Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.03.2009; Aktenzeichen 1 Ss 109/09) |
AG Hechingen (Urteil vom 22.09.2008; Aktenzeichen 5 Cs 99/08 - 11 Js 3156/08) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 22. September 2008 – 5 Cs 99/08 – 11 Js 3156/08 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. März 2009 – 1 Ss 109/09 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hechingen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§§ 90a Abs. 1 Nr. 1, 27 StGB).
I.
1. Am 28. Februar 2008 wurde im Theater „L.” in B. das Theaterstück „Georg Elser – allein gegen Hitler” uraufgeführt. Nach der Premiere des Theaterstücks wurden von mehreren unbekannt gebliebenen Männern Flugblätter an Besucher verteilt und an Kraftfahrzeugen angebracht. Unter der Überschrift „Georg Elser – Held oder Mörder?” enthielt das Flugblatt in der linken Spalte folgenden Text:
Der militante Kommunist Georg Elser, (unter anderem seit 1928 Mitglied im Rotfrontkämpferbund), dem die Nationalsozialisten trotzdem kein Haar gekrümmt hatten, plante bereits 1938 den demokratisch gewählten Reichskanzler, Adolf Hitler, zu ermorden.
Am 08.11.1939 explodierte seine durch einen Zeitzünder ausgelöste Bombe im Münchener Bürgerbräukeller. Sie riss acht unschuldige Menschen in den Tod. Weitere 63 Menschen wurden verletzt, 16 davon schwer. Unter den Opfern befanden sich auch Mütter und Familienväter, wodurch ihre Kinder zu Waisen wurden.
Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen „K(r)ampf gegen Rechts” (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren und sogar Briefmarken für den Kommunisten Elser herausgibt?
Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt?
Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!
In der rechten Spalte des Flugblattes waren auf Todesanzeigen ähnliche Art und Weise die Namen der acht im Bürgerbräukeller ums Leben gekommenen Personen nebst Geburtsdatum aufgeführt. Darunter befand sich noch folgender Text:
Ermordet durch einen feigen Terroranschlag am 8. November 1939!
Da die eigentlichen Verfasser des Flugblattes eine presserechtlich ordnungsgemäße Veröffentlichung des Flugblattes ermöglichen und selbst unerkannt bleiben wollten, trat die Beschwerdeführerin als Vorstandsmitglied des NPD-Kreisverbandes Z. auf Anfrage und in Kenntnis des Inhalts des Flugblattes nach außen hin als presserechtlich Verantwortliche des Flugblattes auf.
2. Das Amtsgericht verurteilte aufgrund dieses Sachverhalts die Beschwerdeführerin mit angegriffenem Urteil gemäß §§ 90a Abs. 1 Nr. 1, 27 StGB wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EUR.
Es begründete dies insbesondere wie folgt: Im dritten und vierten Absatz der linken Spalte des Flugblattes werde die Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsgemäße Ordnung durch Werturteil und Tatsachenbehauptungen in bewusst feindlicher Gesinnung als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hingestellt. Bereits der erste Satz des dritten Absatzes enthalte für einen objektiven unbefangenen Leser die Feststellung, dass „dieses BRD-System” in besonders gravierendem Maße verkommen sei. Hinzu komme, dass in den genannten Passagen zumindest auch zwei offenkundig falsche Tatsachenbehauptungen enthalten seien. So werde behauptet, das „BRD-System” zwinge Schüler, die Person Georg Elser zu verehren, und verhöhne die durch den Anschlag von Georg Elser ums Leben gekommenen oder verletzten Opfer. Letzteres ergebe sich aus der Formulierung: „Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt – und ihre Opfer verhöhnt?” Diese verunglimpfenden Äußerungen fielen daher nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Berücksichtigt worden sei zwar, dass der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG bereits dann eröffnet sei, wenn tatsachenhaltige Äußerungen durch Elemente der Stellungnahme des Meinens und Dafürhaltens geprägt seien und Tatsachenbehauptungen der Bildung einer Meinung oder der Stützung von Werturteilen dienen. Vorliegend stützten die genannten unwahren Tatsachenbehauptungen auch ersichtlich als Argumente die Meinung und Bewertung, dass das „BRD-System” in erheblichem Maße verkommen sei. Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG würde aber zu weit ausgelegt, wenn derart gravierende verunglimpfende Bewertungen in erheblichem Umfang mit falschen Tatsachenbehauptungen belegt werden könnten.
