Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 14.03.2005; Aktenzeichen 8 WF 49/05) |
Tenor
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 14. März 2005 – 8 WF 49/05 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache, wenn beiden Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt worden ist.
I.
Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin. Sie wurde einem Ehemann, dem für ein Scheidungsverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden war, beigeordnet. Auch der Ehefrau wurde Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
1. Das Amtsgericht setzte den Streitwert für die Ehesache auf den Mindestwert von 2.000 EUR fest (§ 12 Abs. 2 Satz 4 des Gerichtskostengesetzes ≪GKG≫ a.F.; jetzt § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG). Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin im eigenen Namen Beschwerde und wies darauf hin, dass das monatliche Nettoeinkommen der Parteien etwa 1.600 EUR für den Ehemann und etwa 300 EUR für die Ehefrau betrage.
2. Das Amtsgericht erließ einen Nichtabhilfebeschluss, in dem es heißt, maßgeblich seien neben dem Einkommen der Parteien auch weitere, ihre wirtschaftlichen Verpflichtungen prägenden Faktoren. Dazu zählten auch die Zahlungsverpflichtungen der Parteien. Wenn diese, wie im vorliegenden Fall, so hoch seien, dass den Parteien ratenlose Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei, rechtfertige dies, „bei dem mitgeteilten Einkommen und der im Übrigen geltend gemachten Vermögenslosigkeit” von dem Mindeststreitwert auszugehen. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Gerichts, die bislang durch das Oberlandesgericht bestätigt worden sei.
Die Beschwerde blieb auch vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Es wies die Beschwerde mit am 17. März 2005 zugegangenem Beschluss „aus den zutreffenden Gründen des Nichtabhilfebeschlusses” ohne weitere Begründung zurück.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
4. Das Ministerium für Justiz des Landes Schleswig-Holstein und die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die Wertfestsetzung durch das Oberlandesgericht verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat bereits mit Beschluss vom 23. August 2005 (NJW 2005, S. 2980) ausgeführt, dass eine Auslegung der gesetzlichen Vorschriften zur Bestimmung des Streitwerts gegen die Verfassung verstößt, wenn sie dazu führt, dass der Streitwert in Ehesachen wegen der beiderseitigen Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe „stets” oder „im Regelfall” lediglich auf den Mindeststreitwert von 2.000 EUR festgesetzt wird. Da der Streitwert auch für die Bemessung der Anwaltsvergütung maßgeblich ist, wird in solchen Fällen die Berufsfreiheit der beigeordneten Rechtsanwälte berührt. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit ist unverhältnismäßig, weil dem legitimen Ziel der Schonung öffentlicher Kassen bereits durch die Reduzierung der Vergütungssätze der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte in § 123 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte – BRAGO – (jetzt § 45 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes – RVG) umfassend Rechnung getragen worden ist.
b) Auch wenn weder der angegriffene Beschluss, noch der Nichtabhilfebeschluss irgendeine Vorschrift nennen, so liegt ihnen doch – wie in dem von der Kammer bereits entschiedenen Fall – eine Auslegung der gesetzlichen Regeln zur Streitwertberechnung (§ 12 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 GKG a.F., jetzt § 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG) zugrunde, die in Verbindung mit den Vorschriften über die Maßgeblichkeit des festgesetzten Streitwertes für die Höhe der Vergütung von Rechtsanwälten (§ 9 Abs. 1 BRAGO, jetzt § 32 Abs. 1 RVG) eine im Ergebnis unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit der Beschwerdeführerin zur Folge hat (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪258≫; 97, 12 ≪27≫).
Dies ergibt sich für den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts aus der Begründung, die sich das Oberlandesgericht zu Eigen gemacht hat. Zwar geht das Amtsgericht davon aus, dass, wie in § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG a.F. (jetzt § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG) bestimmt, neben dem Einkommen auch andere, die wirtschaftlichen Verhältnisse prägenden Faktoren für die Berechnung des Streitwerts von Bedeutung und zu berücksichtigen sind. Insoweit besteht für verfassungsrechtliche Bedenken kein Anlass. Zu einer Festsetzung lediglich des Mindeststreitwerts ist das Amtsgericht jedoch allein deshalb gelangt, weil es dem Umstand der Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat. Deutlich wird dies darin, dass das Gericht von jeder näheren Betrachtung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgesehen und insbesondere die Tatsache unberücksichtigt gelassen hat, dass die Ehegatten im Wege eines Erbbaurechts Eigentümer eines Hauses waren, welches vorgerichtlich in einem notariellen „Scheidungs- und Trennungsvertrag” auf den Ehemann übertragen wurde. Dies hinderte wegen § 115 Abs. 2 ZPO a.F. in Verbindung mit § 88 Abs. 2 Nr. 7 des Bundessozialhilfegesetzes (jetzt § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) nicht notwendig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, hätte aber bei der Bemessung des Streitwertes Berücksichtigung finden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 2005, S. 2980 ≪2981≫).
2. Hiernach ist der Beschluss des Oberlandesgerichts gemäß § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es auf die weiter erhobenen Rügen noch ankommt. Die Sache selbst ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1970488 |
FamRB 2006, 271 |