können (vgl. BVerfGE 90, 1 ≪14 f.≫). Für die Abgrenzung von Wertungen und Tatsachen kommt es auf den Inhalt der Äußerung an. Eine Tatsache ist im Unterschied zur Wertung einer Überprüfung auf ihren Wahrheits- und Richtigkeitsgehalt, mithin dem Beweis zugänglich (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪247≫). Ob eine Tatsachenäußerung vorliegt, ist durch Deutung zu klären (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52≫; 94, 1 ≪10 f.≫).
Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts stehen mit den maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen in Einklang. Nach der Auffassung des Landgerichts gibt der streitige Satz die innere Einschätzung des Klägers nach dem Brandereignis wieder. Die Erwägungen des Gerichts zur Deutung der Äußerungen beziehen über den Wortsinn der Äußerung hinaus ausdrücklich den für die Deutung maßgeblichen Horizont des Durchschnittslesers sowie den Kontext des gesamten Artikels mit ein.
Der inhaltliche Schwerpunkt der streitigen Behauptung liegt auf nachvollziehbaren Vorgängen der räumlich-gegenständlichen Welt. Der beanstandete Satz ist konkret und substanzhaltig. Als innere Tatsache ist die behauptete Einstellung des Klägers nach den im Zivilprozess geltenden Regeln jedenfalls dem Indizienbeweis zugänglich.
Zu Unrecht qualifizieren die Beschwerdeführer die Äußerung als Werturteil. Auch wenn der Artikel insgesamt als wertender Kommentar zu verstehen ist, schließt dies nicht aus, dass ein einzelner Satz einen tatsächlichen Gehalt hat, der im Kommentar zum Gegenstand einer Bewertung gemacht wird.
b) Die von den Gerichten angenommene Unwahrheit der Äußerung nimmt ihr nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Unwahre Tatsachenäußerungen fallen nur dann aus dem Schutzbereich heraus, wenn die Unwahrheit dem Äußernden bekannt ist oder bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪197≫). Daher reicht es nicht, dass erst eine spätere Beweisaufnahme die Unrichtigkeit der Äußerung ergibt. Für den Äußernden muss vielmehr im Zeitpunkt der Äußerung eine zumutbare Möglichkeit bestehen, die Unwahrheit zu erkennen. Das aber hat das Landgericht nicht festgestellt und es ergibt sich auch nicht aus den von ihm ermittelten Umständen der Äußerung.
Bei der Veröffentlichung des Artikels waren erörterungswerte Zweifel hinsichtlich der inneren Einstellung des Klägers zur Urheberschaft des Brandanschlags vorhanden. Durch seine Reaktionen auf den Vorfall hatte er Hinweise dafür geliefert, dass er einen ausländerfeindlichen Hintergrund vermutete. Bereits für den Mittag des auf die Brandstiftung folgenden Tages rief er die Bürger der Stadt zu einer Kundgebung gegen Ausländerfeindlichkeit auf. Zudem wies er in zwei Interviews auf die Gefahren des Rechtsradikalismus hin und erwähnte, dass Lübeck durch vorangegangene Anschläge zu einem Symbol hierfür geworden sei. Das ließ trotz klarer Äußerungen des Klägers dahingehend, dass die Täter nicht feststünden, Raum für Erwägungen, ob er nicht tatsächlich doch von einer Urheberschaft rechtsgerichteter Kräfte innerlich überzeugt war. Unzweifelhaft falsch war diese Annahme daher nicht.
2. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht schrankenlos. Zu den Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG gehören § 823 Abs. 1 und § 1004 Abs. 1 BGB, deren Reichweite unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪280≫). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn diesen Normen ein Anspruch auf Unterlassung einer unwahren Äußerung entnommen wird und ferner ein Anspruch auf Widerruf, sofern der Äußernde seine Sorgfaltspflichten nicht beachtet hat (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪198 ff.≫). Die Sorgfaltspflichten, die nicht überspannt werden dürfen, richten sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten; sie sind für die Medien strenger als für Privatleute (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪22≫). Dass die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall die ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten beachtet hätten, ist nicht ersichtlich. Die vom Landgericht ausgewerteten Tatsachen, namentlich die voraufgegangenen Äußerungen des Klägers, waren auch den Beschwerdeführern zugänglich. Es war dem Kommentator zumutbar, sie zu berücksichtigen und die gewählte Formulierung entsprechend zu relativieren. Dies ist nicht geschehen. Damit ist die Verurteilung zur Unterlassung und zum Widerruf der Äußerung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 952191 |
NJW 2003, 1855 |
NVwZ 2003, 1507 |
AfP 2004, 47 |
NPA 2003, 0 |