3. Mit Beschluss vom 19. März 2009 verwarf das Oberlandesgericht die Revision der Beschwerdeführerin als unbegründet, da die Nachprüfung der Entscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführerin ergeben habe. Beschimpfende Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland als Staat mit ihrer im Grundgesetz verkörperten Verfassung seien nicht mehr durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, sondern nach § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin – insbesondere – eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
5. Dem Justizministerium Baden-Württemberg wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, in ihren Rechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies insoweit zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bei der strafrechtlichen Beurteilung von Meinungsäußerungen im Allgemeinen sowie im Bereich von § 90a StGB im Besonderen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. allgemein zur Meinungsfreiheit: BVerfGE 90, 241 ≪247 ff.≫; 93, 266 ≪292 ff.≫; 124, 300 ≪320 ff.≫; speziell zu § 90a StGB: BVerfGE 47, 198 ≪232 f.≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, NJW 1999, S. 204; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juli 2008 – 1 BvR 519/08 –, juris; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. September 2008 – 1 BvR 1565/05 –, NJW 2009, S. 908).
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin danach in ihrer durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit.
a) Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪247≫; 124, 300 ≪320≫). Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪7 f.≫; 90, 241 ≪247≫; 93, 266 ≪289≫). Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt (vgl. BVerfGE 124, 300 ≪320≫). Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch Tatsachenmitteilungen umfasst, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫; 90, 241 ≪247≫). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪248≫; stRspr).
Ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit einmal eröffnet, findet dieses Grundrecht zwar seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, wozu auch die Strafnorm des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB zählt, gegen die keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BVerfGE 47, 198 ≪232 f.≫). Doch haben die Gerichte bei Auslegung und Anwendung der die Meinungsfreiheit einschränkenden Vorschrift im Einzelfall ihrerseits wiederum dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; 93, 266 ≪292≫; 124, 300 ≪342≫; stRspr). Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzender Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; BVerfGE 124, 300 ≪332 u. 342≫). Allein die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche ist kein Grund, diese zu beschränken. Demgegenüber ist es legitim, Rechtsgutsverletzungen zu unterbinden (vgl. BVerfGE 124, 300 ≪332 f.≫). Verboten werden darf mithin nicht der Inhalt einer Meinung als solcher, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, die bereits den Übergang zur Rechtsgutsverletzung greifbar in sich trägt und damit die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutverletzung überschreitet (vgl. BVerfGE 124, 300 ≪342≫). Ist diese Schwelle überschritten, erfordert die Bedeutung der Meinungsfreiheit in einem zweiten Schritt eine fallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293 ff.≫). Bei Staatsschutznormen ist dabei besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik auf der einen Seite und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung auf der anderen Seite zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, NJW 1999, S. 204 ≪205≫).
b) Diesen Maßstäben halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.
aa) Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet.
Der Inhalt des Flugblattes ist überwiegend von wertenden Stellungnahmen, insbesondere in den Absätzen drei bis fünf der linken Textspalte und der Schlussaussage der rechten Spalte geprägt. Die Sachschilderungen im ersten und zweiten Absatz der linken Textspalte zum Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller vom 8. November 1939 sind ersichtlich Grundlage der anschließenden Wertungen. Stellung genommen wird dabei im Kontext mit der Aufführung des Theaterstücks „Georg Elser – allein gegen Hitler” zum einen zum Bürgerbräukelleranschlag beziehungsweise zur Person Georg Elser selbst und zum anderen zur für die Verfasser durch Aufführung dieses Theaterstückes und ähnlicher Veranstaltungen empfundenen Verehrung der Person Georg Elsers in der Bundesrepublik Deutschland. Dass dabei das „BRD-System” als „verkommen” bezeichnet wird, ist für die Eröffnung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit nicht entscheidend, da es hierfür auf den Wert der Äußerungen und eine Werteloyalität der Beschwerdeführerin nicht ankommt. Anders als nach Auffassung des Amtsgerichts enthalten die Absätze drei bis fünf auch keine erwiesen unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Der Einschub im dritten Absatz der linken Textspalte „und Schüler zwinge, ihn (Georg Elser) zu verehren” ist, will man den Sinn der Äußerung nicht verfälschen, untrennbar in die sonstigen Wertungen des dritten Absatzes eingebunden und kann naheliegenderweise so verstanden werden, dass die Schüler durch entsprechende Theateraufführungen nach Ansicht der Beschwerdeführerin zu einer Verehrung Georg Elsers zu Unrecht gedrängt werden. Auch die Fragestellung des vierten Absatzes „Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen genauso geehrt und ihre Opfer verhöhnt?” hat eine ausschließlich die Grundaussage betonende Funktion und beinhaltet auch nicht im Umkehrschluss eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung.
bb) Unabhängig von der Frage, ob zumindest das Oberlandesgericht bei seiner kurz gehaltenen Begründung die Eröffnung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit erkannt hat, werden die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts der Bedeutung der Meinungsfreiheit insoweit nicht gerecht, als sie verkannt haben, dass mit der Verteilung des fraglichen Flugblattes im konkreten Fall ein gegen die Meinungsfreiheit abwägbares Schutzgut von vornherein nicht in dem Sinne betroffen ist, dass die Schwelle zu einer Rechtsgutverletzung bereits überschritten ist.
Denn anders als dem einzelnen Staatsbürger kommt dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪292 f.≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. September 2008 – 1 BvR 1565/05 –, NJW 2009, S. 908 ≪909≫). Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats. Zielrichtung des vorliegend angewandten § 90a StGB wie sämtlicher Staatsschutznormen ist es, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Länder und ihrer verfassungsgemäßen Ordnung zu gewährleisten und zu erhalten (vgl. BGHSt 6, 324 ≪325≫; BGH, Beschluss vom 1. April 1998 – 3 StR 54/98 –, NStZ 1998, S. 408; Laufhütte/Kuschel, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 1; Würtenberger, JZ 1979, S. 309 ≪310 ff.≫; Schröder, JZ 1979, S. 89 f.; Roggemann, JZ 1992, S. 934 ≪937≫). Die Schwelle zur Rechtsgutverletzung ist im Falle des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB mithin erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫; 124, 300 ≪332 ff.≫). Dies wäre bei entsprechender Form der Meinungsäußerung etwa denkbar, wenn der Bundesrepublik Deutschland jegliche Legitimation abgesprochen würde und dazu aufgerufen würde, sie zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2002 – 3 StR 270/02 –, NStZ 2003, S. 145).
Vorliegend ist diese Schwelle jedoch noch nicht überschritten. Das streitige Flugblatt nimmt die Aufführung des Theaterstücks „Georg Elser – allein gegen Hitler” zum Anlass, um sich – wie bereits erläutert – vorwiegend mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen um Georg Elser auseinander zu setzen und im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des „BRD-Systems” eine eigene Wertung entgegenzusetzen. Kernaussage des Flugblattes ist bei einer kontextbezogenen objektivierenden Betrachtung der letzte Absatz der linken Textspalte: „Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!”. Die Darstellung einer Verkommenheit des „BRD-Systems” ist hingegen weder inhaltlich noch dem Umfang nach thematischer Schwerpunkt des Flugblattes. Bezugspunkt insofern ist auch nicht etwa die verfassungsmäßige Ordnung, sondern mit dem „K(r)ampf gegen Rechts” lediglich ein politischer Einzelaspekt. Die Äußerungen verbleiben dabei weitgehend auf der geistigen Ebene (vgl. BVerfGE 124, 300 ≪342≫), die Grenze von bloßer Polemik zur Rechtsgutverletzung ist noch nicht überschritten. Eine auch nur mittelbare Eignung des Flugblattes, den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, erscheint ausgeschlossen.
c) Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen beruhen auch auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a BVerfGG).
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen